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Donnerstag, 27. Dezember 2012 – Westliches Glück und deutsches Unglück

Hello, Freunde der Gretchenfrage,

Goethe hat viel Verhängnis über die Deutschen gebracht mit seinen diplomatischen Bücklingen vor der Religion. Die ganze Pracht der deutschen Sprache benutzt er zur Camouflage, zur Bemäntelung seiner Feigheit. Deutsche können sehr kreativ werden, wenn sie vertuschen, dass sie keine Position beziehen wollen. Der „status confessionis“, der Bekenntnisstand, gilt nur bei „Adiaphora“, bei Krimskrams also. Goethe hielt nicht viel von den Deutschen, doch geliebt und gelesen werden wollte er von ihnen.

In den 3 Jahrhunderten zwischen Luther und Goethe muss einiges geschehen sein, dass die nationale Charakterbildung ins Gegenteil kippte. Der kantige Mönch widersteht um seiner Seligkeit willen dem Kaiser und seinem Hofstaat, der Minister und Dichter scharmutziert sich in Glaubensfragen vor dem Mädchen aus dem Volk um Kopf und Kragen.

Das Wischiwaschi Fausts in Glaubensfragen ist charakteristisch für unsere Gegenwart. Der Weimaraner war dezidierter Nichtchrist und hasste außer Knoblauch und Tabak am meisten den Gekreuzigten am Marterl. Kommt aber ein junges Weib, das mehr durch Naivität und Reinheit besticht als durch operative Sinnenreize und fragt nach seinem Glauben, redet er dummes Zeug, aber dies in höchster elaborierter Poesie.

Ein echter Deutscher sieht keine Unterschiede zwischen dem: Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ und dem Glaubensbekenntnis des halt- und charakterlosen Professors, der sein ungelebtes Leben im Zeitraffer nachholen will: ob ich glaube? Ja, sicher doch, an alles und an nichts.

Um den miserablen Charakter des Klassikers zu vertuschen, nennt man ihn nicht einen haltlosen, sondern einen faustischen Charakter. Den erkennt man daran,

dass er am liebsten tut, was ihm die Moral seiner heilen Kinderstube verboten hat. Faustisch sein heißt, um des Erfolges und Events willen die Welt aufs Spiel zu setzen. Die deutschen Antikapitalisten bewundern das Urbild des um die ganze Welt würfelnden Glücksspielers.

Im Vergleich mit Faust ist jeder Gordon Gekko ein Würstchen, dem‘s nur um schnödes Geld geht. Faust geht’s um die ganze Welt. Der deutsche Gelehrte ist ein Zocker, der über Menschenleben, Moral, Natur bedenkenlos hinwegtrampelt, um alles zu erleben nur nicht das philisterhafte Glück.

Was für normale Menschen die Hölle, ist für Geistesriesen seit dem 18. Jahrhundert das vom himmlischen Vater bescherte Glück oder dessen verheißene Seligkeit. Lieber anständig und ungebrochen in die Hölle, als sich von jenseitigen Versprechungen das Genick brechen lassen. Nicht Nietzsche, sondern sein großes Vorbild Goethe hat den Deutschen das Jenseits von Gut und Böse beschert. „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“, predigt ein deutscher Intellektueller seinen Kindern unterm Weihnachtsbaum, von Wahrhaftigkeit und Zivilcourage im politischen Leben war nie die Rede.

Wenn Deutsche weltberühmt sind, werden sie als Helden einträchtig nebeneinander in die Vitrine gestellt, ob sie zueinander passen oder nicht. Luther plus Goethe, geteilt durch zwei: das ist ein deutscher Edelschreiber. Immer aufrecht, wenn’s um nichts geht, immer platt wie eine Flunder, wenn irgendetwas auf dem Spiele steht.

Wie viele Goetheaner marschierten in der SS ohne den geringsten Anflug von Zynismus? Hier krachten die Stiefel gelehrter Faustkolonnen im Stechschritt aufs Pflaster, um das Glück des Nichtglücks zu erleben.

Die FAZ stellte neulich die Frage: wie erkläre ich meinem Kind Suhrkamp? Das Problem muss schlimmer sein als Breivik und Hitler zusammen. Doch niemand stellt die Frage: wie erkläre ich Kindern, dass Deutsche auf Teufel komm raus unglücklich oder unselig werden wollten? Waren die total von der Rolle? Will nicht jedes Würmchen auf Erden glücklich werden? Antwort a la Radio Eriwan: im Prinzip schon – wenn nur nicht … Ja, was? Wenn nur nicht das ganze Germanenvolk so lange religiös indoktriniert worden wäre, dass es vor lauter Hass auf väterliche Repression lieber Unglück auf eigene Faust denn Glück und Seligkeit als Gnade eines himmlischen Tyrannen erleben wollte.

