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Europäische Idee LXIV

Hello, Freunde der europäischen Idee LXIV,

ab wann müssen wir uns schämen? Kollektiv als deutsche Nation schämen?

Zuerst knickte sie ein vor dem mächtigsten Mann der Welt. „Abhören unter Freunden? Geht gar nicht.“ Geht heute besser denn je. Weltweite Überwachung und Domestizierung der Menschheit – ja, und?

Dann knickte sie zweimal vor dem mächtigsten Mann Europas ein. Entschuldigte sich für ein satirisches Gedicht, verriet das freie Wort. Schwänzte die Abstimmung über den türkischen Völkermord an den Armeniern, verriet die Solidarität mit dem Parlament und die Pflicht zur weltweiten Kritik an Völkerverbrechen.

„Die Lichtgestalt“ – so bezeichnete sie ein bedeutender Literat Deutschlands, der mit der Illumination der Magd Gottes sein eigenes Lebenswerk retten will. Sollte er vergeblich Bücher um Bücher geschrieben haben? Das darf nicht sein. Die Lichtgestalt garantiert die Qualität seiner eigenen lebenslangen Arbeit um Deutschland. Deutschland muss das „Schöne und Wahre“ verkörpern, auch wenn es in verschärftem Tempo das Hässliche und Unwahre ansteuert.

Die Patriarchen des Aufbaus finden keine Worte zum Zustand der Republik, also verherrlichen sie die Mächtigen der Gegenwart, um am Ende ihres Lebens nicht nackt und bloß da zu stehen.

Es gab noch zwei weitere Lichtgestalten, die sich an der Schande beteiligten: eine GroKo der Schande.

Schande, ein schnell abgenütztes und verschlissenes Wort, bedeutet die denkbar weiteste, kaum erträgliche Kluft zur geltenden Moral.

Sind die Deutschen aber nicht gerade dabei, stolz auf ihr Land zu werden? Stolz worauf? Auf die demokratische Reife ihres Landes mit seiner schrecklichen Vergangenheit? Auf den Erfolg ihrer Ökonomie? Auf die moralische Qualität ihrer

Gesellschaft?

Wie kann man stolz sein auf moralische Verfassung, wenn man gar keinen Wert legt auf Moral?

Politik ist das Feld moralfreier Interessen – so denken die meisten unter den Mächtigen. Politik ist ein schmutzig Ding, bestätigen die Ohnmächtigen.

Die Logik des Marktes ist weitgehend von Moral unabhängig, zitierte – in BR-Alpha – der katholische Ökonom Emunds seinen berühmten Lehrer Nell-Breuning, den Vordenker aller papistischen Wirtschaftler.

Eine eigenständige Politik gibt es nicht, behaupten die Neoliberalen. Politik – das ist das Reich der Wirtschaft. Und ist es das nicht, kann es keine seriöse Politik sein.

Wirtschaft ist das Aufdecken von Naturgesetzen, die auf die Gesellschaft übertragen werden. Können Naturgesetze moralisch sein? Wer sie beherrschen will, muss sie akzeptieren, wie sie sind. Ein Don Quijote, wer unveränderliche Gesetze mit moralischen Spießen traktieren wollte.

Für die herrschende postmoderne Philosophie gibt es weder verbindliche Moral noch allgemeine Wahrheit – nur die alternativlose Unwiderlegbarkeit der Marktgesetze, die dem Matthäusprinzip folgen: wer hat, dem wird gegeben, wer nicht hat, dem wird noch genommen, was er hat.

Deutschen Herz-Jesu-Marxisten und Armutsanbetern ist das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden unbekannt. Nur bibelfeste Amerikaner kennen das göttliche Geheimnis ihrer Reichtümer. Hätte die Postmoderne recht (was ihrer eigenen Doktrin widerspräche, ein objektiv Wahres könne es nicht geben), wer wollte sich über Mangel an Moral und Wahrheit beunruhigen?

Auch die Linken, sofern sie versprengte Ex-Marxisten sind, kennen keine Moral – außer der, die sich durch wundersamen Fortgang der Geschichte im Reich der Freiheit automatisch herstellen wird.

Wer sich selbst und andere kennt,

Wird auch hier erkennen:

Rechts und Links,

Kapitalismus und Sozialismus

Sind nicht mehr zu trennen.

