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Europäische Idee LXIII

Hello, Freunde der europäischen Idee LXIII,

die Nebelbildungen und Unübersichtlichkeiten verschwinden, wir nähern uns dem Status des reinen, obszönen Immoralismus.

Die abendländischen Werte gottebenbildlicher Moralfeindschaft müssen nicht länger getarnt werden mit humanen Anwandlungen und bedauerlichen moralischen Schwächen. Die demokratie-nachlernenden Täter haben genug von der Demokratie und wenden sich zurück zum offenen Hauen und Stechen ihrer Vorkriegs- und Herrenjahre, angeregt durch ihre Sieger und Befreier, die sich immer mehr zu ihrem biblischen Antinomismus bekennen.

Amerika wirft seine demokratischen Eierschalen weg und ermuntert seine Musterschüler in Europa zur geflissentlichen Nachahmung. Das lassen sich die Deutschen nicht zweimal sagen. Hinter der moralfreien Botschaft ihrer Vorbilder erkennen sie entzückt das deutsche Vorbild ihres jahrhundertelangen Kampfes gegen alle Moral der Schwachen und Verlierer.

Was hochgestochen als Nietzsche daherkam, heißt in Amerika Trump und lässt ohne den geringsten Anhauch einer gottverdammten Bildung den Superman-Trümpel heraus. Superman ist die amerikanische Übersetzung von Übermensch.

Die Amerikaner haben die Schnauze voll von der Rolle der vorbildlichen Demokraten, die Deutschen von der Rolle der ewig nachsitzenden, vergangenheitsbewältigenden, büßenden, bereuenden und alles bessermachenden Ex-Täternation.

Jetzt erst kommt die Zeit der herzlichen Verbindung zwischen dem alten und neuen Kontinent. Deutschland hat die Chance, die special relationship der abdriftenden Brexit-Insulaner zu übernehmen und die europäische Nummer Eins für Neukanaan zu werden. Merkel scharrt schon mit den Hufen. Deutschland muss eine

wirtschaftliche Musterbraut bleiben, um dem Bräutigam aus Silicon Valley die schönsten Augen zu machen.

Mit TTIP soll die feierliche Entjungferung gefeiert werden. Treueschwüre für den hieros gamos, die Heilige Hochzeit, zwischen Genie und Wahnsinn, fordert Junker, Chef aller Europäer.

Aus der globalisierten freien Wirtschaft zwischen allen Ländern wurde ein Bündnis der Supermänner, um die Underdogs effektiver auszuschalten und auszubluten. Grenzen müssen gezogen, Mauern in aller Welt errichtet werden, damit die Erwählten unter sich bleiben und die Verworfenen aus den Blättern der Geschichte geworfen werden.

It‘s time to go – für alle klimageschädigten, flüchtlingsproduzierenden Armenhäuser und Elendsnationen einer Welt, die endzeitlich Remedur machen muss. Das Fazit der Geschichte muss gezogen werden. Die Fleißigen und Tüchtigen auf der richtigen Seite der Heilsgeschichte müssen zusammenhalten, damit sich die Loser der Evolution nicht dreist unter sie mischen.

Zeigt her eure Füßchen, zeigt her eure Schuh
und sehet den fleißigen Amerikanern zu!
Sie waschen, sie waschen,
und maloch’n den ganzen Tag,
sie wörken, sie wörken
und zocken den ganzen Tag.

Zeigt her eure Füßchen, zeigt her eure Schuh
und sehet den fleißigen Europäern zu!
Sie wringen, sie wringen,
sie schuften den ganzen Tag,
sie rotieren und quälen sich,
sie hetzen den ganzen Tag.

Der nackte, obszöne Immoralismus ist die Ausarbeitung des theologischen Antinomismus. Antinomismus ist die Lehre von Gott, der anderen moralische Befehle erteilt – nicht, um sie zu bessern, sondern um sie als autonome Wesen zu erledigen. Für Ihn gelten diese Befehle nicht. ER, Mann der Männer, schwebt frei über allen Regeln der Vernunft und Gesetzen der Natur – die er als lächerliche Erfindungen des Weibes vernichten muss.

