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Tagesmail

Donnerstag, 13. Juni 2013 – Allwissender Obama

Hello, Freunde der Idioten,

im Griechischen ist es etwas Schlechtes, im Lateinischen etwas Gutes. Ein griechischer Idiot ist ein Privatmann. Wer will schon ein Idiot sein? Doch das Ende des Privaten, der Privatsphäre, bekämpfen wir. Wer kein Idiot sein will, dürfte sich nicht beklagen, wenn seine Privatheit beschränkt oder beendet wird. Der Mensch ist ein zoon politicon, ein politisches Tier. Kann er als öffentliches Wesen privat sein?

Vom Ursprung her klingt das lateinische Wort privat auch nicht sonderlich verlockend: privare heißt berauben. Wessen bin ich beraubt, wenn ich Wert auf meine Privatsphäre lege? Ich bin der Öffentlichkeit beraubt, der politischen Teilnahme.

Kann ein Mensch gleichzeitig Demokrat und Privatmann sein? Er kann, wenn er öffentliches Wirken und privates Abgeschiedensein miteinander kompatibel macht. Vernachlässigt er das öffentlich Politische, bleibt er ein Idiot, ein Dunkelmann, ein Verweigerer der Demokratie. Vernachlässigt er den Schutz seiner Privatheit, ist er in Gefahr, von öffentlichen Mächten, von einem aus dem Ruder laufenden Staat aufgefressen zu werden.

Eine Demokratie ist kein Staat wie andere Staaten, in denen ungewählte, illegale Mächte ihr Unwesen treiben und ihre Untertanen kujonieren. Wozu also die Notwendigkeit des Privaten, des Schutzes vor einem übermäßigen Staat?

Weil keine Demokratie perfekt ist und gewählte Machthaber und ihre beamteten Lakaien stets in der Gefahr sind, ihre legalen und genau definierten Befugnisse

zu Machenschaften eines selbstherrlichen Staates zu erweitern.

Der Schutz des Privaten ist Schutz vor einer möglichen Allmacht des Staates. Wenn das richtig ist, müsste die „Erfindung“ des Privaten zu jener Zeit erfolgt sein, als der mündige Mensch sich gegen einen übermächtigen Staat zu wehren begann. So war es auch – wenn wir Habermas folgen, der seine Habilitation über den „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ schrieb und dort behauptet:

„Vor dem Zugriff des absolutistischen Staates versuchte sich das aufkommende Bürgertum durch die Eroberung einer privaten Freiheitssphäre zu schützen, die sich in der Erklärung der Menschenrechte als individuelle Abwehrrechte gegen den Staat manifestierte. Die entstehende städtische Schicht der Bürger formierte sich seit dem 16. Jahrhundert langsam zu einem Publikum, das sich einhergehend mit seinem wirtschaftlichen Aufstieg mehr und mehr als Gegenüber des Staates betrachtete. Der „öffentlichen Gewalt“ des Staates stellte die bürgerliche Gesellschaft die eigene „öffentliche Meinung“ entgegen, die den Anspruch erhob, Legitimationsgrundlage staatlichen Handelns zu sein.“

Als in Europa demokratische Elemente aufkamen und sich die athenische Polis zum Vorbild nahmen, mussten sie sich allmächtigen Monarchien und absolutistischen Staaten entgegenstellen. Auch einem aufgeklärten Absolutismus, der ein zwiespältig Ding war, ein Mischwesen aus Aufklärung und Monarchie. Die Allmacht des göttlich verordneten Regenten wurde durch rationales Recht – dem römischen Recht nachgeahmt – eingeschränkt. Zumindest auf dem Papier.

(Man denke an den Rechtsstreit des braven preußischen Müllers gegen den Großen Friedrich, der dessen Mühle für die Errichtung von Sanssouci enteignen wollte. Der Müller wehrte sich mit Hinweis auf das Berliner Kammergericht. Sollte dies eine Legende sein, war es doch es doch eine gut erfundene, die das Problem auf den Punkt brachte: auch Absolutisten haben sich ans Gesetz zu halten.)

