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Religionskritik

Gibt es liberale Muslime?

Gibt es liberale Muslime?

Gibt es liberale Muslime? Es wird sie geben müssen, wenn die arabischen Staaten Demokratien sein wollen. Ob sie dann noch Muslime sein können, wenn sie liberal sind, ist dieselbe Frage wie die, ob Biblizisten die amerikanische Verfassung gut heißen können.

Eigentlich vertragen sich Theonomien nicht mit Systemen, die das autonome Denken ihrer Mitglieder voraussetzen. Wie wälzt sich Hiob am Ende seiner Aufmüpfigkeit im Staub seines Nichtwissens: „ Darum habe ich geredet im Unverstand, Dinge, die zu wunderbar für mich, die ich nicht begriff. Darum widerrufe ich und bereue in Staub und Asche.“ (Hiob 42,3f) Übermäßige Reue kann zu Stauballergie führen, besonders wenn Abrahamiten frei sein wollen, ohne sich von verstaubten Erlöserschwarten zu befreien. Sind Schwarte und Freiheit a priori unverträglich, bieten sich folgende faule Kompromisse an. Man übersetzt die unfehlbare Schrift neu, deutet sie so lange um, bis sie in liberte und fraternite glänzt. Oder man deutet die Freiheit so lange um, bis sie als „innere Freiheit“ mit jedweder Gängelei von außen und oben verträglich geworden ist.

Der Kern der okzidentalen Morbidität ist die

immer wieder versuchte, aber zum Scheitern verurteilte Synthese von Selbstbestimmung und fremder Autorität, von Vernunft und Offenbarung. Die Freiheit des Menschen verträgt sich nicht mit der Rechthaberei des Gottes. Entweder Oder. Da muss man dem Schwarzweißglauben religiöser Intoleranz das unnachgiebige Schwarzweißdenken freier Individuen entgegensetzen. Ähnlichkeiten zwischen beiden „Manichäismen“ sind nur formallogischer Natur.

Die völlige Andersartigkeit liegt in der Prozedur, wie man mit Gegnern verfährt. Bei den Frommen sind es Feinde im Griff des Satan, denen man aus reiner Liebe die Köpfe abschneiden muss, bei den Demokraten sind es Wirrköpfe, die man so lange agieren lässt, bis sie zum Molotowcocktail greifen. Dann steckt man sie ins Gefängnis. Wenn sie wollen, redet man mit ihnen, bis sie den Unterschied zwischen Einsicht und Drill kapiert haben.

Wehrhafte Demokratie ist nichts für Leute, die alles für möglich halten, nur nicht die Souveränität des Einzelnen, unabhängig von Einflüsterungen und Drohreden seiner Erzieher, Priester und Erlöser. Muslim sein und frei sein, Christ sein und frei sein, Jude sein und frei sein: alles zum Scheitern verurteilt. Wer‘s dennoch probiert, muss Hegels Doppeldeutigkeit kopieren und Feuer und Wasser synthetisieren.

Der wunderbar klare Löwith schreibt: „Die Frage nach der Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit von christlichem Glauben und griechischem Denken ist auch heute noch eine, wenn nicht die entscheidende Frage für den geistigen Bestand von Europa.“ (Löwith, Karl: Der Mensch inmitten der Geschichte, Metzler, Stgt. 1990, S. 123)  Das war 1950, an die Stelle des Christentums könnte man heute bedenkenlos Judentum oder Islam setzen.

Gibt es liberale Muslime? Nur, wenn sie keine mehr sind. Wenn sie sich nicht aus feiger Nostalgie und falsch verstandener Pietät daran hindern lassen, sich an erster Stelle Menschen zu nennen. Wenn Menschsein noch immer an der Religion erkennbar, wenn die Zugehörigkeit zu einer Großsekte wichtiger sein soll als die Zugehörigkeit zur Gattung Mensch, kann man im strengen Sinn des Wortes nicht mehr von Menschlichkeit oder Humanität reden.

Es ist ein Fortschritt, wenn freie Menschen mit ihrer Religion frei umspringen. Doch allzuschnell kann ein Rückschritt daraus werden, wenn die angeblich befreite Religion die Emanzipierten a tergo wieder in den Würgegriff nimmt, weil die Neudeuter es versäumt haben, jedweder Schwarte das Monopol der letzten Autorität ein für alle Mal zu entwenden.

„Wir sind nicht die besseren Muslime“, sagt typisch-einlenkend die Vertreterin liberaler Muslime. „Wir sind einfach noch mal eine in manchen Hinsichten andere Spielart, die sich mit demselben Recht zusammenschließen darf wie „bewahrenden Muslime“. Das ist nicht nur Unfähigkeit, Nein zur Tradition zu sagen, das ist Feigheit vor dem Relativismus der Moderne, in der alle Katzen grau sein sollen, weil das Licht verlöscht ist.

Liberal ist frei, und frei soll nicht besser sein als unfrei? Die Angst vor dem Rechthaben, vor der demokratischen Pflicht zum agonalen Rechthaben. Wer den andern in der Wahrheitssuche nicht übertreffen will, ist ein Dunkelmann und Feind der Demokratie. Wer sich nicht daran beteiligt, die besten Problemlösungen zu suchen, ist ein Privatmann, genannt Idiot.

Rechthabenwollen ist nicht dasselbe wie die Unfehlbarkeit der Popen. Er muss in die Arena, auf den Marktplatz und sich dort der Debatte und der Abstimmung stellen. Wer sich durchsetzt, hat per se nicht die Wahrheit, wer verliert, automatisch nicht die Unwahrheit. Vor Tausenden von Jahren hat Xenophanes die Chose auf den Punkt gebracht, es ist Poppers Lieblingszitat: „Nicht von Anfang an haben die Götter den Sterblichen alles Verborgene gezeigt, sondern allmählich finden sie suchend das Bessere.“ (Xenophanes, Fragmente, Auszug aus den Sillen, Über die Götter)