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Europäische Idee LI

Hello, Freunde der europäischen Idee LI,

tote Widerständler werden geehrt; doch wenn die Gegenwart gefährlich wird, schreien sie: Kapitulation! Deutsche, ergebt euch! Das Spiel ist aus!

„Zu spät“, überschreibt Jakob Augstein seine Kapitulation vor dem rechten Verhängnis.

„Eine Umwertung der Werte hat begonnen. Ein Paradigmenwechsel. Ein politischer Umbruch, dessen Ende nicht abzusehen ist. Der Aufstieg der AfD kommt weder überraschend, noch war er unaufhaltbar. Die anderen Parteien und die Medien haben hilflos zugesehen. Jetzt ist es zu spät. Die rechte Revolution hat begonnen. Wer sich immer noch auf die Appelle an die Vernunft der Wähler verlässt, wird enttäuscht werden. In der Postdemokratie gibt es keinen liberalen Weg der Korrektur sozialer Schieflagen. Nur illiberale Wege stehen noch offen.“ (SPIEGEL.de)

Wird Augstein zukünftig an die Unvernunft appellieren? Wird er die Aufklärung widerrufen? Outet er sich als Anhänger der göttlichen Torheit: ich glaube, weil es unvernünftig ist? Wird er mit Steinen werfen und Amok laufen? Dem Böhmermann wird er doch nicht die Schau stehlen und eine paradoxe Intervention als künstlerisches Happening veranstalten? Nein, so viel tückische Intelligenz trauen wir dem Volksfreund nicht zu, der dem Volk nützen will, indem er vor dem großen Lümmel warnt:

„Offenbar ist die Demokratie kein geeignetes Instrument, um für Gerechtigkeit zu sorgen. Die Welt hat ihren Siegeszug gesehen. Aber das Wort Demokratie bedeutet nichts mehr. Alle sind jetzt Demokraten.“ (SPIEGEL.de)

Wenn alle Demokraten sind, gibt es dann keine Demokraten mehr? Wenn Demokratie am Boden liegt, muss man noch zusätzlich auf ihr rumtrampeln – oder sie ins Lazarett zum Onkel Doktor bringen? Zwischen Sein und Sollen, Fakten und Normen zu unterscheiden, wäre wohl zu viel von Augstein verlangt – wie übrigens auch von

seinem Kontrahenten Sarrazin, dem er sich in einem PHOENIX-Gespräch mit allen Zeichen korrekten Abscheus, aber todesmutig, „stellte“.

Laut Duden ist illiberal: „unduldsam“. Als Synonyme werden angegeben: „konservativ, reaktionär, rechts, unfrei“. So genau nimmt Augstein die Wörter auch wieder nicht. Er tändelt gern und macht sich einen Jux aus Begriffen. Was aber, wenn die Begriffe ihn ernst nähmen? Ruft er nicht dazu auf, soziale Schieflagen mit „unduldsamen, reaktionären, rechten und unfreien“ Methoden zu beheben?

Leben wir bereits in einer Postdemokratie – einem Gebilde nach der Demokratie? Post ist ein quantitativer Zeitbegriff, keine qualitative Aussage. In der Postmoderne spricht man nur noch Statistisch oder in relativen Zeitangaben. Qualitative Begriffe sucht man vergebens. Man mogelt sich durch mit quantitativen Leerbegriffen, die alles und nichts sein können.

Wie wär‘s mal mit einer Definition: alles Nichtdemokratische ist faschistisch, totalitär, despotisch oder tyrannisch? Welches Schweinderl hättens denn gern, Herr Augstein?

Eine schlechte Demokratie ist noch keine Diktatur. Polemische Begriffe dienen dazu, die Defizite einer Demokratie an den Pranger zu stellen. Merkels Regierungsstil könnte man ergo als charismatische Autokratie mit steigenden antidemokratischen Elementen bezeichnen.

Trotz alledem und alledem müssen wir darauf beharren: noch leben wir in einer Demokratie, die durch freies Denken und Tun revitalisiert werden kann. Wer in diesem Stadium die Demokratie für verloren gibt, ist ein Deserteur der Menschlichkeit. „Links“ will eine gerechte Demokratie. Wie kann man links sein, wenn man dieses Ziel verwirft?

