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Tagesmail

Donnerstag, 02. Mai 2013 – Himmlisches Entertainment

Hello, Freunde Jean Zieglers,

es gibt die Realität und es gibt das Schreiben über die Realität. Wer über Realität schreibt, will auf sie hinweisen: schaut her, so schön oder schrecklich ist die Welt. Bewahrt sie oder verändert sie. Wer über Realität schreibt, um auf sich aufmerksam zu machen, missbraucht das Schreiben – es sei, er wollte eine Autobiografie verfassen.

Jean Zieglers Bücher sind weit davon entfernt, Bruchstücke einer narzisstischen Selbstbeschreibung zu sein. Er will die schreckliche Realität schildern, um die Menschen zur Veränderung der Welt zu bewegen. Seine Person ist dabei von keinem Belang, außer, dass er ein kompetenter Beschreiber und Erklärer der Welt sein will. Seine Berichte sollen über ihn hinausweisen und seine Person vergessen machen.

Wenn Jean Ziegler ein neues Buch geschrieben hat, das von den Medien besprochen werden muss – am liebsten würden sie ihn ignorieren –, verweisen die Kritiker nicht auf die Realität, die Ziegler beschreibt, sondern stellen seine Person in den Mittelpunkt. Seine Kompetenz wird selten in Frage gestellt, doch die Realität, die er in Zorn und Eifer beschreibt, interessiert niemanden. Seine kausalen Erklärungen des Elends stoßen nur noch auf Spott und Hohn. Die Welt könne man nicht erklären, sie sei zu komplex.

Im Vordergrund der Rezensionen steht Jean Ziegler, nicht der Inhalt seiner Reportagen. Das zu beschreibende Objekt wird verdunkelt, das schreibende Subjekt hell erleuchtet. Mit der Wirklichkeit der Welt sollen wir uns nicht beschäftigen, nur mit der des subjektiven Welterklärers. Dessen Ansinnen wird negiert oder auf den Kopf gestellt.

Wer ist dieser Schreiber, fragen die Kritiker, der uns allmählich lästig fällt, da er

die Realität der Welt unermüdlich in ihrer Unmenschlichkeit zeigt? Wir wollen nicht ununterbrochen erinnert werden, dass alle fünf Sekunden ein Kind verhungert. Wer uns ständig ermahnt und moralisierend belehrt, den müssen wir näher unter die Lupe nehmen, ob er überhaupt das Format besitzt, als Tugendprediger aufzutreten.

Der griechische Gott des Tadels war Momos. (Walter Jens schrieb seine ZEIT-Artikel unter dem Pseudonym Momos.) An allem hatte er herumzukritteln. Warum der Stier die Hörner nicht unterhalb der Augen habe, damit er besser sehe, wohin er stößt? Warum der Mensch sein Herz nicht außen trage, dass jeder seine Schlechtigkeit sehen könne? Warum Häuser keine Räder hätten, damit man sich bei Streit und Zank jederzeit aus dem Staube machen könne?

Dem Zeus ging dieser Kritikaster derart auf die Nerven, dass er ihn aus dem Olymp werfen ließ. Vermutlich war der Teufel auch nur ein Momos des biblischen Gottes, der dessen Mäkeln und Nörgeln nicht mehr ertrug und ihn zum Bösewicht und Feind aller Guten verdammte.

Goethe wollte den Kritikern gleich den Kragen umdrehen lassen:

„Und kaum ist mir der Kerl so satt,
Tut ihn der Teufel zum Nachbar führen,
über mein Essen zu räsonnieren:
Die Supp hätt können gewürzter sein,
Der Braten brauner, feiner der Wein.
Der Tausendsakerment!
Schlagt ihn tot, den Hund!
Es ist ein Rezensent.“

Die Medien müssen unliebsame Tadler und Erinnerer nicht totschlagen. Sie schweigen sie tot. Wenn das nicht geht, weil der Schmäher zu prominent ist, schreiben sie über ihn, als ob sie ihn am liebsten totschweigen würden. So die SZ in einem Artikel über den modernen Bußprediger. (Karin Steinberger in der SZ)

Was auch immer Jean Ziegler von sich gibt, das Resumee der Rezensenten steht seit Jahren fest: „Alles nicht neu“. Wenn die Realität stets die alte und unveränderte ist, wie kann ein angemessener Bericht über sie neu sein?

