Hello, Freunde des Reichtums,
wenn im Märchen ein Wanderer in ein fremdes Land kam, erkannte er bald, ob er in ein reiches Land gekommen war. Der Reichtum war sichtbar und lag vor aller Augen. Die Häuser waren stattlich, die Schlösser glänzten von Gold und Silber, die Münster und Dome ragten gen Himmel. Die Menschen waren prächtig gekleidet, hatten rote Bäcklein und schauten überaus zufrieden und leutselig in die Welt. Die satten Felder und Wiesen, das Vieh auf den Weiden, selbst die Bächlein sprangen lustiger über Stock und Stein als überall, wo Menschen unter Not und Armut litten. Die Menschen vertrauten einander, die Türen ihrer Häuser standen weit offen. Wer hätte Böses tun sollen, wenn jeder Einzelne ein gutes Leben führte?
Für moderne Menschen sind Märchen Alpträume, wo Verhältnisse erstarrt und in Sattheit erstickt sind. Im Märchen sind Menschen angekommen. Sie haben das Ziel erreicht. Unterwegs sein ist für sie nicht alles. Niemand, der sie dazu bewegen könnte, neue Ziele zu suchen. Selbstzufriedene Menschen wollen keine unsichere Zukunft mehr. Ihre Zukunft sieht aus wie ihre Gegenwart, die nie enden soll.
Bei den Amerikanern heißt es: er hat seinen Traum verwirklicht. Wenn du nur willst, kann dein Traum wahr werden. Bei den Deutschen, als sie noch Märchen lasen, hieß es: da werden Märchen wahr.
Träume sind Einzelträume, Märchen sind Kollektivträume. Jeder hat seinen eigenen individuellen egoistischen Traum. Diese Vorstellung kann nur aus dem Stammland des Kapitalismus kommen. Die Deutschen haben ihren …
… völkischen Charakter noch immer nicht ganz abgelegt. Wenn sie träumen, träumen sie in der gemeinsamen Sprache der Märchen.
So unterschiedlich sind wir Menschen nicht. Wir haben die gleichen Grundbedürfnisse. Deutsche sind Märchenerzähler, Amerikaner Traumerzähler. Amerika hat keine gemeinsamen Märchen. Hollywood, ihre Märchenfabrik, erzählt Alpträume, in denen Einzelne Erlöser oder Teufel sind.
Der Staat ist für Amerikaner die unterste Plattform, auf der jeder seinen unverwechselbaren Traum errichten will. Ein isoliertes Traumgebäude neben dem andern. Den Staat soll man gar nicht mehr sehen, nur die vielen Realisierungen der individuellen Luftgebilde sollen Gottes Auge erfreuen.
In Deutschland oder Alteuropa ist der Staat das Gehäuse der Gemeinsamkeit. Der Endzustand ist das Ziel, an dem alle ankommen sollen. Platons idealer Staat war nicht das Ergebnis eines isolierten Traumes, sondern das, wonach alle Menschen suchen.
Der Amerikaner ist kein zoon politicon, sondern ein Einzelwesen – mitten unter vielen Einzelwesen in der Öffentlichkeit. In der Politeia kann‘s niemandem gut gehen, wenn’s nicht allen gut geht. (Den Weisen ging‘s noch am wenigsten gut, sie wollten gar nicht regieren, sie mussten.) In Amerika kann‘s jedem schlecht gehen, wenn’s nur jedem Einzelnen gut geht.
Den Widerspruch dieser beiden Aussagen haben sie bis heute noch nicht verstanden. Selbst Martin Luther King begann seine kollektive Vision im Jargon der Vereinzelung: I have a dream. Er hatte einen Traum. Danach erst kam das Wir Amerikas: „Soll Amerika eine große Nation werden, dann muss dies wahr werden.“
Warum muss Amerika eine große Nation werden, damit alle Menschen frei sein können? Eine große Nation ist eine mächtige Nation, die anderen Nationen schnell die Lebensluft absaugt. Große Nationen brauchen wir nicht mehr. In jeder Nation müssen Menschen frei sein können.
