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Donnerstag, 01. August 2013 – Sokrates, Manning und Snowden

Hello, Freunde des Rechts,

wenn Recht Unrecht wird, wie soll man darauf hinweisen, ohne das Recht anzugreifen? Wenn Beauftragte des Rechtsstaats Unrecht tun im Namen des Rechts, wie kann man sie zur Verantwortung ziehen, ohne ihre Taten zu veröffentlichen?

Unrechtstaten im Verschwiegenen jenen Staatsorganen übermitteln, die die Täter schützen, wäre absurd. Wenn nichts mehr hilft in einer Demokratie, kann nur noch Öffentlichkeit helfen, das freie Forum des Volks. Wenn das nicht hilft, ist Demokratie verloren, das Volk demokratieunfähig geworden.

So war‘s in der Weimarer Republik, die in aller Öffentlichkeit zuschaute, wie das Unheil die Straßen unsicher machte, bis es in der Potsdamer Garnisonskirche den Segen des Staates und des Himmels erhielt. Alles Weitere waren unvermeidliche Konsequenzen.

Wenn Manning in Deutschland vor Gericht stünde, müsste sein Vorsatz erforscht werden. Vorsatz ist, was der Mensch sich subjektiv vorgenommen hat. Sofern man nicht beweisen kann, dass er lügt, kann nur der Täter über seinen Vorsatz Auskunft geben.

Was bezweckte Manning? Warum wird vom Tisch gewischt, was er selbst zu sagen hat? Gibt’s Hinweise, dass er schizophren ist, dass er in einer Wahnwelt lebt? Wenn nicht, gibt’s keine Gründe, sich über seinen Vorsatz hinwegzusetzen. Die Staatsanwaltschaft scheint über ein göttliches Seelendurchdringungsmittel zu verfügen, dass sie dem Selbstbild des Angeklagten ohne Beweise ein

diametral anderes Fremdbild entgegenstellt. Kraft welcher Kompetenz?

Kraft keiner Kompetenz. Die Staatsanwaltschaft ist Anwalt eines Staates, der sich für die Wahrheit nicht interessiert. Sie ist das blinde Organ eines rachsüchtigen Ungeheuers, dem es gleichgültig ist, ob seine Befehlsempfänger Unrecht oder Recht tun.

In der frühen Bundeswehr gab es das Konzept des Bürgers in Uniform. Soldaten haben keine blinden Befehlsempfänger zu sein – wie angeblich im Nationalsozialismus, was sie dort zumeist nicht waren, sondern fanatische Gläubige des Führers –, sie haben ihren Kopf einzuschalten und, wenn’s sein muss, den Befehl zu verweigern und dem Gesetz zu folgen.

Da kein Gesetz perfekt ist und sich ständig zu reformieren hätte – im Sinne eines „idealen Rechts“, das vom Volk laufend debattiert werden müsste –, kann es vom Bürger nicht als unfehlbares Evangelium betrachtet werden. (Seit der Rechtsreform in den 60er Jahren gibt’s keine Rechtsdebatte mehr.)

Die Veränderung des Rechts dürfte nicht als eigenmächtige Selbstjustiz, sondern auf den üblichen Wegen der Legislative erfolgen. Dass jeder Bürger Verletzungen des Rechts den zuständigen Behörden melden sollte, versteht sich von selbst. Es ist auch sein Recht, das verletzt wurde. Auch er ist geschützt, wenn das Recht intakt ist.

Melden von Unrecht wäre nur dann eine Denunziation, wenn das Recht nicht Erzeugnis des Volkes, sondern die autoritäre Stimme eines Despoten wäre. Polizisten sind keine Marionetten eines Obrigkeitsstaates, sondern Angestellte des Volkes. Verstoßen sie selbst gegen das Gesetz, müssen auch sie behandelt werden wie andere Rechtsverletzer.  

Sokrates wurde angeklagt, weil er Gesetze des Staates verletzt haben sollte. Er hätte die Religion angegriffen und die Jugend zur Renitenz verführt. Im Gerichtsverfahren plädierte er nicht nur für Freispruch, sondern für lebenslange Auszeichnung, die er sich dadurch verdient hätte, dass er mit philosophischen Gesprächen für Stärkung demokratischer Kompetenz gesorgt hätte. Kritisches Denken sei das einzige Selbstheilungsmittel einer Demokratie, die zu degenerieren droht.

