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Europäische Idee XLIX

Hello, Freunde der europäischen Idee XLIX,

nein heißt nein? Nicht vor Gott.

„Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten.“

Überschatten ist die heilige Umschreibung für: „Du willst es doch auch, Maria.“

Hatte Maria, die Magd Gottes (das griechische Wort für Magd könnte man auch mit Sklavin übersetzen), Nein zu ihrem allmächtigen Herrn gesagt? Nie hätte sie gewagt, dem mächtigen Manne mit dem aufmüpfigen Satz zu widerstehen: mir geschehe nur, was ich selber will – und selbst gesagt habe.

„Maria aber sprach: Siehe ich bin des HERRN Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast.“

Warum degradiert man in Männerreligionen die Frauen zu Gehilfinnen der Machos? Damit sie gar nicht erst auf die Idee kommen, Nein zu sagen. Dass sie in vorauseilendem Gehorsam jede Vergewaltigung – pardon, Überschattung – als Erfüllung ihres minderwertigen Lebens anbeten. Die perfekte Sklavin tut unaufgefordert und freudig, wozu ihr Herr sie ohnehin zwingen würde, wenn sie es nicht täte. In feinfühliger Selbsterniedrigung erspart sie dem Mann die Anwendung schnöder Gewalt und gibt dem Kraft- und Potenzprotz (die „Kraft des Höchsten“) das Gefühl, ekstatischer Inbegriff weiblicher Sehnsucht zu sein. Das ist die perfekte, die heilige Vergewaltigung. Die Frau wird nicht gelegentlich, sie wird als Gattungswesen deklassiert. Deklassiert werden ist für sie die Vollendung ihrer masochistischen Unterwerfungsneigung.

Die Gelangweilten und Unersättlichen unter den Schwanzträgern allerdings wollen ihre Lustobjekte zittern sehen. Perfekte Mägde haben kein Problem, die

Liebesleistung des Zitterns und Fürchtens in vollendeter Devotion zu erbringen.

Die Potenz des Mannes korreliert mit der Angst der Frau, die Omnipotenz des Gottes mit der Höllenfurcht seiner verworfenen Kreaturen. Endloser Orgasmus der Seligen besteht im brünstigen Begaffen der Höllenstrafen:

„Damit der Glückseligkeit der Erlösten im Himmel nichts fehlt, wird ihnen ein freier Blick auf die Qualen der Verdammten gewährt.“ (Thomas v. Aquin) Die Seligkeit der Seligen wäre nicht vollkommen, so der heilige Bernhardin von Siena, „wenn nicht das Klagen der Verdammten in angemessener Weise vernehmbar wäre.“

Zum Triumph der westlichen Moderne gehört die Ablichtungswut des beobachteten Schreckens, der in allen Variationen der Reportierens, Fotografierens, Filmens und der „hautnahen Berichterstattung“ in die Wohnzimmer der Heimat übermittelt wird. Stets unter den Vorzeichen dokumentierender Demut und emotionaler Unfasslichkeit des Geschehens.

Mit nekrophiler Lust wird die geschändete Natur auf allen Kanälen gezeigt: die vom Aussterben bedrohten Tiere in der Savanne, der letzte Eisbär in der Arktis, die schmelzenden Gletscher der Alpen, die verdorrten Äcker in Äthiopien, die zu Rinnsälen ausgetrockneten Seen und Flüsse in China! Der offiziellen Erzählstimme: „wie schrecklich, was der Mensch hier tut“, ist der unhörbare Triumph beigemengt: Sind wir nicht bewundernswerte Überwinder der Natur? Nicht grandiose Besieger der Mutter Erde, die unserer Zerstörungswut nichts entgegenzusetzen hat?

Das Erzählformat der Schreiber wird abgelöst von der digitalen Ikonographie der Spanner und Gaffer, die im weltweiten Netz miteinander verbunden sind.

Innerlich frohlocken wir, wenn wir die Wunden der Natur entblößen, äußerlich geben wir uns ratlos und erschüttert. Das Nein der Natur zu unserem Zerstörungswerk hören wir nicht mehr, seitdem wir den Auftrag erhielten, sie in Furcht und Schrecken zu unterwerfen. Der Prozess der planetarischen Vergewaltigung – auch Fortschritt genannt – geht unvermindert weiter.