Das Fernbleiben von Merkel, Gabriel und Steinmeier zeuge von wenig Mut, tadelte Gysi im Bundestag ungewohnt dezent. Hätte er nicht grobschlächtig sagen müssen: die Abwesenheit zeuge von schandhafter Feigheit? Hatte nicht der ganze Bundestag aus kollektiven Feigheitsgründen die Abstimmung jahrelang vor sich her geschoben? Nun, an einem delikaten Punkt der Außenpolitik, mussten die Vertreter des Volkes ihre Prokrastination-aus-Mangel-an-wehrhafter-Demokratie büßen.

Der Pascha Europas schlug sich krachend auf die Oberschenkel. Welch Triumph über die armselige Realität deutscher Demokratie- und Menschenrechtsschwätzer. Prompt verschickte seine deutsche Klientel haufenweise anonyme Morddrohungen an die Parlamentarier. Klug und weise sei die Entscheidung der Kanzlerin, hieß es hingegen in einem ARD-Kommentar. Zuerst auf den Putz hauen – und sich dann leise weinend in die Büsche schlagen. Anne Wills nächste Audienz mit der Lichtgestalt ist gesichert.

Erkennen die einen keinen Platz für Moral in der Gesellschaft, ist Deutschland für andere zum Land der Moral geworden. Heißt Deutschland auf Chinesisch nicht „das Land der Moral“? Können Ex-Maoisten in Sachen Moral irren? Für CSU-Gauweiler ist Deutschland zum Land der perfekten Moral geworden.

„Deutschland, Tugendland, eine Sache um ihrer selbst willen tun. Das ist von Richard Wagner und kerndeutsch“, schwelgt Gauweiler in einem Jargon, der von AfD und Pegida kaum übertroffen werden kann. (BILD.de)

Gauweiler hätte auch Wagners glühendsten Fan erwähnen können, der das Kerndeutsche zum Markenzeichen seiner Völkerverbrechen erklärte. Warum so schüchtern, du kerniger Bayer? Bei Wagner, von dem das Zitat stammt, können wir lesen:

„Sämtliche europäische Völker ließen die unermeßlichen Vorteile unerkannt, welche eine dem bürgerlichen Unternehmungsgeiste der neueren Zeit entsprechende Ordnung des Verhältnisses der Arbeit zum Kapital für die allgemeine Nationalökonomie haben mußte: die Juden bemächtigten sich dieser Vorteile, und am verhinderten und verkommenden Nationalwohlstande nährt der jüdische Bankier seinen enormen Vermögensstand. Liebenswürdig und schön ist der Fehler des Deutschen, welcher die Innigkeit und Reinheit seiner Anschauungen und Empfindungen zu keinem eigentlichen Vorteil, namentlich für sein öffentliches und Staatsleben auszubeuten wußte. Es ist, als ob sich der Jude verwunderte, warum hier so viel Geist und Genie zu nichts anderem diente, als Erfolglosigkeit und Armut einzubringen. Er konnte es nicht begreifen, daß, wenn der Franzose für die Glorie, der Italiener für den Denaro arbeitete, der Deutsche dies »pour le roi de Prusse« tat. Der Jude korrigierte dieses Ungeschick der Deutschen, indem er die deutsche Geistesarbeit in seine Hand nahm; und so sehen wir heute ein widerwärtiges Zerrbild des deutschen Geistes dem deutschen Volke als sein vermeintliches Spiegelbild vorgehalten. Es ist zu fürchten, daß das Volk mit der Zeit sich wirklich selbst in diesem Spiegelbild zu ersehen glaubt: dann wäre eine der schönsten Anlagen des menschlichen Geschlechtes vielleicht für immer ertötet. Mit der Religion nimmt der Deutsche es ernst: die Sittenverderbnis der römischen Kurie und ihr demoralisierender Einfluß auf den Klerus verdrießt ihn tief. Unter Religionsfreiheit versteht er nichts anderes als das Recht, mit dem Heiligsten es ernst und redlich meinen zu dürfen. Die »Demokratie« ist in Deutschland ein durchaus übersetztes Wesen. Sie existiert nur in der »Presse«, und was diese deutsche Presse ist, darüber muß man sich eben klar werden. Das Widerwärtige ist nun aber, daß dem verkannten und verletzten deutschen Volksgeiste diese übersetzte französisch-jüdisch-deutsche Demokratie wirklich Anhalt, Vorwand und eine täuschende Umkleidung entnehmen konnte. Um Anhang im Volke zu haben, gebärdete sich die »Demokratie« deutsch und »Deutschtum«, »deutscher Geist«, »deutsche Redlichkeit«, »deutsche Freiheit«, »deutsche Sittlichkeit« wurden nun Schlagwörter, die niemanden mehr anwidern konnten als den, der wirkliche deutsche Bildung in sich hatte, und nun mit Trauer der sonderbaren Komödie zusehen mußte, wie Agitatoren aus einem nichtdeutschen Volksstamme für ihn plädierten, ohne den Verteidigten auch nur zu Worte kommen zu lassen.“ (Richard Wagner, Was ist deutsch?)