Polen und Ungarn nähern sich bedenklich der Schallgrenze einer Demokratie, Erdogan hat sie mit Bestimmtheit überschritten, auch wenn die Türkei auf dem Papier noch eine sein sollte. Putin hat gewiss als lupenreiner Demokrat im Geiste Gorbis begonnen. Die Weigerung des Westens, Moskau als gleichberechtigten Teil der Völkergemeinschaft anzuerkennen, hat Russland ins Zaristische zurückgeworfen.

Lebten wir nicht in einer Demokratie, gäbe es keine Kommentare Augsteins mehr, kein freies Netz, keine Medien und nicht die leiseste Möglichkeit zur Kritik. Augstein will die rechte, reaktionäre AfD bekämpfen – mit rechten, reaktionären Methoden? Das wäre so intelligent wie der Versuch der CSU, den rechten Rand zu besetzen, um die Rechten zu verhindern.

Ist das Denken verwüstet, kann es keine rationale Politik mehr geben. Zufall, dass Augstein die Unduldsamkeit predigt, nachdem der SPIEGEL die Toleranz als belanglose Nichttugend ausgerufen hatte?

Was gute von schlechten Demokratien unterscheidet, kann man ohne die verhassten Begriffe wie Norm, Ideal oder Moral nicht erklären. Just diese werden von der einheimischen Intelligentsia mit Lust aufgespießt. Populismus sei verwerflich, war in der ARD zu hören, weil er Wert auf Moral lege, die mit Ja und Nein operiere. Das ist bodenlos. Wäre der Satz richtig, wäre er selbst moralisch und müsste jeden Widerspruch bekämpfen. Menschen menschlich zu behandeln, ist – JA – absolut moralisch; das Gegenteil wäre – NEIN – absolut unmoralisch.

Wer immer noch nicht weiß, was menschlich ist, kann im Grundgesetz oder in der UN-Charta nachlesen. Wer diese Grundthesen des Menschenrechts für unmoralisch hält, muss eine öffentliche Debatte beginnen.

Eine Moral ohne Ja und Nein wäre keine. Alles wäre nach Belieben erlaubt und verboten. Dieses antinomische Willkürprinzip ist Kern der christlichen Moral, die keine ist, sondern in Gottes Namen alles erlaubt, wenn es rechtem Glauben und alles verbietet, wenn es gottloser Gesinnung entspringt.

Der Schriftsteller Michael Kumpfmüller erregt sich in der ZEIT über die Kritik an der SPD, die er nicht mehr hören könne. Auch das Gerede von Idealen sei ihm „ziemlich schnurz“.

„Ich muss sagen, auch das kann ich nicht mehr hören, vor allem aber die Rede von den verratenen oder vergessenen Idealen, denn sie ist so anmaßend und idiotisch (und im Kern populistisch) wie nur überhaupt etwas. Ich möchte, dass Politiker nachvollziehbare Politik machen, und welche Ideale sie persönlich haben, ist mir erst mal ziemlich schnurz. Ja, mehr noch: Wer dauernd auf der Idealfrage herumreitet, redet letztlich dem Wutbürgertum das Wort.“ (ZEIT.de)

Sollen das die neuesten Kriterien der Wahrheit sein, wenn jemand etwas nicht mehr hören kann? Da müsste er über ein unfehlbares Gehör verfügen. Wer sich auf seine vortrefflichen Gefühle beruft, um eine Debatte zu beenden, hat von Argumenten nichts verstanden. Er bewegt sich auf der Höhenlinie Merkels – „ich habe recht“ – und des Papstes, der sich auf seinem goldenen Sessel für unfehlbar hält. Nicht irren könnende Gefühle als letzte Instanz einzusetzen, war die Erfindung der Romantiker, die die Vernunft der Aufklärer ad acta legten. Hegel verpasste ihnen die notwendige Antwort:

„Indem jener sich auf das Gefühl, sein inwendiges Orakel, beruft, ist er gegen den, der nicht übereinstimmt, fertig; er muß erklären, daß er dem weiter nichts zu sagen habe, der nicht dasselbe in sich finde und fühle – mit andern Worten, er tritt die Wurzel der Humanität mit Füßen. Denn die Natur dieser ist, auf die Übereinkunft mit andern zu dringen, und ihre Existenz nur in der zustande gebrachten Gemeinsamkeit der Bewußtsein. Das Widermenschliche, das Tierische besteht darin, im Gefühle stehenzubleiben und nur durch dieses sich mitteilen zu können.“ (Phänomenologie des Geistes)

Ein Ideal ist „ein als höchsten Wert erkanntes Ziel, eine angestrebte Idee der Vollkommenheit, ein Leitbild, Modell, Vorbild.“ Man könnte auch von Utopie sprechen.

Wer Utopie ablehnt, weil das Wort Nirgendwo bedeute, hat nicht verstanden, was eine Idee ist. Utopie ist das Ideal einer friedlichen Menschheit. Ideen sind Ziele, die anzustreben sind – gleichgültig, ob man sie erreichen kann oder nicht. Ziele geben die Richtung an, wohin wir steuern müssen. Gäbe es keine Ziele, gingen wir hilflos in die Irre – wie der gegenwärtige Westen.

Wer wird es ablehnen, seine Kinder liebend zu erziehen, selbst wenn er weiß, er wird in dieser Disziplin nie auslernen? Wer wird sich nicht erkennend und lernend weiterentwickeln wollen, selbst wenn er weiß, dass er nie allwissend wird? Nach welchem Modell sollen wir unsere Demokratie humanisieren, wenn wir keines haben?

Das ist die Crux der Zeit, dass sie sich weigert, Auskunft und Rechenschaft abzulegen über ihre Utopien, Ideale und Vorbilder. Das Ja und Nein einer klaren Moral hat mit dem biblischen Dualismus Freund–Feind, Erwählter–Verworfener nicht das Geringste gemein. Wer anders denkt, ist nicht mein Feind, sondern ein Kontrahent im öffentlichen Meinungsdisput – sofern er streiten und argumentieren kann.

Widersprüche schließen sich aus, also muss es Ja und Nein geben. Allwissende Götter sind über Widersprüche erhaben. Gott und Teufel sind identische Personen. Luther spricht vom offenbaren und verborgenen Gott. Gutes und Böses kommt gleichermaßen vom selben Schöpfer aller Dinge. Logik ist die Erfindung der Heiden. Wer sich als Megaphon des Himmels fühlt, kann Kraut und Rüben durcheinander schwatzen.

Die logikfeindliche Phantasterei der Schrift ist die Grundlage des frei flottierenden Deutens der Theologen, die ihre uralten Glaubensaussagen schon immer ohne Mühe der jeweiligen Zeitgeistphilosophie anpassen konnten. So bringen sie das Wunder zustande, die objektiven Texte göttlicher Offenbarungen in „subjektive“ Alfanzereien der Menschen zu zerstäuben.

Was ihr den Geist der Schriften heißt, das ist im Grund der Menschen eigner Geist, in dem die Schriften sich bespiegeln: wäre Goethe hermeneutisch zu präzisieren.

Eine „nachvollziehbare Politik“, Herr Kumpfmüller, ist eine moralische. Demokratie ist eine staatliche Moralveranstaltung. Was soll sie sonst sein? Eine amoralische Maschine? Es ist eine moralische Entscheidung, allen Menschen die Chance gleichwertiger Mitsprache in ihren Gemeinwesen einzuräumen.

Alles, was der Mensch tut, erfindet und produziert, ist angewandte Moral. Die Negation der Moral ist selbst eine Moral – freilich eine falsche und menschenfeindliche.

Andere lehnen Moral ab und fordern Mehrheitsentscheidungen. Mehrheitsentscheidungen beruhen auf moralischer Gleichwertigkeit aller Meinungen, die ihre Wahrheit durch Debatten auf dem Marktplatz peu à peu erweisen müssen.

