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Europäische Idee XIX

Hello, Freunde der europäischen Idee XIX,

George Clooney, Schauspieler, besucht Angela Merkel, Heuchlerin, um die internationale Flüchtlingskrise zu besprechen. Schauspielerei – hypokrisie – übersetzt Luther im Neuen Testament mit Heuchelei. Begegnen sich hier zwei Heuchler, um als Duo infernale ein Menschheitsproblem zu lösen? Ist Schauspielern Heucheln und Merkel eine schauspielernde Heuchlerin?

Francis Bacon ist einer der ersten Europäer, der das Phänomen Heuchelei zu klären versucht. Der alltägliche Umgang der Menschen erfordere Glauben und Vertrauen, doch im politischen Geschäft ginge es nicht ohne Heucheln. Normalisiert sich aber das Verstellen zur undurchschaubaren Gewohnheit, wird es von Bacon als Laster angegriffen. Als vorbildlich gilt dem englischen Staatsmann:

„im Rufe der Offenherzigkeit zu stehen, an Verschwiegenheit gewohnt zu sein, Verstellung zeitweilig zu verwenden und die Fähigkeit zum Heucheln zu besitzen, wenn keine anderen Mittel mehr zur Verfügung stehen.“

Das ist die exakte Beschreibung der Politik Merkels. Offenherzig, wenn‘s Beliebtheitspunkte gibt, heuchelnd, wenn sie in die Enge getrieben wird, um ihre doppelbödige Politik zu rechtfertigen. Offenherzig, moralisch überfließend und voller Vertrauen in ihr Volk: an der öffentlichen Rampe, misstrauisch, bigott, widersprüchlich und intransparent: weit draußen in der Welt oder hinter den Kulissen, wenn keine Kameras in der Nähe sind.

a) An der öffentlichen Rampe hören wir: Grenzenlose Barmherzigkeit, wir schaffen das, keine Abriegelung deutscher Grenzen. Im Hintergrund lässt Merkel die NATO an die europäische Außengrenze kommandieren, um Schleppern das Handwerk zu legen und die eingesammelten Flüchtlinge in die Türkei zurückzuschleppen. Andreas Zumach schreibt in der TAZ von „Zurückschlepperbanden“. Ebenda charakterisiert

Tobias Schulze die Politik der Kanzlerin als „ganz schön gerissen“:

„Nein, Angela Merkel macht die Bundesgrenze nicht dicht. Weder folgt sie Forderungen aus den eigenen Reihen und lässt hinter Passau Stacheldraht aufbauen, noch läuft sie der AfD nach und unterschreibt einen Schießbefehl. Muss sie auch gar nicht. Gemeinsam mit Türkei und Nato hat die Kanzlerin schließlich eine elegantere Lösung gefunden: Die Grenze verlagert sie einfach vor, für Flüchtlinge soll schon in der Ägäis Schluss sein. Die Flüchtlinge erhalten also gar nicht erst die Chance, in der EU einen Asylantrag zu stellen. Für Merkel ist das geschickt. Die Zahl der Hilfesuchenden, die sich über Griechenland und den Balkan bis nach Deutschland durchschlagen, wird sinken. Das Schengen-System der offenen Grenzen in Europa muss sie dafür aber nicht opfern. Gleichzeitig vermeidet sie hässliche Bilder von Bundespolizisten, die Flüchtlinge an der bayerisch-österreichischen Grenze zurückdrängen. Die hässlichen Szenen könnten sich stattdessen andernorts abspielen: an Bord der Nato-Schiffe, auf denen Soldaten die geretteten Menschen gegen deren Willen zurück in die Türkei verfrachten. Der Unterschied: Das Deck des Einsatzgruppenversorgers „Bonn“ ist für Fernsehteams schwieriger zu erreichen als der Grenzübergang Achleiten. Das Image der barmherzigen Flüchtlingskanzlerin bleibt also intakt.“ (TAZ.de)

b) Weit hinten in der Türkei, wo die Völker aufeinander schlagen, hören wir von Merkel, dass ihre bisherigen Vorbehalte gegen die Türkei – kein christliches Land, kein Respekt vor Menschenrechten – sich in Wohlgefallen aufgelöst hätten. Von Deniz Yücel nach der Menschenrechtslage in der Türkei befragt, antwortete das fleischgewordene Wunder an „Caritas“ (so oder so ähnlich der im Zweifel fromme Jakob Augstein):

