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Tagesmail

Freitag, 30. August 2013 – Postmoderner Journalismus

Hello, Freunde der Augsteins,

Franziska Augstein hält Blomes Berufung zum SPIEGEL für einen Skandal. Das sei Verrat an Rudolf Augsteins Vermächtnis. Wer diese Transaktion unterstütze, gehöre geteert und gefedert. Zielte sie auf ihren Bruder Jakob? Gibt es in der Mediendynastie die Front der wahren Augsteins gegen die falschen?

Was sich vor aller Augen abspielt, ist interessanter als Dallas. Es ist die wichtigste Medienkrise der Nachkriegs-BRD und wird das gesamte Gazettenwesen beeinflussen. Wird der Schmäh-Boulevard das wichtigste Flaggschiff der Vierten Gewalt entern und in ein Wrack verwandeln?

Die kritische Potenz des gesamten deutschen Journalismus steht auf dem Spiel. Und wie reagiert die Journaille? Kein einziges Interview mit Jakob, kein Doppelinterview mit den Geschwistern. Kein einziger Satz vom designierten SPIEGEL-Chef Büchner. Die Transparenz der Transparenz-Hersteller geht gegen Null.
Wenn Medien sich verhalten wie Schlecker, Ackermann und andere Duckmäuser, sind sie vom Neoliberalismus als Nachtisch verspeist worden. Nur Bommarius von der BLZ sagt, was er über Blome denkt. (3-SAT Kulturzeit am 29.08.2013)

 

Es scheint, als müsse Obama einen Alleingang in Syrien starten. Das englische Unterhaus hat Cameron die Gefolgschaft verweigert. Den porösen

Erkenntnisstand der US-Regierung zeigen Äußerungen diverser Politiker in Washington:

„Die hätten zwar eingeräumt, dass die US-Geheimdiensterkenntnisse den syrischen Machthaber Baschar al-Assad nicht „direkt“ mit dem jüngsten Giftgasangriff in Verbindung brächten, berichtete die „New York Times“ aus Teilnehmerkreisen. Trotzdem sei „klar“, dass das Massaker aufs Konto der Assad-Streitkräfte gegangen sei. So hätten syrische Militäreinheiten vor besagtem Angriff chemische Munition „in Position gebracht“.  (Marc Pitzke im SPIEGEL)

Wenn Spekulationen aus politischen Gründen zu unleugbaren Wahrheiten mutieren. Doch Vermutungen sind Vermutungen und keine evidenten Beweise. Solche Unterschiede der Verifikation müssten in den Medien reflektiert werden. Bei abweichenden Meinungen haben seriöse Vermittler die Abweichungen festzuhalten und zu erklären.
Nachrichten bestehen nicht nur aus Inhalten, sondern aus Erörterungen über verschiedene Methoden der Nachrichtensuche. Oft genug ist die Methode der Recherche die wichtigste Nachricht.
Die gegenwärtigen Medien kümmern sich nicht um ihre Konkurrenz. Sie faseln von verschiedenen Perspektiven. Doch wie differente Perspektiven zustande kommen, wird unter den Teppich gekehrt. Überall gibt es Konkurrenz. Doch Konkurrenz um die „objektive Wahrheit“ wird verboten, weil jeder Nachrichtenkanal auf seine autistische Unvergleichlichkeit pocht.
Dass der wache Zuschauer die Meldungen in ihrer Widersprüchlichkeit erlebt und sich die Widersprüche nicht erklären kann, kümmert die arroganten Selbstdarsteller nicht. Wohl ist es für jeden Zeitbeobachter unerlässlich, verschiedene Medien zu vergleichen, um sich eine fundierte Meinung zu bilden. Doch dies wäre die Pflicht der Medien selbst, die die Informationen in ihrer Unterschiedlichkeit wahrzunehmen und zu reflektieren hätten. Andernfalls müsste man ihnen Offenbarungsattitüden vorwerfen. Der kritische Beobachter hätte genug zu tun, die unterschiedlichen Endprodukte der Konkurrenten zu vergleichen und zu beurteilen.

