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Europäische Idee XCVIII

Hello, Freunde der europäischen Idee XCVIII,

Caritokratie? Klingt auch nicht schräger als Nudging.

Wer sein internationales Image, pardon, seinen Weltruf, mit Caritas, pardon, mit Nächstenliebe, positiv konditioniert, pardon, nach oben stupst, dessen Caritokratie, pardon, Liebesdespotie wächst ins Futurisch-Unlimitierte, pardon, ins Himmlische.

Wir reden von Bill Gates und seiner Schwester im Herrn, Angela Merkel.

Bill Gates‘ Vermögen wuchs auf 90 Milliarden Dollar. Gates‘ Vermögen entspricht rund 0,5 % des BIPs der USA. „Zusammen besitzen die Schwerreichen demnach 7,7 Billionen US-Dollar (rund 6,9 Billionen Euro). Das entspricht gut dem doppelten Bruttoinlandsprodukt Deutschlands und mehr als drei Prozent des weltweiten Gesamtvermögens (etwa 250 Billionen Dollar in 2015).“ (BILD.de)

Kopfrechner vortreten! Wie lange dauert es noch – wenn die bisherige Reichtumssteigerungsquote weiterhin verlässlich ansteigt –, bis der Samaritaner der Welt den Reichtum seines Landes so aufgesaugt hat, dass seinen Landsleuten zusammen nur noch 0,5 % des BIPs übrig bleibt und sie in endlosen Favela-Wüsten rund um die ummauerten Villenparadiese der Tycoons hausen und vor sich hinvegetieren müssen?

Gibt es einen einzigen Politiker in der westlichen Hemisphäre, der diesen perversen, irrsinnigen, menschheitszerstörenden Amoklauf der Plutokratie bremsen will?

Gates & Kumpane können sich auf John Locke, den wichtigsten Demokratietheoretiker der Neuzeit berufen. Jedes Eigentum ist gerechtfertigt, das man sich selbst verdient und aneignet. Sei es durch Arbeit, sei es durch Horten unverderblicher Reichtümer. Verboten ist nur das Sammeln von Naturdingen, die beim Horten verderben könnten.

Geld stinkt und verdirbt nicht: also ran an die ewig gültigen Schätze der

Welt. „Sammelt euch aber Schätze im Himmel, die weder Motte noch Rost zunichte machen.“ Es genügte, den Himmel auf Erden zu holen – und der unverwüstliche, keinen Rost ansetzende Kapitalismus war geboren.

„Gab er dann auch Nüsse für ein Stück Metall, dessen Farbe ihm gefiel, tauschte er seine Schafe gegen Muscheln ein oder Wolle gegen einen funkelnden Kiesel oder Diamanten, um sie sein ganzes Leben bei sich zu tragen zu können, so griff er nicht in die Rechte anderer ein, mochte er von diesen beständigen Dingen auch so viel anhäufen wie er wollte. Er überschritt die Grenzen rechtmäßigen Eigentums nicht durch Vergrößerung seines Besitzes, sondern dann, wenn irgend etwas ungenutzt umkam.“

Das ist christliche Ethik: wer nicht in kleinen Dingen treu ist, der ist es auch nicht in großen.

„Wer im geringsten treu ist, der ist auch im Großen treu; und wer im Geringsten unrecht ist, der ist auch im Großen unrecht. So ihr nun in dem ungerechten Mammon nicht treu seid, wer will euch das Wahrhaftige vertrauen? Und so ihr in dem Fremden nicht treu seid, wer wird euch geben, was euer ist?“

Auch im Kleinlichen ist Bill Gates verlässlich, er hortet weder Nüsse noch Kartoffeln, die bald hinüber sein könnten. Er hortet nur unverderbliche Milliarden in Aktien, Wertpapieren und sonstigen fiktiven Riesensummen. Seinen Mitmenschen predigt er Sparsamkeit und Genügsamkeit.