„Merkel redete sich heraus. Sie sagte, die Situation im deutsch-türkischen Verhältnis habe sich nun mal geändert.“ (TAZ.de)

Merkel redete sich nicht „heraus“, sie denkt so. Die gesinnungstreue Magd Gottes ist der Meinung ihres himmlischen Herrn: „was Moral ist, bestimme Ich. Was auch immer Ich den Gläubigen befehle, kann niemals unmoralisch sein“. Mit anderen Worten, der göttliche Obermoralist ist ein postmoderner, neoliberaler Relativist, der sich täglich neu erfinden kann, ohne seine Identität zu beschädigen. Merkel hängt ihre caritative Fahne nach dem Wind.

c) Durch das Parlament durchgepeitscht und an der Öffentlichkeit vorbei geschleust, wurde das Asylrecht verschärft. Syrische Flüchtlinge werden bevorzugt, Menschen aus dem Kosovo, die schon lange hier leben und integriert sind, werden bei Nacht und Nebel aus den Betten geholt und abgeschoben. Daniel Bax in der TAZ:

„Nun werden die Härten sichtbar, die das neue Asylrecht mit sich bringt. Und klar wird, dass die Kritiker mit ihren Befürchtungen richtig lagen. die neue Härte trifft auch viele Menschen, die vor einem Jahr noch gute Aussichten hatten, weiter geduldet zu werden oder ein Bleiberecht zu erhalten. Sie schafft eine Zweiklassengesellschaft zwischen Flüchtlingen etwa aus Syrien, die rasch integriert werden sollen – und solchen, die längst hier heimisch geworden sind, aber nun abgeschoben werden, nur weil sie Roma vom Balkan sind. Das ist widersinnig und schlichtweg nicht nachvollziehbar.“

Ist Merkel eine Heuchlerin? Als Christin kann sie keine sein, die christliche Lehre verbietet keine Moral, also muss sie nichts verdecken und verstecken. Je nach Situation kann sie töten oder lieben. Wichtig sind nicht die Taten, wichtig ist nur die fromme Gesinnung hinter den Taten (Antinomie). Wer will, könnte von offiziell-unverhüllter Heuchelei sprechen. Doch das wäre ein Widerspruch im Beiwort.

Und dennoch agiert Merkel im Stil einer Heuchlerin. Warum? Weil die Bevölkerung die Antinomie der christlichen Religion unbewusst längst überwunden hat und moralisches Tun nach dem aufgeklärten Prinzip der Eindeutigkeit bewertet (anti-antinomisch = kategorisch). Merkels Instinkte für Volkes Befinden sind geschärft. Ergo nimmt sie Rücksicht auf den unzweideutigen Moralkanon der Öffentlichkeit. Obgleich sie christlich korrekt in antinomischer Beliebigkeit handelt, ist sie gezwungen, die „christlichen“ Deutschen zu behandeln, als seien sie kategorische Kantianer. Ihr doppelbödiges Tun deklariert sie nicht als rechtgläubig und neutestamentlich, sie versteckt ihr orthodoxes Luthertum, indem sie tut, als ob sie selbst aufgeklärt wäre. Als ob das nichtchristliche moralische Empfinden der Menschen das wahre christliche sei. Sie heuchelt in höherer Potenz.

Christliches Handeln als Tun-als-ob wird von Paulus offensiv vertreten: „Wie auch ich in allen Dingen allen zu Gefallen lebe“.

