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Europäische Idee LX

Hello, Freunde der europäischen Idee LX,

Muslim, du gehörst nicht zu mir, sprach Europa – im Jahre des Herrn 2016.

Juden, ihr gehört nicht zu uns, sprach das arische Europa – im Jahre des beginnenden Millenniums.

Vernünftler, ihr gehört nicht zu uns, sprach das gläubige Europa – von der Renaissance bis heute.

Demokrat, du gehörst nicht zu uns, spricht das theokratische Europa – seit der frühen Neuzeit.

Vorlautes Weib, schweig in der Gemeinde, du gehörst nicht zu uns, sprechen die klerikalen Männerhorden – bis heute.

Epikur, du gehörst nicht zu uns, sprechen die sinnenfeindlichen Priester und Propheten – noch immer.

Utopisten und Moralisten, ihr leidet an maligner Selbstüberschätzung, schert euch zum Teufel, sprechen die Despoten des irdischen Lazaretts – seit 2000 Jahren.

Weltverbesserer, euer blauäugiges Erziehen der unverbesserlichen Menschheit macht alles nur noch schlimmer, verpisst euch, sprechen die Verwalter des Elends, die Herumwurstler der Malaise. Die sich immer Mühe geben, Sorge tragen, ihre demütige Arbeit im Dienste des Herrn tun, heute konvulsivische Anfälle von Barmherzigkeit haben und morgen die Menschen verrecken lassen.

Besserwisser und Selbstdenker, man müsste euch mit glühenden Zangen rösten – sprechen diejenigen, die höheren Orts für sich denken lassen.

Naturanbeter und Erdenretter, die apokalyptischen Reiter werden euch als erste

verspeisen, sprechen Heilsgeschichtler ununterbrochen – bis sie Natur und Erde zertrümmert haben.

Modernitätsverlierer, Abgehängte, ihr gehört auf den Abfall der Geschichte, nicht zu uns, sprechen die Erfolgreichen und Mächtigen von morgens bis abends.

Sternenfeinde, Fortschrittsgegner und Maschinenstürmer, euch lassen wir auf dem toten Planeten zurück, wenn wir auf den Mars abdüsen, sprechen die Eroberer des Alls.

Kinder und Gebärende, eure Tage sind gezählt, ihr werdet nicht mehr gebraucht, wir schaffen neue Kinder aus Dreck und Algorithmen, sprechen die Männerhorden der Zukunft – bis die Zukunft sie selbst überflüssig gemacht haben wird.

Anderer, Fremder, du gehörst nicht zu uns, denn du bist anders und fremd, sprechen die Platzhirsche Europas – bis sie an ihrem eigenen Gestank ersticken.

Selbstbestimmer und Autonome, ihr gehört nicht zu uns, ihr kapiert nicht, dass höhere Mächte unser Schicksal bestimmen, denen wir uns beugen müssen, sprechen die Marionetten der Geschichte, der Evolution.

Arme, Schwache, Faulenzer und sonstige Müllverwerter, am besten, ihr stürzt euch freiwillig ins Messer. Für euch ist kein Platz mehr auf der immer knapper werdenden Erde – sprechen die Wettbewerbsgewinner, Tycoons und sonstige konkurrenzlose Monopolisten, Monokraten, Mono-Milliardäre und Mono-Masters of Universe.

Gleichheitsfanatiker, ihr seid die Schlimmsten, nie werdet ihr begreifen, dass Verdrängungs- und Vernichtungswettbewerb das Salz in der Suppe ist und uns Luxus und Überfluss, Überfluss und Luxus beschert. Na klar, Wohlstand inbegriffen. Wehestand dem, dem Wehestand gebührt. Gerechtigkeit ist das objektive Ergebnis eines Kampfes. Schlachten lügen nicht, du Egalist. Vive la différence, vive la selection.

Europa? Gehört nicht zu Europa. Hat sich die Schöne nicht widerstandslos einem Mann ergeben, der sich als göttliches Tier aufspielte? Jede europäische Frau, die das Regiment der Männer noch länger als sieben Tage erträgt, muss das Buch „Jenseits der Macht“ auswendig lernen. Jeder Mann, der die Frauen nicht unterstützt, wenn sie die Männer aus dem Wege räumen, wird auf den Mond geschossen.

