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Europäische Idee XXXIV

Hello, Freunde der europäischen Idee XXXIV,

in welchem Zustand muss die Welt sein, dass die Völker eine Politikerin bewundern, die Moral predigt – aber das Gegenteil tut? In einem Zustand amoralischer Wirtschaft, moralverhöhnender Technologie und moralallergischer Machtpolitik.

Im Banne allmächtiger Religionen und verbündeter Despotien hat die Menschheit sich an die Diskrepanz zwischen Worten und Taten gewöhnt. Was die Gewaltigen sagen, tun sie nicht; was sie tun, verheimlichen, verfälschen oder verherrlichen sie. Ausgehungert nach Moral, sind die Völker nicht mehr imstande, moralische Sirenentöne, die nur betören wollen, von verlässlicher Humanität zu unterscheiden.

Als vor 2000 Jahren die Völker der Welt durch eine immer erbarmungsloser werdende römische Weltmacht darniederlagen, ertönte ein Sirenengesang vom Himmel, der allen Mühseligen und Beladenen Erquickung verhieß. Eine Frohe Botschaft verhieß allen Erniedrigten und Beleidigten das Ende der irdischen Mühsal und den Beginn himmlischer Freuden. Die Botschaft wurde zum Heilsversprechen für alle Schwachen der Welt – und eroberte mit obergrenzenlosen Lohnverheißungen und unbegrenzten Strafandrohungen den Planeten.

Was waren die Früchte des welterobernden Glaubens? Eine Handvoll missionierender Nationen schwangen sich auf zu imperialen Herren über viele Völker, die von ihnen unterdrückt, ausgeraubt, versklavt und ausgelöscht wurden.

Wie konnte die Botschaft einer Erlösung von Müh und Leid sich ins schreckenerregende Gegenteil verkehren? In ihrer Drangsal bemerkten die Völker nicht, dass die frohe Botschaft keine moralische war. Sie dachte nicht daran, die Probleme der Welt zu lösen. Die Hilflosen und Schwachen bemerkten nicht den kleinen Unterschied zwischen Erlösen und Problemlösen.

Probleme lösen will die Welt verbessern, um sie in eine vitale Heimat für alle Völker zu verwandeln. Erlösung verheißt: in der Welt habt ihr Angst, siehe, ich werde die Welt vernichten und eine neue erfinden, dort werden all eure irdischen Probleme in

einem Nu gelöst sein. Die ruchlose Welt wird erlöst, indem sie vernichtet wird.

Erlösen setzt nicht auf interne Heilkräfte und Lernfähigkeiten der Menschen. Der Mensch ist bis ins Mark verderbt. Vergangenheit und Gegenwart müssen vernichtet werden, damit eine unbefleckte Zukunft aus dem Nichts erfunden werden kann. Nicht nach hinten schauen, wir gedenken nicht des Vergangenen. Stattdessen strecken wir uns aus nach der Zukunft:

„Meine Brüder, ich schätze mich selbst noch nicht, daß ich’s ergriffen habe. Eines aber sage ich: Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich zu dem, was da vorne ist.“

Erlösung bedient sich einer großmäuligen Imponiermoral, um konkurrierende Religionen und heidnische Ethik auszustechen.

Selig sind die Friedfertigen. Selig, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit. Selig die Barmherzigen. Selig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und alles Arge wider euch reden um meinetwillen und damit lügen. Doch zu welchem Zweck?

Denn sie werden Söhne Gottes heißen.

Denn sie werden gesättigt werden.

Weil euer Lohn groß ist in den Himmeln.

Ist Moral lohnbedürftig? Trägt sie den Lohn ihres Tuns nicht in sich, indem sie den Anderen als Mitmenschen erkennt?

Autonome Moral benötigt keine fremde Motivation. Sie ist selbstbestimmt. Die Würde der autonomen Moral ist unantastbar. Vehement lehnt sie es ab, sich mit Lohn bestechen zu lassen. Sie tut, was sie für richtig hält. Die Freuden des Himmels können sie nicht verlocken, die Qualen der Hölle nicht abschrecken, um das Wahre und Menschenverbindende zu tun.

