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Europäische Idee C

Hello, Freunde der europäischen Idee C,

obszön ist nicht das Zeigen entblößter Geschlechtsteile, sondern die Präsentation unverhüllter Macht und schamlosen Reichtums. In Hamburg zeigen die Reichen, dass sie sich nicht nur die Politik, sondern auch die Kultur einverleibt haben und mit Füßen treten. Reichtum und Macht haben sich den Geist, die letzte Bastion der Freiheit, untertan gemacht.

Freiheit und Gleichwertigkeit aller Menschen begründeten in Griechenland die Demokratie. Listige Feinde der Polis haben es inzwischen geschafft, unter dem Vorzeichen der Demokratie die Gleichwertigkeit aller Menschen in eine Gelddespotie der Ungleichen und die Freiheit der Selbstbestimmten in einen Freiluftkäfig der Bedeutungslosen und Überflüssigen zu deformieren.

„Anfang 2017 wird die schlagzeilenträchtige Elbphilharmonie in Hamburg eröffnet. Was mancher nicht weiß: In dem Gebäude gibt es bald auch die 44 teuersten Wohnungen der Stadt. Der Verkauf läuft seit Monaten, der Erstbezug ist für die zweite Hälfte 2017 geplant. Bei Luxuswohnungen dieses Stils ist Diskretion selbstredend Ehrensache.“ (FAZ.NET)

Diskretion, das Verhüllen obszöner Verhältnisse – eine coincidentia oppositorum oder erschlichene Synthese des Unverträglichen – ist die Leistung unendlich vieler intellektueller Mietlinge über mehrere Epochen hinweg. Diskretion obszöner Macht kennzeichnet die Politik westlicher Demokratien. Jeder weiß alles – und tut nichts, um das Verhängnis aufzuhalten. Wird Wissen nicht zum Handeln, ist es auch kein Wissen. Wir leben im bestinformierten Zeitalter der Geschichte? Wer nichts wissen soll, wird mit unendlichen Informationen zugeschüttet. Dann glaubt er zu wissen  und landet im Glauben. Wissen wird nicht zum Erkennen, Erkennen nicht zum Handeln, ergo wird Wissen zur Verblendung – um den Begriff Dummheit nicht zu inflationieren.

Mitten in der größten Freiheit der Geschichte werden wir geführt, wohin wir nicht wollen. Unter dem harmlosen Wörtchen „unvermeidbar“ werden wir ehernen Gesetzen eines diktatorischen Fortschritts und einer unaufhaltsamen Heilsgeschichte unterworfen. Keine Troika aus Hitler, Stalin und Mao hätte mehr Macht

zusammengebracht als gegenwärtige Zukunftsphantasten, für die der Himmel erst der Beginn ihrer globalen Beglückungsgewalt ist.

Medien, die Wert darauf legen, seriös zu sein, verteidigen die Intransparenz der Politik. Totalitär sei, wer vollständige Transparenz fordere:

„Wer vollständige Transparenz der Politik will, fordert totalitäres Wissen anstelle von Vertrauensbeziehungen. Das ist im Privatleben nicht anders. Wenn Freunde oder Lebenspartner vollständige Offenlegung jeder Regung verlangen, dann ist das ein Anzeichen für eine zerrüttete Beziehung. Transparenz heißt Durchsichtigkeit; wer aber zur Gänze durchsichtig ist, wird unsichtbar. Er hat alle Eigenständigkeit und jeden individuellen Handlungsspielraum verloren.“ (Gero von Randow in ZEIT.de)

Gewiss, Innenpolitik könne transparenter sein. Aber bitte nicht übertreiben:

„Gleichwohl hat das Bundesverfassungsgericht festgelegt, dass nicht sämtliche Interna der Willensbildung einer Regierung offengelegt werden müssen. Auch die riskante Rede soll möglich bleiben. Das ist übrigens auch der Grund, warum Unternehmer und Politiker auf manchen internationalen Treffen wie der Bilderberg-Konferenz vereinbaren, dass über ihre Diskussionen nichts nach außen dringen soll. Sie wollen ungezwungen reden.“

