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Europäische Idee XCV

Hello, Freunde der europäischen Idee XCV,

Erguss ist kein Orgasmus, Koitus ist Urtausch, Tausch kommt von Täuschung – der Geschlechterkampf beginnt im Bett und endet nicht mit der Vermännlichung der Frau im orgasmusfreien Kapitalismus.

„Adam stößt wild drauflos und ruft: “Magst Du das? Was magst Du?” “Ich mag alles, ich mag, was Du machst”, antwortet Hannah. Plötzlich zieht Adam heraus, das Kondom runter und kommt auf ihrem Arm. “Das war so gut”, sagt Hannah, “ich bin fast gekommen.” Wer bei dieser Szene lachen muss, weiß, worum es geht.“ (ze.tt)

Warum stagniert die Emanzipation der Frauen? Weil sie befürchten, die unvermeidliche Offenbarung der männlichen Unterlegenheit zu provozieren. Als Erzieherinnen, so ihre Angst, hätten sie versagt, weil ihre Söhne Kraftmeier spielen müssen, um ihre Unterlegenheit mit technischen Muckis und gewalttätigem Prahlen und Protzen zu kaschieren.

Die Frauen scheuen vor der Erkenntnis, sie könnten ihre Kinder falsch erzogen haben. Ihre Söhne erzogen sie zu He-Männern, die an den Vätern die Unterdrückung der Mütter rächen sollten. Vatermord der vereinigten Brüderhorde ist der Alptraum der Männer, die sich in ihren industriellen Kasernen verschanzen, um den heranwachsenden Feinden im Kinderzimmer nach Möglichkeit aus dem Weg zu gehen.

Ihre Töchter erzogen sie im Gestus der Maria & Martha. Maria lauschte stumm zu Füßen des an Sprüchen nicht verlegenen Mannes, der sich als populistischer Heilsbringer präsentierte. Martha „hingegen machte sich viel zu schaffen mit der Bedienung“ des großen Herrn. Lauschen und Bedienen – das sind noch immer die Hauptkategorien der weiblichen Unterwerfung.

Die Frau glaubt, den Männern ebenbürtig zu werden, wenn sie sich in

den Gelderfindungs-Palästen der Männer stumm unterwirft. Das Lauschen hat den Boden des heimischen Herdes verlassen und sich auf das Terrain des Fortschritts und Reichwerdens verlagert. Sie glauben, dem Manne gleich zu werden, wenn sie sich in dessen Herrschaftsbereich wortlos seinen Konkurrenzbedingungen unterwerfen.

Zu Naturzerstörung und Geldherrschaft hat der Feminismus nichts zu sagen. Gleichberechtigung ist für ihn kein politischer, sondern ein individueller Akt. Nun dürfen die Frauen gegeneinander antreten. Die einen erfüllen die Forderungen der Männer, indem sie selbst zu Männern werden; die anderen bleiben Heimchen am Herd. Im Teilen-und-Herrschen sind die Männer nicht zu schlagen.

Das koitale Motto des Bettes ist das Motto der kapitalistischen Wirklichkeit: „Ich mag alles, ich mag, was ihr macht.“ Ihre doppelte Belastung durch Kind und Beruf steckt die Frau in verborgenem Hochmut weg: ist sie doch überzeugt, stärker zu sein als die Herren der Schöpfung – die unter gleicher Belastung zusammenbrechen würden.

Im Akt der Unterwerfung fühlen Frauen sich genötigt, ihre Männer und Söhne nicht anders erziehen zu dürfen als durch weiblichen Masochismus. Indem sie sich schwächen, wollen sie die Männer stärken. Indem sie leidend, hörig und imitationsbereit sind, wollen sie stark und madonnenhaft sein –, was Heilsbringer ihnen seit Tausenden von Jahren einbläuen. Wenn sie durchs Tal der Tränen gegangen sind, werden auch sie auferstehen und den Sieg davon tragen. Wann? Am Sankt Nimmerleinstag.

Wahre Lust erzeugt Lust. Nur Lust, die Lust macht, ist wahre Lust. Wäre der Koitus ein echter und fairer Lust-Tausch, müssten beide Partner gleichwertige Lust erleben.