Ich, der ich das Heil wirke und das Unheil schaffe.

Geschieht ein Böses in der Stadt und der Herr hätte es nicht bewirkt?

Moral in Europa und Amerika galt nur für Frauen und Kinder. Frauen sollten treu sein und nicht die Ehe brechen, Kinder vor dem Essen die Hände waschen, die lieben Eltern nicht anlügen und die Zehn Gebote auswendig können. Das Reich der Männer war frei von solchen Lächerlichkeiten. Sie mussten die Welt erobern, reich und mächtig werden – auch wenn sie über Leichen gingen.

Jede Rückkehr der Religion ist Wiedererstarkung der phallischen Omnipotenz. Kinder und Mütter werden nicht mehr benötigt. Die wahren Kinder der Supermänner sind treue Maschinen, die auf Knopfdruck gehorchen und nicht mehr widersprechen. Windeln wechseln muss man bei ihnen eher selten.

Kinder aus Fleisch und Blut werden arm und immer ärmer. Kinderlose Paare, die beide dem Markt-Moloch zu Verfügung stehen, werden von SPD-Nahles bevorzugt. Moral ist für Doofe und Kleine. Wer auf sich hält, verfolgt seine Interessen, die jenseits von Gut und Böse sind.

Unter theologischen Gesichtspunkten ist Merkels Politik perfekt antinomisch; in weltlicher Terminologie könnte man von Machiavellismus sprechen. Machiavelli bezog sich auf den Heiden Thukydides, er hätte sich genau so gut auf diverse Kirchenväter berufen können.

„Tu, was du willst. Der vollkommene Weise kann nichts Böses tun, weil er Gott ist, Gott aber nicht in der Lage ist zu sündigen. Zahlreiche Sekten des Mittelalters übernahmen den antinomischen Weg der Erlösung und glaubten sich eins mit dem Heiligen Geist. Sie lehrten, dass sie keinerlei Sünden mehr begehen konnten. Sexuelle Promiskuität beispielsweise war für sie nichts anderes als natürliches Umarmen Gottes. Es reicht aus, den Geist zu Gott zu erheben und dann ist keine Handlung sündig, was es auch sein mag.“ (B. Walker)

Bevor die Aufklärung die strikte und eindeutige Moral der Griechen propagierte, war niemand im christlichen Abendland an ethischer Präzision und moralischer Gestaltung des menschlichen Geschicks interessiert. Paradoxerweise waren es Gedanken der Aufklärung, die die Kirchen nach dem Zweiten Weltkrieg – auf die Idee brachten, mit Moral zu brillieren. Zuvor hatten sie autonome Humanität in Bausch und Bogen abgelehnt. Seid untertan der Obrigkeit und tut, was immer sie sagt, eine Obrigkeit ohne Gott gibt es nicht.

Erst mit dem Aufschwung des Demokratischen erkannten die Priester aller Couleur die Dringlichkeit, sich mit den Menschenrechten der Völkergemeinschaft kompatibel zu zeigen. Nun geschah, was immer geschieht, wenn es den Kirchen nicht gelingt, etwas Verhasstes zu widerlegen oder auszurotten. Sie setzen sich an die Spitze der feindlichen Bewegung – um den Eindruck zu erwecken, schon immer deren Avantgarde gewesen zu sein. Das geschah mit der Ökobewegung, der Erfindung der Demokratie und der Menschenrechte.

Des Menschen Gottesebenbildlichkeit musste für alles herhalten. Sie begründete die Gleichheit der Menschen. Vor Gott sind alle Menschen gleich: das sollte die Übersetzung von Römer 2, 11 sein: denn bei Gott ist kein Ansehen der Person. Vor Gott sind alle Menschen gleich – wertlos, nur Gottes unergründliche Wahl schafft Erwählte und Verworfene.

Schöpfung bewahren wurde zum Urwort der deutschen Ökobewegung. Wie kann man die Schöpfung bewahren, wenn der Schöpfer sie selbst zum Untergang verurteilt?