„Denn wiewohl ich frei bin von jedermann, habe ich doch mich selbst jedermann zum Knechte gemacht, auf daß ich ihrer viele gewinne. Den Juden bin ich geworden wie ein Jude, auf daß ich die Juden gewinne. Denen, die unter dem Gesetz sind, als ob ich unter dem Gesetz stünde – obgleich ich nicht unter dem Gesetz stehe –, auf daß ich die, so unter dem Gesetz sind, gewinne. Denen, die ohne Gesetz sind, als ob ich ohne Gesetz wäre (so ich doch nicht ohne Gesetz bin vor Gott, sondern bin im Gesetz Christi), auf daß ich die, so ohne Gesetz sind, gewinne. Den Schwachen bin ich geworden wie ein Schwacher, auf daß ich die Schwachen gewinne. Ich bin allen alles geworden, auf daß ich allenthalben etliche selig mache.“

Merkel will allen alles werden. Sie handelt christlich, als ob sie weltlich-machiavellistisch und weltlich-machiavellistisch, als ob sie christlich handele. Ihre nach allen Seiten offene Moral ist die paulinische des Als-Ob und Als-Ob-Nicht.

In dieser Hinsicht gibt es keine konfessionellen Gräben zwischen Lutheranern und Papisten. Die doppelbödige Jesuitenmoral ist keine Erfindung katholischer Spanier, sie ist schriftgetreu. Selbst der antichristliche Pastorensohn Nietzsche missverstand die christliche Nächstenliebe als „grandioser heuchlerischer Versuch, die eigene Selbstdurchsetzung moralisch zu verschleiern.“ Von heuchelnder Selbstsucht kann keine Rede sein. Nächstenliebe zum egoistischen Erwerb der Seligkeit – das steht selbst in der Bergpredigt.

„Ich werde glauben, dass Weiß Schwarz ist, wenn es die Kirche so definiert.“ In anderer Fassung ist übersetzt: „Wir müssen, um in allem das Rechte zu treffen, immer festhalten: ich glaube, dass das Weiße, das ich sehe, schwarz ist, wenn die Hierarchische Kirche es so definiert.“ (Ignatius von Loyola)

Als die europäischen Völker sich aus dem Überbau des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation lösten – dem Papst in Hassliebe verbunden wie untertan –, und sich als separate Nationen definierten, begannen sie, den Moralkodex des christlichen Glaubens zu schleifen.

Nun geschieht Merkwürdiges. Machiavellis Buch: erlaubt ist, was dem Fürsten dient und nützt, wendet sich gegen das Christentum – und verharrt dennoch in biblischer Antinomie. Der Verfasser bezieht sich auf Thukydides und das Naturrecht der Starken, als ob er alles Christliche negiert hätte. Genaue Bibelkenntnisse hätten ihn vor der falschen Tempelschändung bewahren können. Die antiklerikale Revolution war keine.

Der Weltmann wollte ein genuin pragmatisches und machtorientiertes Fürstenethos – und erhielt einen Abklatsch göttlicher Allmacht und Allbeliebigkeit, die er auf die weltliche Politik übertrug. Was dem Klerus immer schon gestattet war, wurde zum legitimen Recht weltlicher Politik. Was dem deutschen Kaiser nicht gelang, gelang dem oberitalienischen Fürsten. In der Wahl seiner machterhaltenden Mittel war der Weltmann ebenso frei wie die Seelenhirten der Frommen. Das Weltliche trat aus dem Schatten des Überirdischen.

Das Buch des Florentiners verursachte in Europa ein mittleres Erdbeben, bestimmt bis heute die moralische Skrupulosität christlicher Nationen zwischen rigider Moral und Staatsraison.

Als junger Mann schrieb Aufklärer Friedrich der Große seinen „Antimachiavell“. Kaum an die Macht gekommen, wurde ihm klar, dass er ohne militärische Gewalt nicht auskäme. Man muss dem frankophilen König zugutehalten, dass er den Konflikt nie leugnete und sein Leben lang reflektierte.