Wenn die mächtigsten Ungewählten der Welt zusammen kommen, wollen sie ungezwungen reden und plaudern. Nicht im Traum denken sie daran, ihren vernetzten Willen dem Erdball aufzuzwingen. Der ZEIT-Schreiber kann belangloses Privatgeplapper nicht von politischen Willensbildungen der weitreichendsten Art unterscheiden. Wäre die Bilderberg-Konferenz eine Rottenbildung mächtiger Verschwörer: Gerow von Randow würde sie persönlich gegen allzu forsche und neugierige Zeitgenossen – die keine Journalisten mehr sein könnten – abschirmen. Da er nicht weiß, worüber sie sprechen, kann er auch nicht wissen, ob sie nicht demnächst die Erde in die Luft sprengen wollen – nachdem sie mit noachitischen Weltraumschiffen ins Universum abgedüst wären. Nach ihnen die Sintflut.

Das war der Abgesang auf den Journalismus, vorgetragen von einem Journalisten. Vor kurzem noch waren sie die neugierigen, nichts im Dunkeln lassenden, alles recherchierenden Enthüller der verborgenen Macht, um den unwissenden Pöbel über die wahren Weltverhältnisse aufzuklären. Jetzt sind sie zu Steigbügelhaltern der Dunkelmächte geworden.

Welche Innenpolitik ist von Außenpolitik unabhängig, welche Außenpolitik ohne Innenpolitik überhaupt verständlich? Geht es um belangloses Geplauder der Mächtigen beim gemeinsamen Wildpinkeln? Die Völker sollen keinen Einblick haben in Gespräche, die ihr Schicksal bestimmen? War TTIP ein Sammelsurium von „Interna der Willensbildung“, die keinen Europäer und Amerikaner etwas angingen – sodass nicht mal gewählte Abgeordnete die Möglichkeit hatten, die endlosen Unterlagen der Verhandlungsführer gründlich zu studieren? Die Epoche der Postmoderne zerlegt sich in Gräten:

Diplomatie ist eben nicht die Suche nach der Wahrheit, sondern der Versuch, Möglichkeiten zu erweitern oder wenigstens das Schlimmste zu verhüten. Ohne ein bestimmtes Maß an Intransparenz geht das nicht. Und auch nicht ohne ein gewisses Maß an jener höflichen Unwahrhaftigkeit, mit der man sich gegenseitig zubilligt, gut Freund und guten Willens zu sein. Die Frage ist immer nur, wann dieses Maß überschritten ist.“

Wer soll die Frage beantworten, wenn kein kritischer Mensch anwesend war, um die gewaltigen Reden der Mächtigen zu überwachen? Hat sich Diplomatie verselbständigt? Ist sie nicht mehr Dienerin der Politik? Ist Wahrheit – die Erkundung humaner Lebensbedingungen für alle Menschen – nicht das oberste und wichtigste Erkenntnis- und Entscheidungsziel aller Politik?

Wer das Schlimmste verhüten will, muss der nicht die Wahrheit des Nichtschlimmen, ergo des Guten erkunden? Höfliche Unwahrhaftigkeit ist nichts als Verlogenheit und Unaufrichtigkeit, das wirksamste Gift beim Zerstören sozialer Beziehungen. Man ist weder gut Freund noch guten Willens, wenn man den anderen hinters Licht führt. Wie formulierte Eppler? Er habe nicht immer alles gesagt, was er wusste, doch alles, was er sagte, habe der Wahrheit entsprochen.

Eine Politik der intransparenten und wahrheitslosen Lüge ist das Ende aller humanen Politik. Die Vierte Gewalt, einst unbestechliche Überwacherin der anderen drei Mächte, beerdigt sich vor allen Augen in selbsterwählter Feigheit. Würde jemand auf die Idee kommen, die Presse als Lügenpresse anzugreifen, hätte er gar nicht begriffen, dass Lügen und Täuschen zum Arbeitsethos der Medien geworden sind.