Das Gehäuse der Demokratie begann mit einem inhärenten Dachschaden. Wenn die Erfinder der modernen Demokratie es schon nicht besser wussten – wie erst die Deutschen, die nichts mehr ablehnten als das westliche Volksgetue? Zum Eigentum fällt dem gerühmten Grundgesetz nur Gestammel ein. Im Artikel 16 lesen wir den Analokuth oder Satzstummel:

„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“

Würde ein Schüler einen solchen Satz stammeln, würde jeder Lehrer ihn anherrschen: wozu ist Eigentum verpflichtet? Unvollständige Sätze zeugen von unvollständigem Denken. Setzen, sechs.

Warum soll Eigentum zugleich der Allgemeinheit dienen, wenn es ohnehin dazu verpflichtet ist? Unter Pflichten versteht man gewöhnlich Pflichten gegen andere. Wohltätige Pflichten gegen sich selbst werden unter Egoismus geführt.

Wo bleibt die gerühmte Würde des Menschen, wenn er kein Recht auf ein würdiges Leben besitzt? Unabhängig von Rasse, Intelligenz, Geschlecht – oder Arbeitsleistung? Würde ohne würdiges angstfreies Leben ist würdelos. Würde ohne Gerechtigkeit ist eine terroristische Attacke gegen Gerechtigkeit und Würde.

Säuglingen wird das Leben geschenkt. Damit der Erwachsene sein Geschenk ein Leben lang unter Mühen und Schuften nachträglich abarbeiten muss? Mit Zins und Zinseszins? Zuerst vorleisten, dann leben: das ist die Erpressungsformel für das christliche Arbeitsethos oder das lebenslange Diktat, sich für einen Hungerlohn krumm und bucklig abzurackern. Todesurteil für Arbeitsunwillige: wer nicht arbeiten will, soll auch nichts essen.

Freie Menschen müssen nicht erpresst und gezwungen werden, um sich sinnvoll zu betätigen. Kinder sind in ihren spontanen Aktivitäten gar nicht zu bremsen. Auch anstrengende und lästige Arbeiten werden von Menschen ohne Murren getan, wenn sie der Ernährung ihrer Lieben dienen. Wär‘s anders, wären 99PROZENT der Menschheit schon längst verreckt. Ein chinesisches Bäuerchen lehnte die Erfindung des Wasserrads ab. Lieber würde er sich weiter plagen und mühen, als einen maschinenförmigen Geist erwerben.

Der Allgemeinheit dienen? Die Reichen glauben, der Allgemeinheit zu dienen, wenn sie immer reicher werden und wenige Tropfen ihres Geldsegens nach unten durchtröpfeln lassen. Oder wenn sie uneigennützig Arbeitsplätze schaffen. Das genügt aber auch. Angemessene Steuern zu bezahlen, gehört nicht mehr zu den Verpflichtungen des Diridari.

Dienen? Wie gnädig und demütig das klingt. Der Reichtum, der von allen erarbeitet wurde, gehört auch allen. Auf gnädige Dienste kann das Volk verzichten. Besitz muss gerecht verteilt werden, alles andere ist caritativer Schmuh. Ein Grundsatzartikel über Eigentum erlaubt sich den Leichtsinn, den Begriff Gerechtigkeit nicht zu erwähnen. Werft den Artikel 16 in den Müll.

Schreibt Lukas, man solle dem Mammon treu sein? Nein, man soll dem ungerechten Mammon treu sein. Mammon ist ungerecht – und dennoch soll man ihn nicht gerecht machen, sondern ihm treu und ergeben dienen. Das ist, als würde man Angehörigen einer Mafiabande einbläuen: bleibet dem verbrecherischen Boss treu. Und übergebt ihn nicht treulos der Justiz. Unter dem Deckmantel des Heiligen wird gesetzlose Kumpanei gepredigt. Von Gerechtigkeit ist weit und breit nichts zu hören.