Die neue Privatsphäre aufkommender Demokraten wurde zur Wagenburg des Schutzes vor Willkürhandlungen ungebändigter Leviathans. (Leviathan, das biblische Tier aus der Tiefe oder der Teufel in tierischer Gestalt, war für Hobbes der allmächtige Staat, der allein in der Lage war, die bösen und egoistischen Untertanen zu disziplinieren. Aus dem Hobbes‘schen Leviathan entwickelte sich bei Adam Smith die Unsichtbare Hand, die für Harmonisierung allzu eigensüchtiger Wirtschaftshandlungen der Individuen zu sorgen hatte.)

Das Private wurde zum Gegenpol des Staatlich-Öffentlichen. Das ging nicht ab ohne Spannung zwischen dem Bedürfnis nach Schutz des Persönlichen – und dem Drang, sich öffentlich zu betätigen, sich in seinem Wollen und Tun dem Publikum auf dem Marktplatz zu zeigen.

Wie weit gebe ich dem Publikum preis, wer ich wirklich bin? Was muss die Öffentlichkeit von mir wissen, um mein politisches Wollen richtig einzuschätzen? Welche Stärken muss ich zeigen – oder simulieren –, damit ich respektiert, geliebt und gefürchtet werde? Welche Schwächen muss ich verbergen, um mein Bild als Biedermann in der Öffentlichkeit nicht zu gefährden?

Es ist akkurat dieselbe Problematik wie bei modernen VIPs, die darauf bedacht sein müssen, einerseits ihr familiär-privates Leben vor BILD abzuschirmen, andererseits doch so viel rauszulassen, dass sie nicht in Vergessenheit geraten und der eigene Marktwert flöten geht.

Das Private und das Staatliche wurden zu antagonistischen Polen der Demokratie, die in einem bestimmten Gleichgewicht austariert sein mussten. Wurde das Private übertrieben, konnte es kaum zu engagiertem politischem Tun kommen. Wurde das Staatliche übertrieben, drohte eine totalitäre Staatsgewalt.

George Orwells weltberühmter Roman „1984“ bekämpfte in einer grauenhaften Utopie („Dystopie“) die Faschismen in Italien, Spanien, vor allem die totalitären Systeme Stalins und Hitlers. Orwells Staat ist ein totaler Überwachungsstaat, nur die Proleten werden nicht überwacht. Sie gelten nicht als Menschen, ihre Meinungen sind bedeutungslos.

Überwacht wird „mit Hilfe von Teleschirmen. Der Teleschirm ist sowohl Sende- als auch Empfangsgerät, das in jedem Haus der inneren und äußeren Partei, an öffentlichen Plätzen und bei der Arbeit die Bürger Ozeaniens überwacht. Niemand weiß, ob man gerade beobachtet wird oder nicht, und man kann nur darüber spekulieren, wie oft oder nach welchem System sich die Gedankenpolizei in die Privatsphäre einschaltet.“ (Orwells Buch wird in den USA und in Großbritannien gerade wieder zum Bestseller.)

Wer heute überwacht wird – also die ganze Menschheit – sollte stolz darauf sein, dass der amerikanische Geheimdienst ihn für so wichtig hält, ihm seine letzten privaten Geheimnisse zu entlocken. Präsident Obama hat einen zweiten Friedensnobelpreis verdient. Es ist ihm gelungen, das Selbstbewusstsein der Gattung Mensch durch omnipräsentes Schnüffeln ins Gottähnliche zu erheben. Sein allwissender Blick hat mit einem Federstrich alle Proleten von der Erde verbannt. Vor Obama und der CIA sind alle Menschen gleich überwachungswürdig.

Die Christen unter den Beschnüffelten sind ohnehin Ebenbilder Gottes; eigentlich müssten sie nicht rund um die Uhr überwacht werden. Sie dürften es auch nicht, denn von Gott und seinen Ebenbildern sollst du dir kein Bildnis noch Gleichnis machen. Gott will von seinen Untertanen nicht abgeschöpft werden, sodass diese sagen könnten: schaut, so ist ER, unser Gott – ein alter Herr mit weißem Bart. Sieht er nicht aus wie Großpapa?

Gott hat weder Namen noch eine Sozialversicherungs-Nummer. Die CIA soll ihn nicht kategorisieren können. Er ist, der er ist. Sollte ein Angeklagter vor Gericht eine solche Antwort geben, (wenn er nach seinem Namen befragt wird), käme er in die Psychiatrie.