Wenn der Mann technischen Sadismus exekutiert, sprechen wir von zukunftsträchtiger Technologie. Wenn eine Frau als Domina die Peitsche über den Männern schwingt, ist sie – eine Prostituierte, selbst wenn sie ihren Sklaven nicht unsittlich berührt haben muss.

„Laut Prostitutionsgesetz gilt die Tätigkeit von Dominas als Prostitution, obwohl sie in der Regel keinen Geschlechtsverkehr mit ihren Kunden praktizieren. (Wiki)

Die Figur der Domina ist ein Hoffnungszeichen für die emanzipierte Frau, die es geschafft hat, die Rolle der Maria ins Gegenteil zu verkehren. Das Sado-Maso-Spiel beginnt mit einem verkehrten Machtgefälle:

„Der devote Partner gibt einen bestimmten Teil seiner Autonomie auf und übergibt sie dem dominanten Partner. Viele der ausgeübten Praktiken wie Schmerzzufügung, Erniedrigung oder Unterwerfung würden ohne den Zusammenhang zur speziellen sexuellen Vorliebe als unangenehm empfunden werden.“

Warum schlüpfen Männer freiwillig in die Rolle der Unterdrückten und Beleidigten? Es ist das unermesslich schlechte Gewissen der Herren der Schöpfung, die einen Teil ihrer verdrängten Schuld durch Identifikation mit weiblichen Opfern abtragen wollen. Sie fühlen sich erleichtert, wenn sie die tägliche Unterdrückung ihrer Mutter durch den Vater besser nachvollziehen können. Ihr Masochismus ist Schuldabbau, tätige Buße und Reue über die permanente Kränkung der Frauen durch die Wirklichkeit der Moderne. Für eine kurze Zeit haben sie die überschwere Last der Autonomie abgeworfen, um einen Teil der mütterlichen Bürde zu tragen. Für eine kurze Zeit fühlten sie, wie ihre Mütter fühlten.

Als die offene Gesellschaft in Griechenland entstand, finden wir die ersten Symptome eines neuen kulturellen Unbehagens, so Karl Popper: „Die Last der Anforderungen der Zivilisation begann fühlbar zu werden. Diese Last, dieses Unbehagen, ist eine Folge des Zusammenbruchs der geschlossenen Gesellschaftsordnung. Es ist eine Last, die von allen getragen werden muss, die in einer offenen und teilweise abstrakten Gesellschaft leben und die sich bemühen müssen, vernünftig zu handeln, zumindest einige ihrer emotionalen und natürlichen sozialen Bedürfnisse unbefriedigt zu lassen und für andere verantwortlich zu sein. Wir müssen, glaube ich, die Last auf uns nehmen, als einen Preis, den wir zahlen müssen für jede neue Erkenntnis, für jeden weiteren Schritt zur Vernunft, zur Zusammenarbeit, zur gegenseitigen Hilfe; für jede Verlängerung des durchschnittlichen Lebensalters; und für jeden Bevölkerungszuwachs. Es ist der Preis für die Humanität. Wir müssen ins Unbekannte, ins Ungewisse, ins Unsichere weiterschreiten und die Vernunft, die uns gegeben ist, verwenden, um, so gut wir es eben können, für beides zu planen: nicht nur für Sicherheit, sondern zugleich auch für Freiheit.“ (Die Offene Gesellschaft, Bd.I)

Poppers Analyse widerspricht seiner Verehrung des Sokrates, der Lernen und Erkennen nicht als Last erlebte und überzeugt war, dass Unrecht tun schlimmer ist als Unrecht erleiden. Sein Todesurteil war für ihn keine emotionale Belastung, einen Zwiespalt zwischen Sicherheit und Freiheit konnte er nicht erkennen. Auch gab es für ihn keinen Fortschrittszwang ins Unbekannte, Ungewisse und Unsichere.

Poppers Definition der geschlossenen Gesellschaft ähnelt allzu sehr einer matriarchalen Sippe, die sich weigert, ihre Mitglieder durch Konkurrenz gegeneinander aufzuhetzen, sodass der eine des andern Wolf sein muss. Freiheit und Fürsorglichkeit schlossen sich für Sokrates nicht aus. Freiheit war keine Lizenz, das persönliche Wohl auf Kosten des Wohls anderer zu verfolgen.

Humanität ist für autonome Menschen keine Last, sondern ein Bedürfnis. In despotischen Staaten kann sie von außen bedroht sein, dennoch ist sie kein Kreuz, das man feige abschütteln möchte, um Verfolgungen und Gefahren zu entgehen.