Wer heute ein Land betritt, weiß lange nicht, ob es ein reiches oder armes Land sein wird. Das offenbare Elend der Bettler und Favelas könnte bedeuten: hier kannst du Geld machen, hier gibt’s jene Klüfte zwischen arm und reich, die verheißungsvoll sein können. Reiche Länder sind kontrastreiche Länder, voller Spannungen und Klassenkämpfe. Wo alles gleichmäßig verteilt und ehrgeizlos ist, herrscht Grabesruhe der Eintönigkeit.
Die reichsten Länder könnten die schrecklichsten Fratzen zeigen und ihre Reichsten hinter hohen Mauern verstecken. In Deutschland zeigt man seinen Reichtum nicht. Man deutet ihn ein bisschen an. Die wahrhaft Reichen bleiben unter sich, zurückgezogen hinter sieben Bergen. Oft sind sie nicht mehr im Land, sondern auf einer fernen Insel, in einem fremden Staat mit traumhafter Kulisse und wenig Steuern.
Bei uns soll es mehr verborgene Milliardäre geben als in anderen Ländern, um den Neidkomplex der Deutschen nicht übermäßig zu schüren. Im Gegensatz zum Mittelalter hat sich der Reichtum der Moderne überall unsichtbar gemacht. Die Reichen bauen keine Schlösser und Burgen mehr. Sie fühlen sich der Allgemeinheit nicht mehr verpflichtet. Und wenn doch, dann mit einem weiteren Museum, wo sie ihre Lieblingskunstwerke dem Volk präsentieren, als seien sie Stücke von ihnen.
Der moderne Reichtum hat sich funktionalisiert, er unterhält unsichtbare Räderwerke der Macht. Wie Geld nicht mehr in Gold und Geschmeide besteht, sondern in virtuellen Zahlen, die nicht mehr materialisiert werden können, so ist Reichtum kein Ding der Anschauung mehr. In, mit und unter den Strukturen zeigt er sich, indem er sich blitzschnell entzieht.
Wenn sie auf dem Forum der Eitelkeiten auftreten – auf der Liste der jährlichen Milliardäre –, dann am liebsten als Giganten der Charity. Diese kleine Community der Reichsten aller Reichen wird in Zukunft die Creme de la Creme der Menschheit bilden. Wie viele Milliardäre aus welchen Kontinenten sind hinzugekommen, wie viele Frauen unter ihnen? Nicht Regierungen werden die Nationen repräsentieren, sondern die Superreichen. Sie werden die Rolle der Könige übernehmen.
Die Tycoons sind inzwischen so reich und mächtig geworden, dass sie für staatliche Vertreter fast immun geworden sind. Man kann sie nicht mehr belangen. Sie sind nicht nur too big to fail, sondern too big to jail. (Patrick Welter in der FAZ)
Die USA denken inzwischen daran, ihre übergroßen Banken zu zerschlagen. „Ich bin besorgt, dass die Größe mancher dieser Institute so groß wird, dass es schwierig für uns wird, sie strafrechtlich zu verfolgen“, sagte Justizminister Holder in einer Anhörung vor einem Senatsausschuss. Strafverfolger stünden vor der Schwierigkeit, dass die Anklage eines großen Finanzinstituts die nationale Wirtschaft und vielleicht auch die Weltwirtschaft negativ beeinflusse. Das folge daraus, „dass einige dieser Institute zu groß geworden sind“, sagte Holder. Der Kongress müsse über die Größe von Banken nachdenken, empfahl der Justizminister.“
Während Vertreter des Kapitalismus den Staat warnen, zu groß und stark zu werden, haben sie Organisationen geschaffen, die jeden Staat als Peanut aussehen lassen. Die ungewählten Mächte des Geldes haben die legalen Mächte der Demokratie in den Schatten gestellt.
Es wiederholt sich, was am Anfang des Abendlandes begann: die Kirchen, eben noch im ohnmächtigen Untergrund, erringen innerhalb kurzer Zeit die Oberhand über Rom, später über die wilden Stämme der Völkerwanderung, die sie zum christlichen Glauben bekehren. Die deutschen Kaiser hatten auf Dauer keine Chancen gegen die eisenharten und verschlagenen Päpste auf Petri Stuhl.