Heiliger Konfuzius, steh uns bei. Es gibt keinen Rechtsruck in Europa. Denn es gibt nichts Rechtes oder Linkes. Fast alle europäischen Begriffe sind Makulatur. Ach, teure Geschwister, ihr wisst schon: „Wenn die Worte nicht stimmen, dann ist das Gesagte nicht das Gemeinte. Wenn das, was gesagt wird, nicht stimmt, dann stimmen die Werke nicht.“

Wenn ihr nicht werdet wie die alten Chinesen, werdet ihr euren abendländischen Saustall nimmermehr in Ordnung bringen.

Die Linken wollen keine Veränderung. Sie wissen gar nicht, was sie verändern sollten. Verändern wäre moralisieren und besserwissen. Sie blöken nur: Mindestlohn, Rente, wer nicht arbeiten will, soll nichts essen. Nicht mal das BGE befürworten sie flächendeckend. Das Wort Neoliberalismus ist bei ihnen verpönt. Marx ist für sie, was die Heilige Schrift für die Christen: keine Kritik am Heros, aber immer als hohles Credo im Sonderangebot vorrätig. Man wird doch nicht immer denselben alten Quark wiederholen. Erst knebeln sie sich, dann entmannen sie sich – um der heiligen Prokrastination willen. Manjana, manjana. Gedankenflüchtig und theoriefeindlich siechen sie endlos dahin.

Auftauchend aus der Tiefe des Raumes, wohin er sich zurückgezogen hatte, will der reizende Gysi Bundespräsident werden. Was ein gravitätischer Grüner in der Alpenrepublik kann, kann ein witziger Ex-Ossi in Berlin allzumal. Nur Mercedes-Kretschmann muss er noch zuvor aus dem Wege räumen.

Der Rechtsruck ist eine Rolle rückwärts – ins Heilige. Rechts ist Konservierung der Macht, gleichgültig, wie die Macht zustande gekommen ist, gleichgültig, aus welchen Elementen sie besteht. Seid untertan jedweder Macht, es gibt keine, die nicht von Gott wäre.

Die Nachkriegszeit der überbordenden UNO-Humanität, der solidarischen, gleichberechtigten Völker und exemplarischer Menschenrechte ist vorbei. Bei jedem Lernakt, jedem Vorwärts-Ruck des Menschen ins Bessere wird der Widerstand seiner uralten Ressentiments ignoriert und mit Verve überflogen. Lässt die Begeisterung nach, schnellen die Avantgardisten über Nacht zurück. Der ewige Streit des störrischen Es gegen das leicht bewegliche Vernunft-Ideal geht in eine neue Phase. Nicht ganz zum Ausgangspunkt, doch weit genug, um alle neu erkämpften menschlichen Errungenschaften in Bedrängnis zu bringen. Der humane Fortschritt verläuft wie die Echternacher Springprozession: zwei Schritte vor, einer zurück.

Erlahmt die Autonomie der Menschen, stehen geduldige Popen mit weit geöffneten Armen bereit, um die Fußkranken zu salben und zu ölen – gegen Niederknien und Gehorsam sein. Was nichts kostet, taugt nichts, plauderte FAZ-Hank das Geheimnis der Helikopter-Hirten aus. Einmal Ablass, immer Ablass. Je mehr Abendländer den Kirchen abhanden kommen, je mehr werden letztere vom Gott der Verfassung mit heiligmäßigen Euros bestochen. Der Staat lässt es sich was kosten, damit seine geistlichen Kohorten die sündige civitas diaboli am Leben erhalten, bis der Herr geruht, die civitas dei über Radio Vatikan ausrufen zu lassen.

Ein bösartiges Klischee, dass die Kanzlerin ihre Prinzipien verraten hätte: wie alle Christen hat sie überhaupt keine Prinzipien. Sie hat nur eine gleichbleibende, antinomische Gesinnung, die alles tut, was Gottes Order ihr von Augenblick zu Augenblick neu abverlangt.

Was konservieren die Christdemokraten? Nichts als die Macht, die sie mit wechselnden Inhalten kostümieren. Merkel hat sich der ständigen Entwicklung der Gesellschaft akkommodiert. Wenn die Öffentlichkeit keine Schwulen mehr diffamiert und auch sonst lockerer wird, diffamiert Merkel keine Schwulen mehr und wird auch sonst lockerer.

Konservativ ist kein inhaltlicher Begriff, sondern eine machtorientierte Parallelisierung an Gottes heilige Zeit. Christen haben keine Moral, schon gar keine zeitlose. Das wäre eine Sünde wider den Geist, der seinen Willen in ständig wechselnden Imperativen vom Himmel an die Seinen herabsendet. Christenmoral ist Empfängermoral, ist Sitzenbleiben und Verharren des Menschen in selbstverschuldeter Unmündigkeit.