Warum hasst der Zeitgeist die Moral wie der Fromme den Gottseibeiuns? Weil er Moral noch immer als verdammende und verfluchende Predigt der Kanzelredner empfindet.

Es ist die emotionale Langzeitwirkung der Aufklärung, dass Menschen ihre Moral selbst bestimmen wollen. Das Stadium der Selbstbestimmung haben die Deutschen aber noch nicht erreicht. Sie sind in der Mitte des Weges stehen geblieben: allergisch gegen fremde Moral, zu feige für die eigene.

Den Parteien wird zu Recht vorgeworfen, dass sie keine profilierten Programme hätten. Hätten sie welche, würde man ihnen Rechthaberei mit erhobenem Zeigefinger vorwerfen. Als die Grünen sich noch trauten, sinnvolle Wege in eine naturfreundliche Utopie aufzuzeigen – weniger fliegen, weniger Fleisch essen, weniger Autofahren – warf man ihnen faschistische Beglückungszwänge vor.

Erneut rächt sich die endlose Begriffsanarchie. Faschismus ist Volksbeglückung unter Zwang. Demokratie hingegen ist der mühselige Versuch des Volkes, sich selbst mit demokratischen Methoden glücklicher zu machen. Jeder kann, jeder soll Vorschläge machen. Aber das Volk entscheidet, auf welche Weise es beglückt werden will.

Zum Volk gehören alle. Auch Eliten, die sich über den Pöbel erhaben fühlen. Wem will Augstein die politischen Geschäfte überlassen, wenn er den unteren Klassen – die er Volk nennt – die demokratische Kompetenz abspricht?

Es ist abenteuerlich, das Volk in unendlich viele und unterschiedliche Individuen aufzuspalten. Es gibt nichts Einfacheres als das Glück der Menschen. Sie wollen satt und sicher leben, lieben und geliebt werden. Theoretisch simpel, praktisch noch immer unerreicht. Warum? Weil die herrschenden Religionen das Glück auf Erden verbieten und erst im Himmel als ewige Seligkeit in Aussicht stellen.

Erlöserreligionen sind Glücksverbots-Maschinerien der grausamsten und wirksamsten Art. Da, wo Du nicht bist, da ist das Glück – das ist die Lehre der Jenseitspropheten.

BILD-Blome spricht lieber von Anstand, dann erst von Moral. Es gehöre sich nicht, dass Manager einen riesigen Bankrott hinlegten – und dann große Boni davontrügen:

„Rechtlich gesehen verhält sich Martin Winterkorn einwandfrei. Der ehemalige Volkswagen-Chef nimmt das Geld, das ihm vertraglich zusteht. Dass er vermutlich schon eine Menge davon hat, spielt dabei keine Rolle. Trotzdem ist nicht richtig, was er tut. Es ist ohne Anstand. Ohne Moral.“ (BILD.de)

Anstand ist fraglose Sitte einer bestimmten Klasse. Zur demokratischen Moral wird sie erst durch öffentlichen und erstrittenen Grund-Konsens. Würden die Deutschen das Grundgesetz als Basis ihres Gemeinwesens ablehnen, wären sie nicht mehr zu retten. Würden die Völker die UN-Charta in ihrer überwiegenden Mehrheit ablehnen, hätten globale Kriege die Menschheit längst unter sich begraben.

Vieles steht nur auf dem Papier? Besser auf dem Papier als nirgendwo. So bleibt die Norm der Völker die Idee und Utopie einer miteinander ringenden Gattung. Das Bewusstsein bestimmt das Sein, der abstrakte Gedanke auf dem Papier die alltägliche Realität. Wir besitzen einen Maßstab, an dem wir uns messen können, ein ungeheurer Fortschritt zu jenen Zeiten, in denen jeder Fürst seine Privatüberzeugungen als Index des Wahren ausgeben konnte.

Woher die hysterische Aufgeregtheit Augsteins über die AfD? Weil die rechte Revolution begonnen habe?