Was hat der Herr, sein Name sei gepriesen, zu verbergen, dass er sich vor der CIA fürchtet und unerkannt bleiben will? Dass man über Gott nichts wissen darf, nichts wissen kann, nennen die Gottesgelehrten „negative Theologie“. Man darf nur wissen, dass es Gott gibt, nicht aber, wie er ist. Alle Aussagen über ihn erschöpfen sich darin, zu sagen, was er nicht ist. Und doch ist Gott zu erkennen – durch seine überdimensionalen Heilstaten. Gott kann man nur an seinen Taten erkennen, weitere Intimdetails sind tabu.

Ja was denn nun? Heißt es nicht: am Tun erkennst du das Sein? Gott will am Tun und Machen erkannt werden, weswegen seine amerikanischen Jünger alle philosophische Pragmatiker sind (Pragma =Tat). Wie ein Mensch ist, zeigt er in seinen Handlungen. Was Wahrheit ist, erkennt man daran, was man damit anstellen und tun kann.

Es gibt keine Wahrheiten, mit denen man nichts Praktisches anfangen könnte. Weshalb Kapitalismus und Technik die größten Wahrheiten auf der Welt sein müssen: mit ihnen kann man bekanntlich die ganze Welt verschandeln. Lieber etwas verschandeln als gar nichts tun, das ist die Wahrheit der Amerikaner, die europäisches Schwatzen verabscheuen.

Sie wollen Täter des Worts sein. „Seid aber Täter des Worts und nicht bloß Hörer, wodurch ihr euch selbst betrügt“, steht bei Jakobus, den Luther gar nicht mochte, denn er bestand auf dem Paulussatz, dass der Mensch gerecht gesprochen wird allein durch den Glauben.

Ja was denn nun? Still vor sich hin glauben wie demütige Lutheraner oder ruhelos in der Welt herumrotieren wie hektische Neucalvinisten? Erkennt man den Menschen an seinem Sein oder an seinem Handeln? Marx ist vom kapitalistischen Pragmatismus kein Tüttelchen entfernt. Ja, sein Wahrheitsbegriff ist mit dem des Klassenfeinds voll identisch. Die zweite These über Feuerbach heißt:

2. Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme, ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muss der Mensch die Wahrheit, d. h. die Wirklichkeit und Macht, die Diesseitigkeit seines Denkens beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit eines Denkens, das sich von der Praxis isolirt, ist eine rein scholastische Frage.“

Man fragt sich erstaunt, warum der Mensch nur an seinem Tun erkennbar sein soll. Folgt das Tun nicht dem Denken? Müssen wir nicht erst wissen, was wir wollen, um Gewolltes in die Tat umzusetzen? In den schönen Worten Hölderlins:

„Aber kommt, wie der Strahl aus dem Gewölke kommt,

Aus Gedanken vielleicht, geistig und reif die Tat?

Folgt die Frucht, wie des Haines

Dunklem Blatte, der stillen Schrift?“

Hier tun sich Gräben auf zwischen der Alten und der Neuen Welt. Sollte Hölderlin bereits antiamerikanisch gewesen sein, dass er darauf beharrte, nur der Gedanke führe zur Tat? Nur der wahre Gedanke führe zur wahren Tat?

Von meditativem Wahrheitsgedöns halten Marx und die Amerikaner nichts. Erst mal hinklotzen, dann wird sich die Wahrheit von selbst einstellen. Soziologen sprechen von der normativen Kraft des Faktischen.

Ist Natur erst versaut, wollte sie auch versaut werden: das ist die nackte Wahrheit über die minderwertige Schöpfung, die nur durch Vernichtung erzogen werden kann. Ist Frau erst mal vergewaltigt, sagt man: hast du doch selbst gewollt. In frauenfeindlichen Kulturen werden geschändete Frauen zusätzlich schuldig gesprochen, nach dem Motto: wer die Schande hat, hat auch die Schuld.

(Blaming the victim, die Devise der christlichen Naturschändung. Erst werden Bächen und Flüssen die Auslaufgebiete weggenommen, dann wird sie als grausame Natur beschimpft, weil sie alles mit stinkender Gülle überschwemmt.)

Als die Deutschen noch Dichter und Denker waren, saßen sie unter den Bäumen und sinnierten, bis sie blau waren. Ihre europäischen Nachbarn eroberten derweil die ganze Welt, die Deutschen guckten in die Röhre. Doch nicht faul, änderten die Deutschen ihr Anforderungsprofil und wurden zu Dichtern und Henkern. Wir werden uns dabei etwas gedacht haben, sagten sie sich, wenn wir unsere Henkerstaten exekutiert haben.