Unmündigkeit ist das Gebot des Himmels, sich seines Verstandes unter der Leitung eines Seelenhirten zu bedienen. Habe Mut, der Versuchung des irdischen Verstandes zu widerstehen und dich der Weisheit Gottes getrost zu unterstellen.

Merkel kennt keine aufklärerischen Versuchungen. Physik hat mit freiem politischem Denken nichts zu tun. Die Zeiten Galileos und Giordano Brunos sind vorbei. Als christliche Sozialistin war sie ohnehin von einem doppelten Panzer der Heilsgeschichte umgeben. Auch der Übergang zum Neoliberalismus ist nur eine minimale Duftveränderung, keine grundsätzliche Veränderung des augustinischen und lutherischen Auftrags, das irdische Elend auf gleichbleibendem Niveau zu verwalten, auf keinen Fall aber zu verbessern. Welche Gesetze auch immer in der sündigen Welt herrschen, bis zum Anbruch der Endzeit sind sie zu schützen und zu bewahren. Nach von Mises wäre jeder Korrekturversuch des menschlichen Unglücks die unverantwortliche Verschlimmerung des von oben verordneten Status quo.

Warum fremdelte die Pastorentochter nicht, als sie ihren rasanten Aufstieg in die westlichen Elitenklassen mit Auszeichnung absolvierte? Weil es für sie keine fremde Welt war. Gerade hier, mitten im Reich des gottgesegneten Mammons, walten die Götter. Pardon, der monopolistische Gott. Ob Sozialismus, Kapitalismus oder andere irdische Peanuts – Hauptsache, Gott bleibt im Regiment. Das ist lutherisch, Punktum.

Die fromme Kanzlerin treibt der deutschen Republik unauffällig den demokratischen Geist aus. Mit geheimer Zustimmung der Deutschen, die ihre Lustängste, ihre Furcht vor dem Erfolg von höherer Warte calmieren lassen. Wer das Gleichnis vom verlorenen Sohn kennt, kennt die Psyche der Deutschen auswendig. Schön und gut mit weltlichen Erfolgen, doch wenn‘s hart auf hart kommt, müssen die Abgestürzten die Garantie haben, zum Vater aller Dinge zurück kriechen zu können.

Merkel ist keine verlorene Tochter. Nie wäre es ihr eingefallen, ihrem väterlichen Kanzelprediger untreu zu werden. Sie ist jene getreue Tochter, die immer zu Hause blieb – und die zurückkriechenden Wessis auf Geheiß des Allmächtigen segnet und beruhigt. Dafür aber müssen sie bezahlen – mit schleichender Aushöhlung ihrer Demokratie zugunsten einer anschwellenden emotionalen Theokratie.

Das ist der geheime Sadismus der Pfarrerstochter, dass sie den Angebern des Westens die verfassungspatriotischen Sonntagshosen auszieht. Es herrscht eine unbewusste reziproke Seelenstimmung zwischen zurückkriechenden Wessis und der Magd Gottes, die ihre Siegesgefühle mit Demut und populistischer Mütterlichkeit kaschiert. Nicht die Rechten oder die Linken, die Kanzlerin der Mitte ist die wahre Populistin, deren Intuitionen mit den Gefühlen des Populus kongruent ging.

Populismus gehört zu jenen Regenbogenbegriffen, die man in öffentlichen Autodafes vernichten sollte. Wer kein Populist ist, kann kein Demokrat sein. Denn die Anliegen des Demos hat er zu realisieren. Nur deswegen wurde er gewählt. Tut er es nicht, sollte er sein Amt zurückgeben. Auf sein Gewissen kann er sich nur berufen, wenn er seinen Abgang rechtfertigen muss.

Gab es schon einen einzigen Widerspruch gegen die Parteiführung – im Namen des eigenen Gewissens? Könnte es daran liegen, dass die meisten ihr Gewissen mit Fraktionszwang oder Parteiraison verwechseln? Da es niemanden gibt, der nicht Volk wäre, vertritt der Abgeordnete auch seine eigenen Anliegen und Interessen. Wer sich vom Volk absentiert, will eine Oligarchie oder eine elitäre Plutokratie.