Es gibt keine Revolution. Die AfD ist der gemeinsame, inzestuös gezeugte Bastard der Großen Koalition, der Allparteien-Maische aller Parteien und Wirtschaftseliten. Kein einziger Satz der heiligen Krieger, Professoren, Journalisten und nationalen Selbstbewunderer in der Aufsteigerpartei ist originell. Von einer „Umwertung aller Werte“ kann keine Rede sein. Die fand erst einmal in der Geschichte statt: das Ergebnis war das Christentum. Alles, was damals stolz und selbstbestimmt in der Welt war, wurde zur Sünde des Selbstrühmens erklärt.

Heute gibt es keinen einzigen Programmpunkt, der von den etablierten Parteien nicht viele Male propagiert, verworfen, erneut propagiert und erneut verworfen wurde. Augstein analysiert und erklärt nichts. Die Medien und Mächtigen der Republik benötigen stets irgendwelche Sündenböcke, denen sie ihre Sünden übertragen, um sich kathartisch auf deren Kosten rundzuerneuern. Vergeblich, sie bleiben die alten und waten weiterhin im Sumpf ihrer Verblendungen.

Wie Gott nicht der Schöpfer der Bösen sein will, wollen die Deutschen nicht die Erzeuger ihrer Bastarde sein. Sie verleugnen die von der AfD widergespiegelte Realität ihrer eigenen Trostlosigkeit. Früher waren es die Langhaarigen, die aufmüpfigen Studenten, dann die Hartz4-Versager, die Alleinerziehenden, die Schwulen, Russendeutschen, die Shitstormer, die Pegadisten, heute sind es die gutbetuchten Mittelklassen, die einst CDU, SPD und die Grünen wählten und irgendwann die Schnauze von dem gesamten Kompromiss-Gesabber voll hatten.

Nichts gegen Kompromisse. Alles aber gegen einen Einheitsbrei, der vergessen hat, was er dachte und vergaß, sein Denken weiter zu entwickeln. Wie lange wütete die CDU gegen den Islam? Der Islam gehört zu Deutschland? Eine unverschämte, weil überflüssige Aussage, die vergessen machen soll, dass christliche Werte-Verteidiger lange Zeit das Gegenteil dachten. Wie würden die Christen dieses Landes reagieren, wenn man gönnerhaft erklärte: die Frohe Botschaft gehöre zu Deutschland?

Alles gehört zu Deutschland, das sich zum Grundgesetz bekennt. Wie die Frommen den totalitären Kern ihrer Erlöserreligion mit humaner Moral in Einklang bringen, bleibt ihr Problem. Religionsfreiheit und freie Kritik an jeder Religion, Philosophie oder Weltanschauung bedingen einander. Warum müssen Selbstverständlichkeiten penetrant wiederholt werden, als müssten Absonderlichkeiten aufwändig bewiesen werden? Die Würde des Menschen wird in jeder Feiertagsrede skandiert, als habe der Redner sie gerade neu erfunden.

Die einen verteidigen den Islam, die anderen attackieren ihn – beide, um ihren christlichen Glauben zu verteidigen.

Lange Zeit werden antidemokratische Gepflogenheiten von Deutschen hingenommen, weil sie zu feige sind, um wehrhafte Demokraten zu sein. Plötzlich kippen sie um ins Gegenteil und veranstalten Hetzjagden gegen alles, was keine weiße Haut und kein Kreuzchen auf der Brust trägt.

Gauland soll ein konservativer Gebildeter der alten Schule sein – und hat sich mit ökologischen Fragen noch nie beschäftigt? Und ist dennoch in der Lage, alle Thesen zur menschengemachten Klimakatastrophe als rot-grüne Versiffungsthesen zu verwerfen?

Wäre Gauland wirklich gebildet, hätte er sich mit Überlebensfragen der Menschheit längst gründlich auseinander gesetzt. Bildung ist Überlebenstraining und Entwurf eines gelingenden Lebens, keine eitle Selbstbewunderung durch Einsichten und Wissen, welches andere nicht haben. Auch das Wort konservativ gehört in die Klasse der Luftbegriffe.