Informationen an sich gibt es nicht. Jede Meldung besteht aus dem faktischen Kern und den folgenden Fragen:

a) Wie ist die Information erhoben worden?

b) Gibt es abweichende Informationen?

c) Wie sind die Differenzen zu erklären?

d) Wie muss das ganze Paket beurteilt werden?

e) Gibt es konkurrierende Beurteilungen?

Von solchen Standards sind deutsche Medien weit entfernt. Jede Gazette begnügt sich mit alleinseligmachender Darstellung. Dass die Medien sich in ihrer Unterschiedlichkeit wahrzunehmen und höchste Debattierqualitäten zu zeigen hätten  davon ist weit und breit nichts zu sehen.

Wahrnehmungen sind perspektivisch. Jeder Mensch nimmt die Welt subjektiv wahr. Heißt das, dass subjektive Wahrnehmungen objektive Erkenntnis ausschließen?
In der Mathematik nicht. In Naturwissenschaften auch nicht  selbst, wenn es in Grundlagenfragen zu „Glaubensschulen“ kommen kann. Philosophische Voraussetzungen mögen umstritten sein, in konkreten Ergebnissen muss Übereinstimmung erzielt werden.
In den meisten Fragen entscheidet der Praxistest. Ob ein Flugzeugkonstrukteur richtig gerechnet hat, kann er mit der Flugfähigkeit seines Vehikels beweisen. Bei Astronomen gibt’s geringfügig abweichende Wahrnehmungsqualitäten ihrer Augen. Doch durch Einbeziehung dieses „subjektiven Faktors“ kann jede Differenz objektiv herausgerechnet werden.
Bei den Geisteswissenschaften ist es am schwierigsten. Aber nicht unmöglich  sofern der Wille vorhanden ist, die Unterschiede nicht zu unhinterfragbar letzten Dingen zu vergötzen.
Den Hergang eines Verkehrsunfalls werden verschiedene Zeugen verschieden erzählen. Postmodernisten bekommen glänzende Augen, wenn sie den unüberwindbaren Perspektivismus der Wirklichkeit beteuern dürfen. Ein kluger Richter aber kann verschiedene Wahrnehmungen durchaus als nachvollziehbare Kausalitäten verschiedener Positionen herleiten und den Gesamtvorgang objektivierend rekonstruieren. Was Zeuge X auf der linken Seite und Zeuge Y auf der rechten sah, rührt daher, dass sie sich in gegenüberliegenden Positionen befanden. Das klingt simpel. Doch derselbe Erklärungsansatz gilt für komplizierte psychische Erfahrungen.

Wenn Brüderlein und Schwesterlein sich streiten, wer von ihnen von den Eltern am meisten bevorzugt wurde, jeder sich als benachteiligt empfand, könnte das daran liegen, dass die Ältere sich besonders hart kritisiert fühlte, der Jüngere aber gerade die unkritischere Behandlung als Benachteilung empfand: na ja, mich hat Vatern eben nicht so ernst genommen, wie dich, Schwesterherz. Es stimmt, ich wurde mehr verwöhnt. Doch genau das empfinde ich heute als Nachteil.
Der harte Kern der Wahrnehmung  kritisiert werden  kann also identisch sein, dennoch führt die verschiedene Bewertung von Kritik zur nagenden Rivalität in der Frage, wer von beiden das privilegiertere Kind war.

Ein Rechtssystem, das die Kategorie Objektivität leichtsinnig dahingibt, wird das Gesetz zur käuflichen Ware degradieren. Richter, Anwälte und Staatsanwälte verlieren die Lust, der Wahrheit nachzuforschen. Schnell einen windschlüpfrigen Vergleich geschlossen, den nur Betuchte zahlen können, und schon ist der Fall vom Tisch.

Die Dekadenz unseres Rechts liegt an der jahrzehntelangen postmodernen Paralysierung der Begriffe: Wahrheit, Moral, Wahrheitssuche, Objektivität  und der Heiligsprechung eines dogmatischen Perspektivismus.
Auch die Kirche lehnt den postmodernen Relativismus ab. Doch aus ganz anderen Gründen als die Sucher der Wahrheit. Nämlich aus dem Grund, dass sie per Selbstermächtigung  pardon, göttlicher Lizenz  die Wahrheit durch unfehlbare Offenbarung erkannt hat.
Auch bei ihr fällt die Wahrheitssuche flach, denn sie weiß bereits das Wesentliche. Was sie nicht weiß, hält sie für belanglos.