Poppers Analyse ist zu sehr von seinem Mentor Hayek beeinflusst, für den Freiheit ewiges wirtschaftliches Risiko und Kampf aller gegen alle bedeutete. Eine fürsorgliche Nestfamilie oder ein indianisches Naturvolk müsste für Popper auch eine „geschlossene, urfaschistische Gesellschaft“ sein. Das ist Irrsinn. Freiheit und solidarische Verbundenheit sind keine Antagonismen. Demokratie ist eine freie Gesellschaft, in der jeder Mensch sich geborgen fühlen kann. Keine gefährliche Zukunftsmaschine, in der jeder Passagier gegen jeden antreten muss, um sich einen Platz an der Sonne zu erkämpfen.

Die Last der Zivilisation ist das wachsende Schuldgefühl der Männer, die ihre Größenphantasien von Macht und Reichtum mit der Unterdrückung der Frau und der Natur erkaufen. Doch es gelingt ihnen nicht, sich einzureden, die Degradierung der Mehrheit der Menschen sei vereinbar mit dem erhofften Fortschritt. Jeder Mensch kann sich betrügen, aber alle menschlichen Gefühle zu tilgen, gelingt selbst Völkerverbrechern nicht.

Der moderne Mann wird unsicherer, je mehr er die Kosten seines Größenwahns zu ahnen beginnt. Die Unsicherheit bekämpft er durch Flucht in immer gottähnlichere Allmachtsphantasien. Doch vergeblich. Immer mehr verstärkt sich bei ihm das düstere Gefühl, dass sich der erhoffte Fortschritt längst ins Gegenteil verkehrt haben könnte. Immer mehr kompensiert er seinen tief verborgenen Nihilismus durch übersteigerte Visionen seiner Unfehlbarkeit. Alles vergebens. Die emotionale Last der Zivilisation beginnt ihn zu erdrücken.

Wer sind die Hauptkunden einer Domina? Die elitären Führungskräfte der Gesellschaft, die ihre „Last der Verantwortung“ nicht mehr tragen können. Sie wollen den Ballast ihres verblendeten Lebens abwerfen – und wenn es nur für Stunden wäre. Ihr schuldiges Gewissen wollen sie entlasten, indem sie sich zufügen lassen, was sie im normalen Leben anderen zuzufügen pflegen. Die Schmerzen der Erniedrigten und Beleidigten wollen sie auf sich nehmen, weil sie andere permanent erniedrigen und beleidigen. Durch ihren Lebenswandel haben sie ihre Mutter verraten. Also brauchen sie eine strenge Ersatzmutter, die sie züchtigt, um sie stellvertretend von ihren Gewissensqualen zu entlasten.

Warum konstruieren erwachsene Männer automatisch fahrende Vehikel? Weil sie Verantwortung abwerfen wollen. Warum kreieren sie Roboter, die klüger sein sollen als sie selbst? Weil sie Verantwortung abwerfen wollen. Warum wollen erwachsene Männer den Weltraum erobern? Weil sie ihre Verantwortung auf Erden nicht mehr tragen können. Der technische Fortschritt ist zum Opium der Männer geworden, die am liebsten im nächsten Mauseloch verschwinden würden, um von niemandem mehr gehört und gesehen zu werden. Ihren lächerlichen Zukunftskrücken glauben sie umso weniger, je mehr sie tun müssen, als ob sie von ihnen überzeugt wären.

Warum wird Partnersuche immer schwieriger, obgleich die Menschen immer größere Möglichkeiten der Begegnung ausprobieren? Die Überlegung eines Experten:

„Maximale Freiheit und maximale Optimierung führen nicht zu maximalem Glück. Die Menschen werden nicht glücklicher, wenn sie sich alles selbst aussuchen können. Mit der großen Liebe verbinden wir heute gemeinhin große Affekte, das Gefühl von Schmetterlingen im Bauch. Das Gelingen einer langfristigen Beziehung erfordert aber so viel mehr. Dazu gehört auch, gemeinsam Höhen und Tiefen durchzustehen. Wohnungssuche, Nachwuchs – jede gemeisterte Krise kann die Liebe stärken.“ (ZEIT.de)

Liegt das Problem an zu hohen Erwartungen? Nein, an zu niedrigen. Man traut sich lernfähige und belastbare Beziehungen nicht mehr zu. Man optimiert nur sich selbst, ohne zu wissen, wie man miteinander wachsen kann.