Das Liebesgebot wurde zum Gipfel des selbstaufopfernden Altruismus, obgleich man den Nächsten nicht mehr als sich selbst lieben soll. Die Goldene Regel ist keinem Volk unbekannt.

Die Seligpreisungen der Bergpredigt wurden zum Nonplusultra aller menschlichen Ethik, obgleich die Gläubigen mit ewiger Seligkeit bestochen und belohnt werden, und den Preisungen die Verfluchungen und Weherufe des Herrn entgegenstehen. Haltet meine Gebote und ihr werdet die Herren der neuen Welt.

Moral wurde von der Kirche als exquisite PR-Strategie miißbraucht. Sie selbst brachte das Kunststück fertig, nicht mal selbst die geforderte Moral in Taten beweisen zu müssen. Sie darf sich mit symbolischen Duftmarken begnügen: sie setzt Zeichen.

Die christliche Menschheit ist so autoritätssüchtig, dass sie sich mit billigen Zeichen abspeisen lässt. Moral hat für die Kirchen nur einen Werbezweck – nach außen. Für ihre Gläubigen steht ohnehin fest, dass sie die Gebote nicht einhalten können. Aber auch nicht einhalten müssen, denn ohne Schulderlass und Gnadenwirkungen der Popen wären die Kirchen aufgeschmissen. Wären die Frommen tatsächlich in der Lage, moralisch zu sein, wäre die Kirche als Gnadenanstalt überflüssig. Das wäre Blasphemie.

Durch seine Wiedergeburt lebt der Jünger nach wie vor in Sünde – und ist dennoch frei von aller Schuld. Dank der permanenten Entschuldung durch Gott und seine Stellvertreter. Simul justus et peccator, zugleich sündig und gerecht, brachte es Luther auf die zackige Formel.

Nicht nur, dass Gläubige ohne ständiges Schuldigwerden gar nicht leben können, sie sollen es auch nicht. Ja, sie sollen schuldig werden, damit sie dem Herrn die Gelegenheit geben, sich als Heiland und Erlöser zu bewähren. Das Böse wird zum Stimulans des Guten.

Gleiches durch Ungleiches oder: das ist das dialektische Grundgesetz der Moderne. Dialektik ist Entwicklung durch Widersprüche. Auch der Dialog ist eine – rationale – Variante der Dialektik. Widersprüche sollen in einem Streitgespräch durch Argumentieren friedlich beigelegt werden.

Es ist die Fähigkeit der Menschen, die es ihnen gestattet, ihre Probleme aus eigener Kraft zu lösen. Nicht so in der göttlichen Dialektik, wo Gottes unsichtbare Hand allein die unauflöslichen Spannungen und Konflikte der Menschen zur Auflösung bringt.

Im Dialog gelten die Regeln der Logik, mit denen die Ungereimtheiten der Disputanten aufgedeckt werden sollen. In Gottes Dialektik gilt allein der Ukas des Zaren: wenn Gott – oder seine Stellvertreter Hegel und Marx – den Widerspruch für beendet erklären, ist er auch beendet. Der totalitäre Leninismus war sehr wohl die Folge der totalitären Problemlösung seines Gründervaters. Die Partei hat immer recht, weil der Gott der Heilsgeschichte immer recht hatte.

Schuld wird zur seligen Schuld, zur felix culpa, weil Böses Gutes hervorbringt. Das Böse wird zum Geburtshelfer des modernen Fortschritts. Ohne amoralisches Handeln keine exorbitante Zukunft. Mephisto wird zum unersetzlichen Knecht des Faust, der ohne ihn eine Null wäre.

Diese Botschaft ist der Kern aller modernen Ideologien vom Fortschrittswahn bis zum Neoliberalismus. Viele Menschen müssen untergepflügt werden, damit ein kleiner Rest der Auserwählten unglaublich reich, mächtig – und unsterblich werden kann.