Sokrates kokettierte nicht, wenn er sagte: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Dies wird heute als Beweis für nichts-wissen-könnenden Postmodernismus betrachtet. Der Nachsatz des Sokrates wird dabei unterschlagen: Weil ich weiß, dass ich nichts weiß, kann ich die Wahrheit suchen. Allein werde ich keine Wahrheit finden. Doch im Gespräch mit anderen Suchenden können wir uns nach und nach aus unserer Unwissenheit befreien. Dabei ist theoretisches Wissen in letzten Fragen so unmöglich wie überflüssig.
Deutsche Lieblingsfragen wie: Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr nichts, sind Beschäftigungstherapien für langhaarige Philosophen. Von anderer Qualität sind praktische Fragen. Wie muss ich ein Leben führen, das allen Menschen Sinn, Lust und Erfüllung beschert?
Diese Fragen sind zu beantworten. Zuerst muss jeder die hypothetische Antwort sich selber geben. Danach kann er seine Erfahrungen mit Erfahrungen anderer vergleichen. Durch Praxis können wir ergründen, wie wir miteinander umgehen sollen  wenn wir ein erfülltes Leben anstreben.
Der beste Ort für Erkenntnissuche ist Demokratie. Jede Glücksform kann als politisches Programm an den Start gehen und im Wettbewerb seine Tauglichkeit nachweisen. Der Beweis fürs beste Leben ist das empfundene Glück, das mit dem eigenen Denken zusammenstimmt. Wessen Poren erfüllt sind von lustvoller Spontaneität, der will kein anderes Leben mehr führen. Am Anfang des Lebens stehen Fragen und Hypothesen. Am Ende steht die Meeresstille der Seele.

Die Postmoderne ist ein Ableger des christlichen Credos, das dem irdischen Menschen weder Glück noch Wahrheit gönnt. Die Kreatur soll in subjektiver Vereinzelung verelenden, damit sie wieder nach dem Felsen des Glaubens zu fragen beginnt.
Der deutsche Pessimismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts war die psychische Voraussetzung für die Heilslehren des Wilhelminismus und Nationalsozialismus. Nur wer seelisch taub und leer ist, hält Ausschau nach Heilslehren von Oben.

Wer dies verstanden hat, hat auch die gegenwärtige Weltpolitik des christlichen Westens verstanden, der den Menschen in moralischer Immobilität kaserniert. Ihm wird von allen Seiten suggeriert, er könne durch Wirtschaft glücklich werden. Allmählich dämmert’s den Konsumisten, dass sie durch wildes Shoppen nur dem Therapeuten und legalen Drogen anheim fallen. Versagen Ritalin, Alkohol, Dauersex, Depression und Ausgebranntsein  auch Unglück kann zur Droge werden , bleibt nur noch die Rückkehr zum bewährten Opium des Volks. Religion und Kapitalismus marschieren auf getrennten Wegen und siegen auf demselben Schlachtfeld.

Noch leben wir heute vom Rausch eines unverhofften Wohlstands. Alle Deformationen der Seele werden übertüncht durch Verweis auf unendlichen Zaster. Bald werden die Nachholbedürfnisse einer vom Krieg gezeichneten Generation, ihrer Kinder und Kindeskinder bis zum Erbrechen gesättigt sein. Warum Menschen den Hals nicht voll zu kriegen scheinen, liegt an den tief verinnerlichten Noterfahrungen ihrer Voreltern, die noch immer das Leben ihrer Nachfahren bestimmen. Sie misstrauen dem Überfluss und müssen sich aus Vorsorge den Wanst immer und immer füllen. Weiß man, was morgen kommt?

Die unberechenbare Zufallsideologie des Kapitalismus versetzt den Einzelnen in permanente Unruhe und Unsicherheit. Das Streben der meisten nach Sicherheit wird von den Eliten geradezu verhöhnt. Nur Unsichere sind zuverlässig zu manipulieren. Wer immer nur von Zukunftsverheißungen zehren muss, für den kann die Gegenwart keine Meeresstille der Seele sein.
Unruhig ist mein Herz, oh Mammon, bis es nicht verendet im Bankrott, denn vorher wirst du mir keine Ruhe gönnen. Das ist die Übersetzung des augustinischen Gebets: Unruhig ist mein Herz, bis es nicht ruht in dir, oh Herr. Denn auf Erden darf ich nicht zu mir kommen.