Wir stehen vor der Frage jahrtausendealter Kollateralschäden des christlichen Credos. Phänomene dieser Kategorie gibt’s auch heute zuhauf und jeder kennt sie. Sei es als anonymes Mobbing oder Shitstorm gesichtsloser Massen. Das Prinzip ist einfach. Alles, was ein omnipotenter Vater verboten hat, muss von seinen Jüngern, die sich von ihm losreißen, zwanghaft in die Tat umgesetzt werden wenn die Macht des Gottes zu weichen beginnt. Gibt es keine Überwachungsbehörde mehr, tanzen die Mäuse auf dem Tisch.

Eine auf Lohn, Strafe und Überwachung beruhende Moral hat schreckliche Folgen, wenn Lohn, Strafe und Überwachung keine Wirkungen mehr zeigen. Wer nur aus Angst vor Strafen gehorsam war, wird zur Bestie, wenn er die Strafe nicht mehr fürchten muss. Ein despotisch gequältes Volk wird selber despotisch quälen, wenn es die Ketten abgeworfen hat. Ein drangsaliertes Kind wird, wenn erwachsen, seine Kinder erneut drangsalieren.

Gegen Amokläufer wurde selbst Amok gelaufen, bevor sie mit gleichen Methoden Rache übten. Das will keine Amokläufergesellschaft hören. Weshalb willfährige Seelenexperten sofort bestimmte Krankheiten erfinden, damit die ehrbare Gesellschaft ehrbar bleibt und alle Schuld den primären Opfern vor die Türe kippen kann. Gott und Gesellschaft wollen nicht schuldig sein am Schicksal ihrer Kreaturen.

Scheinbar behütete Kinder der Bürgergesellschaft haben keine Probleme, die Schwächsten ihrer Klasse mit Hilfe anonymer Maschinen zur Minna zu machen – wenn keine Überwachungsbehörde ihre Taten sieht. Wen wundert es, dass die westliche Welt immer mehr öffentliche Überwachungskameras installieren will, damit sie sich sicher fühlen kann? Sicher vor einer Freiheit, die sie überfordert, weil sie auf einmal selbst entscheiden müssten.

Werde ich kontrolliert, muss ich mich nicht auf mich selbst verlassen, um keinen Unfug anzustellen. Der Blick des allwissenden Vaters beschützt mich durch Dauerkontrolle.

Universitäten sind durch Anwesenheitspflicht und Verschulung fast jeglicher Freiheit beraubt. Freiheit würde die Studenten überfordern, sagen die Verteidiger der durchgängigen Beaufsichtigung. Indem man die Eleven überwacht, kommt man ihren geheimen Wünschen nach.

Der Großinquisitor legte die Menschen in Ketten, weil er sie liebt. Denn Freiheit würde sie überfordern. Dass Jesus ein Vertreter der Freiheit sein soll, wie Dostojewski behauptet, heißt, den obersten Wächter zum Freiheitshelden machen.

Die faustische Wette geht darum, dass Faust auf keinen Fall glücklich werden will. Selbst der Teufel mit all seinen Künsten wird es nicht schaffen, den Rastlosen zufrieden zu stellen, wetten dass?

Auf keinen Fall glücklich und zufrieden werden, das ist der Kern der deutschen klassischen Seele! Dieses wird deutschen Gymnasiasten per Bildung ins Herz gebrannt. Ein Spießer, wer glücklich werden will. Man wäre gern Mäuschen, um zu hören, wie Gymnasialpauker erklären, warum Unglück und Unzufriedenheit das Ziel elitärer Schicksalsgestaltung sein sollen.