Der Niedergang der deutschen Macht im Mittelalter war nicht zuletzt das Werk römischer Priester. Die Kirchen waren binnen weniger Jahrzehnte zu den reichsten Institutionen und Großgrundbesitzern der damaligen Welt aufgestiegen. Durch die Überlegenheit ihrer Bildungssprache, ihres zentralen Machtapparates waren sie allen naturwüchsigen Feudalordnungen um ein Vielfaches überlegen.
Das wiederholt sich heute auf allen Ebenen. Der Staat ist heute nicht mehr kompetent genug, seine eigenen Gesetze wasserdicht zu formulieren. Er muss das Personal der Lobbygruppen anheuern, die just jene Vorteile für ihre Klientel hineinschreibt, die eigentlich hätten eliminiert werden sollen. Der Staat ist in der Hand seiner Rivalen, die ihm das Blut aus den Adern saugen.
Auf dem Papier sieht noch immer alles wie Demokratie aus und soll auch so aussehen. Würde es anders aussehen, müsste die Finanzwelt den Pöbel fürchten, der ihm die Glaspaläste stürmen könnte. Also soll die Fassade gewahrt bleiben, damit kein böses Blut geweckt werde. Wir werden noch lange vorbildliche Fassaden-Demokratien bleiben, getrieben und gelenkt vom unsichtbaren Maschinenraum des Mammons.
Mitten in der westlichen Demokratie ist ein Staat im Staate entstanden, der mit scheindemokratischen Methoden die Geschicke der Gesellschaft aus dem Hintergrund lenkt. Wenn er nicht mehr mit den Gesetzen des Staates belangt werden kann, hat er sich zu einem unverwundbaren Gebilde durch Selbstermächtigung herangebildet. Wessen Macht nicht mehr relativiert und angegriffen werden kann, der ist allmächtig geworden.
Nun ist der neueste Armutsbericht erschienen und ärgerliche Talkshows werden abgehalten über die Frage, ob die Armen noch ärmer und die Reichen noch reicher geworden sind. Trotz vieler Nebelzahlen ist das Ergebnis seit Jahr und Tag immer dasselbe: die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer.
Ein Prozent der Superreichen besitzt inzwischen ein Drittel des Volksvermögens. Von Jahr zu Jahr raffen immer weniger Menschen immer größere Anteile des Volksvermögens in ihre Hände. Am Trend ändert sich nichts. Eine winzige Minorität von Reichen vergreift sich immer mehr am erwirtschafteten Reichtum der ganzen Gesellschaft.
Das Gesetz des Matthäus wird regelmäßig als Gesetz Gottes und der Natur verifiziert: „Wer hat, dem wird gegeben und er wird Überfluss haben. Wer nichts hat, dem wird genommen, was er hat.“ Kein Herz-Jesu-Marxist kommt auf die Idee, das Walten des Matthäus-Gesetzes zu erklären.
Die Erklärung muss nicht lange gesucht werden. der Erfinder des Gesetzes macht kein Hehl daraus. „Du böser und fauler Knecht. Wusstest du, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe und sammle, wo ich nicht ausgestreut habe?“ Es ist gerecht, weil ICH, der Herr, es so will. Man könnte sagen, das Gesetz möge so ungerecht sein, wie es will, dadurch, dass der Herr es absegnet, wird es zum Gesetz des Heiligen. Gerecht ist, was Ich gerecht nenne.
Einsprüche aus dem Bereich der Vernunft werden abgewiesen, gegen die Allmacht der Willkür kommt keine Vernunft an. Es ist, weil es so sein muss.