Das Grenzenlose ist das Ziel der Menschen, das nur von wenigen erreicht werden kann. „Der Himmel ist nicht die Grenze. Er ist erst der Anfang. Fliegt los!“, so können nur Amerikaner reden, die ihren Kirchenglauben in Wirtschaft und Technik umsetzen müssen.

Allmählich dringt der amerikanische Unbegrenztheitsglaube auch in Deutschland ein. Und Merkel ist seine Prophetin. Obergrenzen gibt es nicht in Sachen politischer Moral. Nachsatz: in der Praxis gilt natürlich das Gegenteil, inzwischen müssen die Flüchtlinge in toto außen vor bleiben. Versuchen sie dennoch, die Mauern – oder das große Wasser – zu überwinden, tja, dann sind sie selbst für die Folgen ihres Tuns verantwortlich.

Innenminister de Maiziere schafft es, Grenzenlosigkeit und Grenzen in einem Satz widerspruchsfrei zusammen zu fassen. Seiner lutherischen Chefin sind Widersprüche ohnehin nur irdischer Tand. Die Übersetzung des amerikanischen Satzes lautet bei ihr: wir schaffen das. Und wehe, wenn wir es nicht schaffen, dann ist das nicht mehr mein Volk.

Nur Übermenschen, Götter und Engel kennen keine Grenzen. Deutschland ist zurückgekehrt zu Nietzsches Glorifizierung seiner Landsleute zu Herren- und Übermenschen.

Vernunft ist die Einsicht des Menschen, seine Grenzen zu erkunden und die erkannten Grenzen zu akzeptieren.

Wille ist die Phantasmagorie des Menschen, alle Grenzen zu ignorieren und grenzenlos mächtig zu werden. Silicon Valley ist der Traum des grenzenlosen Willens der Amerikaner.

Alt- und Neueuropa finden zueinander durch die gemeinsame Vorstellung eines unbegrenzten Willens. Je mehr die Welt in ihren Problemen erstickt, je mehr fliehen die Christen ins Reich der Träume eines allmächtigen Willens. Sie faseln vom Himmel, von Sternen, vom Weltraum, weil sie mit den kleinen Problemen auf Erden nicht fertig werden.

Das Böse, dieser Satz steht fest, ist stets das Gute, das man mit seiner Hilfe entbindet und fördert. Der Teufel wird zum Mäeut des Reinen und Guten; Mephisto zum Motor der faustischen Entwicklung. Die Ursünde, der Sündenfall, war kein Malheur, er war der absolute Glücksfall des Menschen, ohne den er niemals zum Bewusstsein seiner selbst gekommen wäre. Hegel preist den Sündenfall als Voraussetzung aller menschlichen Entwicklung:

„Das Erkennen als Aufhebung der natürlichen Einheit ist der Sündenfall. Der Zustand der Unschuld, dieser paradiesische Zustand, ist der tierische. Das Paradies ist ein Park, wo nur die Tiere und nicht die Menschen bleiben können. Denn das Tier ist mit Gott eins, aber nur an sich. Nur der Mensch ist Geist, d.h. für sich selbst. Der Sündenfall ist daher der ewige Mythus des Menschen, wodurch er eben Mensch wird.“

Die Erklärung des Sündenfalls ist zugleich die Deutung des Gleichnisses vom Verlorenen Sohn. Nur wer sich vom Vater losreißt – um in Buße und Reue zurückzukehren –, wird vom Vater gepriesen und gefeiert. Der zu Hause gebliebene Sohn hat seine Identität durch Trennung nie gewagt, er bleibt in der zweiten Reihe. Das ist der Triumph der sich losreißenden deutschen Söhne, dass sie durch Sünd und Schand zu sich kommen, um vom Vater anerkannt zu werden.

Das bisschen Losreißen ist die Aufklärung, in der sie Gott zur Minna machen – um am Ende mit gebrochenem Rückgrat alles in Sack und Asche zu bereuen, die Aufklärung über sich selbst aufzuklären (also zu widerrufen), um bei Vatern unterzuschlüpfen.