Er wurde zum Tode verurteilt, weil die demokratische Fraktion aufgrund des Bürgerkriegs mit aristokratischen Eliten Kopf und Überblick verloren hatte. Es schien ihnen, als ob der Störenfried auf der Agora zum Untergang der gebrechlichen Herrschaft des Volkes beitrüge.

Den Argumenten des Sokrates hatten sie nichts entgegenzusetzen. Dennoch – oder deshalb – wollte man ihn für immer aus dem Verkehr ziehen. Waren in seinem Gefolge nicht viele rotzfreche Naseweise aus adligen Schichten, die alles andere wollten als die Herrschaft des Pöbels?

Im Gegensatz zur amerikanischen Justiz war es Sokrates freigestellt, seine Heimatstadt zu verlassen, um dem Tode zu entkommen. Aus Treue zum Gesetz aber wollte er dem Spruch des Volksgerichts nicht aus dem Wege gehen und die Folgen des – ungerechten – Gerichtsbeschlusses auf sich nehmen. Wollte er Märtyrer fürs Gesetz werden? Wollte er ruhmsüchtig in die Schulbücher einwandern? War er wie Herostrat, der einen Tempel in Brand setzte, um unsterblich zu werden? War er ohnehin lebensmüde? Konnte er außerhalb Athens nicht leben?

Beim Begriff „Märtyrer für Recht und Demokratie“ johlen alle Ungutmenschen und Salonmachiavellisten, die genau wissen, wie man sich durchschlängelt, ohne dass man sich beim Brechen der Gesetze erwischen lässt.

(Nur nebenbei: Gutmenschen müssen ziemliche Trottel sein, wenn sie nicht mal auf die Idee kommen, ihre ständigen Wadlbeißer als Schlechtmenschen, Übelkrähen, Amoralisten oder Demi-Zyniker zu bezeichnen. Demi (=halb) deshalb, weil Zyniker am lautesten zu zetern pflegen, wenn ihre Nachbarn nicht das Treppenhaus geputzt haben oder irgendein Lümmel in der U-Bahn nicht aufstand, als seine Majestät das Abteil betrat.

Gutmenschen mit cäsaristischem Zeigefinger, die einem ihre Privatmoral aufdrängen, können einem auf den Wecker gehen. Schlechtmenschen, die an die Macht kommen, können nur die Welt zugrunde richten. Zyniker applaudieren den Schlechtmenschen, selbst wenn sie wissen, dass es ihnen selbst an den Kragen geht. Mediziner sprechen von larviertem Suizidsyndrom.)

Sind Manning, Snowden Schüler des Sokrates? Die Ähnlichkeiten sind auf den ersten Blick verblüffend, doch der Name Sokrates taucht in keiner Gazette auf. Kein Kommentator hat ein Deja vue-Erlebnis, das er ergründen wollte. Mit den trefflichen Worten eines Fußballtrainers: europäische Bildung haben fertig.

Der Märtyrertod eines Sokrates-Imitators am Kreuz hat die Welt überwunden und beherrscht als westliche Dominanz den Planeten. Der Märtyrertod für Demokratie des athenischen Originals ist aus den Gehirnzellen der Gebildeten verschwunden. Nein, George, wir brauchen kein Wahrheitsministerium, das ständig die Fakten umschreiben und die Wahrheit in den Archiven vernichten muss. Das geht einfacher.

Unerwünschte Angelegenheiten schreibt man den Schulkindern als Lernstoff vor, belobhudelt Bildung bis zum Erbrechen – „schon die alten Griechen“ – und schon stehen die „Bildungsinhalte“ unter Verdrängungszwang. Damit sind sie wirksamer zum Tode bei permanenter Scheinlebendigkeit verurteilt als wenn man sie mit Botho-Strauß-Getue den ganz Besonderen überlässt – die schon gar nichts damit anfangen können.

(Aus geheimen Recherchen wissen wir, dass Botho Strauß bei der NSA nicht als idiot savant wissender Idiot – registriert ist, sondern als Musteruntertan der zukünftigen NSA-Theokratie.)

„Ich werde dem Gott mehr gehorchen als euch“, hatte Sokrates seinen Anklägern entgegengerufen. Sein Gott war kein Offenbarer, der ihm vorschrieb, wie er zu leben hätte, sondern war identisch mit seiner Vernunft. Diesem Gott wollte er die Treue halten und wenn es ihn das Leben kostete. Ein stolzeres Wort menschlicher Autonomie wurde auf der Welt noch nie gesprochen.