Der wiedergeborene griechische Geist hatte die Gebildeten inzwischen derart geprägt, dass ihnen die machiavellistische Willkürmoral wie Heuchelei erschien, gegen die sie in säkularer Autonomie aufzubegehren begannen.

Mandevilles berühmter Slogan: private Laster, öffentliche Tugenden, protestierte gegen die Doppelmoral, indem er sie – legalisierte. Wenn schon Doppelmoral, dann „ehrlich und offen“. Steht zu euren niedrigen Trieben und Lüsten und legt endlich euer klerikales Über-Ich ab.

Der unversöhnlich scheinende Kampf zwischen Gut und Böse sollte zu einer konfliktreichen, aber fruchtbaren Synthese werden. Das Böse war nicht länger der inkompatible Widerpart des Guten, sondern dessen motorische Schubkraft. Bei Hegel war das Böse jene Antithese, ohne deren Widerstand die These des Guten sich nie zu einer höheren Harmonie entwickeln konnte. Von Mandeville über Adam Smith, Kant, Hegel, Goethe, Schumpeter bis zum heutigen Neoliberalismus gilt der Satz Mephistos: ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.

Jede furchtbare Zerstörung ist eine fruchtbare, denn sie vernichtet das Alte und schafft Platz dem Neuen. Der gnadenlose Wettbewerb, alle Konkurrenten in den Staub zu treten und eine riesige Kluft zwischen Reichen und Armen aufzureißen, ist der letzte Ausläufer des Bösen, das den Fortschritt zum Guten gewährleisten soll.

Durch weltliche Politik sollte das uralte theologische Problem der Theodizee gelöst werden. Warum hat Gott das Böse erschaffen, wenn er doch ein liebender und allmächtiger Gott war? Weil er ein liebender Gott war, der das Böse als Knecht des Guten schuf, damit die Menschheit zu unbegrenztem Fortschritt angestachelt werden würde. Das Böse ist nur scheinbar böse. Wer versteht, es zu domestizieren, der hat die paradoxe göttliche Pädagogik richtig verstanden und zu seinem eigenen Vorteil benutzt.

Ohne Wettbewerb keine Wirtschaft. Während die abendländischen Staaten im Binnenbereich vorwiegend solidarisch und – die destruktive Wirtschaft bändigend – sozial sein wollen, müssen sie außenpolitisch und weltwirtschaftlich dem erbarmungslosen Konkurrenzprinzip huldigen: Macht, Ehre und Reichtum jenen Staaten, die ihre ökonomische Potenz am effektivsten entwickeln und am bedenkenlosesten einsetzen.

Die jetzige europäische Krise ist uralten Konflikten geschuldet, die man nicht lösen kann, solange man sie in das dunkle Reich des kollektiven Unbewussten verschiebt.

Als Friedrich Meinecke sein Buch „Die Idee der Staatsraison“ im Jahre 1925 schrieb, hatte er nur den außenpolitischen Konflikt zwischen Macht und Moral im Visier. Heute müsste man den Bereich der globalen Ökonomie hinzufügen. Die Erfindung des Begriffes Staatsraison, die Vernunft des Staates, zeigt die deutsche Aversion gegen alles Vernünftige als angeblich Kaltes und Herzloses. Doch recht verstandene Vernunft steht für das Gegenteil. Vernünftig ist, was Menschen zusammenbringt und allen nützt. Meinecke war ein Befürworter der Staatsraison – aber mit erheblichen Zweifeln und Skrupeln.

„Der Staat muss, so scheint es, sündigen. Wohl lehnt sich die sittliche Empfindung gegen diese Anomalie wieder und wieder auf, aber ohne geschichtlichen Erfolg. Das ist die furchtbarste und erschütterndste Tatsache der Weltgeschichte, dass es nicht gelingen will, gerade diejenige menschliche Gemeinschaft radikal zu versittlichen, die alle übrigen Gemeinschaften schützend und fördernd umschließt, die deshalb allen übrigen Gemeinschaften voran leuchten müsste durch die Reinheit ihres Wesens. Zum Wesen der Staatsraison gehört es, dass sie sich immer wieder beschmutzen muss durch Verletzungen von Sitte und Recht, ja, allein durch das ihr unentbehrlich erscheinende Mittel des Krieges, der trotz aller rechtlichen Formen, in die man ihn kleiden mag, den Durchbruch des Naturzustandes durch die Normen der Kultur bedeutet.“