Die Erwartungen an die isolierte Monade Mensch sind hoch, die Erwartungen an das zoon politicon, das Familien-, Gemeinschafts- und Sippenwesen, verschwindend klein. Karriere kann man nur alleine machen. Erfolgreiche Paare kann man mit der Lupe suchen. Wer alle Kräfte bündeln muss, um den „Aufstieg“ zu schaffen, hat weder Zeit noch Energie, um sich überflüssige Beziehungs-Lasten aufzuerlegen. Der Einzelne muss windschlüpfrig sein, um wachsenden Leistungserwartungen spontan nachzukommen. Weib und Kind sind in zunehmendem Maße Störelemente. Der Erfolgreiche ist am erfolgreichsten – allein.

Das ist die Situation von John Bunyans christlichem Pilger zur Seligkeit, der sich von seiner Familie losreißen musste, um den Weg ins Reich der Himmel nicht zu verfehlen:

„Christ: Meine Frau und meine Kinder riefen mir nach, ich sollte wieder umkehren; ebenso machten es einige meiner Nachbarn, allein ich hielt mir die Ohren zu und ging meines Wegs“. „Ach, mein Weib fürchtete sich, diese Welt daran geben zu müssen und meine Kinder hatten sich den törichten Ergötzlichkeiten der Jugend hingegeben.“

„Denn ich bin gekommen, den Menschen zu erregen gegen seinen Vater und die Tochter gegen ihre Mutter und die Schwiegertochter gegen ihre Schwiegermutter. Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein. Wer Vater oder Mutter mehr liebt denn mich, der ist mein nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt denn mich, der ist mein nicht wert.“

Kapitalismus und Religion hassen verlässliche Sippen oder Familien. Eine christliche Familie ist ein Widerspruch in sich. Denn im Kampf um ewige Seligkeit kämpft jeder gegen jeden. Warum gaben Puritaner ihre Kinder in fremde Familien? Weil sie nicht der Sünde übermäßiger Liebe zu ihrem eigenen Fleisch und Blut verfallen wollten.

Der Kapitalismus steht auf dem Höhepunkt seines Sieges gegen alle sozialen Beziehungen, die seiner Macht am wirksamsten widerstanden. Wer kann sich stabile Beziehungen, wer eine Familie leisten, wenn er immer mehr Profit bringen muss? Wir müssen mehr arbeiten, wir dürfen nicht mit 65 in den Ruhestand treten, propagiert der Ökonom Straubhaar.

Warum werden junge Männer immer verschlossener und asozialer? Weil sie fürchten, sie könnten sich verlieben und durch süße Bande gebunden werden. Sie müssen flexibel und mobil sein wie ein Fisch im Wasser. Zudem fürchten sie die wachsenden Anforderungen der Frauen, die immer selbstbewusster werden. Dennoch halten Frauen noch immer Ausschau nach Männern, die ihnen in Bildung und Humor überlegen sind. Witzig und schlagfertig soll er sein, der Traumprinz. Humor aber zeigen nur Menschen mit großem Selbstbewusstsein.

Das Christentum ist nicht vom Himmel gefallen. Es ist ein synkretistisches Gebilde mit Einflüssen aus vielen Religionen. Die autistische Überlegenheit des Mannes ist schon im Mithraskult zu erkennen, jener Religion, die dem Christentum am gefährlichsten war. Im Mithraskult wurde dem Stier – Synonym für Gott – die Macht zugeschrieben, „alle Lebewesen der Erde ohne Hilfe einer Kuh zu erzeugen.“

Nicht nur christliche, auch buddhistische Männer betrachteten sich als höchste Inkarnation des Geistes. „Buddhistische Asketen waren sich einig, dass ein Mann sich selbst lieber ist als ein Sohn, lieber als Besitz, lieber als andere.“

Je natur- und weltverachtender die Männerreligion, je stärker die Sucht des Mannes nach Macht, um Frauen durch Erniedrigung zu erlösen. Männerreligionen sind Vergewaltigungsreligionen, die alles erniedrigen und beherrschen müssen, was sich ihren Zwangsbeglückungen entziehen will. „Mit dem Übergang zu männlichen Göttern entwickelte sich in den Religionen geradezu eine Besessenheit von Schuld und Sünde. Die Angst vor einer rachsüchtigen Gottheit trieb eine ganze Zivilisation in die Neurose. Gegen soziale Missstände, die zu beheben gewesen wären, wurde nichts unternommen, weil man glaubte, alle Menschen seinen irreparable Sünder, die ihr Leid verdient hätten.“

