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Europäische Idee XI

Hello, Freunde der europäischen Idee XI,

die Moderne erbricht ihre uralten Kloaken: welch ein Fortschritt, welch eine Gefahr für unser Zeitalter der ultimativen Entscheidung.

Krankheiten können geheilt, Probleme gelöst werden, wenn ihre Ursachen, dem Vergessen, Verdrängen und Verleugnen entrissen, in aller Deutlichkeit und Schärfe ins Bewusstsein treten. Ein kollektives Reich des Unbewussten, das die Menschen führt, wohin sie nicht wollen, kann sich eine selbstbewusste Gattung nicht mehr leisten. Es muss hell werden um den Menschen.

Werden die Chancen hochgespülter Transparenz nutzlos vertan, kann‘s brandgefährlich werden: unerledigte Aufgaben der Vergangenheit können die Gegenwart unterhöhlen und die Zukunft unter sich begraben.

Das ist der Fortschritt der Menschheit, dass sie den Mächtigen nicht mehr gestattet, die Folgekosten ihrer hybriden Überlegenheit zu vertuschen und der Minderwertigkeit der Unterdrückten anzulasten.

Angehäufte Probleme können verheerende Folgen haben – doch unterdrückte Probleme zu bürgerkriegsähnlichen Spannungen führen. Ein Shitstorm kann ätzend sein, ein verleugneter Shitstorm aber die Gesellschaft zur Explosion bringen.

Die Menschheit muss Remedur machen. In planetarischen Auseinandersetzungen muss sie herausfinden, welche ihrer Traditionen die Überlebensfähigkeit des homo sapiens erhöhen und welche seinen Untergang herbeiführen, wenn sie nicht

gestoppt werden.

Der menschheitsspaltenden Globalisierung der Wirtschaft muss eine philosophische Globalisierung der politischen Verständigung folgen. Keine Tradition darf sich die Lenkung des Planeten anmaßen, nur weil sie sich technisch potenter, wirtschaftlich tüchtiger und politisch auserwählter fühlt. Erfolg ist nur inspirierend, wenn er allen Menschen zugute kommt und die meisten zu überzeugen versteht.

Europa war ein vorbildliches Friedensprojekt der Nachkriegszeit. Der wirtschaftliche Erfolg im Schatten der amerikanischen Führungsmacht überdeckte mehrere Dezennien lang die Mängel seiner euphorischen Entstehung. Die Epoche folgenloser Geburtsmängel ist perdu. Nur eine kurze Zeit kann man sich fundamentale Widersprüche in der Zusammenarbeit der Nationen leisten.

Ein bisschen schwanger ist man auf Dauer so wenig wie ein bisschen demokratisch. Für jedes demokratische Zusammenwachsen gilt der – vom Neoliberalismus pervertierte – Satz: gedeih oder verdirb, wachse oder schrumpfe, werde immer demokratischer oder du fällst in heillose nationale Egoismen zurück.

Europa suhlte sich in der Attraktivität seiner Anfänge: nie wieder Krieg, nie wieder Despotismus, Wohlstand für alle Nationen. Diese jugendlichen Anfänge sind vorbei. Vor den Toren Europas tobt ein militärischer, im Innern Europas ein wirtschaftlicher Krieg. Demokratische Strukturen verschieben sich zunehmend ins Diktatorische. Der Wohlstand für alle verteilt sich immer ungerechter und vertieft die Kluft zwischen armen und reichen Nationen.

Nun wäre es an der Zeit, erwachsen zu werden. Erwachsen werden hieße, die Defekte des eigenen Werdens wahrzunehmen, zu revidieren und einen verständigen Kurs in die Zukunft einzuschlagen. Wie wollen sich die Europäer mit der Welt verständigen, wenn sie es nicht schaffen, sich untereinander zu verständigen?

Noch wenige Wochen, dann droht der Kollaps. Die Eliten scheinen gelähmt und unfähig, sich auf sinnvolle Kompromisse zu einigen. Ihre abendländischen Werte entpuppen sich als Mogelware. Einer der reichsten Kontinente der Welt ist unfähig, den vor Tod und Verhungern fliehenden Menschen vor ihrer Tür Einlass zu gewähren.

