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Donnerstag, 25. Juli 2013 – Juli Zeh

Hello, Freunde der Frauen,

in Indien werden einzelne Frauen von Männerhorden vergewaltigt. In Deutschland auch: im Männerfeuilleton. Auf schreibende Weise. „Quatschnudel, Schwalldame, Dauerpowerfrau, apokalyptisch altkluge Angeberin, große Klappe, sie nervt, schlaumeiernd-zeigefingernde Oberlehrerin, Dutt im Genick, verkniffene Lippen.“ So die Kommentare der Testosteronschreiber nach dem entjungfernden Gang Bang.

Medien sind Männerhorden und brauchen ständig neue weibliche Beute. Sie benutzen und werfen weg. Was eben noch liebreizend war, ist im nächsten Moment abstoßend. Wer sich in die Fänge der Gazetten begibt, ist selbst daran schuld. (Steffen Martus in der BLZ zu Juli Zeh)

Post coitum animal triste? Nach dem Koitus ist der Schreiber traurig? Nein, er ekelt sich vor dem Objekt seiner postkoitalen Erkaltung. Am liebsten würde er das Weib strangulieren. Sie war Zeugin seiner Lüsternheit, seiner moralischen Schwäche. Das Weib muss verschwinden. Die Frau war nicht nur Zeugin, sei war Verführerin, die seine Bedürfnisse und Schwäche nutzte, um Ihn ins Verderben zu locken.

Die Verführerin hat schon viele Männer auf dem Gewissen:

„Denn viel sind der Erschlagenen,

    die sie gefällt,

    und die sie gemordet, sind zahlreich.

    Ihr Haus ist ein Weg zur Unterwelt,

    der hinabführt

    zu den Kammern des Todes.“

Diese Warnsprüche sind in allen männlichen Redaktionsstuben an die Wand geschrieben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir befinden uns mitten in der heißen Front des Geschlechterkampfes, des heftigsten, längsten, intensivsten, verdrängtesten Krieges der Weltgeschichte.

Der Feminismus ist in der Krise. Er begnügt sich damit, den Männern einige Posten abzujagen. Die männlichen Strukturen lässt er intakt. Diese wachsen und gedeihen bis zum Plafond des Universums. Wie viele Frauen gibt es in Wallstreet, wie viele in Silicon-Valley?

Wissen die Frauen, was die Herren der Schöpfung vorhaben und planen? Sie wissen es nicht, sie wollen es nicht wissen. Sie sind auf den Trug des individuellen Karrierismus reingefallen. Alles wird gut, wenn die Quoten fifty fifty sein werden.

Kennen die Frauen die imperiale Männerphilosophie des Abendlands, abgeleitet aus ihrer Schöpfertheologie, die sich wie ein stählernes Netz über die Welt legt? Das religiöse Unbewusste des Westens – in Amerika das religiöse Bewusstsein – wird in der Weltpolitik offenbar. Was nicht aufgearbeitet ist, schlägt sich nieder als Kampf um die Weltherrschaft.

Der Feminismus begnügt sich, dickbäuchige glatzköpfige Männlein anzugreifen, die nicht abwaschen wollen. Mit den Tycoons legen sie sich nicht an. Im Gegenteil, erst müssen sie den Phallogiganten zeigen, was sie können. Erst? Und danach? Danach nichts.

Noch immer hängt ihr Selbstbewusstsein von der Anerkennung der Männer ab. Der großen und starken Männer. Supermänner. Erlöser. Allein Bruce Willis hat die Welt schon elfmal gerettet. Da kommt kein Jesus von Nazareth mit.

Der Geschlechterkampf in der Erziehung, der Familienpolitik, beim öden Beischlaf, in der Wirtschaft – alles Petitessen im Vergleich zu dem, was auf dem Spiel steht. Was steht auf dem Spiel? Alles.

Wenn Frauen sich nicht als Klasse erkennen, die einst von den Männern in allen Dingen deklassiert wurde, werden sie erst aufwachen, wenn es zu spät ist. Die weibliche Kultur des Urvertrauens wurde von der Hochkultur der Phallokraten ausgelöscht. Gleichwohl gibt es immer noch willfährige Gespielinnen der Masters of Universe, die das Problem lösen müssen, wie man beim Shoppen in London pro Tag eine Million vernichtet.