Warum ist Nein bei den Männern kein Nein? Weil sie sich erkühnen, besser zu wissen, was Frauen denken und wollen. Ihre Missachtung weiblicher Rede entspricht der Missachtung heiliger Schriften, die sie aber nicht Missachtung, sondern Deutung nennen. Sie bringen es fertig, an eine unfehlbare Offenbarung zu glauben, doch was sie zu sagen hat, entscheiden immer noch sie selbst. Denn sie sind Geistträger, die den tieferen Sinn der Texte verstehen.

Was in der Bibel, dem Koran, der Thora steht, bestimmen wir, sagen Priester, Imame und Rabbiner. Nicht Gott belehrt sie, sie belehren Gott, was er ihnen wohl hätte sagen wollen – wenn er die Sprache der Menschen korrekt gesprochen hätte. Das nennen sie Hermeneutik, die Kunst der Auslegung. Offenbar scheint der unfehlbare Gott für seine gewitzten Jünger, die ihn an Erkenntnis übertroffen haben, zum Problem geworden zu sein. War Gott etwa Legastheniker?

Ist der Koran ein gewalttätiges Buch? Wer die Frage beantworten will, ohne gleichzeitig von Bibel und Thora zu reden, ist ein heiliger Krieger. Er will die Konkurrenz ausschalten, um seine eigene Religion aufzuwerten. Aber alle Erlöserreligionen ähneln sich wie ein Ei dem andern.

Das Christentum ist aufgeklärter als der Islam? In seinen Anfängen war der Islam die Zufluchtsstätte griechischer Aufklärung, die von Anhängern Mohammeds ins mittelöalterliche Europa gebracht wurde. Erst später wurde der Geist des freien Denkens im erstarrten Islam von Fundamentalisten unterjocht. Das Christentum wurde gegen seinen erbitterten Widerstand aufgeklärt. Vor allem in historisch-kritischen Fragen. Die Dogmen über Himmel und Hölle blieben unverändert bis zum heutigen Tag.

Der Ungeist der Religion bestimmt die Strukturen der Moderne in allen Angelegenheiten der Wirtschaft, Wissenschaft, der apokalyptischen Weltpolitik und des naturfeindlichen Fortschritts. Der Glaube ist Fleisch geworden. Die Dogmen des Christentums können nur überwunden werden, wenn die Strukturen der Moderne verändert werden.

Religionen können sich entwickeln. Doch nur, wenn sie die Texte ihrer unfehlbaren Offenbarungen radikal kritisieren. Geistbegabtes Deuten hingegen will Kritik üben, ohne Kritik zu üben. Wasch mich, aber mach mich nicht nass, das ist die Doppelmoral der Deuter, die ihre unliebsamen Texte los werden wollen, ohne sie los zu werden.

Der präzise Wortlaut ist entscheidend für den Sinn der Texte. Wer Religionen korrigieren will, muss die Texte ernst nehmen – und sie radikal verwerfen.

Gehört der Islam zu Europa? So wenig und so viel wie Juden- und Christentum. Europa ist der Kontinent der Demokratie und Vernunft. Was sich mit diesen beiden verträgt, gehört zu Europa, was aber nicht – auf keinen Fall.

Erlöserreligionen sind Machtbastionen der Männer. Sie erniedrigen Weib und Natur, verstecken sich hinter heiligen Texten, die sie zugleich für unfehlbar und fehlbar erklären, um sie auszulegen, wie es ihnen beliebt. Je unvollkommener Männer sind, desto mehr flüchten sie in Träume automatischer Perfektion und menschenfeindlicher Maschinen, die sie unsterblich machen sollen.

Männliche Religionen sind Instrumente des Machterwerbs. Macht aber ist keine Lebenskunst. Mit List und Gewalt muss sie anderen das Leben aussaugen, weil sie selbst keinen Zustand kennt, zu dem sie sagen könnte: verweile doch, du bist so schön.

Das wäre die Chance der Frauen – die sich auf Erden ihres Lebens freuen.

 

Fortsetzung folgt.