„Wer wird euch geben, was euer ist“? Was ihrer ist, das muss ihnen noch gnädig gegeben werden? Was der Einzelne erarbeitet hat, das ist sein Eigentum und muss ihm nicht gegeben werden – das gehört ihm bereits. Wehe, es wird ihm vorenthalten. Hemmungslos lobt die Schrift die Amoral der Welt und stellt sie als vorbildlich und nachahmenswert dar:

„Und der HERR lobte den ungerechten Haushalter, daß er klüglich gehandelt hatte; denn die Kinder dieser Welt sind klüger als die Kinder des Lichtes in ihrem Geschlecht. Und ich sage euch auch: Machet euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, auf daß, wenn ihr nun darbet, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten.“

Gläubige sind welt-töricht und also sollen sie die machiavellistischen Künste der „Kinder dieser Welt“ nachahmen. Wer sich in der Welt auf seinen ungerechten Profit versteht, der gilt – man höre und staune – als klug. Von dieser irdischen Klugheit sollen die weltfremden Toren des Glaubens lernen. Die Sünder sollen nicht von Erleuchteten, die Erleuchteten sollen von verblendeten Sündern lernen. Steht hier die Welt der Frommen nicht auf dem Kopf?

Nur, wenn man irrigerweise annimmt, die Frommen müssten einem eindeutigen kategorischen Imperativ Gottes folgen. Müssen sie nicht. Was sie müssen, ist glauben. Sonst nichts. Dann können sie tun, was sie wollen. Selbst das „Sündige“. Doch wahre Gläubige können nicht mehr sündigen. Sie sind gesunde Bäume, die nur gesunde Früchte hervorbringen können.

Sündige tapfer – aber glaube. Das war Luthers Gründungakt des modernen Amoralismus, der sich besonders auf dem Gebiet der Wirtschaft und imperialen Weltpolitik niederschlug. Den Eliten war alles erlaubt, der spießige Pöbel hatte die Zehn Gebote zu befolgen. Christliche Völker sind immer im Recht. Und sind sie es nicht, gilt § 1. Theologen sprechen von der Antinomie Gottes, der in zwiefacher Gestalt, als liebender und hassender Gott, als Heiland und Teufel auftritt.

Doch die fromme Krönung kommt erst.

„Kein Knecht kann zwei Herren dienen: entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird dem einen anhangen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott samt dem Mammon dienen.“

So oder so: Knecht bleibt Knecht. Er könnte ja auch beide Herren zum Teufel jagen und sich seine Rechte als selbstbestimmtes Subjekt zurückerobern. Nichts da. Zwischen Pest und Cholera muss er wählen.

Es gab sozialistische Gründerväter, die das Evangelium für einen Vorläufer der Revolution hielten. Wie nachhaltig muss der Religionsunterricht in der Jugend gewirkt haben, dass man die Realität nur mit biblischen Augen wahrnehmen kann?

Jeder bleibe in seinem Stand, der Sklave bleibe Sklave. Die Revolution findet erst im Himmel statt, wenn alle Sozialisten mausetot sind. Linke Herz-Jesu-CDUler wie Geißler und Blüm halten diesen Text für das Nonplusultra der göttlichen Gerechtigkeit. Herr, erbarm dich unserer irrenden Brüder in Christo.

Ein autonomer Mensch dient keinem Mammon, der Mammon dient ihm. Der Neoliberalismus verehrt den Mammon als Gott und betet ihn an. Wer Geld hingegen als dienendes Werkzeug benutzt, um ein angstfreies Leben zu führen, für den ist Geld ein Knecht und kein Gott. Der Mammon muss gerecht verteilt sein, das ist sein Dienst an der Menschheit. Wer einem Gott dienen will, muss das mit sich in seinem privaten Kämmerchen abmachen.

Eine Wahl zwischen Gott und Mammon aber gibt es nicht. Der Mensch ist ein freier Herr über alle seine Dinge. Wie er Politik und Wirtschaft organisiert, sollte von seiner Vernunft bestimmt werden, die ihm zeigen kann, was allen Menschen frommt.

Was ist die Voraussetzung einer gerechten Gesellschaft? Dass sie humanen Vorstellungen folgt. Kein Gott hat in der demokratischen Öffentlichkeit etwas zu suchen. Mag jeder Fromme in seinem Kirchensprengel beten, wie er will: die Würde des Menschen aber ist angetastet, wenn er Göttern gehorchen muss, die er nicht kennt oder ablehnt. Sei es Mammon oder sonstige Schöpfer aus dem Nichts.