Die Frommen übernahmen es und verkehrten es ins Gegenteil: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg. 5,29). Dieses Wort benutzten die Christen als Unterhöhlung aller Versuche auf Erden, mit staatlichen Mitteln ein humanes Miteinander zu errichten. Es ging nicht nur um Widerstand gegen römische Kaiser, die sich als Götter ausriefen – Götter gab es wie Sand am Meer –, es ging um prinzipielle Desavouierung aller Gemeinwesen, die das Zusammenleben der Menschen rational und friedlich gestalten wollten.

Wer an die Demokratie glaubte, anstatt an den überirdischen Gott, war ein Kind des Teufels. „Ihr stammt vom Teufel als eurem Vater und wollt die Gelüste eures Vaters tun. Der war von Anfang an ein Menschenmörder und stand nicht in der Wahrheit.“

Hier standen sich zwei Wahrheiten gegenüber: der autonome Mensch brauchte keine Erlöser, vertraute nur sich und der Solidarität der Menschen. Der gläubige Mensch vertraute einem Heiland, der sich anbot, dem Menschen alles Denken und Mühen abzunehmen – „alle Sorgen werfet auf ihn, er sorget für euch“ –, wenn sie nur niederknien und Ihn anbeten.

Hier stehen sich die beiden Säulen des Abendlandes unverträglich gegenüber. Hier ist der Stoff, der in der Geschichte Europas und später in der Welt für unendliche Kriege sorgte, für Bürgerkriege, Kreuzzüge, Inquisitionen, Autodafes, panische Ängste um das Seelenheil, listige Ausbeutung der Gläubigen noch auf dem Todesbett, um die Kirchen unermesslich reich zu machen.

Ohne den geistlichen Ausbeutungskapitalismus des Vatikans hätten wir so widerstandlos keinen materiellen Ausbeutungskapitalismus geduldet. Zuerst mussten die Priester das Rückgrat der Europäer brechen, damit heutige Börsianer und Spekulanten leichtes Spiel mit heiligmäßigen Wertpapieren haben.

Früher wurden die Leichtgläubigen mit heiligen Knochen belogen, heute werden sie mit toten Kreditzusagen betrogen. (In Trier zieht man ihnen schon wieder mit alten Röcken das Geld aus der Tasche.)

Früher verstanden sie nicht die Wunder der Sakramente – und kauften sie, um sich die Seligkeit zu erwerben. Heute verstehen sie nicht die wunderbaren Papiere der Geldvermehrung – und kaufen sie, um unermesslich reich zu werden.

Wäre es den Menschen gelungen, aus eigener Kraft Gemeinschaften zu errichten, in denen sie ihr kurzes Leben friedlich auf Erden hätten verbringen können – wozu hätten sie den Himmel um Erlösung bitten sollen?

Das friedliche Potential heidnischer Demokratien war der eigentliche Stachel im Fleisch der Erlöser. Deshalb die systematische Übernahme und Verfälschung aller griechischen Weisheit, um die Weisheit Gottes den heidnischen Verblendungen entgegenzustellen. „Denn das Törichte von seiten Gottes ist weiser als die Menschen und das Schwache von seiten Gottes stärker als die Menschen.“

Das Törichte ist alles, was vom autonomen Menschen stammt. Nicht nur theoretische Weisheit, Suche nach Erkenntnis, sondern praktische Weisheit, die menschenfreundlichste Fähigkeit politischen Zusammenlebens. Griechische Weisheit wollte das Glück der Menschen auf Erden. Christen liefen Sturm gegen die irdische Glücksfähigkeit. Ihr Glück musste ein Geschenk von oben sein, realisiert am Ende aller Tage auf einer neuen Erde und unter einem neuen Himmel.

Wozu braucht man einen jenseitigen Gott, wenn man Gott in seiner menschlichen Vernunft gefunden hat? Hier steht Mensch gegen Gott. Gott nicht als allmächtige und unfehlbare Person, sondern als oberste Entscheidungsinstanz. Der Gott des autonomen Menschen ist allein der Mensch. Nicht der isolierte Einzelne, sondern der solidarische, erkenntnissuchende, um Weisheit streitende Mensch.