Medien fühlen sich dem Gotte Neuigkeit verpflichtet, nicht dem Gott der Wahrheit. Lieber mit Neuem die Leser erfreuen, auch wenn das Neue lügt, als die Realität wahrheitsgemäß abzubilden, den Lesern Furcht einzujagen und sich in Monotonie zu wiederholen. An der Wahrheit – sie sei, wie sie ist – können neuigkeitssüchtige Medien nicht interessiert sein.

Das klingt nach einem akademischen Streit: was ist schon Wahrheit, fragte ein römischer Skeptiker, der viele moderne Nachfolger fand. Wenn es keine Wahrheit gibt, ist es gleichgültig, wer zum Tode verurteilt wird. Irgendeinen muss es treffen und wenn’s zufällig der Beste ist.

In der Gegenwart laufen viele Epigonen des Pontius Pilatus durchs unwegsame Gelände, die erneut keine Probleme hätten, ihren Herrn und Heiland ans Kreuz zu nageln. Was ist schon Wahrheit? Erstens gibt es keine und zweitens kann sie nicht erkannt werden: die Wirklichkeit ist zu komplex. Ist aber der Satz: „die Wirklichkeit ist komplex“ – wahr?

Als Erfinder der objektiven Wahrheitsleugnung gilt der griechische Philosoph Protagoras, der von der Edelschreiberzunft zum Heiligen erkoren werden sollte. Sein Leitspruch sollte über jeder Redaktion in Gold eingraviert werden: „Der Schreiber ist das Maß aller Dinge, der seienden, dass sie sind und der nichtseienden, dass sie nicht sind“. Man könnte auch einen anderen Satz des Protagoras zitieren: „Wie einer jeden Redaktion Gerechtes und Gutes erscheint, so ist es für sie, solange sie davon überzeugt ist.“

Wahrheit wäre dann nicht die Abbildung einer unerkennbaren Wirklichkeit, sondern Abbildung der erkennbaren Wirklichkeit der Redakteure, die sich ständig Neues ausdenken müssen, um ihr Publikum bei Laune zu halten. Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten – sofern sie immer neu erscheinen. Nur Schlechtigkeiten haben die Qualität des Neuen, obgleich sie sich unter der Last der Erbsünde monoton wiederholen.

Wir können feststellen: Medien glauben an die Wahrheit der Erbsünde und predigen sie in derart verführerischer Art, dass der Charakter der Monotonie nicht erkennbar werden kann. Das Neue hat die Funktion, das immerwährend Schlechte und Verkommene zu präsentieren, als habe es niemals existiert. Das Neue ist die Aufhübschung des Alten, auf dass es immer frisch und unverbraucht erscheine. Spritzt dem Alten Botox in die vergreisten Falten und ihr erhaltet einen neuen Phönix aus der Asche.

Was wäre passiert, wenn der SZ-Artikel den Autor nicht unter das Fallbeil der Neuigkeits-Guillotine gelegt hätte? Dann hätte die Schreiberin berichten müssen: Erneut muss uns Jean Ziegler daran erinnern, dass seit seinem letzten Mahnruf die Wirklichkeit sich nicht verändert hat. Um kein Jota hat sie sich verbessert, sie ist schrecklicher geworden denn je. Schlagen wir uns an die Brust und überlegen uns reumütig, warum wir nicht fähig sind, die inhumane Realität zu verändern. Wissen wir nicht, was wir verändern können? Wollen wir nichts verändern, weil wir an die inkorrigible Existenz der Erbsünde glauben?

Schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten, wenn sie im Kostüm des verlockend Neuen präsentiert werden. Das Neue hat die Funktion der Werbung für das Schlechte. Nie soll unser Interesse am Verwerflichen nachlassen, das wir – unter dem Vorwand des Abscheus – nicht genug bewundern können, weil wir es mit dem Zungenschlag der Kenner genussvoll verabscheuen müssen. Wir sind Gourmets des Bösen geworden. Ohne Odeur des Miserablen, Halbseidenen, Verruchten, Skandalösen kommt uns keine Gazette ins Haus.