Die einseitige, überlegene Lust ist die Erfindung des Mannes. Unter der Herrschaft der Männer wurde Lust zum Tauschgeschäft – mit hierarchischen Lustunterschieden. Die Frau wird betrogen, weil sie sich betrügen lässt. Der Urtausch der Lust wurde zur Urtäuschung.

Ohnehin gibt es keinen Tausch, der quantitativ vollständig gleich sein könnte. Wenn Individuen unvergleichlich sind, können ihre Arbeitsprodukte und Leistungen nie vollständig vergleichbar sein. Quantitative Messungen sind zu grobschlächtig, um Qualitäten zu erfassen. Wer anfängt, nachzurechnen, zu messen und zu wiegen, hat den Akt des Vertrauens bereits beschädigt.

In vertrauensvollen Beziehungen wird nicht nachgemessen. Jeder gibt, was er kann, denn er weiß, dass er erhält, was der andere geben kann. Das ist das Urvertrauen der Nestbeziehungen. Kommt Tausch, kommt Misstrauen. Tausch kommt von Täuschen:

„Das neuhochdeutsche Verb tauschen geht zurück auf das mittelhochdeutsche tuschen in der Bedeutung von unwahr reden, lügnerisch versichern, anführen. Die heute allein übliche Bedeutung Waren oder dergleichen auswechseln, gegen etwas anderes geben hat sich im 15. Jahrhundert hieraus entwickelt.“

Adam rammelt mechanisch, indem er der Frau den Orgasmus und seinen kostbaren Zeugungssaft verweigert. „Er kommt auf ihrem Arm“ – woher das Wörtchen arm-selig stammen muss. Seine Fragen: magst du das, was magst du, sind lachhafte Scheinfragen. Denn im nicht mehr zu unterbrechenden, triebhaften Akt des Rein-raus-Spiels kann er auf die Wünsche seiner unterlegenen Partnerin nicht mehr eingehen. Weiß er nicht schon vor dem Akt, was frau will, wird er es während des determinierten Aktes nicht mehr herausfinden.

Ohnehin rechnet er mit der Duldstarre der Frau, die seine hengsthaften Penetrationskünste zu bewundern hat. Wehe, die Frau ist über seine Potenz nicht des Lobes voll. Dann muss sie fürchten, aus dem Kreis jener Frauen, „die gut sind im Bett“, ausgeschlossen zu werden. Was unterscheidet Adams Herrenakt von einer veritablen Vergewaltigung? Dass die Liebste in pflichtgemäßer Bewunderung alles über sich ergehen lässt.

Orgasm gap – orgastische Verzögerung. Früher tarnten sich die Deutschen mit griechischem und lateinischem Herrenvokabular. Heute muss es der amerikanische Weltgeist sein, mit dem sie hausieren gehen. Fehlt nur noch, dass sie gleichzeitig die Sprache der deutschen Dichter und Denker bewundern. Weisheit und Sexualität der Männer verhalten sich kongruent. Mit beiden will der Mann die Frau in Missionarsstellung beglücken. Es muss deutsche Leitkultur sein, wenn man sie notorisch gegen die amerikanische austauschen will. In weniger als 25 Jahren werden sie Goethe in Wallstreet-amerikanisch lesen.

Orgasm gap ist keine orgastische Verzögerung, sondern ein ritueller Betrug oder eine kulturelle Diffamierung. Die Frau wird zur Magd degradiert, einer Rolle, die die abendländische Religion ihr von Anfang an zugedacht hat. Lust – gibt es nicht in heiligen Hallen. „Enthaltet euch der fleischlichen Lüste. Fliehet die vergänglichen Lüste der Welt.“ Die Frau hat sich punktgleich dem Rhythmus des Mannes unterzuordnen. Kann sie das nicht und besteht störrisch auf asynchronischer Lust, muss sie sehen, wo sie bleibt.

Das genaue Äquivalent finden wir in der Zensurdiktatur der Schulen, vor allem in den Olympischen Spielen. Da kann ein Athlet die tollsten Kunststücke eingeübt und viele Male gezeigt haben: versagt er im Endkampf, hat er auf der ganzen Linie versagt. Man muss nicht nur gut sein, man muss auf den Punkt genau seinen Dressurakt abrufen können. Nicht die Lebensleistung eines Menschen zählt, sondern die im „heiligen Augenblick“ abrufbare.