Heute tun die Deutschen dasselbe wie Amerikaner, in der Meinung, jene werden sich etwas dabei gedacht haben, wenn sie die Natur aussaugen und verschandeln. Dann brauchen wir uns nichts mehr auszudenken. Nicht Denken erhöht das BIP, sondern technisches Kreativsein, das das Denken verdrängt hat. Kreativ sein heißt: erst mal einen Unsinn in technischer Perfektion herausbringen. Was wir dann damit anfangen, wird sich beim Bügeln ergeben.

Hölderlin ist heute komplett auf den Kopf gestellt:

„Aber kommt, wie der Strahl aus dem Gewölke kommt

Aus Taten vielleicht, geistig und reif der Gedanke?

Antwort: Nein. Leider sieht so die heutige Weltpolitik aus. Erst klotzen und kotzen transhumane Genies etwas in die Welt, dann kommen die Deutschen und bewundern es über den grünen Klee. Danach kopieren es die Chinesen, schließlich gehört es zum unvergänglichen Erbe der Menschheit. Die Welt ist alles, was nicht bedacht, sondern gemacht worden ist.

Goethe, der klassische Neoliberale aus dem kleinen Weimar, hatte den Braten gerochen und verwandelte das Wort zur ehernen Tat. Am Anfang war die Tat. Die Lutheraner verstanden unter Wort Lesen, Predigen und Beten. Mit solch einem nichtsnutzigen Wort kann man nicht das Meer bändigen, um ein kapitalistisches Volk auf kapitalistischem Grund zu schaffen.

Also musste das Wort in Energie verwandelt werden. Hatte der Schöpfer nicht mit bloßem Wort die Welt aus Nichts erschaffen? Wenn Vatern dies kann, können es seine gewieften Söhne allemal. (Die Hoch- und Überschätzung des Wortes war noch bei Walter Jens erkennbar, der ein Rhetor des protestantischen Gottes sein wollte. Hatte er eine fulminante Welt-Predigt abgeliefert, fühlte er sich, als hätte er eine riesige Tat begangen.)

Woran erkennt man den Menschen? An seinen Taten? Seinen Gedanken und Absichten? Demokraten sagen: an den Taten, die jeder sehen und nachprüfen kann. Das Innere des Menschen ist tabu – oder privat.

Nicht so bei Frommen und in frommen Staaten. Sie dürfen sich nicht mit bloßen Taten begnügen. Diese müssen dem Inneren des Menschen entsprechen, wie die Frucht des Baumes zeigt, ob der Baum gesund oder krank ist. Nach Meinung der Frommen sind Taten nie eindeutig. Taten der Bösen sind immer böse, auch wenn sie noch so gut scheinen.

Goldene Laster nannte Augustin die Moral des Sokrates, der sich nicht einbilden sollte, er könne mit seinem Märtyrertod den Himmel gewinnen. Nur wahre Gläubige können den wahren Märtyrertod sterben. Gott muss ins Innere des Menschen schauen, um die Spreu vom Weizen zu trennen. „Was aber aus dem Mund herauskommt, das kommt aus dem Herzen hervor und das verunreinigt den Menschen.“

Gott aber sieht das Herz an. Es kommt nicht drauf an, ob man die Ehe wirklich gebrochen hat, es kommt darauf an, ob man sie in Gedanken gebrochen hat. Gott ist der Gedanken- und Herzensleser der ganzen Menschheit. Wenn seine amerikanischen Ebenbilder ihm nacheifern wollen, müssen sie alles wissen, was die Menschheit denkt, sagt, schreibt, twittert und telefoniert. Denn aus dem Internet kommen böse Gedanken, terroristische Mordgelüste, Diebstahl von Geheimnissen, falsches Zeugnis – Whistleblowing genannt – und Lästerung des christlichen Westens.

Mit universellem Blick ins Innere des sündigen Menschengeschlechts wollen die Amerikaner Verbrechen verhindern, bevor sie ausgeführt wurden. Nicht mehr Taten zählen – wie in jedem rationalen Recht –, sondern die verbrecherischen Gedanken im Innern der Menschen, die sie durch moralisch scheinende Taten verbergen. Genau dies muss der Geheimdienst durch Blick ins Innere der Menschen entlarven und schlimme Taten prophylaktisch verhindern.