Demokratie und kapitalistische Wirtschaftsform sind nicht identisch. Im Gegenteil. Ökonomische Dauerunruhe versetzt die Fundamente der Demokratie in ständiges Vibrieren, bis sie bröckeln und zerfallen. Zerfallen die Fundamente der Freiheit und Selbstbestimmung, kommt der altbekannte Doppelkopf aus der Tiefe, um die Ruhelosen und Entwurzelten an die Leine zu legen. Der eine Kopf ist Despot, der andere Seelenhirte. 

Im Mittelalter und in der beginnenden Neuzeit des völkerfressenden Kolonialismus waren beide ein unschlagbares Team. Die Aufklärung dezimierte die Despoten und schwächte die Macht der Priester. Seitdem arbeiten die Stellvertreter des Herrn still und leise an ihrer Rehabilitierung.
Sie haben nur die Chance, zu gewohnter Macht zurückzukehren, wenn es dem Kapitalismus gelingt, den Menschen mit Wohlstand zu bestechen, um ihn endlich dem Lazarett auf Erden zu übergeben. Nur wenn es der Menschheit schlecht geht, kann es den Männern Gottes gut gehen.

Die ungeheure Katastrophe des Nationalsozialismus hat die Welt in einen Schock versetzt. Die Nachkriegsepoche war eine planetarische Reaktionsbewegung, um den Schock in internationaler Vorbildlichkeit zu überwinden. Doch je mehr die Schockwirkungen der Barbarei verblassen, je weniger fühlen die Völker sich genötigt, die Politik der Vorbildlichkeit unter dem Gesamtzepter der UNO fortzuführen.
Amerika pendelt ständig zwischen demokratischer Leidenschaft und theokratischer Weltbeglückung. Gegenwärtig will Gods own country der Welt zum apokalyptischen Finale verhelfen. Auf der einen Seite die Erwählten im neuen Kanaan, auf der anderen die unendlichen Horden der Verlorenen.

Nun steht wieder ein neuer Kriegsgang zur Erlösung der Menschheit an. Wer sich der Erlösung widersetzt, hat mit Amerikas Massenwaffen zu rechnen. Nicht den geächteten, sondern den durch Segenssprüche geheiligten Raketen und Präzisionsbombern: in God, we trust.

Hat Assad die von Obama dekretierte rote Linie überschritten? Dagegen spricht, dass Assad sich durch den Einsatz von Giftgas nur Nachteile einhandeln könnte. Warum hätte er einen solchen Befehl erteilen sollen? Ohnehin sind die Regierungs-Streitkräfte stärker als die der Aufständischen. Wäre es nicht sinnvoller, anzunehmen, dass die Rebellen durch Einsatz der verbotenen Waffen den Verdacht auf das Regime lenken wollen? Dann aber die Frage: woher haben sie das Giftgas? Von Nordkorea? Vom Iran?
Es wäre ein Wunder, wenn die Medien die Lage übersichtlich darstellen könnten. Ihre Unfähigkeit zur Objektivität begründen sie mit dem Hinweis auf die relativierende Modephilosophie. Die Postmoderne kennt weder Wahrheit noch Moral. Noch immer nicht kann sich die deutsche Journaille von der postmodernen Devise Hanns Joachim Friedrichs distanzieren:

„Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazugehört.“

Das ist die Selbstbeschreibung eines charakterlosen Berufsopportunisten und moralfreien Vandalen. Er wird es schon nicht so amoralisch gemeint haben, sagen sie, um ihren Vordenker zu verteidigen.

Sie interpretieren Friedrichs, wie die Theologen die Bibel: was er gesagt hat, bestimmen wir. Der deutsche Journalist à la Friedrichs ist der Nachkomme christlicher Pilger, die auf Erden keine bleibende Statt haben. Die zukünftige aber suchen sie.