Abrufen kommt vom Rufen des Herrn, der im Wesentlichen nur einmal ruft: im Kairos der Heilsgeschichte. Wahrheit zeigt sich, wenn der Herr der Zeiten sie zu offenbaren beliebt. Der Zeitdespotie des männlichen Gottes entspricht die des göttlichen Mannes. Er bestimmt, was in welcher Zeit angesagt ist. Entweder fügt sich die Frau dem heiligen Kairos oder sie guckt in die Röhre.

Es gilt, ein weit verbreitetes Missverständnis der Männerlobbyisten zu beseitigen. Nicht nur der Frau, auch dem Mann wird in hiesigen Gefilden die Lust versagt. Ejakulation ist nicht identisch mit Orgasmus. Viele Männer können ejakulieren, ohne sonderliche Lusterlebnisse zu empfinden. Es muss nicht die medizinisch beschreibbare Anorgasmie sein, unter der Männer leiden. Lust ist mehr als eine mechanische Spannungsreduktion, wie Freud die Libido definierte. Sie ist ozeanisches Verschmelzen mit dem Liebes-Objekt, das ein Liebes-Subjekt sein muss. Wer vom tantrischen Gefühl kosmischer Einswerdung nicht überflutet wird, bleibt anorgasmisch – und wenn er noch so potent wäre.

Die beliebige Austauschbarkeit der gegenwärtigen Sexualobjekte trägt nicht zur leibseelischen Orgasmusfähigkeit der Menschen bei. Der Sexualhunger der schier Unersättlichen ist nicht zuletzt das Ergebnis einer endemischen Lustunfähigkeit. Wer nie das Gefühl leistungsloser Ekstase, einer rauschhaften Heimkehr zur Mutter Natur erlebt hat, weiß nicht, was Lust ist.

Epikur, kein Lüstling, warnte vor jeder Lust, die man mit Unlustgefühlen bezahlen müsse. Wahre Lust kennt keine schalen oder bitteren Folgen. Lust ist ein lebenslanger erotischer Akt.

Wer das irdische Sein als Lazarett empfindet, kann kein lustvolles Leben führen. Das Jagen und Hetzen der kapitalistischen Mobilität, das Ausgebranntsein und die untergründige Dauer-Düsternis der Moderne ist sexualfeindlich und lusttötend. Lust ist nicht die Ausnahme, die die Regel der gesellschaftlichen Unlust widerlegte.

Der Kapitalismus, das ganze Leben in den Dienst des Malochens und Raffens stellend, ist das Lustfeindlichste, was die Menschheit je erfunden hat. Je unglücklicher sie werden, umso süchtiger gieren sie nach Lust, die sie wie alle käuflichen Dinge konsumieren müssen. Konsumieren heißt, das Objekt seines Begehrens vernichten.

Erst, wenn die Welt erotisch geworden wäre, wenn Lust und Glück sich nicht mehr bekämpfen müssten, wäre sie zur Heimat der Menschen geworden.

Für Freud besteht Kultur aus Triebverzicht. Wer nicht auf spontane und unzensierte Lust verzichtet, schafft keinen kulturellen Fortschritt. Wilde entsagen keiner Triebbefriedigung: auf eine progressive Kultur müssen sie verzichten. Wer Fortschritt und kulturelle Entwicklung gleichzeitig will, muss seinen Trieben die Befriedigung verweigern und sie in anerkannte Kultur-Leistungen umleiten.

Sublimieren heißt, sich ins Höhere entwickeln. Höher wohin? Kann die Menschheit sich höher fühlen, wenn sie immer mehr auf elementare Befriedigung verzichten muss? Keine Erfindung einer phänomenalen Maschine wird den Erfinder zum frohen Menschen machen, wenn er die Kunst des Glücklichseins systematisch verlernt hat.

Je mehr die Menschheit in übersättigter Lustlosigkeit voranschreitet, je weniger kann sie zum Augenblicke sagen: verweile doch, du bist so schön. Schon Faust war frühkapitalistisch verseucht, als er die Wette mit dem Teufel schloss, im Augenblick des wahren Glücks hätte er seine Wette verloren.