Das feinfühlige Publikum mag keine apokalyptischen Töne. Deutsche Edelschreiber wollen Erbaulichkeit. Dagegen hilft nur der kaltschnäuzige Hegel, dass Philosophie nur Einsicht und keine Erbauung bieten kann. Philosophie darf nicht erbaulich werden. Die folgenden Sätze würden schon ausreichen, um 90% aller Feuilletonisten an der nächsten Biegung des Flusses zu ersäufen:

„Das Schöne, Heilige, Ewige, die Religion und Liebe sind der Köder, der gefordert wird, um die Lust zum Anbeißen zu erwecken; nicht der Begriff, sondern die Ekstase, nicht die kalt fortschreitende Notwendigkeit der Sache, sondern die gärende Begeisterung soll die Haltung und fortleitende Ausbreitung des Reichtums der Substanz sein.“

Ekstase würde jede Redaktion sprengen. Angesagt ist sorgenvolle Bewahrung des Bestehenden, die sich nicht ängstlich, sondern geschwätzig, weltkundig und irgendwie adornistisch, benjaministisch, derrida-dadaistisch gibt, um ihre Kläglichkeit mit verdorrten Blumen von gestern zu dekorieren.

Gewiss, in der deutschen Literatur muss gescheitert werden, es muss duster sein, trübe, melancholisch – aber nie so ausweglos, dass der eigene Platz in der Redaktion gefährdet werden könnte. So weit reicht die Liebe zum Untergang nicht. Das Scheitern soll ein stellvertretendes Ersatzscheitern sein, damit man seine tägliche Pflichtübung in realistischer Trostlosigkeit nachweisen kann. Danach fröhliches Kaffeetrinken mit lieben Kollegen.

Wenn plötzlich die wahre apokalyptische Realität mit dem Stiefel die Türe eintritt, sollen einige Edelschreiber schon ohnmächtig oder gar wütend geworden sein. Haben sie den Weltuntergang nicht schon oft genug auf dem Papier zur Kenntnis genommen? Wer hat der Wirklichkeit erlaubt, mehr zu sein als ein melodramatisch beschriebenes Papier? Sonst nichts?

Genau genommen gibt’s keinen Feminismus mehr. Er hat beim Abzählen weiblicher Vorstandsmitglieder den Geist aufgegeben. (Nicht mal dafür hat Alice Schwarzer Zeit, sie muss bei Pilawa eine Million gewinnen.)

Der Sinn des Geschlechterkampfes ist die Entfernung des Mannes aus allen Machtpositionen, sofern diese Positionen benutzt werden, um Mensch und Natur zu unterjochen, zu erniedrigen und auszulöschen.

Der Geschlechterkampf richtet sich nicht gegen Schwache und Ausgebeutete. Er verbindet alle Liebhaber und Liebhaberinnen des Lebens auf Erden, diese Erde solange zu bewahren, solange es dieser gefällt. In dieser Hinsicht ist die Frontenbildung nicht identisch mit dem Besitz differenter Geschlechtsteile.

Als Feind des Lebens wird man nicht geboren, zum Feind des Lebens wird man gemacht. Das Selbstbewusstsein der Frauen wurde im Verlauf der Hochkulturen so geschwächt, dass sie als Erste den natur- und menschenfeindlichen Erlösern zujubelten. Unter der falschen Erwartung, die Erlöser würden den Unterdrückern der Frauen die rote Karte zeigen. Die Frauen waren so verzweifelt, dass sie nicht bemerkten, wen sie da anbeteten: die He-Männer, die Supermänner, die lächerlichen Möchtegern-Erschaffer der Welt.

Sie kamen vom Regen in die Traufe, als sie auf den Schwindel des Starken Mannes reinfielen, der sich so schwach und ohnmächtig gab, dass bei den Frauen das Kindchenschema und der Mutterinstinkt hervorgerufen wurden.

Als der schwache Heiland am Kreuz starb, war weit und breit kein männlicher Jünger zu sehen. Aber die Frauen waren zur Stelle: „Es sahen aber dort viele Frauen von ferne zu, die Jesus von Galiläa her gefolgt waren, um ihm zu dienen und unter diesen waren Maria aus Magdala und Maria, die Mutter des Jakobus und Joses und die Mutter des Zebedäus.“

Drei Tage später hatte sich der Schwache in seinem Todes-Kokon zur Kenntlichkeit entwickelt, als er sprach: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“ Die Gewalt auf Erden. Womit der Glaube sich erneut als Welteroberungspolitik decouvrierte. Gebet dem Kaiser, was des Kaisers? Der Kaiser war ein Würstchen gegen den Pantokrator, das Ur- und Vorbild aller Masters of Universe.

Seit 2000 Jahren liegen die Frauen im Staub vor diesen Gewaltmännern, die sie mit windigen Glücksversprechungen um den Finger wickeln. Seit 2000 Jahren werden sie hingehalten mit Verheißungen ohne Erfüllung. Die Trostlosigkeit ihrer Lage dürfen die frommen Frauen nicht sehen. Ihr Treuereflex, ihre Mutterinstinkte lassen sich vom kleinen Jesulein, vom schmerzensreichen Gekreuzigten, bestechen, betäuben und in die Irre führen.