„Und so ihr dem Fremden nicht treu seid.“

Dem Fremden soll man treu sein, dem Eigenen nicht? Unterwerfung unter das Fremde ist demnach erste Christenpflicht. Seid untertan der Obrigkeit, es gibt keine, die nicht von Gott wäre. Dann müssen Stalin und Hitler von Gott beglaubigte Obrigkeiten gewesen sein. Es passt ins lügenverseuchte Milieu der deutschen Nachkriegsgesellschaft, dass totalitäre Söhne der Vorsehung als gottlose Heiden dargestellt werden.

Sich der eigenen Stimme der Vernunft entfremden: das ist das Gebot des Himmels. Die Belange des Menschen dürfen nicht als Eigenes in ureigener Regie durchdacht und entschieden werden. Der Mensch ist Fremdling auf Erden und soll es bis zu seinem letzten Atemzug bleiben. Wer die Erde aus der Perspektive des Fremdlings betrachtet, darf sich nicht wundern, wenn er sie als heimatlose Fremde missachtet und ihre minderwertige Qualität vernichten muss – um ein messianisch Neues zu erschaffen. „Durch den Glauben ist er ein Fremdling geworden.“

Wer jetzt auf die Idee käme, der Gläubige müsse uneigennützig der „fremden Erde“ dienen, hätte sich geschnitten. Sein Seligkeitsegoismus setzt die alte Erde bedenkenlos aufs Spiel, um das Neue zu installieren, in welchem er als Sieger der Heilsgeschichte triumphiert. Woraus wir entnehmen, dass das Fremde – zum Eigenen geworden ist, wenn es gezwungen wurde, der eigenen Seligkeit zu dienen. Das wahrhaft Fremde, das sich dem Dienst an der Seligkeit widersetzt: das muss bedingungslos vernichtet werden. Ob er will oder nicht, der Teufel muss den Direktiven seines göttlichen Herrn folgen. Er ist ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will – und stets das Gute schaffen muss. Gott duldet kein Eigenständiges. Am Ende der Zeiten hat er sich alles Fremde und Feindliche restlos einverleibt.

„Er muß aber herrschen, bis daß er »alle seine Feinde unter seine Füße lege«.

Das Neue Testament fordert strikten Gehorsam gegen die ungerechte Ordnung der Welt. Im Gleichnis von den anvertrauten Pfunden lobt der Herr jenen Knecht, der mit Hilfe ungerechter Weltgesetze – mit Wucher – das Kapital seines Meisters vervielfacht hatte:

„Da sprach sein Herr zu ihm: Ei, du frommer und getreuer Knecht, du bist über wenigem getreu gewesen, ich will dich über viel setzen; gehe ein zu deines Herrn Freude.“

Den untreuen Knecht aber, einen störrischen Linken mit Gerechtigkeitsvisionen, der sich geweigert hatte, den Deal mit Zins und Zinseszins durchzuführen, schickt er in die Hölle:

„Sein Herr aber antwortete und sprach zu ihm: Du Schalk und fauler Knecht! Wußtest du, daß ich schneide, da ich nicht gesät habe, und sammle, da ich nicht gestreut habe? So solltest du mein Geld zu den Wechslern getan haben, und wenn ich gekommen wäre, hätte ich das Meine zu mir genommen mit Zinsen. Darum nehmt von ihm den Zentner und gebt es dem, der zehn Zentner hat. Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden. Und den unnützen Knecht werft hinaus in die Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappen.“

Die Welt zu verändern oder die Geschichte zu beenden, ist das Vorrecht des Erlösers. Dieses Credo ist die oberste Leitdevise der Merkel‘schen Politik. Durchwurschteln heißt, alles lassen, wie es ist.

Merkel – und das ist das unerhört Neue ihrer Ära – gibt den christlichen Wertefrommen, was sie für richtig halten, obgleich sie nicht wissen wollen, was sie für richtig halten: christliche Politik aus dem Effeff.

All ihre Vorgänger orientierten sich noch – mehr oder minder – an Weltveränderungs- oder Weltverbesserungsvorstellungen. Da konnte Helmut Schmidt noch so ätzen: wer Visionen hat, sollte zum Arzt. Als Fan Poppers entwickelte auch er eine Stückwerktechnologie, mit der er die Situation der Gesellschaft verbessern wollte. Was er ablehnte, waren Utopien à la Marx, die eines Tages mit historischer Gewissheit und wie aus einem Stück „vom Himmel fallen“ würden. Solche himmlischen Visionen würden die Hölle bringen.