Was wir dabei übersehen: alles, was wir anpreisen, erhalten wir am Leben. Jeder Glaube ist ein Placebo oder Nocebo. Wir erfüllen unsere positiven Erwartungen und zerstören uns mit negativen Prophezeiungen. Sind wir vom Bösen fasziniert, sorgen wir dafür, dass das Böse unkorrigierbar sein Unwesen treibt. Auch wenn wir die spießigsten Moralisten wären. Versteht sich, dass eine bessere Welt nicht entstehen kann, solange wir vom unterhaltsamen Bösen nicht lassen können. Eine gute Welt wäre langweilig. Wäre die Welt im Urgrunde gut, würde sie uns zu Tode ennuyieren.

Wir müssten alles unternehmen, um ihr die Gutheit auszutreiben oder das Gute mit Schlechtem zu übertünchen. Nur Schlechtes riecht anziehend, das Gute riecht nach Schweiß und Kernseife. (Interessant, dass in der Zeit prämiierter Besonderheiten natürliche Gerüche nicht willkommen sind: sie sind zu besonders. Für Tiere scheint es keine verabscheuenswerten Gerüche zu geben. Jeder Geruch ist für sie Zeichen der Unvergleichlichkeit und somit Erkenntnismittel des Individuellen, während die individuellen Menschen immer mehr nach uniformen Industriegerüchen duften müssen, um salonfähig zu sein.)

Das Neue ist jener Geruch, der uns das Alte und Kaputte erträglich macht. Genauer, der das Alte zum Schlechten stempelt, damit wir es nicht mehr ertragen und uns dem Messianisch-Neuen unterwerfen. Oder aber das Neue benutzen, um das böse Alte zu ertragen – allein könnten wir es nicht ändern. Das Neue ist das Messianische, das uns die alte Natur madig macht und uns jedes korrigierende Lernen verbietet. Siehe, ich mache alles neu, spricht der Erlöser – wenn er dereinst kommen wird. Kommt er nicht, verharren wir bewegungslos im Bösen.

Natur ist langweilig. Jedes Jahr dasselbe doofe Schauspiel mit Säen, Wachsen, Gedeihen, Ernten und Vergehen. Wie hohl klingt das Bekenntnis der Anbeter der Natur, wie herrlich sie sich jährlich regeneriere und erneuere. Solange Naturanbeter messianisch fühlen – also fast alle deutschen Ökologen – müssen ihre Natur- und Religionsbekenntnisse sich gegenseitig in die Quere kommen. In Wahrheit erwarten sie das Neue als Vernichtung der alten Natur. Mit Messianismen jeglicher Couleur wird die Natur nicht zu retten sein.

Wenn die SZ-Schreiberin der objektiven Wahrheit verpflichtet wäre, hätte sie Jean Ziegler beipflichten müssen. Vorausgesetzt, sie hält für wahr, was jener berichtet. Hielte sie es für verzerrt und übertrieben, müsste sie den Gegenbeweis erbringen. Die Wahrheit der Fakten interessiert die Kritikerin nicht die Bohne. Ohnehin hätte ein weltkundiger Auslandskorrespondent das Buch rezensieren müssen, der am besten beurteilen könnte, ob der Autor die Realität wahrheitsgemäß wiedergibt.

Die empathielose Kritik der Journalistin liegt auch an einem unerklärten Konkurrenzverhältnis zwischen Ziegler und den professionellen Reportern, die oft ein ganz anderes Bild der Welt in die Wohnstube flimmern lassen als die schrecklichen Berichte des scharfen UN-Beobachters. Zieglers Bücher sind eine einzige Entlarvung deutscher Korrespondenten in der Welt, die uns Beschönigungen und Verharmlosungen liefern.