Mütter verteidigen alles mit dem Mut der Verzweiflung – selbst die Brut untergelegter Kuckuckseier. Der Feminismus leidet an irregeführten und betrogenen Muttergefühlen. Frauen müssen ihre Männer schützen, weil sie sie für schwach halten. Sie unterwerfen sich, um die Männer zu stützen, die sie beschützen sollen. Dabei entgeht ihnen, dass die Männer tatsächlich planetarischen Unfug anstellen.

Die Mütter müssten ihren kecken und dreisten Söhnen endlich jene niedlichen Spielzeuge wegnehmen, mit denen sie ihre Spielplätze vergiften und in die Luft jagen. Solange der Feminismus seine Verführbarkeit zur Fürsorge nicht durchschaut, wird er von der Hege und Pflege des Selbstmörderischen nicht loskommen.

Gegen die Doppelstrategie der Männer sind Frauen machtlos. Durch Schwäche appellieren die Männer an die Mutterinstinkte der Frauen. Als zum Himmel aufgefahrene Herrscher des Universums haben die Frauen keine Chance mehr, den Tricksern und Täuschern in die Parade zu fahren. Noch sind Männer für Frauen zu verschlagen, als dass die Mütter ihren hinterlistigen Bengeln die Hosen stramm ziehen könnten.

Gegen die genialen Maskeraden der Heilsgeschichte kommen die schlichten Verehrerinnen der Natur nicht an. Solange die Mütter sich nicht mit Religion beschäftigen und die raffinierten Erlösungsmaschinerien durchschauen lernen, solange gibt’s für die ökologisch bedrohte Menschheit keine Zukunft. Frauen glauben alles, hoffen alles und lieben alles: am meisten bei jenen Bubis, die die Zukunft der Menschheit bedrohen.

Seit wann gibt es männliche Allmachts-Phantasien und Allmachts-Realitäten? Politisch seit der Etablierung der Hochkulturen, religiös seit den biblischen Schriften und praktisch-technisch seit Beginn der Neuzeit, als Francis Bacon seinen Wahlspruch „Plus ultra“ (= weiter darüber hinaus) als technologische Vision und methodische Realität ersann.

Plus ultra bedeutet: Grenzen sprengen, Grenzen überschreiten, sich transzendieren. Über die damaligen Grenzen Europas hinweg: um die Welt zu erobern. Über die Grenzen der Welt hinweg: um den Weltraum zu erobern. Über die Grenzen der Natur hinweg: um eine zweite, bessere Natur zu errichten, die vom Menschen erschaffen wird. Über die Grenzen des Menschen hinweg: um Gott gleich zu werden. Über die Grenzen des Gottes hinweg, um seine alte miserable Schöpfung durch eine neue zu ersetzen. Über die Grenzen der menschlichen Phantasie hinweg: um immer Neues zu kreieren. Über die Grenzen des Endlichen hinweg: um das Unendliche zu schaffen.

In summa, um die Phantasie des Gottessohnes zu erfüllen: Siehe, ich schaffe einen neuen Himmel und eine neue Erde. Das Alte ist vergangen, ich mache alles neu. Das ist die verborgene Heuristik der Kreativen, die den minderwertigen Menschen überwinden wollen, um beseelte Maschinen zu bauen, die jenen ersetzen sollen. Die grenzenlose Kreativität der Männer ist eine ferngelenkte: sie läuft in determinierten Bahnen des Glaubens.

Mit seinem Plus ultra wollte Bacon die Gottähnlichkeit des Menschen und den Status seiner vollendeten Erlösung schon hienieden beim Worte nehmen. Ist der Mensch erlöst, steht seiner Rückkehr ins Paradies auf Erden nichts mehr im Wege. Was Joachim di Fiore theologisch beschrieb, wollte der praktische Engländer durch wissenschaftlich-technische Methoden ins Werk setzen.

Dichterisch beschrieb Bacon seine Visionen in seiner Utopie „Neu-Atlantis“. In seinem philosophischen Werk „Novum Organum“ fordert er die Menschheit auf, durch Abkehr von der brotlosen scholastischen Theologie sich einer neuen Technik und Wissenschaft zu widmen. Unter dem Motto: Wissen ist Macht. Mehr Wissen ist mehr Macht. Alles Wissen ist Allmacht.