Das jahrzehntelange Trommeln der heutigen Sophisten, es gebe keine Wahrheit, zeigt seine Früchte. Gibt es keine Wahrheit, kann es auch keine Lüge mehr geben. Was wäre noch wert, veröffentlicht zu werden?

Die Wahrheit wird euch frei machen. Wenn selbst der Erlöser, kein Freund der Wahrheit, eine griechische Devise zitiert, muss man davon ausgehen, dass die Wahrheit bei der Erfindung der Demokratie eine grundlegende Rolle spielte und selbst undemokratische Völker ansteckte.

Wahrheit hat mit Erkenntnis zu tun. Erkenntnis war in Erlöserkreisen eine sündige Angelegenheit. Erkenntnis war eine Frucht der Empörung gegen Gott:

„Die Erkenntnis bläht auf, die Liebe aber baut auf. Wenn jemand meint, etwas erkannt zu haben, so hat er noch nicht erkannt, wie man erkennen soll. Wenn aber jemand Gott liebt, der wird von ihm erkannt.“

Der Mensch soll nichts erkennen. Er soll von Gott erkannt werden. Das ist die totale Eliminierung menschlicher Selbstbestimmung. Kein Mensch soll Gott aus eigener Kraft erkennen, kein Mensch die Machenschaften des Höchsten erkunden und sich ein eigenes Urteil bilden. Wie könnte Gott ungezwungen mit seinen Engeln reden, wenn ständig Schnüffler mithörten und ungebeten ihr Maul aufrissen?

Erich Fromm war ein begeisterter Schüler von Marx und Freud. Weil sie Transparenz ins menschliche Elend bringen wollten, um es zu beheben. Der Mensch sollte sich seiner Gedanken und Taten bewusst werden, damit er Rechenschaft über sein Tun ablegen könne. Das Reich des Unbewussten sollte erkundet werden, damit die Menschen individuell und kollektiv zur Selbsterkenntnis kämen. Erkennet euch selbst, das delphische Orakel, von Sokrates zum Motto seines Denkens gewählt, war auch die Losung der Menschenbefreier Marx und Freud. Wo Es oder die unbewusste Vorgeschichte war, sollte Ich oder das Reich der Freiheit entstehen.

Marx und Freud hielten ihr Befreiungswerk nicht durch. Marx unterstellte den Menschen dem Gesetz einer messianischen Heilsgeschichte, Freud erfand den Todestrieb, der allem bewussten und freudigen Leben Widerstand leistete. Doch die Spur war gelegt, die sokratische Anamnese auf kollektiver und individueller Ebene war wieder ausgegraben worden.

Der Mensch kann seine Geschichte nur selber machen, wenn er weiß, wer er ist. Solange er von unbekannten Mächten der Geschichte aus dem Dunkeln gelenkt wird, bleibt er ein Getriebener. Sich erkennen, ist Erinnern. Vergangenheit muss transparent werden, um eine freie Zukunft zu gewinnen.

„Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusion bedarf“: Marxens wuchtiger Satz entspricht der Devise Freuds: „Wo Es war, soll Ich werden.“

Heute ist alles ins Gegenteil verkehrt. Lasst ruhen, was dahinten liegt, es berührt uns nicht. Die Vergangenheit sind wir los, wenn wir starr nach vorne blicken.

Heute wird Vergangenheit ignoriert und verdrängt. Schaut auf keinen Fall zurück, ist die Parole aller Zeitgenossen, die auf der Höhe des Zeitgeistes sein wollen. Ältere sprechen nicht mehr mit ihren Kindern, der Geschichtsunterricht wird ausgedünnt und entleert. Historiker hatten der Bewusstseinstrübung und Geschichtsvergessenheit vorgearbeitet. Aus der Geschichte ist nichts zu lernen, lautet das Mantra der Bewusstseinsverdränger. So viele Epochen, so viele Wahrheiten. Weder könnten wir die Wahrheit früherer Zeiten erkennen noch sie auf unsere Zeiten übertragen.