Wer nach Gerechtigkeit nur hungert und dürstet, ist unfähig, sie herzustellen. Hungernde und Dürstende werden gesättigt werden – von außen. Gäbe es keine Lohn- und Strafinstanz, würde autonome Moral dennoch mit Eifer ihrer menschenfreundlichen Leidenschaft folgen. Selig sind …, denn ihrer ist das Reich der Himmel. Sie tun Gutes, um Herren des Himmels und der Erde zu werden.

Im griechischen Naturrecht der Starken war bedenkenloser Immoralismus das Mittel, Macht über die Polis zu erringen. Das Naturrecht der Schwachen erarbeitete sich das erfüllte Leben des Einzelnen in der Gemeinschaft aller.

Erlöser verfluchen die Welt und alle irdische Politik. Selbstbestimmte Moral humanisiert die Welt.

Erlösermoral denkt nicht daran, die Welt zu retten. Sie will sich selbst – im Jenseits retten. Das Diesseits ist schon gerichtet. Mit moralischen Scheinhandlungen will der Gläubige sein Eintrittsbillet in den Himmel verdienen. Der bloße Wille, die Welt zu retten, ist dem Messias sündige Blasphemie. Im Jenseits verspricht er eine heile Welt, wenn die irdische zuvor vernichtet sein wird.

„Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Stuhl saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht zu mir: Schreibe; denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiß! Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will den Durstigen geben von dem Brunnen des lebendigen Wassers umsonst. Wer überwindet, der wird es alles ererben, und ich werde sein Gott sein, und er wird mein Sohn sein. Der Verzagten aber und Ungläubigen und Greulichen und Totschläger und Hurer und Zauberer und Abgöttischen und aller Lügner, deren Teil wird sein in dem Pfuhl, der mit Feuer und Schwefel brennt; das ist der andere Tod“.

Moralisch scheinendes Tun ist bloßes Mittel, um Seligkeit für sich zu erringen. Es ist Ablass in Taten und Gesinnungsgehorsam. Luther verfluchte den mammonistischen Ablass der Papisten in die Hölle, – indem er Ablass als Glaube forderte. Ob Werke oder Glauben: wenn der Mensch alles tut, um selig zu werden und die Gnade des Himmels zu erbetteln, handelt er speichelleckerisch und unterwürfig.

Ablass ist alles, was Gutes tut um ewigen Lohnes willen. Die Erniedrigung des Guten zum Mittel des Seligkeitserwerbs – das ist der wahre Sündenfall der Menschheit. In der Erlöserreligion wird der Mensch zur Marionette Gottes, der ihn mit Lohn ködert und mit Strafen kirre macht.

Merkel, philosophische Ignorantin, kennt nicht den Unterschied zwischen einer Predigt, um Marionetten zu gewinnen – und einer mündigen Moral à la Kant. Die Aufklärer erfanden die selbstbestimmte Moral der Menschheit, indem sie sich von allen himmlischen Verheißungen und Strafandrohungen lösten.