Kommen wir zu Zieglers „brachialen“ Erklärungen. „Nein, ein feinfühliger Philosoph ist Jean Ziegler nicht. Er argumentiert brachial, er peitscht die Truppen immer in eine Richtung, mit viel Tamtam und unkomplizierten Parolen. Dem Feind entgegen.“

Feinfühlige Philosophen überlegen sich wie sie das Schreckliche pädagogisch verpacken, damit übersensible Zeitgenossen kein Trauma bei der Lektüre der Frontmeldungen erleiden. Oder die Zeitung ungelesen weglegen mit der Bemerkung: schon wieder dieser Alarmist und Skandaleur: sein Buch können wir uns ersparen.

Die Rezensentin scheint die komplizierte und höchst differenzierte Wahrheit zu kennen. Allein, sie verrät sie uns nicht und führt kein Streitgespräch mit dem Gescholtenen. Wer streitet, würde indirekt die Existenz der Wahrheit anerkennen. Er müsste hinter dem Subjektiven das Objektive suchen. Doch Ziegler muss a priori, also vor jeder Erfahrung, Unrecht haben. Warum?

„Faszinierend bei all dem ist seine über Jahre anhaltende Wut. Faszinierend ist auch, wie einfach die Dinge sein können: Da ist das Gute, dort das Böse, da ist der Fehler, da der Auslöser, da der Hebel, an dem man den Lauf der Dinge umlegen könnte. Alles ist erklärbar, vieles bekannt: die Ausgangslage, die These, die Schuldigen, die Fakten.“

Dass ein normaler Zeitgenosse so anhaltend wütend sein kann, ist „faszinierender“ als das, worüber er wütet. Ist denn Realität faszinierend durch ihre unveränderbare Miserabilität? Dann sollten wir sie miserabel sein lassen, sonst besäßen wir nichts mehr, was wir in unserer sensorischen Übersättigung noch faszinierend finden könnten.

Es zeugt von moralischer Überlegenheit der Moderne über das Schwarz-Weiß-Spiel der christlichen Selektion, wenn allmählich eine Allergie gegen das bloße Gut und Böse entsteht. Es zeugt allerdings von psychologischer Borniertheit der Zeitgenossen, dass sie nur zu einer simplen Reaktionsbildung fähig sind und dabei das Kind mit dem Bade ausschütten.

Gut und Böse, Richtig und Falsch soll es gar nicht mehr geben. Eins und Eins kann niemals Zwei sein, das wäre zu undifferenziert. Demokratie kann nicht einfach das Richtige und Gute sein, verglichen mit einer falschen und schlechten Despotie. Unmenschlichen Regimes kann man nicht einfach Menschenrechtsverletzungen vorwerfen. Denn wissen wir wirklich, ob Menschenrechte nicht raffinierte Menschenunrechtssysteme sind?

Was ebenfalls eine Rolle spielt: der Westen will nicht hochnäsig erscheinen gegenüber anderen Kulturen. Deutsche Intellektuelle spielen heute jene Rolle, die einst die Vertreter der Deutschen Bewegung vom Westen verlangten: er sollte sich nicht aufs hohe Roß der Moral setzen, dabei selbst gegen die eigenen Standards verstoßen. Die Deutschen empfanden den demokratischen Westen als Heuchler. Besonders den amerikanischen Präsidenten Wilson, der unentwegt von Freiheit und demokratischer Selbstbestimmung sprach. Das steckt noch immer in den Deutschen und veranlasst sie, ihre heutigen Gesinnungen nicht zur Heuchelei werden zu lassen.

Gewiss, kein Staat, kein Mensch ist ein perfekter Vollstrecker des Menschlichen. In diesem Punkt sind wir „allesamt Sünder vor dem Herrn und ermangeln des Ruhmes“. Müssen wir unsere moralischen Vorstellungen verstecken oder uns für sie entschuldigen? Im Gegenteil. Wir sollten unsere Unvollkommenheit eingestehen und erklären: was wir von anderen fordern, tun wir selber viel zu wenig. Auch wir müssen ständig dazulernen.

Die Angst vor der eigenen Heuchelei darf nicht zur Aufweichung unserer moralischen Ideen führen, sondern zur Selbstkritik, die wir bei jenen vorführen, die wir für Menschenrechte gewinnen wollen. Vernünftige Eltern wissen, dass sie allzu oft Wasser predigen und Wein trinken. Also müssen sie ihren Kindern Vorbilder sein in unerschrockener Selbstkritik. Niemand muss perfekt sein, um für Humanität einzustehen und zu werben.