Jahre lang schauten sie zu, wie die Konflikte in Nahost eskalierten. Sie schauten nicht nur zu, sie schürten die Konflikte, um auf Kosten Schwächerer ihren Reibach zu machen. Ihre Entwicklungshilfen waren Beschädigungshilfen. Ihre naturfeindliche Ökonomie ruinierte die klimatischen Verhältnisse der ohnehin Schwachen und Abhängigen. Ihre christlichen Werte entlarven sich als – christliche Werte: möge die Welt untergehen, wenn nur die Gläubigen sich mit deklamatorischen Phrasen den Himmel verdienen.

Selig sind

– denn ihrer ist das Himmelreich

– denn sie sollen getröstet werden

– denn sie werden das Erdreich besitzen

– denn sie sollen satt werden

– denn sie werden Barmherzigkeit erlangen

– denn sie werden Gott schauen

– denn sie werden Gottes Kinder heißen

– denn ihrer ist das Himmelreich

Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel wohl belohnt werden.

Das ist der egoistische Kern der abendländischen Werte: tut Gutes, um eure Seligkeit zu erringen. Tut nicht Gutes, um die Welt zu verbessern. Die Welt muss zugrunde gehen. Tut scheinbar Gutes für andere, um euch selbst Gutes zu tun.

Für das Christentum ist die Welt dem Untergang geweiht. Die Tugenden der Christen sind Todesurteile für die Welt. Falsch, von christlichen Phrasen zu sprechen. Was sie meinen, das sagen sie; was sie sagen, das tun sie. Ihre Tugenden sind egoistische Seligkeiterwerbshandlungen, keine altruistischen Taten im Dienste des Nächsten. Ihr Tun des Guten gilt nicht hilfsbedürftigen Menschen, sondern ihrem omnipotenten Herrn: was ihr einem dieser geringsten unter meinen Brüdern getan habt, habt ihr Mir getan. Von Schwestern keine Rede.

Wissen Menschen nach Tausenden von Jahren moralischen Nachdenkens noch immer nicht, was für sie und ihre Mitmenschen gut ist? Sind sie auf bombastische Offenbarungen angewiesen, um Trivialitäten zu hören?

Jedes Kind weiß, was gut ist, wenn es gut behandelt wurde. Heilige Bücher sind nicht erforderlich, um das Selbstverständliche zu lernen. Schon gar nicht heilige Imperative, die Mitmenschen nur scheinbar Gutes tun. Der wahre Adressat ihres Gutseins ist ein ominöser Heiland, der sich selbst helfen könnte, denn alle Engel sind Ihm untertan.

Wer christliche Prediger als Phraseologen betrachtet, hat nicht den Wortlaut der neutestamentlichen Gebote zur Kenntnis genommen. Er denkt bereits weltlich-humanistisch. An seinem Maß gemessen, wären christliche Tugendprediger tatsächlich Heuchler und Phraseologen. Gemessen jedoch an ihren himmelwärts gerichteten Seligkeitsmethoden sind sie gehorsame Knechte und Mägde ihres Herrn. Alles, was sie tun, tun sie, um den Himmel zu gewinnen. Es werde Seligkeit – und wenn die ganze Welt unterginge.

Europa muss sich von dieser welt- und menschenfeindlichen Moral verabschieden. Mit christlicher Selektionsmoral – der Moral für EINPROZENT Erwählte unter den Menschen – ist weder Europa noch die Welt zu retten. Die Welt retten will auch kein Christ, der die Botschaft seines Herrn verstanden hat. Himmel und Erde werden vergehen, aber Meine Worte werden nicht vergehen.

Christliche Wiki-Artikel sind fast immer geschönt und verlogen:

„In Nachfolge Jesu von Nazareth ist eine egoistische Grundhaltung für Christen nicht möglich. Die uneigennützige Liebe, die Tradition der Kirche verwendet den Begriff Agape, ist das Ziel des Menschen. Jedoch gesteht das weiter oben bereits erwähnte und, nach Überlieferung des neuen Testaments, von Jesus selbst zitierte Beispiel „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ zumindest soviel Eigennutz zu, dass erst durch Erlangen des eigenen Wohls auch der „Nächste“ daran teilhaben kann. Wer sich selbst nicht liebt, kann demzufolge auch seinen Nächsten nicht lieben.“

Wer den Anderen wie sich selbst lieben soll, müsste sich selbst lieben. Das ist ebenso verboten wie die Liebe zur Welt. Christliche Agape ist die egoistischste Tugend unter allen Tugenden dieser Welt:

„So jemand zu mir kommt und haßt nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder, Schwestern, auch dazu sein eigen Leben, der kann nicht mein Jünger sein.“

„Habet nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist.“

Christliche Grundwerte sind Hassgefühle gegen Welt, Natur und Menschen, denen sie nur scheinbar Gutes tun. Liebe zu Mensch und Natur wäre mangelnde Liebe zum Erlöser, der auf alle weltliche Zuneigung eifersüchtig ist, mit der die Menschen – ohne sein Zutun – sich gegenseitig lieben und beistehen können.