„Spinoza sagte ganz seelenruhig, man müsse mit den Überlieferungen aufräumen und auf einer ganz neuen Ebene zu denken beginnen; die Dinge seien an einen Punkt gelangt, wo niemand mehr einen Christen von einem Juden, Türken oder Heiden unterscheiden könne. Der Glaube habe jede Wirkung auf die Moral verloren; die Seele sei in Verfall geraten. Alles Übel sei daher, dass man die Religion aus einem inneren, auf Prüfung und Zustimmung beruhenden Akt zu einem äußerlichen Kult habe werden lassen, der in mechanischen Übungen und passivem Gehorsam gegenüber den Befehlen der Priester bestehe. Von der christlichen Religion sei nichts geblieben als äußere Formen und Vorurteile, welche die Menschen in Bestien verwandelten, indem sie sie des freien Gebrauchs ihrer Urteilskraft beraubten und die Flamme der Vernunft in ihnen erstickten. Von eben dieser Vernunft müsse man ausgehen. In ihrem Namen müsse man zwei unlogische und verhängnisvolle Konstruktionen zerstören: die Feste Gottes und die Feste des Königs. Die christliche Religion ist nichts als ein historisches Phänomen, das sich aus dem Augenblick erklären lässt, in dem es entstanden ist, und aus den Umständen, unter denen es weitergelebt hat. Sie bedeutet nichts Ewiges, sondern etwas Vorübergehendes, nichts Absolutes, sondern etwas Relatives. Die Mächtigen hätten sich die religiösen Vorurteile zunutze gemacht. Das monarchische Regime bedeute die Kunst, Menschen zu täuschen, da es mit dem Namen Religion die Furcht schmücke, in der nach dem Willen der Mächtigen die Völker versklavt bleiben sollen. Die Menschen müssen die politischen Verfassungen mit dem Geist der Kritik überziehen, der dazu dient, den Aberglauben zu vernichten. Deshalb müssen sie frei denken. Dann werden sie sehen, dass der Staat nicht für die Regierenden geschaffen ist, dass die Macht nur ein von den Untertanen gewährter Auftrag und die Demokratie diejenige Regierungsform ist, die dem Naturrecht an nächsten kommt. Der Zweck aller politischen Einrichtungen muss sein, dem Individuum in jedem Fall Glaubens-, Rede- und Handlungsfreiheit zu sichern.“

Das waren die Gedanken des Aufklärungsgiganten Spinoza, niedergeschrieben von Paul Hazard in seinem Buch: „Die Krise des europäischen Geistes“.

Man ersetze die „Regierenden und Mächtigen“ durch Merkel und ihre christliche Allparteienkoalition und erhalte den ungeschminkten Zustand der gegenwärtigen Theokratie mit schwindenden demokratischen Fassaden.

Wir sind in die Zeiten europäischer Religionsdominanz zurückgefallen. Alles, was Aufklärung den Menschen an Freiheit und Selbstbestimmung brachte, droht in der Symbiose aus frommer Autokratin und einer drogenhaft gehorsamen Bevölkerung verloren zu gehen.

Die Regeln des logischen Denkens sind untergegangen. Die Urteilskraft des Einzelnen wird mit dreisten Doppelbotschaften unterlaufen, bei denen man sich fragen muss: Ist Merkel schizophren oder eine bigotte Scharlatanin? Solange das Volk sich seine Entmündigung durch eine himmlisch beglaubigte Autorität gefallen lässt, gilt der Satz: Massenneurose schützt vor Einzelneurose.

Ein kleines Beispiel unter vielen:

„Der Versuch, sein Gesicht zu wahren, ist immer eine gute Gelegenheit, sein Gesicht zu verlieren. Beim Gipfel in Brüssel kämpfte Angela Merkel darum, dass der Satz „Diese Route ist nun geschlossen“ nicht im Abschlusskommuniqué auftaucht. Der Satz ist wahr. Österreich und andere Staaten haben die Balkanroute für Flüchtlinge geschlossen. Aber Merkel wollte genau das vermeiden und ist damit gescheitert. Nicht das ist peinlich, sondern der Versuch, die Wahrheit zu kaschieren. Im Kommuniqué steht jetzt: Bei den Migrationsströmen „ist nun das Ende erreicht„. So klingt es nicht mehr nach aktiver Politik, sondern nach höherer Macht. Das ist Kinderkram, Zeitverschwendung.“ (SPIEGEL.de)

Nein, das ist kein Kinderkram, Dirk Kurbjuweit. Kinder sind keine Heuchler und Neusprech-Profis. Die Bevölkerung hört gar nicht mehr zu. Sie fühlt sich geleimt und betrogen – und will betrogen werden. Es beruhigt die Nerven des Untertanen, wenn er sieht, dass die Mächtigen lügen, um seine Seelenbalance auszutarieren. Bin ich nicht mächtig, wenn ich die Mächtigen zwingen kann, mich zu belügen?

Merkel weiß nicht, was Politik ist. Sie betreibt kollektive Spontanseelsorge mit erleuchtungsbedingten ad-hoc-Aktionen, die sich aller berechenbaren Verlässlichkeit entziehen. Postmoderne Beliebigkeit und religiöse Augenblicks-Hörigkeit fallen bei ihr zusammen. Würde sie Politik betreiben, hätte sie eine Übersicht über die Weltprobleme und würde die Bevölkerung zur gemeinsamen Debatte auffordern, wie man ihnen begegnen kann.