Das wachsende Unbehagen in der Kultur als Indiz einer aufsteigenden Entwicklung zu betrachten, verlockt die Menschheit in den Unfrieden eines trostloses Überflusses und einer glücklosen Machtanhäufung. Ist der Mensch zum allmächtigen Dompteur der Natur geworden, bricht er aus Glücks-Unfähigkeit in sich zusammen.

Faust:

Werd‘ ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen,
So sei es gleich um mich getan!
Kannst du mich schmeichelnd je belügen,
Daß ich mir selbst gefallen mag,
Kannst du mich mit Genuß betrügen,
Das sei für mich der letzte Tag!
Die Wette biet‘ ich!

Mephisto:
Topp!

Faust:
Und Schlag auf Schlag!
Werd‘ ich zum Augenblicke sagen:
Verweile doch! du bist so schön!
Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
Dann will ich gern zugrunde gehn!

Wer lernt in der Schule, dass faustisches Streben im absurden Streben nach dynamischer Glücklosigkeit besteht? Tun, Treiben, Machen, Schaffen, Zusammenraffen: das soll der Sinn des Lebens sein?

Wenn Reichtum und Macht sich an die Stelle des Glücks setzten, ist für das stille, in sich ruhende Paar Philemon und Baucis kein Platz mehr auf Erden. Dann müssen die Überflüssigen, die dem Raffen im Wege stehen, vom Erdboden vertilgt werden.

Bei Goethe kann kein Lebender glücklich werden, es sei, er unterwirft sich der Gnade einer Liebe von oben – Adam Smith würde von der unsichtbaren Hand sprechen. Der dezidierte Nichtchrist endete als Gnadenempfänger ohne Garantie. Wenn die Liebe von oben sich dem Suchenden erbarmt, kann er selig werden: den können wir erlösen.

Gerettet ist das edle Glied
Der Geisterwelt vom Bösen,
Wer immer strebend sich bemüht,
Den können wir erlösen.
Und hat an ihm die Liebe gar
Von oben teilgenommen,
Begegnet ihm die selige Schar
Mit herzlichem Willkommen.

Eine humane Utopie wäre eine lustfähige, sich ihres Lebens freuende Menschheit. Der Kapitalismus ist das ins Weltliche eingebrannte Glücksverbot einer Religion, die himmlische Freuden nur im Drüben zulässt. Entbehren sollt ihr, sollt entbehren. Das Sein in der Sorge, das Vorlaufen zum Tod. Der Todestrieb, der allen Lebenstrieben des Menschen entgegensteht. Wie viele Ideologien grauer Lustlosigkeit und düsterer Vergeblichkeit bestimmen das Leben der Moderne? Auch der amerikanische Optimismus war nur das „Prinzip Hoffnung“ eines Landes, das sich als abgesondertes Land Gottes seines messianischen Glückes sicher sein durfte. Der Rest der heidnischen Völker konnte zugrunde gehen.

Der herrschende Mann glaubt Lust zu haben, wie er alle materiellen Dinge hat, die er mit Geld erwerben kann. Doch wahre Lust kann man weder kaufen noch sich mechanisch verschaffen, schon gar nicht durch Degradierung der Frauen zu Lust-Objekten. Er kennt nur die schnell vorübergehende Reduktion körperlicher Unlustspannungen.

Wie er ejakuliert, so produziert er. Das Maß seiner körperlichen Ergüsse ist ihm unbewusstes Vorbild seiner endlosen materiellen Ergüsse. Die Frau ist ihm keine gleichwertige Glückspartnerin, der er in freudiger Erregung Lust bereiten wollte, um selbst Lust zu erleben.

Mitleiden kann das Leiden anderer mindern. Doch nur tätige Mitfreude befähigt die Menschen, das Leiden der Menschheit zu lindern, um ihre Glücksfähigkeiten zu entfalten. Platonische Zwangsbeglückungen sind ausgeschlossen. Jedes Volk kann sein politisches Glück, jeder Mensch sein persönliches Glück in eigener Regie entwickeln.

Es ist Lug und Trug einer rasenden Produktionsgesellschaft, dass das Glück der Individuen unendlich verschieden sei. Unendlich verschiedene Dinge müssten hergestellt werden, damit jeder auf seine Kosten komme.