Gewiss sind nicht alle Wünsche des Volkes koscher oder können mit links befriedigt werden. Dann haben die Parlamentarier die verdammte Pflicht, den Dissens mit ihren Wählern auf dem Marktplatz auszutragen. Das Volk ist keine vernunftlose Bestie, die alles über den Haufen rennt, was ihrem Begehren widerspricht. Just diese Idiotenrolle wird ihm von den Herrenklassen verpasst – die von ihrer eigenen Unfähigkeit ablenken wollen.

Die AfD ist Fleisch vom Fleische aller Parteien. Sie spricht frecher und aufmüpfiger, damit die medialen Leibwächter der Oberklassen sich drauf stürzen und einen Skandal verursachen. Die bürgerlichen Vertreter der AfD sind keine Rechten, sondern pietistische, fundamentale Christen, die dem Islam eins verpassen wollen, um das Glockengeläut des lieben Jesulein nicht übertönen zu lassen.

Wer den Islam in Deutschland verfassungsfeindlich verbieten will, ohne das übergriffige Scharia-Christentum mit einem einzigen Wörtchen zu erwähnen, will hinter die Aufklärung zurück. Das wollen die C-Parteien schon lange, aber noch sind sie cleverer und formulieren unanstößiger, um ihre Reputation nicht leichtsinnig aufs Spiel zu setzen.

Die Oberen reden gewählt und politisch korrekt. Das Volk poltert sich – aus Ehrlichkeitsgründen – mit lutherischen Invektiven in den Bereich des Groben und Verbotenen. Dem Volk aufs Maul schauen? Da hätte die feine Bourgeoisie viel zu tun. Sie schwadroniert mit Begriffen, die alles und nichts bedeuten. Der Furor des Pöbels ist auch eine Empörung gegen den Schleim- und Tarnungssprech der Gebildeten und Mächtigen.

Mit seinem „Rechtsruck“ plagiiert Europa die Entwicklung seines großen amerikanischen Vorbildes. In den USA sind die Bewegungen eindeutiger und unverhüllter, denn die Amerikaner dekorieren ihren Fundamentalismus nicht mit einer Prise Aufklärung. In Gottes eigenem Land ist der Fight zwischen Vernunft und Glauben augenscheinlich. Willst du wissen, was im heuchelnden Glaubensland Deutschland unter der Decke passiert, frag bei aufrechten Biblizisten in Amerika nach.

Die Deutschen belügen sich mit der Formel, Glaube und Humanität seinen einerlei (Prantl). Jerry Fallwell, einer der einflussreichsten Prediger Amerikas hingegen redet Tacheles: „Wir kämpfen gegen den Humanismus, wir kämpfen gegen den Liberalismus, wir kämpfen gegen alle satanischen Systeme, die heute unsere Nationen zerstören. Unser Kampf wird gegen Satan selbst geführt.“

„Humanismus“ gilt in wiedergeborenen Kreisen als ein arges Schimpfwort. „Humanismus ist der Versuch, seine Probleme unabhängig von Gott zu lösen. Er habe Gottes eigenes Land in den moralischen Abgrund getrieben. „Wenn du kein wiedergeborener Christ bist, dann bist du eine Fehlentwicklung als menschliches Wesen.“ (Zitiert nach Trimondi)

Die Deutschen hingegen kokettieren mit Aufklärung, um nicht mit primitiven Amis verwechselt zu werden. Gegen Andersgläubige geben sie sich als Christen, gegen fundamentale Rechtgläubige – wie etwa die muslimischen Salafisten – geben sie sich rational und aufgeklärt. Kaum gewinnen die Popen wieder an Macht, vergessen sie das Mäntelchen ihrer weltlichen Anpassung und holen den Hammer raus, den sie im Keller versteckt hielten. Den vernichtenden Hammer aus Himmel und Hölle, Apokalypse und Endgericht.

Der Westen schwankt seit 2000 Jahren zwischen heidnischer Vernunft und dem Glauben an einen Erlöser. Seit der Renaissance ist seine Geschichte ein unaufhörliches, militantes Hin und Her zwischen Offenbarungsgehorsam und selbstbestimmtem Denken. Ein Drittes gibt es nicht.

Großhistoriker wie H. A. Winkler, die Demokratie zum göttlichen Geschenk verfälschen, haben von dieser „Dialektik“ keine Ahnung. Hegels Philosophie war die getreuliche Nacherzählung dieses irdisch-überirdischen Konflikts. Die finale Harmonie und Synthese aus beiden elementaren Mächten erblickte er im preußischen Berlin. Die Quittung für diese Fehlleistung mussten die Deutschen mit wachsenden Brutalitäten ihrer nachromantischen Geschichte bezahlen. Aber nicht nur sie, sondern die ganze Welt.