Mit Welt- und Menschenhass kann der christliche Westen die Welt nur zugrunde richten. Wo zeigt sich das? In der Wirtschaftsideologie des Neoliberalismus, die per Globalisierung der Welt helfen, Hunger abschaffen und schwache Länder ökonomisch fördern will.

Das Gegenteil ist der Fall. Durch strangulierende Gesetze werden die Länder zu Vasallen des reichen Westens, der keine Kanonen benötigt, um fremde Länder zu kujonieren, ihre Rohstoffe zu erbeuten und sie an der Leine hinter sich her zu ziehen. Die Despoten der Länder werden mit riesigen Geldern bestochen, damit sie ihre Bevölkerung darben lassen. Mit wirtschaftlichen Methoden Macht über Nachbarn zu erringen, haben die Deutschen schon seit Kaiser Willem aus dem Effeff verstanden:

„Die deutschen Eroberer saßen in den Ländern Europas, lange bevor ihre Heere nachrückten. Sie haben nicht nur durch Unterbieten aus Konkurrenten Todfeinde gemacht, sie haben Europa „friedlich durchdrungen“, wie andere Nationen nur die Kolonien. Sie haben ein weltwirtschaftliches System befolgt, das vor dem Kriege schon Krieg war. Man bringt nicht französische Industrien an sich, nicht das italienische Bankwesen, und überschwemmt nicht England mit Unternehmungen und Menschen, ohne politische Folgen, und schwerlich ohne politische Absichten. Das „Alldeutschtum“ bedeutete wirtschaftlichen Militarismus. Die ganze Wirtschaft und alle großen Entscheidungen für den Kriegsfall berechnet, den eben dies herbeiruft. Die Nationen nur als Futter für irgendeinen Machtwillen. Das reichste Volk gemimt, indes man jeden Gewinn alsbald in neue waghalsige Spekulationen steckte, das mächtigste Volk, und es säete sich ringsum Feinde. Betriebsamkeit kann dem Unsittlichen die Seele ersetzen. Man feiert die eigene Tüchtigkeit wie ein Verdienst um den Geist der Menschheit. Zuviel Tüchtigkeit ist Angriff. Da jagte er durch das Land, der Kaiser, mit seinen siebzig Uniformen, und stachelte seinen Untertan an, noch tüchtiger zu sein, auch hier noch „an die Spitze“ zu kommen. Womit immer er sich befasste, was er gerade vorführte und empfahl: Erfolg! Erfolg, höchste Bürgertugend! Überall gewesen und schon wieder zurücksein, an nichts hängen, haltlos und unsachlich bis zum Grauen sein, ein Schein sein, eine Larve – und dort wo das Herz sitzt, nichts haben als die Anbetung des Erfolges, die unbedingte Anbetung jeden Erfolges, der sich in Geld ausdrückt.“ (Heinrich Mann)

Man ersetze Kaiser durch Kanzlerin, siebzig Uniformen durch siebzig Kanzlerinnenkostüme und erhalte – Angela Merkel, die ihre Macht über Europa mit wirtschaftlicher Überlegenheit errungen hat.

Um die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie trickreich zu erhöhen, wurden deutsche Lohnabhängige mit ungerechten Löhnen abgespeist, die sozial Schwachen mit Hartz4 gedemütigt. Egoistische Wirtschaft planiert zuerst ihre europäischen Nachbarn, dann die fernen Länder der Welt. Dort werden externe Kriegs-Konflikte geschürt, die man in objektiver Grausamkeit so lange beobachtet, bis die Kriegsopfer in letzter Verzweiflung ihr Bündel packen – um als Flüchtlingsströme die Mit-Verursacher ihres Elends zu überschwemmen.