Der Konflikt zwischen Staatsraison und Moral, Naturrecht der Starken und Naturrecht der Schwachen, durchzieht die Geschichte des Abendlands. Aber es wird nicht mit offenem Visier gekämpft wie in der griechischen Urdemokratie, sondern mit verdeckten Karten.

Dem Pöbel wird durch den Klerus eine rigide Heilsmoral ohne Wenn und Aber gepredigt. Die sich erwählt fühlenden Eliten aber haben alle moralischen Restriktionen ihres Verhaltens abgeworfen. Je mehr das Volk sich emanzipierte und die Ideologie ihrer Fürsten und Despoten unter die Lupe nahm, desto verdeckter mussten die Eliten ihr Doppelspiel spielen. Sie mussten zur Heuchelei greifen als dem wichtigsten Instrument ihrer Machtlegitimation.

Solange sie die absolute Macht hatten, hielt sich die Nötigung zur Legitimation in Grenzen. Erst in den modernen Demokratien, in denen die Mächtigen rechenschaftspflichtig sind, wurde die virtuos gespielte Doppelbödigkeit zur Normalität, die man kaum noch wahrnahm oder rechtfertigen musste.

Aus der Heuchelei als einer kaltblütigen – und hinter den Kulissen der Eliten zynisch vertretenen – Machtstrategie, wurde eine ideologisch verblassende, lediglich gefühlte Heuchelei des demokratischen Alltags. Man gewöhnte sich daran, Wasser zu predigen und Wein zu saufen.

Denen da oben ist nicht zu vertrauen, so die unteren Klassen. Die da unten müssen mit verschärften Gesetzen und Überwachungsmethoden an die Leine gelegt werden, wenn sie rechten und linken Extremismus wie Pegida und RAF ausbrüten – so die Creme de la Creme.

Alle Übel der Gesellschaft kamen vom Pöbel, der die feine Kunst des Moralpredigens bei amoralisch bedenkenlosem Tun nicht beherrschte. Die Atmosphäre einer permanenten, aber kaum dingfest zu machenden Heuchelmoral, von den Oberen kaltblütig exekutiert, von den Unteren nur ahnend und vermutend empfunden, wurde zur Daueratmosphäre westlicher Demokratien.

Ganz anders bei der nichtwestlichen Welt. Seit Jahrhunderten durch christliche Bigotterie bis aufs Blut gepeinigt und beschädigt, nahm sie die Unglaubwürdigkeit des Westens uneingeschränkt wahr – und setzte sich seit Gründung der UNO in wachsendem Maße zur Wehr.

In der Welt gilt der siegreiche Westen als Inbegriff der Heuchelei und des doppelten Spiels. Sie predigen Christus und meinen Kattun, das war nicht nur die Kritik der Deutschen an den Angelsachsen, sondern ist heute noch die Aversion der ganzen kolonialisierten Welt gegen die monströse Doppelstrategie des Westens. Mit der Bibel in der Linken predigten die Abendländer den Völkern das Heil, mit der Waffe in der Rechten zogen sie ihnen die Haut ab, stahlen ihre Ressourcen und stehlen sie noch heute. Schon die ersten Konquistadoren wurden von einem verbrecherischen Duo geführt: dem Soldaten und dem Priester.

Der Syrienkonflikt ist die übergiftig gewordene Summa aller westlichen Plünderungspolitik. Nach Augstein könne man die Politiker für den Syrienkrieg nicht verantwortlich machen. Ist er denn vom Himmel gefallen?