So einmalig wir sind, so ähnlich und gleich sind wir in unsren Grundbedürfnissen. Wie uns eine allgemeine Vernunft verbindet, so eine grundsätzlich gleiche Glücksstruktur. Wessen Menschsein in Liebe und Zärtlichkeit anerkannt wird, wessen körperliche Grundbedürfnisse angstfrei befriedigt werden, der benötigt keinen unendlichen Strom an Dingen, um sich wie ein Fisch im Wasser zu fühlen. Der braucht weder grenzenlosen Fortschritt noch unendliches Wirtschaftswachstum. Glück und grenzenlose Quantitäten schließen sich aus. Maßloses aller Art ist der Feind jeglichen Glückes.

Wie kommt es, dass der Mann zur Be-Friedung seiner Frau unfähig ist? Weil er den Frieden der Bedürfnisse selbst nicht kennt. Sich für das Glück der Frauen einzusetzen, empfindet er als Verrat seines eigenen Geschlechts. Sein Einfühlungsvermögen bleibt stumm beim Weib, das am Unglück aller Menschen schuldig sein soll und von Gott mit ewiger Unterwerfung unter den Mann bestraft wurde.

„Ich will dir viel Beschwerden machen in deiner Schwangerschaft, mit Schmerzen sollst du Kinder gebären. Nach deinem Manne wirst du verlangen, er aber soll dein Herr sein.“

Die Rangfolge des Befriedigtwerdens ist von Gott festgelegt. Zuerst der Mann, dann der Mann. Die Frau soll sich im vergeblichen Verlangen nach dem Mann verzehren. Glück steht ihr nur zu, wenn der Mann sich ihrer erbarmt, wie Gott sich seiner Geschöpfe gnädig erbarmt. Liebende Fürsorglichkeit des Mannes um das Glück der Frau ist im Plan der Schöpfung nicht vorgesehen.

Kein Wunder, dass der gewöhnliche Mann in weiblicher Körper- und Seelenkunde ein Idiot ist.

„Der Orgasm Gap hat also nichts mit komplizierten Vaginen zu tun. Schuld daran ist vielmehr das, von dem wir glauben, dass es uns zusteht. Wer den Orgasmus auf jeden Fall bekommt und wer nicht. Und wer ihn einfordern darf und wer nicht. “Ich mag, was Du machst”, sagt Hannah. Und sagt dabei eigentlich nichts anderes als: Hauptsache, Du kommst. Denn wir haben gelernt, dass die männliche Lust wichtiger ist. Das zeigt sich schon daran, was wir überhaupt Sex nennen und bestätigt dabei klassische Gender-Stereotype. Alles, was mit Penetration durch einen Penis zu tun hat, nennen wir Sex. Aber die Dinge, die zuverlässiger dafür sorgen, dass auch Frauen kommen? Oralsex? Fingern? Das nennen wir gemeinhin Vorspiel oder Petting. Und werten so auch ab, was sich zwischen zwei Frauen sexuell abspielen kann.“

Die Frau ist dem Mann zu kompliziert: wie kann er ihre Seelen- und Vaginenabgründe erforschen? Er darf nicht neugierig sein auf die Quelle allen Übels, dem Weib nicht die Ehre erweisen, sie behutsam und sorgfältig zu erforschen. Vor allem nicht befragen. Sonst müsste er ja Weisungen entgegen nehmen. Das Weib muss geheimnisvoll bleiben, damit seine Unfähigkeit zur Empathie gerechtfertigt erscheine.

Wie Eliten die politischen Probleme für überkomplex erklären, auf dass der Große Lümmel sie nicht in einem Anfall von Größenwahn für lösbar hält, so muss das Weib irrational und unfassbar bleiben, damit das Versagen der Männer nicht ihnen selbst angerechnet wird. Was können sie dafür, dass Frauen launisch und unberechenbar sind?

Was will das Weib? Fragte der Seelenforscher, der dem Weib Neidgefühle gegen das beste Stück der Männer unterstellte, vom Gebärneid der Männer aber nichts wissen wollte. Gehst du zum Weibe, vergiss deine männliche Torheit nicht.

Einerseits will der Mann sich dumm stellen, um das Weib nicht verstehen zu müssen. Andererseits wollen männliche Eliten das Volk als weibliche Masse darstellen, um es nach Belieben manipulieren zu können. Für Gustave le Bon war die Masse wie ein irrationales Weib, das sich nach der unhörbaren Knute des Mannes sehnt. Leite und lenke mich, aber so, dass ich nichts bemerke, damit ich nicht störrisch aufbegehren muss.