Die schwachen Völker haben dazu gelernt. So schwach sind sie schon lange nicht mehr, dass sie sich nicht selbstbewusst auf den Weg machten, um ihrem heimatlichem Schicksal zu entgehen. Der arabische Frühling war nicht vergeblich. Wenn es auch nicht reichte zur Erringung eigener Demokratien: zur Flucht in ferne Demokratien reicht es allzumal.

Seitdem Merkel erkannte, dass sie als mächtigste Frau der Welt die Hauptursache des europäischen Verfalls ist, wechselte sie ihre Rolle von der Unerbittlichen zur Caritativen, um das klägliche Ende ihres neu-wilhelminischen Bühnenstücks mit einer Heiligenlegende zu beenden. Von der Kanzlerin wechselte sie zur Kanzelpredigerin.

Ihre nach oben offene Hilflosigkeit zeigt, dass sie Europa aufgegeben hat. Ihre Flucht ins Barmherzige soll ihr einen grandiosen Abgang in die Geschichtsbücher verschaffen. Wenn sie schon auf der ganzen Linie versagte, will sie wenigstens als Ikone im Gedächtnis ihrer liebenden Fans bleiben.

(Chile als Fluchtort wäre nicht schlecht. Zusammen mit der dort lebenden Margot Honecker könnte sie ein Buch in zwei Teilen herausgeben: a) Wie ich half, den Sozialismus zu ruinieren. b) Wie ich half, das freie Europa zu ruinieren.)

Was geschieht, wenn Europa kollabiert? Henrik Müller im SPIEGEL:

„Je kleiner ein Land ist und je schwächer es wirtschaftlich dasteht, desto härter würde es die negativen Folgen einer EU-Implosion zu spüren bekommen. Aber auch Deutschland würde leiden. Die Bundesrepublik ist eine hochgradig offene Volkswirtschaft, die bislang eng mit dem übrigen Europa verwoben ist: 58 Prozent der Im- und Exporte werden mit EU-Partnern abgewickelt. Das gigantische Auslandsvermögen Deutschlands von mehr als einer Billion Euro ist zur Hälfte im übrigen Europa angelegt. Entsprechend viel hätte Deutschland zu verlieren, falls Jean-Claude Junckers Dominoszenario Wirklichkeit würde. Zu den ökonomischen Schäden kommen die politischen. Eine zunehmende Polarisierung durch den Aufstieg populistischer Politiker wäre die mutmaßliche Folge. Schuldzuweisungen, verbale Attacken bis hin zu Sanktionen zwischen Nachbarstaaten wären an der Tagesordnung. So gesehen befindet sich Europa in einer destruktiven Spirale. Sie zu stoppen sollte oberstes Ziel vernünftig handelnder Staatslenker sein. Es steht zu viel auf dem Spiel.“

Wie kann man Merkels hilfloses Helfersyndrom rühmen, wenn man ihre europa-zerrüttende Gesamtpolitik gar nicht zur Kenntnis nimmt, mit der sie Einheimische und Flüchtlinge langfristig schädigen wird?

Merkel betreibt keine rational-humane Politik, sondern launenhaften Erleuchtungs-Populismus. Sie verfolgt keine Vernunftmoral – die die Interessen aller Beteiligten gleichmäßig berücksichtigte –, sondern imponiert mit einer leeren Segensformel, die sie beim Untergang der Titanic als Abschied intoniert.

Vor kurzem noch wollte sie in unerbittlicher Herzenshärtigkeit ein Palästinensermädchen aus Deutschland ausweisen. Wo war da ihre überfließende Agape? Wo, als Italiener und Griechen um solidarische Hilfe baten, weil sie das Flüchtlingsproblem nicht bewältigen konnten? Die Türkei erhält viele Milliarden, um die Flüchtlinge aufzuhalten. Die Griechen gucken in die Röhre. Nicht mal ihre zugesagten Gelder zu den UN-Lagern bezahlt das mächtigste Land Europas. Clarke sprach von Schlafwandlern, die den Ersten Weltkrieg verursacht hätten. Heute müsste man von Volltrunkenen sprechen, die Europa lallend in den Abgrund stürzen.