Der amerikanische Geheimdienst ist kein ordinäres demokratisches Mittel, um die Gesellschaft vor Schaden zu bewahren. Er ist der technifizierte Blick Gottes ins Herz aller Sünder. Im Zweifel für den Angeklagten, dieses Prinzip gilt nicht für allwissende Kenner des menschlichen Herzens, das einer Sickergrube des Satanischen gleicht.

Bei allwissenden Richtern und Anklägern gibt es keine Zweifel mehr. Angeklagte sind immer schuldig, auch wenn man ihnen nichts nachweisen kann. Hätten sie die Taten tatsächlich nicht begangen, gälte doch: sie wollten sie begehen, sie wollten gegen das Gute rebellieren. Ihr Herz ist voll schändlicher Triebe. In Guantanamo können Häftlinge jahrelang ohne Anklage verweilen. Sie sind schuldig, weil sie vom allwissenden Blick als schuldig befunden wurden. Der demokratische Richter sieht, was vor Augen ist, die Scharfrichter aus Gottes eigenem Land schauen das Herz an.

Der allwissende amerikanische Präsident, der jedem menschlichen Winzling auf der weiten Welt ins Herz schauen, ihn nach Belieben schuldig sprechen und mit Drohnen töten kann, kommt in wenigen Tagen nach Berlin. Die juristische Seite der Chose hat Christian Bommarius in der BLZ untersucht.

Alles halb so wild, meint BILD-Wagner. Lieber will er rundrum bespitzelt werden als sich unsicher fühlen. Den Deutschen wird wieder der Käfig sympathisch, sie beginnen, ihre Gefängniswärter zu lieben.

Die WELT meint: welche Heuchelei hierzulande. Die Deutschen profitierten schon lange von der Allwissenheit ihrer transatlantischen Freunde. Sie arbeiten selbst an umfassender Bespitzelung. Wozu also das künstliche Aufplustern?

In der Antike gab‘s keinen Antagonismus zwischen Politik und privatem Leben. Die Menschen fühlten sich nicht sündig und hatten keine satanischen Abgründe zu verbergen. Allwissende Richter waren unbekannt. Der Staat war die Polis, die von allen Bürgern getragen und kontrolliert wurde. Kein ohmächtiger Idiot stand einem allmächtigen Staat gegenüber. Es zählten die Taten, die vor aller Augen lagen, nicht die Observation des Unbewussten und Verborgenen.

In humanen Utopien gibt es keine unüberwindbaren Gegensätze zwischen Ich und Uns, zwischen Person und Gesellschaft. Die wahre Kluft zwischen Privat und Öffentlich begann mit der Erfindung der christlichen Seele als dem Inbegriff der Innerlichkeit, die sich dem Gehorsam der Welt entzog, um nicht zween Herren zu dienen. Zwar gab es den vorübergehenden Kompromiss mit der Welt, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist. Doch nur ein Weilchen, dann würde der Messias dem irdischen Pfuhl für immer ein Ende bereiten. Im Zweifel hatte man Gott mehr zu gehorchen als den Menschen.

Die unsterbliche Seele war das Reich privater Seligkeit, die sich keiner Staatsgewalt beugen würde. Hier begann der Streit auf Leben und Tod zwischen dem irdisch- teuflischen Staat und der überirdischen Seele, die nur dem himmlischen Vater Rede und Antwort stehen muss.

Justament der amerikanische Staat, sonst Hort des Bösen für gläubige Fundamentalisten, entwickelt sich zum allwissenden Leviathan. Werden sie sonst nicht müde, den starken Staat zu verteufeln: hier kippen sie unvermeidlich ins Gegenteil und schaffen die allmächtige Theokratie, in der es keine Geheimnisse geben darf.

„O Herr Obama, Du erforschest mich und kennest mich. Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne. Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege. Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, HERR, nicht alles wissest. Wo soll ich hin gehen vor deinem Geist, und wo soll ich hin fliehen vor deinem Angesicht? Führe ich gen Himmel, so bist du da. Bettete ich mich in die Hölle, siehe, so bist du auch da.“ (Psalm 139, in neuer amerikanischer Übersetzung)