Wie Menschen sich zu Atomen isolieren, so atomisieren sich ihre Geschichtsepochen. Was haben die Griechen mit uns zu tun? Nur Jesus durchbricht verwunderlicherweise das Gesetz der separaten Wahrheiten. Seine Wahrheit einer längst verflossenen Zeit soll die Wahrheit aller Wahrheiten und Zeiten sein. Alles Menschliche ist relativ und willkürlich, nur das Göttliche ist unfehlbar.

Eine Epoche geht zu Ende. Die Epoche der abendländischen Zwittergeburt aus Vernunft und Glauben. Selbst erkennen oder von Gott erkannt werden: diese beiden Parolen sind nicht vereinbar, doch die feigen Abendländer wollten den unlösbaren Konflikt zum faulen Kompromiss zwingen. Sie trauten sich nicht, ihren Erlösern zu entfliehen und der Stimme ihrer Vernunft zu folgen. Sich selbst erkennen, sich selbst vertrauen, das war die Botschaft von Alt-Hellas. Da sie heidnisch war, musste sie dem Glauben weichen, damit die Schafe eines anmaßenden Erlösers folgten.

Die Epoche der Aufklärung konnte nicht ausreifen, weil die Gottesgelehrten den Schock der Niederlage gegen die irdische Vernunft schnell verwunden hatten und zum Gegenangriff übergegangen waren. Wir reden von der Gegenaufklärung, einem Begriff, der in Deutschland fast unbekannt ist. Der Grund ist einfach. Da die Deutschen meinen, sie hätten Vernunft und Glauben nahtlos zur Synthese gebracht, wollen sie nicht daran erinnert werden, dass ihre Synthese trügerisch ist und sie der Vernunft bewusstseinslos den Kampf angesagt haben. Sie wollen keine Gegen-Aufklärer sein – und also sind sie keine.

(Im Historischen Wörterbuch für Philosophie gibt es keinen Artikel über Gegenaufklärung. Ein wissenschaftlicher Skandal.)

Das Ergebnis der verleugneten Gegenaufklärung ist heute zu besichtigen. Nicht nur Hayeks Neoliberalismus entspringt vernunftfeindlichen Prinzipien der Gegenaufklärung: fast das ganze Feuilleton denkt und schreibt im Geist unüberprüfbarer, monologischer Erleuchtungen, die alle menschliche Weisheit verflucht. Als Begründer der Gegenaufklärung gilt Johann Georg Hamann, Theologe und gelegentlicher Freund Kants, der dessen Vernunft als Gotteslästerung ablehnte.

„Er erkannte im Denken den zufälligsten und abstraktesten Modus der menschlichen Existenz. Dem Erfassen der Wirklichkeit mit dem Verstand stellte er Empfinden und Glauben gegenüber, die den ganzen Menschen unausweichlich verpflichteten. Unser eigenes Dasein und die Existenz aller Dinge außer uns müsse geglaubt und könne auf „keine andere Art ausgemacht“ werden. Dem Glauben komme so eine größere Gewissheit als der Vernunft zu. Kant warf Hamann lebensfremde Schwärmerei vor, doch er zeigte sich davon unbeeindruckt. Er lehnte es ab, eine Reihe von Artikeln aus der Encyclopédie Denis Diderots zu übersetzen. Er meinte, keiner der betreffenden Artikel sei eine Übersetzung wert“.

Nicht nur die Ablehnung der Vernunft kennzeichnet den Gegenaufklärer, sondern sein schillernder Stil, der sich Deutlichkeit mit einem Gewölke voller Andeutungen, Metaphern und endloser Assoziationen verschaffen will. Jeder Leser solle sich selbst seine belanglos-sündige Meinung bilden, die wahre sei ohnehin nur das Werk der Erleuchtung. Hier sehen wir den Ursud der späteren Postmoderne, die nichts ist als eine künstliche Neubeatmung theologischer Nichtigkeitserklärungen des menschlichen Denkens.