Das Gesetz des Westens dringt nach langer Pazifizierung wieder an die Oberfläche und schürt den Kampf aller gegen alle: man lässt die Konflikte der Völker solange eskalieren, bis sie allen Beteiligten unlösbar-komplex über den Kopf wachsen. Der Westen wird noch immer dominiert von einem religiösen Strafbedürfnis. Gelegentlich muss Gott persönlich herniederfahren, um die sündige Menschheit einer kollektiven Katharsis zu unterziehen. Dem Kairos einer selbsterfüllenden Reinigung von Sünden, die in Zeiten allzu langer Selbstzufriedenheit angehäuft wurden, nähern wir uns in Riesenschritten.

Der Historiker Michael Stürmer kann nicht oft genug in der Pose des alten Haudegens und Kenners der uralten Bestie Mensch den Westen zur Aufrüstung aufstacheln.

„Jetzt muss die Sicherheit des Westens neu erfunden werden, nicht allein angesichts der russischen Beunruhigungen. Der Rest der Welt birgt genug Gefahren. Aber Russland ist nah, hat unfriedliche Ziele und eine Sicherheitsdoktrin, in der die Nato als Hauptfeind figuriert.“ (WELT.de)

Medwedew warnt den Westen bereits vor dem nächsten Weltkrieg. Die Nachkriegszeiten der moralischen Vorbildlichkeit sind vorbei. Die Amoral der Wirtschaft hat die Beziehungen der Völker derart zerrüttet, dass der erreichte Wohlstand der Satten und das pure Überleben der Hungernden gefährdet sind. Die vom Westen unterdrückten Nationen haben sich längst einen Platz am Tisch der Erfolgreichen erstritten und fordern für sich gleiche Rechte.

In Amerika zerreißt der mühselig ausgehandelte Status quo zwischen fundamentalistischer Antinomie und den Grundsätzen einer Vernunftdemokratie. Schon immer hatten die Frommen die Hauptstadt Washington, das sündige Symbol des säkularen Staates, gehasst wie die Pest. Mit Trump nun, der alle Moralmanieren zerfetzt, um den brüllenden Löwen des Herrn von der Kette zu lassen, erhoffen sie sich das endgültige Finale der Heilsgeschichte. Es wird Zeit für den Messias. Armageddon komm, zerstampfe die Ungläubigen und bringe uns das Neue Kanaan.

Bürgerliche Sitten, die wohleinstudierten Höflichkeitsmasken zur Vertuschung unhöflicher Eigensucht, werden unter Johlen und Grölen geschleift. Brüllend will man der Welt mitteilen, was man bislang nicht zu denken wagte: man wird doch mal sagen dürfen. Gigantisch das explodierende Bedürfnis nach rücksichtsloser Ehrlichkeit – und wenn die Welt dabei unterginge. Das Ende der erzwungenen Heucheldemokratie – es ist nahe herbei gekommen. Die Zeit der schonungslosen Abrechnung naht. In apokalyptischer Sprache:

„Und es wurden Bücher aufgetan; und die Toten wurden gerichtet auf Grund dessen, was in den Büchern geschrieben war, nach ihren Werken.“

Der Gipfel deutscher Bigotterie ist die offizielle Haltung zu Israel, dem Land jener Davongekommenen, deren Vätern und Müttern die Deutschen unfassbares Leid zufügten. Unbedingte Loyalität, die Staatsraison Merkels gegen das junge Land der Überlebenden, wurde zur Staatsraison bedingungsloser Heuchelei. Was man sonst für human, demokratisch und menschenrechtlich hält: im Falle Israels soll das absolute Gegenteil wahr und richtig sein. Die besondere Verpflichtung gegenüber den Opfern des Holocausts erfordere die totale Negation all dessen, was man in einer Republik als unantastbare Prinzipien eines Rechtsstaats zu beschwören pflegt. Geht es noch geistverlassener, ja untergründig hasserfüllter, als mit solch anmaßender Verweigerung aller aufrichtigen und freundschaftlich-kritischen Anteilnahme am Schicksal der Juden – und Palästinenser? Darüber mehr.

 

Fortsetzung folgt.