Demokratie wird überschätzt: goldene Worte für heutige Eliten, die Volksfreunde sein wollen, indem sie das Volk für dumm oder bestialisch verkaufen.

Vor den Weltkriegen war Demokratie eine westlich-jüdische Erfindung, nichts für Kerndeutsche, die ihre Priester und Fürsten ins Herz geschlossen hatten. Heute ist Demokratie – oh Wunder – zu einer Gnadengabe Gottes erblüht. Oh, Wahrheit ist eine Funktion der Zeit. Morgen wird Demokratie wieder die Erfindung realitätsuntüchtiger Wolkengucker sein.

Was ist kerndeutsch? Diskret verweist der CSU-Grande in die Richtung jener bayrischen Stadt, in der das deutsche Gesamtkunstwerk zuerst in berauschenden Tönen erklang, damit es angemessen in Kanonendonner und Schmerzensschreie übersetzt werden konnte. Ein Deutscher betreibt seine Kultur des Todes um ihrer selbst willen.

Ein Land, das keine Moral kennt – oder zum Land der Moral geworden ist –, hat das Stadium der Schande hinter sich gebracht. Es ist garantiert schand- und schamfrei geworden – sofern Scham die zartfühlende Reaktion auf Schande sein soll.

Das schandfreie Land der objektiven Interessen igelt sich ein. Nicht nur die Flüchtlingspolitik wird, nach einem Augenblick erleuchteter Barmherzigkeit, zur Dauerexklusion mit Massengrab im mare nostrum. Diktaturen werden zu sicheren Ländern erklärt, Despoten bestochen, damit sie ihre Fluchtwilligen mit eisernen Besen am Fliehen hindern. Die Türkei ist keineswegs das gelobte Land der Flüchtlinge, wie die Kanzlerin trickst und täuscht, indem sie sich in Vorzeigelagern zwischen fröhlichen Kindern zeigt. Viele Flüchtlinge müssen selber zusehen, wie sie im Land über die Runden kommen:

„Laut dem Amnesty-Bericht ist die Türkei mit dem Zustrom von mehr als drei Millionen Asylbewerbern und Flüchtlingen überfordert. Dies habe zur Folge, dass Asylbewerber teilweise mehrere Jahre auf die Bearbeitung ihrer Anträge warten müssten. Währenddessen erhielten sie so gut wie keine Unterstützung durch den Staat und müssten selbst für Unterkunft und Versorgung aufkommen, kritisierte Amnesty.“ (ZEIT.de)

Merkel ist das inkorporierte gute Gewissen. Die calmierende Wirkung der schamfreien Pastorentochter lieben die Deutschen, die ihren Wohlstand wie auf einer seligen Insel genießen. Was rings um sie her bei europäischen Freunden geschieht, nehmen sie nicht mehr zur Kenntnis. Kaum ein Ausländer in deutschen Gesprächsrunden, kaum Berichte über französische Streiks, polnische und ungarische Befindlichkeiten. Nicht mal der drohende Brexit haut irgendjemanden aus den Latschen. Über die deutsche Ignoranz an der französischen Empörungswelle schreibt der französische Philosoph Guillaume Paoli in der TAZ:

„Nun drängen sich einige Fragen auf: Wo bleiben die empörten Reaktionen aus Deutschland? Warum wird nicht vor der französischen Botschaft protestiert? Ist nicht die Bundesregierung verpflichtet, die Einhaltung der Menschenrechte in EU-Mitgliedsstaaten zu prüfen? Im Netz sind Szenen der Polizeigewalt dokumentiert, die man sonst aus Moskau oder Istanbul kennt. Sie sorgen zu Recht für Entrüstung. Aber warum nicht, wenn sie aus Paris oder Nantes stammen?“ (TAZ.de)

Dass auch junge Amerikaner immer mehr den Kapitalismus zum Teufel wünschen – kein Thema in deutschen Gazetten, die lieber über Futurisches und Unsterbliches in Silicon Valley berichten oder darüber, welche Bücher Riesendenker Bill Gates seiner weltweiten Sekte ans Herz legt.