Die praktische Realisierung dieses Projekts war die athenische Demokratie, die aber zu Lebzeiten des Sokrates schon schwer an Verfallserscheinungen litt. Gegen die Schäden der Polis kämpfte der satyrähnliche Hebammensohn mit allen Mitteln seiner Gesprächskunst.

Es war nicht so, dass er, wie deutsche Gelehrte nicht genug betonen können, gegen die Demokratie anrannte, um etwa, wie sein Schüler Platon, eine faschistische Herrschaft der Weisen zu installieren. Er attackierte die heruntergekommene Demokratie, die Herrschaft des Volkes im rapiden Verfall. (Ein winziger demokratischer Stadtstaat mitten in einem Meer von Despotien konnte sich nicht halten.)

Warum hätte er bei seinen Landsleuten den Stachel im Fleisch spielen sollen, wenn nicht zum Zweck, sie zur Besinnung zu rufen? Wär‘s anders gewesen, hätte er sich wie Platon in eine elitäre Akademie zurückziehen und sich der Ausbildung einiger Auserwählter widmen können. Warum stellte er sich dem Tribunal des Volkes, wenn er deren Legitimität nicht anerkannt hätte?

Auch Nestle liegt daneben, wenn er schreibt, sein Kampf um Gerechtigkeit und Autonomie sei ein Bruch mit der Polis gewesen. Es war der Versuch, die athenische Polis durch radikale Kritik notzubeatmen.

(Dass Kritik das zu Kritisierende retten will, weiß man heute noch nicht; weder im deutsch-israelischen, noch im deutsch-amerikanischen Verhältnis.)

Wenn er mit der Polis gebrochen hätte, warum wollte er seiner Stadt unter allen Umständen treu bleiben? Treu bis in den Tod per Schierlingsbecher? Was bedeutete dann sein Satz: „Wer in Wirklichkeit für das Gerechte kämpft, der kann sich am Staatleben nicht beteiligen“? Gibt es einen Staat in der Demokratie?

Das ist die typisch deutsche Fehlübersetzung von Polis, die kein Staat, sondern eine Herrschaft des Volkes ist. In Athen beruhte alles auf lebendiger Teilnahme der Bürger. (Nur der militärische Stratege durfte sein Amt mehrere Jahre innehaben; alle andern Ämter wurden ausgelost und rotierten, zumeist in jährlichem Takt.)

Nein, Sokrates hielt sich aus den aktuellen Machtkämpfen raus, die gefährlich werden konnten, um auf der Agora zu tun, was er für notwendig hielt: die Demokratie am Leben zu erhalten und erkenntnis- und charakterfeste Demokraten zu erziehen.

Das Wort lehren mochte er nicht, das klang, als ob der Lehrer den Schülern die Weisheit mit dem Löffel eintrichterte. Er war überzeugt, dass jeder Mensch die notwendigen Erkenntnisse vollständig in sich hatte. Sie mussten nur durch Fragen herausgekitzelt werden. Die Antworten auf die wichtigen Lebensfragen gab nicht der Lehrer. Jeder Mensch hatte die Antworten in sich, er musste sich ihrer nur durch Selbsterkenntnis erinnern.

Alles haben die Menschen von Anfang an in sich, die Natur hat sie reichlich mit allem Lebensnotwendigen ausgestattet. Lernend müssen sie nur herausarbeiten, welche Schätze der Weisheit in ihnen verborgen sind. Hier bedarf es keiner Offenbarungen von außen, weder von Priestern, noch von erleuchteten Lehrern. Die Menschen sind autonom, sie wissen es nur nicht.

Autonom bedeutet nicht selbstgefällig oder autistisch. Wir brauchen einander, um uns zu besprechen, um Fragen zu stellen, um das Erinnern in die Gänge zu bringen. Er brauche Helfer, um seine Gespräche zu führen, sagte der Mäeut oft genug. Erkennen ist ein sozialer Akt. Verschiedene Meinungen müssen im liebenden Streit aufeinander prallen, damit die Partner durch Wettbewerb vorwärts kommen.

Ja, durch Wettbewerb, der niemanden schädigt, sondern jedem Mitdenkenden nützt. Der Agon (Kampf) der Dialogpartner war die einzige Form der Konkurrenz, die allen Beteiligten und Mitdenkenden Vorteile brachte. Die moderne Konkurrenz nützt wenigen und schadet vielen.