Glück ist keine deutsche Erfindung. Auf der angelsächsischen Krämerinsel war Glück das Lebensziel der ganzen Nation, sofern sie sich vom christlichen Lazarett gelöst hatte. Ohne massiven Einfluss griechischer Philosophie wäre das unmöglich gewesen. Im ersten Moralbuch von Adam Smith steht noch Überschwängliches über das Glück, das in der Übersetzung Glückseligkeit heißt: Glück plus Seligkeit. Bei dieser griechisch-christlichen Kombination kann nichts schief gehen. (Auch Smith-Bewunderer Kant benutzt den Begriff Glückseligkeit)

Im zweiten ökonomischen Buch kommt Glück nicht mehr vor, stattdessen spricht der Schotte von Wohlstand. Der Wohlstand hat das Glück ersetzt. Möglicherweise wollte der scharf denkende Aufklärer die schwammige, von viel Christentum durchsetzte Glückseligkeit durch einen präzis nachmessbaren und quantitativ überprüfbaren Wert ersetzen. Schon am Christentum hasste er die Möglichkeit, von Liebe zu den Mitmenschen zu faseln und sie mit eben diesem Liebesgefasel an die Leine zu legen, sich selbst unermesslich zu bereichern und die Macht über Europa an sich zu reißen.

Was schreibt Smith über Glückseligkeit? Man traut seinen Ohren nicht: Glückseligkeit hängt nicht von Reichtum ab! Auch die Besitzlosen, die Nicht-Herren „bleiben in keiner Beziehung hinter jenen zurück, die scheinbar so weit über ihnen stehen. In dem Wohlbefinden des Körpers und in dem Frieden der Seele stehen alle Lebensstände einander nahezu gleich und der Bettler, der sich neben der Landstraße sonnt, besitzt jene Sicherheit und Sorglosigkeit, für welche Könige kämpfen.“

Ist denn das die Possibility? Die moderne Ökonomie bezieht sich auf Adam Smith und begründet ihre Gier mit Glück – oder dem Streben nach Glück – und Smith selbst sieht keinerlei Zusammenhang zwischen Eigentum und Glück? Wozu dann, um Himmels willen, das ganze trostlose Rattenrennen? Haben‘s die Bettler nicht sogar besser als die Könige, wenn sie Gott einen guten Mann sein lassen, nichts malochen und dennoch so glücklich sein können wie die großen Rädchendreher? Wenn ich mit wenig Einsatz denselben Gewinn mache wie die großen Wettermacher, bin ich in Glücksdingen nicht genialer und effektiver als jene?

Doch nun ein Zitat über das Glück als Endzweck des Schöpfers der Natur, dass die Ohren klingeln. Wer dies gelesen hat und den heutigen Kapitalismus als Vergrößerungsmaßnahme des Unglücks noch immer für gut heißt, der sollte noch mal mit dem ABC beginnen:

„Die Glückseligkeit der Menschen wie die aller anderen vernunftbegabten Geschöpfe scheint (!) das ursprüngliche Ziel gewesen zu sein, das dem Schöpfer der Natur (hier schwankt er zwischen stoischem Kosmos und christlichem Creator, wie fast die ganze Aufklärung) vorschwebte, als er diese Wesen ins Dasein rief. Kein anderer Endzweck scheint (!) jener höchsten Weisheit und jener göttlichen Güte und Milde würdig, die wir ihm notwendig zuschreiben; und in dieser Ansicht, zu der wir durch die ganze abstrakte Erwägung seiner unendlichen Vollkommenheit gebracht wurden, werden wir noch mehr bestärkt, wenn wir die Werke der Natur einer Prüfung unterziehen, die alle dazu bestimmt scheinen (!), Glückseligkeit zu fördern und gegen Elend zu schützen. Indem wir aber den Geboten unseres moralischen Vermögens gemäß handeln, gebrauchen wir gerade das wirksamste Mittel, um Glückseligkeit des Menschen zu befördern und man kann also in gewissem Sinne von uns sagen, dass wir Mitarbeiter der Gottheit sind, und dass wir, soweit es in unserer Macht steht, die Pläne der Vorsehung ihrer Verwirklichung näher bringen.“

Durch Moral befördern wir die Glückseligkeit der Menschen. Aber nicht auf direktem Wege, sondern nur als Mitarbeiter der Gottheit (hier kein persönlicher Gott!), deren Vorsehung wir unterstützen. Primär hängt Glück von Gott und seiner Vorsehung ab, die wir unterstützen müssen, um über sie das Glück der Menschen zu unterstützen. Bei all ihrer durchdringenden Christentumskritik trauen sich die englischen Aufklärer nicht, Gott Gott und Vorsehung Vorsehung sein zu lassen und alles in die eigenen Hände zu nehmen.