Wir lesen von weltweitem Wassermangel. Gibt es irgendeinen Politiker, der sich herabließe, dieses Problem wahrzunehmen und Gegenmaßnahmen vorzuschlagen?

„80 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und die Situation könnte sich nach Einschätzung des WWF bis 2050 noch verschärfen. Der Umweltverband fürchtet soziale Katastrophen.“ (SPIEGEL.de)

Vor Monaten gab es nur wirtschaftliche Probleme in der Euro-Zone. Heute sind sie von der Agenda verschwunden. Dann gab es nur Umweltprobleme auf der Pariser Öko-Konferenz. Sie sind im Orkus verschwunden. Heute gibt es nur Flüchtlingsprobleme, morgen wird niemand mehr davon reden.

Jede Woche ein unlösbares, an Komplexität nicht zu überbietendes Problem. Wir hangeln uns wie Blinde durch einen Tunnel. Probleme werden nicht rechtzeitig erkannt, damit wir sie nicht prophylaktisch bekämpfen können. Alles lässt man eskalieren, bis niemand mehr durchblickt und jede Entscheidung so falsch ist wie die Wahl zwischen Pest oder Cholera.

Probleme, die lösbar wären, würden die hyperkomplexe Intelligenz der Modernen beleidigen. Also lässt man sie zu babylonischen Türmen anwachsen, damit ein gnädiger Gott ein Einsehen hat – um die Menschen auseinander zu dividieren und sie als Vereinzelte und Dialogunfähige unter Kontrolle zu kriegen.

Wann stehen die nächsten Millionen Flüchtlinge vor der europäischen Festung, weil sie kein Wasser zum Überleben haben? Alle Probleme werden verdrängt, bis sie uns wie eine Sintflut heimsuchen. Warum wurde Prokrastination zum Modewort? Weil wir alles aufschieben und verdrängen, bis es uns aus den Ohren dringt.

Wie lange dauert der syrische Konflikt? Und niemand kam auf die Idee, den Millionen Opfern Hilfe anzubieten? Merkel wartet stets, bis die Not sich vor der eigenen Tür aufgestaut hat. Dann bespricht sie sich mit ihrem Gott – und zeigt dem Volk den heiligen Weg wie Mose den Kindern Israels in der Wüste. „Und der HERR zog vor ihnen her, des Tages in einer Wolkensäule, daß er den rechten Weg führte, und des Nachts in einer Feuersäule, daß er ihnen leuchtete, zu reisen Tag und Nacht.“

Die Wolkensäule wurde zum unlösbaren Problem, die Feuersäule zur dauerdrohenden Apokalypse, der selbsterfüllenden Angst vor dem Weltuntergang, ohne die kein christliches Volk nachts ruhig schlafen kann. Führen nach Geräusch und Aufprall: das ist Merkels wetterwendische Event-Strategie. Überraschen und zuschlagen. Sei immer unaufgeregt und sprich mit cooler Stimme – doch habe immer den Knüppel hinter dem Rücken: wer mir nicht folgt, ist nicht mein Volk.

Und das Volk, das im Finstern wandelt, siehet ein großes Licht: die persönlichen Erleuchtungen einer Magd Gottes, die ihren auserwählten Narzissmus in vollendeter Demut präsentiert. Angst, entlarvt zu werden, muss Angela nicht haben. Die Deutschen, wiewohl ein überaus christliches Volk, wissen nichts über Prinzipien christlicher Politik und wollen auch nichts wissen.

Bascha Mika, Chefin der FR, warf in einem Phoenix-Gespräch einer polnischen Kollegin vor, die jetzige polnische Regierung missachte die christlichen Grundwerte Europas. Hat Mika noch nie gehört, dass christliche Dogmen mit allen Moralen und Antimoralen dieser Welt kompatibel sind? Fühlt Orban & Co sich nicht christlicher als die hartherzige und caritativ eitle Merkel, die nicht einmal den Wortlaut des Gebotes der Nächstenliebe kennt? Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.