Was hat Sokrates mit Snowden, Manning zu tun? Alles. Alle drei widersetzen sich rechtlosen und undemokratischen Zuständen, um ihre Demokratie zu retten. Wer sieht, dass seine Mitbürger sich nicht mehr an Recht und Gesetz halten oder dass Recht zum Unrecht geworden ist, der muss in Grenzsituationen das bestehende unrechte Recht verletzen, um ein neues besseres einzufordern.

Ist das nicht hybrid, seine eigenen persönlichen Ideale einem ganzen Staatskoloss entgegenzusetzen? Es ist so hybrid wie die ganze Idee der Demokratie, in der jeder seiner eigenen Vernunft zu folgen hat. Nicht im Sinn eines faschistischen Putsches, sondern als Angebot oder als Hilferuf an die Öffentlichkeit. Sollte er sich irren, sollte man ihm nicht rechtgeben, muss er die Folgen seiner Autonomie auf sich nehmen.

Wer sagte den folgenden Satz: „Fehlverhalten des Staates publik zu machen, sei ein mutiger und patriotischer Akt, der Leben retten und das Geld der Steuerzahler sparen könne. Dazu müsse man jeden ermutigen und dürfe nicht versuchen, solches Tun zu unterdrücken. Die Whistleblower verdienten Schutz, sagte er damals.“?

Es war Mister Obama, heute der schärfste Verfolger aller Sokratiker seiner Nation. Ob der Rechtsprofessor schon mal die Apologie des Sokrates gelesen hat? Anstatt sich zu freuen, dass Amerika noch Menschen mit altamerikanischen Tugenden der Furchtlosigkeit hat, ist der Wendehals im Weißen Haus wie besessen von seiner Allmacht, all jene Existenzen unschädlich zu machen, die ihn – an ihn selbst erinnern. An den jungen Obama, der noch wusste, dass Zivilcourage nötig ist, um ein demokratisches Staatswesen zu erhalten.

Es ist ja nicht so, dass Manning & Co sich skurrile Privatideale aus den Fingern gesaugt hätten. Sie glauben nur an das, was alle Politiker an Feiertagen pompös von sich geben. Demokratie braucht Mut und Standfestigkeit. Die Fähigkeit, im Zweifel gegen den Strom zu schwimmen, wenn der Strom in den Abgrund zu stürzen droht.

Wer Manning & Co für Verräter hält, hat selbst die Urtugenden der Demokratie verraten. Das Urteil gegen Manning ist ein unehrlicher Kompromiss. Er hat nicht gegen viele Gesetze verstoßen, die wie eine Perlenkette hergezählt werden. Er hat nur eins gemacht: er hat das höhere Recht, dass Recht herrschen soll, über das schlechte Recht gestellt, dass alles richtig sein muss, was vom Staate kommt.

Wie kann man einem Rechtsstaat schaden, wenn man ihn an seinen eigenen Rechtsvorstellungen misst? Wie kann man dem Feind dieses Staates nützen, wenn man dafür sorgt, dass der eigene Staat seine Selbstachtung zurückgewinnt? Die er schon seit vielen Jahren aufs Spiel setzt, indem er seine verfassungsmäßigen Grundlagen einem immer rechtloser werdenden Kampf gegen äußere Feinde und innere Kritiker aufopfert?

Wir müssen zu den Grundlagen der europäischen Freiheitsphilosophie zurückkehren, um zu verstehen, was in Amerika abläuft: die Fundamente der aufgeklärten Autonomie stehen auf dem Spiel. Obama und seine Machteliten sind dabei, der Demokratie die philosophischen und verfassungsgemäßen Grundlagen unter den Füßen wegzuziehen, um peu à peu, unter dem Vorzeichen ständiger Bedrohung, theokratische Elemente einzuziehen.

Was ist Guantanamo anderes als die Wiederauferstehung der heiligen Inquisition? Was ist ein Militärgericht anderes als eine klerikale Institution, die den Befehlen ihrer unfehlbaren Kardinäle und Jesuitengeneräle folgt?

„Darum, meine Mitbürger, sprechet mich frei oder nicht, auf keinen Fall werde ich anders handeln, und müsste ich noch so oft den Tod über mich ergehen lassen. Wenn ihr mich hinrichtet, so werdet ihr euch selbst größeren Schaden zufügen als mir.“ (Sokrates in der Apologie)