„In einer Umfrage der Harvard University gaben 51 Prozent der befragten Jungwähler an, den Kapitalismus abzulehnen, nur 42 Prozent heißen ihn gut. Fast die Hälfte sagt hingegen, dass sie ein sozialistisches System zumindest in Teilen befürwortet. Sie sehen eine gesundheitliche Grundversorgung, ausreichend Essen und ein Heim als ein Grundrecht, für das im Notfall die Regierung aufkommen solle. Kurz gesagt: Die 80 Millionen Millennials – die bevölkerungsstärkste Generation in der Geschichte des Landes – lehnen den ökonomischen Status quo ab.“ (ZEIT.de)

Überall in der Welt brodelt es in den Völkern, die keineswegs politisch apathisch sind, wie es hierzulande – warum wohl? – der Öffentlichkeit infiltriert wird.

Die weltweiten Eliten wollen nationale Konkurrenz zum Erbrechen, Abschotten und Einigeln des zusammengerafften Reichtums. Die Völker haben den Bluff längst durchschaut. Nicht mehr lange, ihr Briefkasten-Tycoons, und die Wanderratten werden über euch kommen und eure Briefkästen leeren:

O wehe! wir sind verloren,
Sie sind schon vor den Toren!
Der Bürgermeister und Senat,
Sie schütteln die Köpfe, und keiner weiß Rat.
Die Bürgerschaft greift zu den Waffen,
Die Glocken läuten die Pfaffen.
Gefährdet ist das Palladium
Des sittlichen Staats, das Eigentum.

Würde man eine Schandliste Deutschlands anlegen, sie würde von Tag zu Tag endloser. Die spontane Hilfs- und Willkommenswelle war ein unverhofftes wunderbares Ereignis. Doch sie verharrte auf dem untergründigen Erweckungsniveau bloßer Barmherzigkeit, ohne nennenswerte politische Folgen zu zeitigen. Die HelferInnen ließen es zu, dass die listige Magd Gottes nachträglich auf ihren Wagen aufsprang und ihnen die Show stahl. Hinfort stand die Lichtgestalt im Mittelpunkt der politischen Bühne. Vom hilfreichen „Volk“ ist heute keine Rede mehr.

Die Medien gönnen den Gutmenschen ihre eigene Propagandawirkung nicht. „Was versprechen Sie sich von Ihrem Engagement? Ist das nicht zu idealistisch gedacht?“ – zwei stereotype Fragen aus dem Interview-Repertoire medialer Misanthropen.

Die Hilfswelle war wie die Eruption eines lang unterdrückten Kontaktbedürfnisses mit der ungeschmälerten humanen Wirklichkeit und nicht nur mit konkurrierenden Malochern und Jongleuren von Wirtschaftszahlen. Doch es zeigte sich, dass der emotionale Untergrund der Deutschen, der wie eine Fontäne nach oben schoss, noch immer nicht politisch, sondern religiös geprägt ist. In ihren seelischen Ablagerungen findet sich keine stabile Schicht, die das Tun und Lassen der Nachromantiker politisch verlässlich prägen könnte.

Was fehlt? Die Ausbildung des angstfreien, unabhängigen Selbstdenkens. Instinktiv wollen sie sich noch immer anlehnen. An Stellvertretern des Himmels, der Obrigkeit oder sonstigen Autoritäten.

Jüngstes Beispiel ist die Neuherausgabe von Hitlers Mein Kampf mit einem grotesk voluminösen cordon sanitaire diverser Gelehrter. Fast 100 Jahre nach Erscheinen des Originals halten die Oberen ihre Untertanen noch immer nicht für fähig, das Buch eines Völkerbrechers mit eigenen Augen zu lesen, zu verstehen und zu beurteilen. Das soll der Beweis einer durchgearbeiteten und verstandenen Vergangenheit sein? Das ist kein Skandal, sondern eine absolute Schande!