Die führenden Klassen waren coole Männer. Die Masse „korrelierte in ihrer aufopfernden Reaktivität mit einer tradierten Vorstellung von Weiblichkeit.“ (Mark C. Miller im Nachwort zu „Propaganda“ von Edward Bernays).

Bernays, der Machiavelli der modernen Massenlenkung durch Propaganda, rühmt sich „der vorsätzlichen Verdrehung und heimlichen Verführung“. Gerade Demokratien bräuchten, so Bernays, die anonyme „Massenführung, damit der Souverän nicht zu unerwünschten Entscheidungen komme. Eine geschickte Lenkung solle die Herde in gewünschte Bahnen lenken.“

Ersetzt man Masse durch Weib und Manipulatoren durch männliche Eliten, beginnt man zu ahnen, mit welch arkanischen Künsten die oberen Klassen die unteren am Nasenring hinter sich herziehen. Das Unbewusste der Massen soll angesprochen werden, damit sie nicht bemerken, wie ahnungslos sie geführt werden. Für Freud war das Unbewusste das Land der Frauen, der Kinder und des dunklen Afrika. Weiber und Kinder müssen bewusstseinslos gelenkt und geleitet werden, damit sie ihr Geschick als Wille höherer Mächte akzeptieren.

Der einfache, gottgläubige Mann des christlichen Westens will sich mit der komplizierten Frau nicht länger herumschlagen. Also muss er sich unabhängig machen in allen Dingen der Triebbefriedigung und Zeugung von Nachwuchs – solange man menschlichen Nachwuchs noch benötigt. Eines Tages werden auch Kinder überflüssig sein. Intelligenzbestien aus Metall und Mathematik werden dann das Ruder der Erdregierung an sich reißen.

Eva, das Urweib, war an allen Übeln der Welt schuldig. Ihr erbsündiger Einfluss muss mit der Wurzel ausgerissen werden. Der Mann muss sich von ihr lösen, damit er auf ihre Dienste nicht mehr angewiesen ist. Eben dies war die weiberfeindliche Vision früher Kirchenväter:

„Der Abscheu der Christen vor der Sexualität nahm seinen Anfang bei den Kirchenvätern, die darauf beharrten, dass das Reich Gottes unmöglich errichtet werden könnte, ehe es der Menschheit gelänge, im Rahmen eines allumfassenden Zölibats auszusterben. Marcion verkündete, dass von nun an keine Fortpflanzung mehr stattfinden dürfe. Der heilige Hieronymus befahl: „Erachtet alles als Gift, was den Samen sinnlichen Vergnügens in sich birgt.“ Athanasius behauptete, die große Offenbarung, die Jesus gebracht habe, sei das Wissen um die rettende Gnade der Keuschheit. Tertullian erklärte, die Keuschheit sei der „Tauschwert, mit dem ein Mann Handel treibt und so zu einem riesigen Vermögen an Heiligkeit kommt“, wohingegen der Geschlechtsverkehr selbst die Ehe unzüchtig mache. Numenius von Apamea proklamierte, dass die Vereinigung der Seele mit Gott nur bei absoluter sexueller Abstinenz möglich sei. Augustinus formulierte den Grundsatz, dass die Lüsternheit die Wurzel der Erbsünde sei. Nicht einmal innerhalb der Ehe sei der Geschlechtsverkehr frei von Sünde. All diese Sinnenfeindlichkeit, identisch mit dem Hass gegen das weibliche Geschlecht, gründet in dem neutestamentlichen Wort:

»Habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist. Denn alles, was in der Welt ist, des Fleisches Lust und der Augen Lust und hoffärtiges Leben, ist nicht vom Vater.«“ (nach B. Walker)

Das männliche Geschlecht schickt sich an, den Befehl seines göttlichen Vaters zu erfüllen und das Problem des Weibes endgültig durch dessen Abschaffung zu lösen. Hatte der Schöpfer etwa ein weibliches Alter Ego benötigt, um seine Allmacht über Mensch und Natur zu vollstrecken?

 

Fortsetzung folgt.