Halten wir fest: die starken Glücksimpulse bei Adam Smith in seinem ersten Buch, wurden im Verlauf der amerikanischen Gier nach weltlichem Erfolg zunehmend überrollt und platt gewalzt. Aus Glück wurde Wohlstand, aus Wohlstand Reichtum um jeden Preis, selbst wenn der Wohlstand sich zunehmend in Wehestand verwandelte.

Nach diesen fulminanten Preisungen des Glücks nun das deutsche Elend im Kontrast. (Auch Kant, obgleich Bewunderer seines schottischen „Landsmanns“ Smith, wollte Glück nicht als Motivator des Glücks zulassen. Moralisch sollte man sein allein um der Moral willen, Punktum. Alles andere wäre außengeleitete und damit keine kategorische Moral gewesen.

Den Grundfehler des Christentums, Moral durch Lohn und Strafe zu erpressen, wollte Kant unbedingt vermeiden. Gegen Glück als Folge moralischen Tuns hatte er jedoch nichts einzuwenden, weshalb er sogar den moralischen Gottesbeweis hinzufügte. Glücks-würdige sollten auch glückselig werden können, das schien Kant nur durch einen Großen Garanten möglich.)

Fast zeitgleich brütet Goethe – der mit dem scharfen Denker Kant nicht viel anfangen konnte, er war ihm zu kopfgesteuert – das komplette Gegenprogramm aus. Hier beginnt der deutsche Sonderweg, der im Kern ein Glücksvermeidungsprogramm war.

Warum muss das Glück vermieden werden? Um nicht länger vom gütigen Gott und seiner Vorsehung abhängig zu sein. Aus emanzipatorischer Empörung gegen die Bestechungshaltung Gottes: seid gehorsam, dann werdet ihr glücklich und selig. Aus lang angestautem Abscheu gegen Gott, der dem Menschen nicht zutraute, um der Moral willen moralisch zu sein.

Die antiautoritäre Haltung der Deutschen gegen Gott, eine Reaktionsbildung reinsten Wassers, verdichtete sich immer mehr zur Haltung: geschieht Gott ganz Recht, dass wir Menschen uns die Finger erfrieren, hätte er uns doch Handschuhe geschenkt. Übersetzt ins Theologische: geschieht Gott ganz Recht, dass wir in die Hölle kommen, hätte Gott uns nicht so lang mit Lohn- und Strafverheißungen jegliches Gefühl für selbstbestimmte Moral genommen.

Aus moralischen Gründen wollten die Deutschen lieber am Krückstock des Unglücks gehen als mit Gottes Hilfe glückselig werden. Glück durch Gott war restlos kontaminiert. Lieber mit dem ehrlichen Teufel unglücklich sein, als sich vom scheinheiligen Schöpfer aller Dinge mit Belohnungen korrumpieren lassen.

»Werd ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen,
So sei es gleich um mich getan!
Kannst Du mich schmeichelnd je belügen,
Dass ich mir selbst gefallen mag,
Kannst du mich mit Genuss betrügen
Das sei für mich der letzte Tag!
Die Wette biet ich!
Mephistopheles. Topp!
Faust. Und Schlag auf Schlag!
Werd ich zum Augenblicke sagen:
Verweile doch! du bist so schön!
Dann magst Du mich in Fesseln schlagen,
Dann will ich gern zugrunde gehn!
Dann mag die Totenglocke schallen,
Dann bist du deines Dienstes frei,
Die Uhr mag stehn, der Zeiger fallen,
Es sei die Zeit für mich vorbei!“

War Goethe ein Graecomane? Nicht im Politischen, nicht im Philosophischen, nur im Ästhetischen. Wäre er ein echter Griechenfreund gewesen, hätte er auf dem Glück des Menschen auf Erden bestanden. Doch er blieb Christ und verordnete Faust das irdische Unglück auf Erden, damit Lazarett und finale Erlösung am Ende von Faust II gesichert seien.

Faust war kein autonomes Wesen, sondern ein Getriebener zwischen Gott und Teufel. Bei Goethe, der kein Christ sein wollte und doch einer blieb, zeigt sich ein absurder Zwiespalt: aus Empörung gegen den christlichen Gott bleibt Goethe christlich und verurteilt den frei sein wollenden Menschen zum Unglück auf Erden.