Das ist die Stereotypie der deutschen Biografie: in der Jugend die große Sause machen, alles Heilige über den Haufen werfen, um im Erwachsenenalter wieder zur „Vernunft“ zu kommen, also bedingungslos die deutschen Autoritäten und Traditionen zu rehabliltieren und unangreifbar zu machen. Wie viele 68er wurden genau das, wovor sie am meisten gewarnt hatten: angepasste Fürsprecher der bestehenden Gesellschaft?

Die glückliche Schuld – der theologische Kern des deutschen Immoralismus – ist Grundbestandteil des christlichen Credo. Ohne Schuld keine Erlösung, ohne Schuld kein Heil.

„O glückliche Schuld, welche die Ursache war, daß wir einen so guten und so großen Erlöser haben.“ (Thomas von Aquin)

Im Osterlob Exsultet (es jauchze) ist felix culpa der Mittelpunkt des Jauchzens und Rühmens:

„O wahrhaft heilbringende Sünde des Adam,
du wurdest uns zum Segen,
da Christi Tod dich vernichtet hat.“

Merkel kann mit machiavellistischer Gelassenheit ihre politischen Sünden begehen. Heute eine Prise Barmherzigkeit – doch bitte nicht zu viel, der Erlöser will etwas zu erlösen, der Heiland zu heilen haben –, dann eine Riesenportion ihrer emotionslosen Hartherzigkeit.

Immer mehr Kirchenmitglieder verlassen die Kirche – ohne sich als Antichristen zu definieren. Im Gegenteil, sie fühlen sich als bessere Christen, weil sie es schafften, sich von der „unchristlichen Kirche“ zu distanzieren. Da sie den christlichen Glauben nicht kennen, bleibt ihnen verborgen, dass die Kirchen am christlichsten sind, wenn sie am Unchristlichsten scheinen. Sie laden selige Schuld auf sich, um ihrem Herrn und Erlöser das Gefühl der Unersetzlichkeit zu vermitteln. Die schuldbeladene Kirche ist die wahre Kirche. Sündige tapfer, Kirche, wenn du nur glaubst.

Das ist die rundum geschlossene, gegen jede Kritik gefeite Glaubenswelt der Politikerin Merkel. Das demokratische Urelement der Kritik und des methodischen Streits ist ihr zweimal unbekannt. Weder in der Gemeinde ihres Vaters noch im real existierenden Sozialismus waren solche Streitmethoden an der Tagesordnung. Dialektik war kein Dialog der Menschen, sondern das Spiel der Geschichte mit sich selbst.

Kommen wir zum glühenden Lobredner des deutschen Immoralismus, der auch einer Pastorenfamilie entstammt: „Fast alles, was wir höhere Kultur nennen, beruht auf der Vergeistigung und Vertiefung der Grausamkeit – dies ist mein Satz; jenes „wilde Tier“ ist gar nicht abgetötet worden, es lebt, es blüht, es hat sich nur – vergöttlicht. Das moralische Urteilen und Verurteilen ist die Lieblings-Rache der Geistig-Beschränkten an denen, die es weniger sind.“

Ewig bleibt der Mensch eine wilde Bestie, alle Veränderungen in Fortschritt und Technik sind nur wechselnde Attrappen.

„Ein andrer Triumph ist unsre Vergeistigung der Feindschaft. Sie besteht darin, daß man tief den Werth begreift, den es hat, Feinde zu haben: kurz, daß man umgekehrt thut und schließt, als man ehedem that und schloß. Die Kirche wollte zu allen Zeiten die Vernichtung ihrer Feinde: wir, wir Immoralisten und Antichristen, sehen unsern Vortheil darin, daß die Kirche besteht.“

Nein, die Kirche wollte nie, dass ihre Feinde vernichtet werden, sonst wäre eine Hölle überflüssig gewesen. Ewig bleiben die Guten, ewig die Bösen, ewig die unversöhnliche Feindschaft zwischen ihnen.