„Hamann trägt seine Gedanken häufig unzusammenhängend und aphoristisch kurz vor. „Wahrheiten, Grundsätzen, Systemen bin ich nicht gewachsen. Brocken, Fragmente, Grillen, Einfälle. Ein jeder nach seinem Grund und Boden.“ Sein assoziativer Stil steht im Gegensatz zur Klarheit des rationalistischen Wissenschaftsideals. Mit Intuition, Sinnen und Empfindungen trachtet er danach, die Welt zu durchdringen und die grundlegenden schöpferischen Kräfte zu erkennen. Hamann versucht, den Leser zu engagierter und prüfender Lektüre zu bewegen. Deshalb bietet er kein fertiges Endprodukt, das einfach konsumiert werden kann.“

Kein gegenwärtiger Kommentator definiert seine Begriffe. Je unklarer und vieldeutiger, umso genialer flirren sie dem Leser um die Ohren. Selten weiß man, was der Schreiber wollte. Genauigkeit gilt als autoritär, logisches Folgern als Gewaltakt. Wer Wert legt auf konturierte Einsichten, ist ein Besserwisser und Diktator der Vernunft. Wenn alle Meinungen wahr sind, darf sich niemand anheischig machen, deren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.

Wir erleben die Wiederholung des sokratischen Kampfes gegen die intellektuelle Beliebigkeit der Sophisten, die mit käuflicher Brillanz allen Meinungen zum Sieg über die Gegner verhelfen konnten. „Sokrates suchte über den Relativismus der Sophistik hinauszukommen. Er suchte hinter der Wahrscheinlichkeit die Wahrheit, hinter der Sitte die Sittlichkeit, hinter dem Recht die Gerechtigkeit, hinter dem Staat die Grundsätze einer demokratischen Gerechtigkeit. Seine Menschenprüfung hat den Zweck, die Leute zur Selbstbesinnung zu bringen. Er nennt das die „Sorge für die Seele, damit diese so gut wie möglich werde.“

Am Überhandnehmen des beliebigen Sagens und Meinens ging die athenische Polis zugrunde. Wenn es keinen Unterschied mehr gibt zwischen wahren und falschen Meinungen, siegt – die Meinung der Mächtigen. Wenn Wahrheitssuche vergeblich, ja eitel ist, obsiegt die machtgestützte Meinung der Eliten.

Heute nicht anders. Wenn alles komplex und unlösbar scheint, setzt sich das verwirrende und absichtlich hergestellte Labyrinth der Starken und Erfolgreichen durch.

Eine intakte Demokratie lebt von der Überprüfungskompetenz des Volks über diejenigen, die im Namen des Volkes Politik betreiben, Gerichtsurteile fällen, Gerechtigkeit und Zusammenhalt der Polis durch solidarisches Handeln herzustellen versuchen. Zerfällt die Prüffähigkeit der Öffentlichkeit, wuchern die Sonderinteressen der Schlitzohren und verfälschen die Herrschaft des Volkes in eine Herrschaft der oberen Klassen.

Heute kennt niemand den Namen Hamanns. Umso erstaunlicher, in welchem Maße es ihm gelang, fast alle bedeutenden Intellektuellen zu beeinflussen. Die Romantik war ein Triumph des vernunfthassenden Theologen.

Goethe begrub die Philosophie, die er mit der Theologie in einen Topf warf. Sie hatte ihm weder Sex, noch Gut und Geld eingebracht, nichts, was er Menschen beibringen könne:

Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor;
Heiße Magister, heiße Doktor gar
Und ziehe schon an die zehen Jahr
Herauf, herab und quer und krumm
Meine Schüler an der Nase herum –
Und sehe, daß wir nichts wissen können!

Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel,
Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel –
Dafür ist mir auch alle Freud entrissen,
Bilde mir nicht ein, was Rechts zu wissen
,
Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren,
Die Menschen zu bessern und zu bekehren.
Auch hab ich weder Gut noch Geld,
Noch Ehr und Herrlichkeit der Welt;

Das absolute Fiasko der deutschen Bildung, ein Kotau vor der Gegenaufklärung und die Selbstkasteiung der autonomen Vernunft, die durch magischen Hokuspokus die „metaphysischen Urfragen“ der Menschheit klären – oder aber Macht und Mammon kassieren will.

Daß ich erkenne, was die Welt
Im Innersten zusammenhält.

Solches Herumschwirren in Fragen, die wir nicht lösen können, ist das Gegenteil von Philosophie. Noch immer verwechseln die Intellektuellen theologische Nonsensfragen mit nüchternem Denken. „Was bin ich und wenn ja, wie viele?“ oder „Warum gibt es überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?“ oder: Bist du sicher, dass es dich gibt? dass eine Realität unabhängig von dir existiert? sind theologische Irrsinnsfragen in philosophischer Dekoration.

Die meisten Denksysteme der Deutschen sind verkappte Theologismen. Buddha, Sokrates, Konfuzius, Popper und viele andere haben es abgelehnt, unbeantwortbare „Fragen der Fragen“ zu beantworten.

Philosophie will wissen, wie wir leben können, um ein sinnvolles Leben in der Gemeinschaft zu führen. Das war‘s. Alles andere sind Gespreiztheiten, die von praktischen Problemen des Tages ablenken.

Auch Marx war ein Gegner der Philosophie. „Die Philosophen haben die Wirklichkeit nur verschieden interpretiert, es kömmt darauf an, sie zu verändern.“ Er verstand sich als Entdecker historischer Grundgesetze, nicht als Moralist, der in den Wind predigt. Doch seine historischen Gesetze waren nichts anderes als die Verheißungen einer uralten Heilsgeschichte.

Nietzsches Philosophie mit dem Hammer diente arischen Übermenschen als Legitimation ihrer Weltvernichtungsberserkerei.

Habermas, angeblicher Aufklärer, schlüpfte dem Kardinal Ratzinger unter den Rock und unterschrieb das Böckenförde-Diktum, wonach gottloses Denken keine Demokratie schützen könne.

Heute gibt es keine bedeutenden Intellektuellen und Literaten mehr, die sich dem Überleben der Demokratie mit Eifer widmen würden. Fehlt noch der große Unsterbliche vom Bodensee. Martin Walser bekennt in einem Interview: Literatur ist keine Gesellschaftskritik:

„Der Autor ist auf keiner Position draußen, von der aus er die Gesellschaft kritisch beurteilen könnte, sondern er ist mittendrin. Er kann nur über sich in dieser Gesellschaft schreiben.“ (FAZ.NET)

Vordem war der Stolz der Literatur die kritische Durchleuchtung der Welt. Als die Massen immer demokratischer wurden, verfiel sie zur l’art pour l‘art. Inzwischen ist sie verkommen zur Bespiegelung des grandiosen Ich, das mit dem Rest der Gesellschaft nichts mehr zu tun haben will.

Epochen fauler Kompromisse zwischen menschlicher Lebensfähigkeit und göttlicher Übermächtigung des autonomen Subjekts gehen zu Ende. Denkfaulheiten, Unaufrichtigkeiten, elitäre Anmaßungen und Machtgelüste haben Verbitterungen, obszöne Aggressionen, unterdrückte Geschwisterrivalitäten und Versagensängste ans Tageslicht gebracht. Rituell will sich die Zeit erneuern durch die „reinigende“ Kraft der Feindschaft und die apokalyptische Sehnsucht nach dem Ende. Die erhoffte Wiedergeburt durch Tod und Elend wird im Nichts enden.

Wir müssen von vorne beginnen.

 

Fortsetzung folgt.