Von all diesem Wessi-Schwachsinn will die Pastorentochter nichts wissen. Wie sind die Gesetze der sündigen Welt? Diese Frage allein ist für sie von machtgesteuertem Interesse. Gesetze der Welt müssen getreu befolgt werden. Herrscht Sozialismus, ist Merkel sozialistisch. Herrscht Neoliberalismus, wird Merkel getreue Hayek-Schülerin. In göttlichem Auftrag ist sie Mitläuferin der siegreichen Weltideologien.

Da es den Deutschen vergleichsweise gut geht, nur fremde Völker darben, sind sie zufrieden mit Muttern, die nicht nur ihren Wohlstand bewahrt, sondern sie mit Lindigkeit und madonnenhaftem Lächeln tröstet: in der Welt habt ihr Angst, siehe, ich habe Europa im Griff. Dank meines Glaubens. Haltet euch an meinem Rockzipfel fest, dann wird es euch weiterhin gut gehen.

Das ist eine ganz neue Melodie, die Angela auf der Berliner Panflöte spielt. Einerseits die härteste und unbarmherzigste Wirtschaftspolitik gegen schwache EU-Partner, andererseits symbolische Samaritanergesten gegen die Schwächsten der Schwachen – um den Ruf der mächtigsten Frau der Welt mit Caritas zu komplettieren und zur schwarzen Madonna von Mecklenburg-Vorpommern zu erhöhen.

Gates und Merkel sind Geschwister im Geist. Die Welt muss mit ihren eigenen Waffen gezähmt und hart regiert werden. Da fehlt noch eine Kleinigkeit. Die Liebe von Oben muss hinzukommen, um Gottes sündige Welt mit gnädigen Almosen zu versüßen. Wenn die Reichen und Mächtigen Gnade vor Recht ergehen lassen durch Alibi-Caritas, dann werden harte Weltgesetze umso williger als Gottes Regeln akzeptiert.

Liebe ist das Nudging der Macht. Macht und Caritas, Herrschaft und Gnade: das sind die Eigenschaften einer christlichen Weltordnung, die in irdischer Zeit nicht besser werden kann als sie ist. Algorithmiker dürfen Träume und Visionen nach Belieben haben, nicht aber ordinäre Politiker, die den Status quo hinnehmen müssen, wie er ist. Schluss mit humanen Visionen und Utopien. Nur Silicon Valley darf von inhumanen Phantastereien träumen.

Nach dem Brexit hätte Europa eine Denk- und Besinnungspause einlegen sollen, um gründlich zu überlegen, wohin die Reise gehen soll. Nicht so Merkel. Alles soll bleiben, wie es ist. Mit Hollande und Renzi absolvierte sie fürs Publikum symbolische Handlungen auf der italienischen Insel Ventotene, auf der im Jahre 1941 drei Mussolinigegner ein utopisches Europa entwarfen. Jedermann weiß inzwischen, was Symbol-Politik ist: lügenhafte Phrasen.

In dem Manifest wurde ein ganz anderes Europa projektiert, als der neoliberale Zeitgeist alle gegenwärtigen Verträge der EU verseucht. Spinelli & Co fordern eine Wirtschaft, die nicht den Menschen beherrscht. Umgekehrt soll der Mensch die Wirtschaft beherrschen. „Die europäische Revolution muss sozialistisch sein, um unseren Bedürfnissen gerecht zu werden. Das Privateigentum muss, von Fall zu Fall, abgeschafft werden, und nicht nach einer rein dogmatischen Prinzipienreiterei gehandhabt werden.“

Für Merkel sind das alles steinzeitliche Leerformeln, die mit dem Fall der Mauer den Weg alles Eitlen gingen. Eric Bonse bringt den „flotten Dreier“ mit inhärenter Domina auf den Begriff:

„Merkel ließ die von Gastgeber Matteo Renzi gewählten Symbole links liegen. Sie wollte kein Bekenntnis zu den Vereinigten Staaten von Europa abgeben, die Spinelli einst visionär entworfen hatte. Mehr Europa, eine föderale EU? Für Merkel kein Thema. Die Kanzlerin hat keinen Plan. Der Brexit hat sie kalt erwischt, der Verlust ihres Buddys David Cameron hat sie schwer getroffen. Zusammen mit Cameron hat Merkel das EU-Budget gekürzt und Brüssel auf Wettbewerbsfähigkeit und Freihandel eingeschworen. Sie wählt die Umarmungstaktik, geht auf Renzi und Hollande zu, lässt sich aber nicht auf ihre Ideen ein. so plant sie schon die nächsten Reisen – nach Estland, Tschechien und Polen. Auch dort wird sie versuchen, einen Kurswechsel abzuwehren und den Status quo zu verteidigen. Alles soll weitergehen wie bisher, als hätte es den Brexit nie gegeben. Europa bringt das nicht voran. Aber das scheint Merkel nicht zu scheren. Erst nach der Bundestagswahl in einem Jahr will sie – vielleicht – ein paar EU-Reformen wagen. Bis dahin soll das Ancien Régime weitergehen. Schließlich ist es ihr Regime. Der Rest ist Show.“ (TAZ.de)

An der großen Krise ist die dienstälteste Chefin eines Landes in hohem Maße mitschuldig. Unterstreicht auch der Harvard-Ökonom Dani Rodrik in einem ZEIT-Interview:

„Bis zur Eurokrise dachte ich, Europa sei auf dem Weg dahin. Aber die Art, wie führende Politiker in der Eurokrise reagiert haben, hat die Unterschiede zwischen den einzelnen Staaten verschärft. Ich muss Angela Merkel hier einen Großteil der Schuld geben. Das Narrativ von Merkel und anderen Politikern hätte sein können: Das hier ist eine Krise der gesamten EU, nicht nur von Griechenland, Spanien, Portugal oder Irland. Wir sind da gemeinsam reingeraten, wir kommen auch gemeinsam wieder raus – und zwar, indem wir die europäischen Institutionen stärken. Die Politik muss verstehen, dass man sich nicht allein auf eine wirtschaftliche Integration konzentrieren kann. Sonst überlässt man das Feld den Populisten. Die behaupten dann, in der EU geht es nur um die Interessen der Banken und Konzerne. Entweder sind wir bereit, die EU zu vervollständigen und über eine Fiskalunion und ein europäisches Sozialstaatsmodell zu sprechen. Oder aber, wenn wir nicht den Mumm haben, das zu machen, und wir die Wähler nicht davon überzeugen können, dann müssen wir die wirtschaftliche Integration zurückdrehen. Wenn die Politiker keinen Klartext reden, wird der Brexit kein singuläres Ereignis bleiben.“ (ZEIT.de)

Von Gedanken gründlicher Erneuerung Europas ist Merkel weltenweit entfernt. Wursteln as usual, den Rest walte Gott. Und die Deutschen werden sie solange wählen, bis sie am Krückstock geht. Wer sollte ihre opiate Wirkung auf das aufgewühlte Land gleichwertig ersetzen? Fällt die Erwählte, wird Deutschland in depressiven Entzugserscheinungen versinken.

Christliche Politik ist Herrschaft der Liebe. Mit welchen Liebesmaßnahmen, entscheiden willkürlich die Liebenden. Alle antinomischen Möglichkeiten stehen ihnen zu Gebote. Harte oder weiche, soziale oder unsoziale, gnädige Almosen oder Hartz4-Prügel. Der Herr gibt, der Herr nimmt, der Name seiner Magd sei gepriesen.

Macht und Liebe sind die politischen Sakramente der Christen, die rücksichtslos die Welt für ihren Glauben vereinnahmen. Wer glaubt, wird selig. Wer mit Glauben und Liebe seinen irdischen Job erledigt, der wird erfolgreich – das Himmelreich erringen. Die Bergpredigt schildert alle Verheißungen, die durch die Macht der Liebe errungen werden. Entweder hier auf Erden oder im Jenseits:

Selig sind, die da geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihrer. Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, so sie daran lügen. Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel wohl belohnt werden.“

Der christliche Glaube ist die wirksamste selbsterfüllender Erfolgsideologie der Weltgeschichte. Kniet nieder, die ihr eintretet.  

 

Fortsetzung folgt.