Offenbar trauen die Eliten ihrem Souverän noch immer nicht zu, ein „schlecht geschriebenes“ Hetzbuch gegen Juden richtig einzuordnen. Nach diesem Misstrauensakt der exorbitantesten Art seit Gründungsakt der BRD sollten die Verantwortlichen der Republik sich nicht wundern, dass ihre Schutzbefohlenen sich aus Trotz so verhalten, wie man es ihnen unterstellt: fremdenfeindlich und immer fremdenfeindlicher. Wie man in den Wald hineinruft.

Noch schlimmer: die öffentliche Entmündigung geschah coram publico ohne den geringsten Protest der Medien. Dass die Bürger nicht aufmuckten, hätte in den oberen Etagen für helle Aufregung sorgen müssen. Doch das Selberdenken gehört nicht zur Grundausstattung eines fleißigen und disziplinierten Deutschen.

Ist das Ganze auch Wahnsinn, so hat es doch Methode in einem Land der Schriftdeuter und Bibelhermeneutiker, wo dem Laien atmosphärisch verboten ist, das Buch der Bücher mit eigenem Kopf zu lesen. Ständige Neu-Übersetzungen sorgen dafür, dass durch willkürlich deutendes Übersetzen der totalitäre Charakter des Erlösungswortes immer mehr eingedampft und unkenntlich gemacht wird.

Wie ein Volk mit seinem Heiligen verfährt, so verfährt es mit seinem Profanen. Nun soll auch noch in allen Schulen muslimischer Religionsunterricht erteilt werden. So richtig es ist, dass alle Religionen gleich behandelt werden, so falsch und brandgefährlich ist, die Gleichberechtigung auf dem „Scharia-Niveau“ bevorzugter Kirchen anzusiedeln, die sich anmaßen, über dem Gesetz zu stehen. Anstatt alle Religionen konsequent zu privatisieren und ihnen alle übergesetzliche Privilegien zu beschneiden. Der christliche Religionsunterricht ist kein zum kritischen Denken anregender Unterricht, sondern eine flächendeckende Missionierung leicht prägsamer kindlicher Seelen.

Welch ein Skandal, dass ein brillanter Koran-Gelehrter wie Bassam Tibi sich genötigt fühlt, das Handtuch zu werfen mit dem Satz: Ich kapituliere. Er sieht keine Möglichkeit mehr, seinen demokratisch kompatiblen Reform-Islam in Deutschland zu verbreiten. (Juni-Heft des Cicero)

Die Macht jener Fundamentalisten und leichtsinnigen Schwärmer hat überhand genommen, die entweder keinen Pfifferling auf Lessing‘sche Toleranz legen oder aber jede Erlöserreligion zur reinen Liebe erklären, der man ohnehin keine Fesseln anlegen müsse.

Der objektive Urtext wird zur fungiblen Masse beliebig verfälschbarer Worte und Sätze. Deuten heißt für sie nach Herzenslust die Texte biegen und dem jeweiligen Zeitgeist anpassen. Sie wollen kritisieren, ohne Kritik zu üben, wollen ändern, indem sie alles unverändert lassen, wollen humanisieren, ohne den inhumanen Kern ihrer Offenbarungen kenntlich zu machen.

Die Religionen unterstützen sich gegenseitig, um ihre eigenen Privilegien zu verteidigen. Ihr Ziel ist es, eines fernen Tages so mächtig zu werden, dass sie auch die ungeliebten Konkurrenten erledigen können: allein durch Jesus, allein durch Mohammed, allein durch Jahwe.

Deutschlands Chancen, durch Bewusstwerden seiner täglich wachsenden Schande zur Selbstbesinnung zu kommen und sich an Händen und Füßen zu reformieren, schwindet in dem Maße, wie das Land Moral und Wahrheit verleugnet. Nur das Bewusstsein der eigenen Schande, das seine Irrtümer wahrnimmt und revidiert, könnte zur tiefgreifenden Änderung der Nation führen. Noch vertrauen die Untertanen der tröstlichen Botschaft ihrer Kanzlerin:

Seid getrost: wer an mich glaubt, der wird nicht zu-schanden werden.

 

Fortsetzung folgt.