Das sind die Beweggründe der Neuzeit in allen Laboratorien, Forschungsstätten, Intelligenzschmieden, Think Tanks und kreativen Männerhorden à la Silicon Valley. Der Mensch ist etwas, was überwunden werden muss. Die Natur ist etwas, was überwunden werden muss. Die Erde ist etwas, was überwunden werden muss. Die alte Schöpfung muss weg. Eine neue muss aus dem Nichts des menschlichen Kopfes erschaffen werden. Erschaffen aus Nichts. Was voraussetzt, dass Nichts erst erschaffen werden muss – durch Vernichten der Erde.

Darauf das neue Paradies. „Die Machtstellung über Gottes Natur erwirbt der Mensch durch deren Veränderung und Verwandlung in Operationen der Wissenschaft, die ihm das Mittel gibt, die Naturvorgänge nachzuahmen oder zu steigern. Da Wissen und Macht dasselbe ist, wird das Ziel der Naturwissenschaft, „eine neue Natur zu erzeugen und zu steigern“, indem man die Umwandlung der Elemente und den geheimen Prozess des Vorgangs und der Bewegung entdeckt, gleichzeitig ein Weg zur Macht.“ (Friedrich Wagner, Die Wissenschaft und die Gefährdete Welt)

Nach Bacon muss der Weg der Technik bis zur „Nachahmung des Himmels“ gehen. Aus diesen Grundsätzen der Eroberung des Himmels, der Rückeroberung des Paradieses, erwuchs die Gründung der Londoner Royal Society. Newton war Mitglied dieser himmelsstürmenden Gesellschaft.

Die moderne Wissenschaft hat sehr wohl eine Utopie, die aber zumeist verschwiegen wird. Zumindest im aufgeklärt sein wollenden Europa. Nicht im biblizistischen Amerika, das seine heilige Schrift wortwörtlich als Offenbarung und als Leitlinie seiner technischen, wirtschaftlichen und militärischen Weltpolitik nimmt.

Die NSA-Totalüberwachung der Welt ist nur ein kleiner Baustein beim Erschaffen des amerikanischen Garten Edens, vom dem aus der unheilige Rest der Welt ins doppelte Visier genommen wird.

Was hat das alles mit der Bewertung Juli Zehs durch die Männerhorde zu tun? Es ist ein repräsentatives Beispiel, wie Gottessöhne reagieren, wenn eine Frau in ihren Bereich einzudringen droht und den Anspruch erhebt, den Männern nicht nur Paroli zu bieten, sondern sie zu überbieten. Dann ist sie nämlich:

a) eine Besserwisserin

b) eine schlaumeiernd-zeigefingernde Oberlehrerin

c) eine Quatschnudel

d) eine nervende Schwalldame und große Klappe

e) eine Dauerpowerfrau, die sich in Männerangelegenheiten einmischt

f) eine apokalyptisch-altkluge Angeberin.

Als Juli Zeh ihre literarische Laufbahn begann, war sie eine Lieblingin der Rezensenten. Klug, dynamisch, vielseitig gebildet, juristisch versiert, politisch engagiert, selbstbewusst. Und nicht zu vergessen: hübsch anzuschauen, was aus sexistischen Gründen kein Kritiker erwähnen darf. Doch jeder Kritiker denkt daran.

Doch das Jungtalent hielt sich nicht an die Regeln der geschlossenen Männerhorde, die nicht nur für Springer gelten. Wer mit uns hinauffährt, fährt mit uns hinunter. Wer sich in die Fänge der Medien begibt, kommt darin um. Schnell wird aus einem süßen Käfer ein schrecklich verkniffener, abstoßender Drache.

Wer sich in Männerangelegenheiten einmischt, hat die rote Linie überschritten. Wer sich erlaubt, etwas besser zu wissen als Männer, muss verrückt sein. Wer die Männerwelt mit apokalyptischen Szenarien bedroht, und seien sie noch so realistisch, hat seine Lizenz in der Männerwelt verwirkt.

Kinder wirken altklug, womit klar ist, wie man in Phallokreisen weibliche Nachwuchstalente betrachtet. Verkniffen sind alte Jungfern, die ihre sexuellen Reize verloren haben: das war der literarische Tod der schönen Elevin, die die Macht der jahrtausendealten Schwanzträger mit Geist, Sachverstand und Temperament in Frage gestellt hatte.

Noch immer bestimmen Männer, wie Frauen zu sein haben. Frauen bestimmen nicht, wie der Mann und die Männerwelt zu sein hat.

Eva wurde erschaffen als Gehilfin des Mannes. Juli Zeh erdreistete sich, das Machtgefälle auf den Kopf zu stellen und die Männer des Feuilletons zu Gehilfen ihres politischen und literarischen Tuns zu machen. Oder: sie in gleichberechtigte Wesen zu degradieren.

Das war Blasphemie vor dem göttlichen Mann. Darauf der Sündenfall.