Eigenschädigender Altruismus ist nicht die Pflicht des Christen. Und: wer ist denn der Nächste? Der Fremde aus Nahost, der Muslim und Terrorist, der uns den Wohlstand neidet und unsere überlegene Kultur hasst wie die Pest?

Merkel schafft es, an ihrem obergrenzenlosen Barmherzigkeitswahn festzuhalten – und gleichwohl jeden Tag das Gegenteil zu tun. Bei der neuen Sekte der blindgläubigen Merkelfans heißt es dennoch: Merkel, gelassen und unbeeindruckt, bleibt standfest und gesinnungstreu. Eine verhängnisvollere folie à deux kann es nicht geben. Kein Staat, kein Mensch ist unendlich.

Jahrzehntelang schlugen die Medien auf Moral und Gutmenschen ein. Über Nacht hatten sie ein Konversionserlebnis und propagieren nun die unbegrenzte Nächsten- und Gottesliebe. Wie die Wirtschaft und der technische Fortschritt nach oben offen sein müssen, so die plötzlich erwachte Caritas.

Was unterscheidet eine universelle rationale Menschheitsliebe von einem sentimental-gottähnlichen Selbstrausch? Das Einschalten der Vernunft, die nicht nur etwas Moralisches will, sondern auch über praktikable Methoden nachdenkt, wie man das Gewollte realisieren kann.

Die größten Machiavellisten schäumen plötzlich über von unendlichen Rechten, unendlichen Ressourcen. Wir Deutschen – das ist doch eine Kleinigkeit – sind ein unendlich-metaphysisches Volk, im Bösen haben wir es schon bewiesen. Eine Kleinigkeit, die ganze Welt auf unsere Schultern zu laden. Haben wir nicht einen Gottessohn, der es uns vormachte?

Man kann sehr wohl andere Völker animieren, über sich selbst hinauszuwachsen. Man kann sie aber nicht ohne Argumente überfahren. Früher war der deutsche Sonderweg ein antimoralischer Weg gegen die demokratischen Werte des Westens. Heute ist er ein überchristlicher Weg gegen die gottlose Moral der Nachbarn.

Hat Merkel je die Frage christlicher Grundwerte mit Orban in einem TV-Gespräch debattiert? Niemand weiß, was europäische Werte sind. Aber jeder weiß, dass sie christlich sein müssen. Jeder hält sich für einen überzeugten Christen, doch niemand denkt daran, diese Überzeugung auf Kenntnissen aufzubauen. Dumpfbacken zur Rechten – oder aus der Mitte der ehrenwerten Gesellschaft?

Die europäische Kultur ist zur abendländischen Torheit geworden. Sie lieben den „Schleier der Unwissenheit“. Stellen wir uns dumm. Dann müssen wir nicht wahrhaben, dass wir es sind.

Warum wurde Merkel schwach bei den Flüchtlingsströmen an der österreichisch-ungarischen Grenze – und warum wird sie nicht schwach bei den schrecklichen Bildern von Idomeni? Antwort der Verteidigungsministerin: „Gefragt von der Moderatorin, weshalb denn nicht längst Busse unterwegs seien, um die Notleidenden abzuholen, erklärte Ursula von der Leyen, diesmal sei es eben anders als damals in Ungarn.“ (SPIEGEL.de)

Christliche Moral ist keine universell-zeitlos-gültige, sondern eine situative Augenblickseingebung. Gott ist Herr der Zeiten und interveniert nach Belieben, um seine Launen und Aperçus seinen Schafen mitzuteilen.

Rationale Moral hingegen gilt zu allen Zeiten in gleicher Weise. Ort und Zeit spielen keine Rolle. Was gestern richtig war, kann heute nicht falsch sein. Wer Hilfe benötigt, hat das Recht auf Hilfe: in Ungarn, Mazedonien oder in Griechenland. Gestern, heute oder morgen.

Unendlich ist universelle Moral dennoch nicht. Muss sie auch nicht sein, denn sie will die ganze Menschheit mit Humanität anstecken. Das Credo einer mündigen Menschheit lautet: mit vereinten Kräften ist die Menschheit fähig, ihre Probleme zu lösen. Voraussetzung sind Gespräche zwischen Kulturen, Religionen und Ideologien. Heute spricht niemand mit niemandem. Wenn in TV-Talks das Stichwort Christentum fällt, wird sofort abgelenkt.