Mit der Nachahmung des amerikanischen Rückfalls ins Religiöse sind die Deutschen dabei, den säkularen, ja laizistischen Boden der EU zu zerstören. Mit ökonomischer Potenz demonstrieren sie erneut die Auserwähltheit ihrer Nation. Wer sich ihnen nicht fügt – wie die modernen Griechen – wird gnadenlos platt gemacht. Rachsüchtige Christen haben ein gutes Gedächtnis. Sie vergessen nicht, was gottlose Speier und Spötter ihnen zugefügt haben.

Wenn die Macht der Religionen wächst, muss Demokratie eingeschränkt werden. Kaum vollbrachten die frommen Führer der EU ihren Kotau in Canossa, mehren sich die Forderungen feinfühliger Beobachter nach Einschränkung der Demokratie. „Warum die Demokratie Grenzen braucht,“ erklärt Thomas Rogalla in der BLZ. Parlamentarische gegen direkte Demokratie ausspielend, kritisiert der Autor die lautstarken Vertreter von Volksbefragungen:

„Vor dem Ausrufen der Volksrepublik Berlin richte man den deshalb Blick auf das basisdemokratisch „vorbildliche“ Hamburg. Dort schlägt eine laufende, angeblich gut gemeinte Volksinitiative gegen Flüchtlingsheime Unterschriftenrekorde. Die Flüchtlinge sind, wie alle Bevölkerungsgruppen, die sich nicht mittels direktdemokratischer Kampagnen artikulieren können, vermutlich ganz froh darüber, dass repräsentativ gewählte Abgeordnete und der Senat von Hamburg alles tun, um sie nicht der direkten Demokratie zu überlassen.“

Es gibt keinen systematischen Widerspruch zwischen repräsentativer und direkter Demokratie. Die Wahl von Abgeordneten ist nur eine organisatorische Hilfsmaßnahme, um eine unübersichtliche Gesellschaft der athenischen Polis so weit wie möglich anzunähern. Wer Demokratie einschränken will, um sie zu retten, will die Sau schlachten, um sie am Leben zu erhalten. Jakob Augstein schlägt gar faschistische Töne an, um das unzuverlässige und gefährliche Volk an die Kandare zu nehmen:

„Offenbar ist die Demokratie kein geeignetes Instrument, um für Gerechtigkeit zu sorgen. Die Welt hat ihren Siegeszug gesehen. Aber das Wort Demokratie bedeutet nichts mehr. Alle sind jetzt Demokraten. Und manchmal sind die Leute, die nach mehr Demokratie rufen, dieselben, die sie in Wahrheit zerstören wollen.“

Dieselbe Argumentation benutzte Platon, Erfinder des abendländischen Faschismus, um das unwissende Volk zu entmündigen und die Herrschaft der Weisen zu etablieren. Wer sind die Weisen Augsteins? Die Medien? Die elitären Wissenden? Das furchterregende EINPROZENT? Oder gar der Vatikan – der von EU-Politikern wie Martin Schulz auf allen Ebenen hofiert wird? Wenn Demokratie unfähig ist, Gerechtigkeit herzustellen, müssen dann Edelschreiber an die Front, um die Bestien an die Kette zu legen?

Platon warnte vor dem Demos, der mit einem Übermaß an Freiheit den Untergang Athens herbeiführen würde: „Ein Übermaß an Freiheit wird in ein Übermaß an Knechtschaft umschlagen, das Ganze wird in einer Tyrannis enden, die jeder Freiheit den Garaus macht.“ (K. H. Weeber in seinem vorzüglichen Buch: „Hellas sei Dank! Was Europa den Griechen schuldet“)

Demokraten raus! Ihr gehört nicht zum fügsamen Europa unter der Knute göttlicher Obrigkeiten. Absurd das Argument, heutige Demokratien könnten von der athenischen Polis nichts mehr lernen. Das Gegenteil ist der Fall:

„Politik fing im Kleinen an, beim Bau eines Gymnasions, bei der Ehrung eines Mitbürgers, bei der Kontrolle der Beamten oder der Verabschiedung einer neuen Marktordnung. Zusätzliche Bürgerinitiativen und Bürgerbegehren waren überflüssig. Die wichtigen Themen standen ohnehin auf der Tagesordnung der Polis-Gremien. Politik kann man lernen, die politische Praxis einer ständigen Bürgerbeteiligung war nicht die schlechteste Schule.“ (ebenda)

 

Fortsetzung folgt.