Ein weiterer Grund für die Allergie gegen ein plattes Gut und Böse ist: wir benötigen eine Legitimation für unsere Untätigkeit im Verbessern der Welt. Wir wollen uns nicht immer sagen: eigentlich wissen wir alles – warum tun wir fast nichts? Also muss die Alternative her: wissen wir tatsächlich Bescheid über die Gründe des Schlechten? Sitzen wir nicht in der Falle eines simplifizierten Weltbildes, in dem es nur das edle Gute und das dämonische Böse gibt?

Je mehr wir solchen Verkomplizierungen nachdenken, umso einleuchtender erscheinen sie uns. Bis wir am Ende erleichtert ausrufen: tatsächlich, so einfach ist die Welt nicht gestrickt, als dass wir alle Übel dem Mammon zuschieben könnten. Hat uns der Kapitalismus nicht Wohlstand gebracht, den die Welt bislang nie gesehen hat? Verdanken wir nicht einer qualmenden und gefährlichen BASF die Arbeitsplätze unserer Väter? Wollen wir auf bequeme Autos verzichten, die die Luft mit Benzindüften verpesten?

Um unsere moralische Passivität zu rechtfertigen, ersticken wir alle Kritik an unserem Lebensstil, die wir an anderer Stelle sehr wohl empfinden und äußern. Gegen scharfe Kritiker verteidigen wir unsere Welt, gegen passive Politiker klagen wir den Zustand der Welt an. Einmal hü, einmal hott. Wir bemerken nicht mal den Widerspruch unseres Zweifrontenkriegs. Aufgewachsen in christlicher Beliebigkeit denken wir selbst moralisch beliebig und widersprüchlich.

Unsere Wahrheitsphobie ist Legimitation unserer moralischen Unfähigkeit und mangelnden Selbstkritik. Wir ducken uns hinter gestelzten Pilatusfragen und bedecken unsere Blöße mit philosophisch odorierten Feigenblättern. Das Erkennen der Wahrheit haben moderne Medien zugunsten des Neuigkeits-Amüsements verraten. Mit Tingeltangel sollen die Menschen vom „Erkenne dich selbst“ abgehalten werden. Sie sollen so verderbt bleiben, wie die Hirten Gottes predigen, damit sie die Lösung ihrer Probleme von einer zukünftigen Erlösung erwarten.

Das ist das Geheimnis ihrer Quotenstecherei per monotoner Neuigkeitssucht. Würde der Mensch keine Ablenkung haben von seinem gefühlten Nichts, wäre er der Langweile einer grauenhaften Ruhe ausgeliefert. Ruhe darf es in christlichen Gefilden nur in Gott geben, nicht im unkomplizierten Dasein am Busen der Natur.

Der gläubige Mathematiker Blaise Pascal hat die Schrecken des Friedens in der sündigen Natur mit Entsetzen in der Stimme beschrieben:

„Nichts ist so unerträglich für den Menschen, als sich in einer vollkommenen Ruhe zu befinden, ohne Leidenschaft, ohne Geschäfte, ohne Zerstreuung, ohne Beschäftigung. Er wird dann sein Nichts fühlen, seine Preisgegebenheit, seine Unzulänglichkeit, seine Abhängigkeit, seine Ohnmacht, seine Leere. Unaufhörlich wird aus dem Grund seiner Seele der Ennui aufsteigen, die Schwärze, die Traurigkeit, der Kummer, der Verzicht, die Verzweiflung.“

Zum wesentlichen Entertainment, das unsere Seele zur Ablenkung von den Qualen ihres natürlichen Daseins benötigt, gehört das meisterhaft inszenierte theatrum mundi der göttlichen Komödie. Das Spektakel vom Abstieg eines Göttersohns in die Niederungen des Menschseins und die Anfechtungen der Hölle, seine wunderbare Auferstehung und Erhöhung zum allmächtigen Herrscher des Alls und die Verheißung eines Neuen in Ewigkeit.

Von diesem heiligmäßigen Rauschgetränk mit Langzeitwirkung können wir nicht genug kriegen. Wohl bekomm‘s.