Will die Moderne ihre Probleme lösen? Das wäre weder innovativ noch fortschrittlich. Von Zeit zu Zeit muss der Laden in die Luft gesprengt werden, dass der übersättigte Markt nach neuen Dingen schreit. Den Geldmagnaten ist es nur Recht, wenn alles stürzt und fällt. Aus den Ruinen winkt neuer Profit. Nicht Gleichgewicht und Ordnung, sondern Zerstörung ist die erste Ökonomenpflicht:

„Der Österreicher war der erste einflussreiche Nationalökonom, der vor 100 Jahren vehement die Ansicht vertrat: Ein dynamisches Chaos sei viel eher die Norm für eine gesunde Volkswirtschaft als stetiges Gleichgewicht. Bis heute ist der Prozess der schöpferischen Zerstörung untrennbar mit dem Namen Joseph Schumpeter (1883-1950) verbunden. Schumpeters Kernidee: Kapitalismus ist Unordnung, die fortwährend durch innovative Unternehmer mit neuen Ideen in den Markt getragen wird. Aus dieser Unordnung entstehen Fortschritt und Wachstum.“ (SPIEGEL.de)

Wie lautet die abendländische Zauberformel, um wirtschaftliche Probleme zu lösen, pardon, nicht zu lösen? Man löst sie mit Methoden, die noch größere Probleme schaffen. Wie schafft man neue Arbeitsplätze, um allen Suchenden einen Arbeitsplatz zu verschaffen? Indem man bestehende Arbeitsplätze für veraltet erklärt und eine neue 4.0-Roboterwelt installiert. Experten schätzen, dass bis zu 80% der bestehenden Arbeitsplätze hinweg rationalisiert – denkste: hinweg irrationalisiert – werden.

Doch keine Bange: eine winzige Minderheit wird noch immer benötigt, um die Maschinen auf Vordermann zu bringen. Bald wird EINPROZENT Malocher jene Arbeit machen, um EINEMPROZENT Magnaten den ganzen Reichtum der Welt zuzuschanzen. Was macht der bornierte Rest? Es gibt noch viele überflüssige Ideen, die man als dynamische Start-up-Unternehmen der Welt aufdrängen könnte.

Probleme löst man, indem man noch größere Probleme schafft. Das Leben muss ein Risikospiel sein. Sonst wird’s langweilig. Das Ganze nennt man Fortschritt. Wenn die Menschen schon ihr sterbliches Leben nicht bewältigen, müssen sie unsterblich werden, auf dass ihre Probleme mit Sicherheit unendlich werden. Endlichkeit, das ist von gestern.

Wollen die Reichen die Probleme der Welt lösen? Sie denken nicht dran. Wär‘s anders, hätte ein Barmherziger in Davos nur mit dem Klingelbeutel von jedem Anwesenden ein Prozent seines Reichtums einsammeln müssen – und die Flüchtlingscamps in Syrien hätten ausgesorgt. Auch die großen Wohltäter der Menschheit denken nicht daran, die aktuellen Probleme der Menschheit mit ihren Schecks zu lösen. In ihren Stiftungen wollen sie in gottgleicher Einsamkeit entscheiden.

„Mangelnde Legitimität und fehlende Transparenz sind seine Hauptkritikpunkte am Gebaren der Stiftungen der Superreichen. Zu dem Schluss kommt auch eine von den NGOs Misereor, Brot für die Welt und Global Policy Forum gemeinsam herausgegebene Studie über „Philantropic Power and Development“, die bald auf Deutsch erscheint. Kritisch gesehen wird vor allem die Kurzfristigkeit der Aktivitäten der „Menschenfreunde“ sowie ihre Ausrichtung auf messbare Erfolge.“ (TAZ.de)

Auf wen hoffen die Superreichen? Auf Merkel. Der Engel der Armen ist auch der Engel der Reichen. Das muss ihr erst mal jemand nachmachen. Dass Merkel mit unsolidarischer Wirtschaft Europa erst demoliert hat, entgeht den scharfsichtigen Tycoons dieser Welt. Sind sie doch felsenfest davon überzeugt, dass ihr egoistisches Raffen per Unsichtbarer Hand allen Menschen zugute kommt:

„Um den Kontinent wieder zu einen, hoffen viele Teilnehmer in Davos auf Deutschland und seine Kanzlerin Angela Merkel. „Ich finde es bewundernswert, wie Frau Merkel sich mit aller Kraft dafür einsetzt, eine europäische Lösung hinzukriegen“, sagt Philipp Hildebrand, Vizechef des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock und ehemaliger Präsident der Schweizer Notenbank. „Das ist zweifelsohne der richtige Weg.“ Doch auch er fragt sich besorgt, ob Merkel Erfolg haben wird. „Sollten die europäischen Partner ihr hier nicht entgegenkommen, hätte das für Europa schlimme Folgen“, sagt Hildebrand. Dann werde es unausweichlich auf nationale Maßnahmen zur Grenzsicherung hinauslaufen.“ (SPIEGEL.de)

Die Theorie der Unsichtbaren Hand – oder vom nützlichen Wert des Amoralischen – ist eine der verhängnisvollsten der abendländischen Mantras. Letztendlich ist sie ein theologischer Glaube, der einem liebenden Gott das Böse nachsieht, weil es dem Guten dienen muss. Nach Adam Smith ist es nicht Vernunft, die das ethische Tun der Menschen regiert, sondern es ist „Gottes Weisheit.“

Womit wir bei Hayek wären, der Gottes Weisheit Evolution taufte und der menschlichen Vernunft die Fähigkeit absprach, das Marktgeschehen zu verstehen. Bei Smith konnte der Mensch seinem Egoismus folgen, ohne dass das Gesamtergebnis schädlich für die Gesellschaft war. Der Mensch denkt, Gott lenkt alles ins rechte Ziel:

„Tatsächlich fördert der Mensch in der Regel nicht bewußt das Allgemeinwohl, noch weiß er wie hoch der eigene Beitrag ist. Wenn er es vorzieht, die eigene nationale Wirtschaft anstatt die ausländische zu unterstützen, denkt er nur an die eigene Sicherheit, und wenn er dadurch die Erwerbstätigkeit so fördert, daß ihr Ertrag den höchsten Wert erzielen kann, strebt er lediglich nach eigenem Gewinn. Er wird in diesem wie auch in vielen anderen Fällen von einer unsichtbaren Hand geleitet, um einen Zweck zu fördern, der keineswegs in seiner Absicht lag. Es ist auch nicht immer das Schlechteste für die Gesellschaft, dass dieser nicht beabsichtigt gewesen ist. Indem er seine eigenen Interessen verfolgt, fördert er oft diejenigen der Gesellschaft auf wirksamere Weise, als wenn er tatsächlich beabsichtigt, sie zu fördern.“ (Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen)

Auf dem Boden einer Ethik, die altruistisch sein will, obgleich sie in alle Ewigkeit seligkeitstrunken ist, kann keine durchsichtige Wirtschaftsmoral errichtet werden. Wenn das Gute unfähig sein soll, für ein gutes Leben zu sorgen, das Böse hingegen das Gute schafft, dann ist der Teufel Gott und Gott der Teufel. In diesem satanisch-göttlichen Wirrwarr können Probleme nicht so gelöst werden, dass sie zur Ruhe kommen. Ruhe ist der Tod des Fortschritts. Es lebe der Fortschritt – und wenn der Mensch unterginge.

Als das Christentum die Debatte um eine humane Moral endgültig verwirrte, war sie von den Griechen längst rational debattiert worden. Als zoon politicon lebe der Mensch nicht nur für sich, sondern für die Gemeinschaft. Zwar sei Selbstliebe eine notwendige Charaktereigenschaft des Menschen. Doch ihr wahrer Nutzen hinge auch vom Nutzen jener ab, von deren Wohl auch sein Wohlergehen abhinge. Wohlverstandener Eigennutz, identisch mit wohlverstandenem Fremdennutz, ist die eiserne Grundlage einer vernunftgesteuerten Moral.

Wirtschaft hat nicht den Zweck, die Menschheit per Wettbewerb in Starke und Schwache zu spalten. Sie hat nicht den Zweck, Menschen einen immer höheren Wohlstand zu bescheren. Sie hat nicht den Zweck, einem menschenmordenden Fortschritt zu dienen. Sie hat nicht den Zweck, Natur zu zerstören, um eine bessere Übernatur zu kreieren.

Sie hat nur einen Zweck: mit lustvoller Arbeit an der Natur den Menschen zu ernähren. Was sie der Natur nimmt, muss sie ihr in angemessener Form wieder zurückgeben. Natur ist keine karge Mutter. Sie gibt so reichlich, dass der Mensch von ihrem Überfluss leben könnte. Sorgenfrei und in Freuden.

 

Fortsetzung folgt.