Kapitalismus ist Prostitution. Merkel erkauft sich Flüchtlingshilfe zu Höchstpreisen bei Erdogan, der die hilflosen Massen benutzt, um sich jegliche Kritik an seinen demokratiefeindlichen Prinzipien vom Leibe zu halten. Die Schwächsten werden gegen die Schwachen ausgespielt. Das lieben die Europäer: die Irrungen und Wirrungen so anwachsen zu lassen, bis die schrecklichsten Entscheidungen vernünftig aussehen. So Blome in BILD: furchtbar, dieser Deal mit dem Despoten – aber vernünftig. Markus Becker mit trefflichen Worten im SPIEGEL:

„Doch das Geld ist nur der kleinere Teil des Preises, den die Europäer für die Hilfe der Türkei zahlen. Und das ist der zweite Punkt, an dem die EU ihre Glaubwürdigkeit riskiert. Denn der größere Teil des Preises besteht darin, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der sein Land gerade stramm in Richtung Autokratie führt, unter anderem Visafreiheit und beschleunigte Verhandlungen über den EU-Beitritt bekommt – und die Aussicht darauf, dass die Kritik der EU sehr leise sein wird, wenn er künftig wieder Demonstranten niederknüppeln, Journalisten drangsalieren und die Kurden bombardieren lässt.“

Eben war sie noch mildtätig wie eine Heilige, heute ist sie hartherzig und kalt wie sie immer war. Diese Eigenschaften halten die Deutschen für den Inbegriff der Mütterlichkeit. Alles mit demselben Pokerface. Das muss ihr mal jemand nachmachen. Nun wissen wir, was der Satz bedeutet: wir schaffen das. Wir schaffen das, weil wir unsere Nächstenliebe dorthin outsourcen, wo wir sie zum Schnäppchenpreis kriegen können: weit hinten in der Türkei.

Sind wir nicht eine reiche Nation? Also können wir uns Agape zu Dumpingpreisen leisten. Wir lassen lieben, wir lassen schaffen. Deutschland, das Land, das sich Moral leisten kann – wenn wir sie von anderen erledigen lassen. Stellvertretend pro nobis. Am besten von funktionstüchtigen Demokratiefeinden. Justament die höchste Form christlicher Gehorsamsmoral wird einem muslimischen Diktator in treue Hände übergeben. Honni soit qui mal y pense, beschämt sei, wer Schlechtes über den Deal denkt.

Bis aufs I-Tüpfelchen kopiert Merkel das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter, um ihre lutherische Überlegenheit in Lindigkeit zu demonstrieren:

„Ein Samariter aber reiste und kam dahin; und da er ihn sah, jammerte ihn sein, ging zu ihm, verband ihm seine Wunden und goß darein Öl und Wein und hob ihn auf sein Tier und führte ihn in die Herberge und pflegte sein. Des anderen Tages reiste er und zog heraus zwei Groschen und gab sie dem Wirte und sprach zu ihm: Pflege sein; und so du was mehr wirst dartun, will ich dir’s bezahlen, wenn ich wiederkomme.“

Bezahlte Nächstenliebe. Der Samariter rafft sich zu einer Symbolhandlung auf. Danach hat er keine Zeit und kauft sich weitere Nächstenliebe bei einem Wirt um zwei Groschen. Erdogan wird sich mit zwei Groschen nicht zufrieden geben. Ob er das Werk der Liebe ausführen wird, wie Merkel es will, darauf wird sie keinen Einfluss mehr haben. Aus den Augen, aus dem Sinn. Hat sie Liebe nicht zum günstigen Preis erfuggert?

Der Sieg des Kapitalismus ist identisch mit dem Sieg des Christentums. Wer hat, dem wird gegeben, wer nichts hat, dem wird noch genommen, was er hat. Die unüberbrückbare Schere zwischen Siegern und Verlierern ist eine messianische Erfindung.

 

Fortsetzung folgt.