Es wird immer wieder von Apologeten wiederholt, in der christlichen Lehre werde der Status der Armut gegenüber dem Reichtum bevorzugt und ausgezeichnet. Das Gegenteil ist der Fall. Wie Tränen, Schmerz und Not wird Armut nur aus strategischen Gründen akzeptiert. Wie der Herr den Tod am Kreuz erduldete, um ihn zu besiegen und als Herrscher des Universums wiederzukehren, so soll das Erdulden der Armut ein prophylaktischer Akt sein, um am Ende der Tage das Erbe der ganzen Welt zu kassieren.
Selig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land besitzen. Selig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und alles Arge wider euch reden um meinetwillen und damit lügen. Freuet euch und frohlocket, weil euer Lohn groß ist in den Himmeln.“ „Sammelt euch nicht Schätze auf Erden, wo Motte und Rost sie zunichte machen und wo Diebe einbrechen und stehlen. Sammelt euch vielmehr Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Rost sie zunichte machen und wo Diebe nicht einbrechen und stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein.“
Das ist überhaupt das Grundgesetz des Kapitalismus: Wo dein Schatz ist, da ist dein Herz. Keine Rede, dass die Armut an sich erstrebenswert wäre. Sie ist ein instrumentelles Übel, nur dazu tauglich, eines Tages ihr Gegenteil, den absoluten Reichtum des Himmels zu erlangen. Durch Kreuz zur Krone, durch Armut zum himmlischen Reichtum. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem – irdischen – Mammon. Ihr könnt aber sehr wohl jenem Mammon dienen, der sich Gott unterstellt hat.
Alles ist sündig, was sich Gott widersetzt, alles heilig und gut, was sich in seine Dienste stellt. Ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums, er rühme sich nur des Herrn. Dann wird er noch mehr Reichtum aus den Händen des Herrn hinzuverdienen. Reichtum wird zur Sünde, wenn er als Werk der eigenen Brillianz gegen Gott ausgespielt wird.
Selbst der menschenfreundliche Adam Smith macht kein Hehl aus seiner Verachtung der Armen: „Der Mangel an Vermögen, die Armut, erweckt an und für sich wenig Mitleid. Ihre Klagen pflegen nur allzu leicht eher Verachtung als Mitgefühl zu erwecken. Wir verachten den Bettler und mag uns seine Zudringlichkeit auch ein Almosen abnötigen, wir werden doch kaum jemals ein ernstliches Mitleid mit ihm fühlen. Dagegen wird der Sturz aus Reichtum in Armut, da er ja gewöhnlich auch für den, der dieses Schicksal erleidet, das größte Elend mit sich bringt, selten ermangeln, in dem Zuschauer tiefes und aufrichtiges Mitleid hervorzurufen.“
Dazu passt die berühmte Stelle über den Bettler, den Smith so beschreibt: „mildtätige Menschen geben ihm zwar, was er zum Leben unbedingt benötigt. Doch weder wollen, noch können sie ihn mit allem unmittelbar versorgen, was er gerade braucht.“ Warum wollen sie nicht? Warum ist eine reiche Gesellschaft nicht in der Lage, ihre Opfer zu versorgen, dass sie ein menschenwürdiges Leben führen können?
Antwort: weil Armut im tiefsten Grunde eine Sünde ist, ein Ungehorsam wider Gottes Gebot, sich die Welt unter den Nagel zu reißen. Machet die Erde untertan heißt: machet den Reichtum der Erde zu eurem Reichtum. Wie Gott Monopolbesitzer der Schöpfung ist, so sollen seine Ebenbilder sich um das väterliche Erbe reißen.
Wie Gott unsichtbar ist, so wird der Reichtum der Welt immer unsichtbarer. Über ihre Reichen weiß diese Gesellschaft immer weniger, wie Ulrike Herrmann schreibt. Der Reichtum entzieht sich dem Zugriff der Menschen. (Ulrike Herrmann in der TAZ)
Als man Gott fragte, wer er sei, antwortete er: er ist, der er ist und sein wird. Gott entzog sich dem Zugriff des Menschen durch Anonymität und Unsichtbarkeit. Just so definierte Heidegger das Sein. Das Sein ist es selbst.
Was ist der Reichtum der Welt? Er ist der unsichtbare und undefinierbare Gott der Welt. Der Reiche ist: ER selbst.