Die internationale Politik ist, nach einer humanen Phase des Zusammenwachsens der Völker in der Nachkriegszeit, zurückgekehrt zum Prinzip der Feindschaft. Und Merkel immer mit von der Partie, wenn sie Putin – auch hier im Einklang mit den USA – zum Dauerfeind stilisiert. Oder wenn sie den Hass jener befreundeten Nachbarn erregt, die sie mit „pädagogischen Wirtschaftsmaßnahmen“ überrollt. Ihr Hass versteckt sich hinter dem Prinzip des gnadenlosen Wettbewerbs und des Verbots der ökonomischen Solidarität.

Ihre Siegesmentalität mit allen Mitteln wird auch in den USA von führenden Schichten vertreten. „Um die edelsten Ziele zu erreichen, muss der Führer die „Sphäre des Bösen“ betreten. Dies ist die aufregende Einsicht, die Machiavelli so furchterregend, bewundernswürdig und herausfordernd macht. Alles ist fair im Krieg und in der Liebe. Eine Betrügerei zu begehen, um die Wünsche deines Herzens zu erfüllen, ist nicht nur legitim, sondern geradezu köstlich“, schreibt Michael Ledeen, einer der führenden Intellektuellen der Neocons, deren Gedanken heute mehre denn je gelten.

Es muss köstlich sein, davon zu reden, die Ursachen des Flüchtlingselends zu beheben – und das Gegenteil zu tun:

„Millionen Syrer leiden Hunger, das Regime konfisziert selbst Babymilch. Ab diesem Mittwoch wollte die internationale Gemeinschaft Lebensmittel abwerfen. Doch kein Staat macht mit.“ Auch Merkel nicht. (SPIEGEL.de)

Maximilian Popp vom SPIEGEL zieht ein aktuelles Fazit der Flüchtlingsmalaise:

„Mindestens 700 Menschen sind vergangene Woche im Mittelmeer ertrunken. Doch die Europäer berührt das kaum noch. Sie haben sich an das Sterben vor ihren Grenzen gewöhnt.“ Auch Merkel.

Wir betreten das Feld der unverdeckten, obszönen Immoralität. Das Brutale und Unverschämte wird nicht mehr mit einem moralischen Mäntelchen verdeckt. Roh und ungeschminkt zeigt es seine antinomische Fratze. Die Wiederkehr der Religion vermittelt den frommen Machiavellisten, im Besitz des Heiligen Geistes zu sein, alles zu dürfen und nichts zu müssen.

Da darf BILD nicht fehlen, wenn sie, ohne rot zu werden, sich beglückt zeigt über die öffentliche Auszeichnung durch die fundamentalistische Regierung Netanjahu. Eine Gazette zeigt sich gepauchpinselt, wenn sie für füßeküssende und kritiklose Berichterstattung von der angebeteten Regierung dekoriert wird. (BILD.de)

Das ist keine Lügenpresse mehr. Das ist der unfehlbare Glaube, auf der wahren Seite der Heilsgeschichte zu stehen. Bekanntlich hielt sich Axel Springer persönlich für Jesus. Das scheint auch für Kai Diekmann zuzutreffen.

BILD kann inzwischen tun und treiben, was es will. Seriöse Blätter haben es aufgegeben, das Blatt des Populismus – „wir sind das Volk“ – ins Visier zu nehmen und zu versenken. Nicht nur die Parteien, auch die Edelschreiber kuscheln reihum alle miteinander. Nicht die AfD hat sich selbst erfunden. Da standen einige Pate, die sich heute das Maul über den legitimen Sprössling der existierenden Parteien zerreißen.

Der Kreis der europäischen Kniefälle vor Popen und Auserwählten schließt sich. Zuerst der Kotau vor dem Papst, dann die Wallfahrt zu den Mönchen auf Berg Athos. Schließlich die Prostration vor denen, die in Israel das Kommando an sich gerissen haben: den Priestern und Schriftgelehrten.

Der echte Ring vermutlich ging verloren. Das stört die drei Erlöserreligionen nicht. Um die besten humanen Taten werden sie nicht wetteifern. Höchstens um die menschenfeindlichsten. Politiker und Medien: im Gleichschritt zurück unter die Knute der Heiligen.

 

Fortsetzung folgt.