Reinhard Loske versuchte sich in der ZEIT an einem Porträt des Ex-CDUlers und zitiert einen Satz, den Gauland in einem frühen Manifest formuliert hatte:

„Das Konservative ist nicht ein Hängen an dem, was gestern war, sondern ein Leben aus dem, was immer gilt.“ (ZEIT.de)

An dem Satz stimmt nichts. Wenn Gauland Christ war, kann es für ihn nichts geben, was immer gilt. Das zeitlos Wahre und Gültige ist Kern der griechischen Philosophie, die an die ewige Wahrheit des Kosmos glaubte. Ein Christ muss Wahrheit als Funktion einer ständig wechselnden Zeit betrachten. Im christlichen Glauben bleibt kein Stein auf dem andern. Das Alte muss vernichtet werden, um dem Neuen Platz zu machen. Es gibt keine Vergangenheit, die erinnert werden dürfte, es gibt nur Zukunft, die sich ständig verzieht. Konservare heißt bewahren. Jesus ist nicht gekommen, das Alte und Sündige zu schonen und zu bewahren. Sondern um Krieg gegen alles Irdische zu führen:

„Ich bin gekommen, daß ich ein Feuer anzünde auf Erden; was wollte ich lieber, denn es brennete schon! Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert!“

Konservativ ist heidnisch. Progressive Vernichtung der sündigen Erde ist die heilige Pflicht der Christen. Konservative Christen sind wie schwarze Schimmel. Hier das verleugnete Erbe der Ungläubigen, dort das Erbe der Gläubigen:

„Die so vielfältige Kunst und Kultur der europäischen Regionen ist ihm als „Ausbruch der Menschen aus dem versteinerten Gehäuse der Rationalität“ ganz und gar unverzichtbar“.

Mit einem Federstrich hat Gauland die Vernunft, das Fundament Europas, verleugnet und vernichtet. Er hat sich als Erbe der Gegenaufklärung entlarvt.

Wie apart: Augstein und Gauland stimmen überein in der gemeinsamen Verachtung der Vernunft. Augstein will nicht mehr an die Vernunft der Wähler appellieren, Gauland aus dem Gehäuse der Rationalität ausbrechen. In Grundfragen sind der Rechte und der Linke ein Herz und eine Seele. Was soll da noch links, rechts oder konservativ bedeuten?

Diese Begriffe sind ununterscheidbar zum Credo nationalen Glaubens und deutscher Leitkultur zusammengebacken. Auf deutsche Leitkultur legt Augstein großen Wert. Nicht auf kosmopolitische Menschenrechtskultur, in der Völker, Rassen, Religionen, Intelligenz und Kontostand belanglos sind.

Kapitulation vor dem Verhängnis ist der Gesamtbankrott eines Demokraten. Lass fahren dahin, sie habens kein Gewinn. Auch Konservative leben in der Furcht, dass alles zwischen ihren Fingern zerrinnen könnte, auch wenn sie sich noch so anstrengen, das Wertvolle zu bewahren. Nach Stefan Reineckes Definition gehört zum Konservativen “jene Melancholie, die sich aus der Erfahrung speist, dass gegen den Fortschritt letztlich kein Kraut gewachsen ist.“ Die AfD allerdings sieht Reinecke weit entfernt von aller Wehmut. (TAZ.de)

Da könnte er sich täuschen. Je lauter sie die Trommeln schlagen, je mehr könnten sie unter der Nötigung stehen, sich selbst zu beruhigen, weil sie vor Angst nicht mehr aus den Augen schauen können. Hätten sie sonst nötig, die Gefahren der Klimaverschärfung schlechthin zu ignorieren?

Augstein ist seinem Objekt des Abscheus ähnlicher, als er wahrhaben will. Auswege aus der Gefahr sieht er nicht. Vernunft? Aussichtslos. Demokratie? Zerrüttet. Zuversicht in den Menschen? „Nur illiberale Wege stehen noch offen.“

Kniet nieder. Die Zukunft des Untergangs hat schon begonnen.

 

Fortsetzung folgt.