Das ist die missglückte Emanzipation der Deutschen vom Gott der Christen. Sie wollen unabhängig von Gott moralisch sein und verharren dennoch in Hass gegen den Großen Despoten, sodass sie lieber in höllischem Unglück landen als autonom glücklich werden wollen. Die Deutschen dürfen sich auf kein Faulbett legen, dürfen kein Glück erleben – jeder Genuss ist betrügerisch –, nie dürfen sie mit sich zufrieden sein, keinen Augenblick etwas Schönes erleben. Sollten sie dennoch vom Glück übermannt werden, müssen sie mit dem Tod bestraft werden.

Das ist mehr als Glücksangst. Das ist Höllenangst vor dem Glück, die zur Selbsttherapie lieber in die Hölle steigt, als dass sie von oben dazu verurteilt werden könnte. Dahinter steckt der Satz des Neuen Testaments: Wer sich selber richtet, wird nicht gerichtet werden. Die Deutschen richten und verurteilen sich lieber freiwillig zur Glücklosigkeit, als dass sie warten, bis ein göttlicher Richter sie zur Hölle verurteilt. Um den göttlichen Willen zu vollstrecken, beging Judas Verrat am Gottessohn. Aus Gehorsam gegen den Himmel bestrafte er sich zur Hölle.

Seit Goethe hat das Glück in Deutschland einen schlechten Klang. Schopenhauer verachtet den ruchlosen Optimismus. Alles was nach Glück klingt, ist angelsächsische Oberflächlichkeit. „Wir haben das Glück erfunden – sagen die letzten Menschen und blinzeln“, steht bei Zarathustra. Die letzten Menschen sind die allerletzten, die sich nicht schämen, lieber krämerhaft und weibisch dem Glück hinterher zu jagen, als männlich den Untergang und das Grauen zu wählen.

Das freiwillige Unglücksprogramm der Deutschen ist das absolute Gegenprogramm gegen die seichte demokratische Glücksphilosophie des Westens. Demokratie ist feige Unmännlichkeit vor dem Schicksal, das kein Glück verheißt, sondern Apokalypse, Gericht und Untergang. Die letzten Reste dieser Haltung sind noch heute in der notorisch schwarzsehenden Bedenkenträgerei der Deutschen zu entdecken.

Wer Glück vermeiden muss wie die Pest, dessen Moral muss die perfekte Unmoral sein. Das Glück der Unglücklichen besteht im Herstellen des Unglücks. Alles, was den Normalen glücklich und moralisch scheint, wird von den Nationalsozialisten, den Erben der Unglücksideologie, ins Gegenteil verkehrt.

Nietzsche war nicht der erste, der alle bisherige Moral ins Gegenteil verkehrte. Der Franzose Marquis de Sade hatte schon 100 Jahre vor dem Pastorensohn die Maximen verkündet: „Reue ist widervernünftig, Mitleid ist die Sünde schlechthin.“ Juliette bekennt stolz: „Ich habe Vatermord begangen und Inzest, ich habe gemordet, ich habe prostituiert, ich habe Sodomie getrieben.“ Ein anderer Amoralist entwickelt den Plan, Frankreich zu verwüsten, zwei Drittel der Bevölkerung verhungern zu lassen, indem er alle Lebensmittel aufkauft.

Es gibt nur ein Recht, sagt Juliette, das Recht des Starken. Wenn der Schwache sich wehrt, muss er vernichtet werden. „Man muss die religiösen Chimären durch den äußersten Terror ersetzen. Wenn das niedere Volk die Furcht vor der zukünftigen Hölle verloren hat, muss es diese Hölle hier auf Erden fürchten.“

Worin zeigt sich die höchste Vollendung des Menschen? Im Verbrechen, im Morden, in der Unterwerfung anderer Menschen; in ihrer Verwendung als Menschenmaterial für alle Leidenschaften der vollkommenen Verbrecher.

Hier sehen wir die Endmoränen eines zerfallenden Christentums. Man könnte auch sagen, eines Christentums, das sich vom Himmel auf die Erde niedergelassen hat. Auf der einen Seite soll der Himmel für die Erwählten errichtet werden, die totalitären Utopien, die Reiche der Freiheit, auf der anderen Seite die Ausgeburten der Hölle für die Minderwertigen, die Entarteten und Schwachen.

Faust, zum notorischen Unglück verurteilt, indem er andere ins Unglück treibt, war der erste Versuch der Deutschen, den Übermenschen jenseits von Gut und Böse zu entwerfen. Die Nationalsozialisten mussten mit Hilfe Nietzsches nur ein wenig nachbessern, um Himmel und Hölle auf Erden zu installieren.

Die deutsche Klassik war kein moralisches Ereignis.