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Tagesmail

Dienstag, 27. August 2013 – Die neurotische Moderne

Hello, Freunde der Gedanken,

um Gedanken und Ideen kann es beim SPIEGEL-Getümmel nicht gehen. Wofür steht Büchner, für welche Fähigkeiten wurde er ausgewählt? Er wolle das Magazin nachrichtenlastiger machen, lesen wir. Das klingt, als solle ein Literat dafür ausgezeichnet werden, dass er seinen Laptop bedienen kann. Steht er links, rechts, oben oder unten?

Ach so, alle „Schubkästen“ abgeschafft! Ein Tagesschreiber recherchiert freischwebend im Raum und kann hervorragend schreiben. Hervorragend schreiben heißt, Wörter elegant aneinander reihen, dass man den ganzen Text ohne anzuecken überfliegen kann  und am Schluss keine Ahnung hat, was man gelesen hat. Ein recherchierender Schreiber weiß nicht genug von der Welt und will mehr als alles wissen?

Warum kooperiert der SPIEGEL nicht mit dem Guardian? Warum verbündet sich der Guardian mit der New York Times und nicht mit europäischen Zeitungen? Diese Frage stellt kein deutscher Nachrichtenjäger.

Es scheint um Macht zu gehen. Machtblock gegen Machtblöcke. Macht wozu? Um politischer Ideen willen? Pardon, Ideen sind von deutschen Zeitungsverlegern nicht mehr finanzierbar. Ideen kann sich heute keine Redaktion mehr leisten. Sein hat längst alles Bewusstsein kaserniert, um es bei Nacht und Nebel über die Grenzen zu bringen. Der Marxismus hat den Kapitalismus durch die Hintertür überwältigt.

Im geistgeprägten Westen haben Geist fertig. Früher war materiell der Ausdruck für Geldscheffeln. Heute

dominiert das materielle Sein alle Religionen und Philosophien. Der Unterbau hat sich zum Überbau erhoben und den Überbau im Keller verscharrt.

Nach dem Christentum gibt’s keinen wirksameren Philosophenhasser als den Philosophen Marx, der ein Naturwissenschaftler der Geschichte und Ökonomie sein wollte. In seiner Schule gibt’s nur noch Interessen, Macht und Erfolg. Neulich war zu lesen: was hat Luther eigentlich gebracht? Ganz Polen ist noch immer katholisch.

Wer ein Büchlein schreibt, sich an der Basis engagiert, der alten Dame über die Straße hilft  warum diese moralisierenden Alfanzereien, wenn sie die Welt doch niemals retten werden? Die kleinste Idee wird von Tagesbeobachtern im embryonalen Stadium mit der Drohgebärde abgetrieben: wo bleibt der Welterfolg?

Über all diese Petitessen im neuen SPIEGELBILD keine einzige Zeile. Ein weltläufiger Beobachter ist daran zu erkennen, dass er die Gedankenlasten seiner frühreifen Jugend abgeschüttelt hat und zum Kern der Tatsachen vorgedrungen ist. Deshalb Fakten, Fakten, Fakten und net nach de Mädle schaue.

Oh, Korrektur, es gab doch die Andeutung einer inhaltlichen Auseinandersetzung im SPIEGEL. Ein Kritiker Blomes „zog mit zwei spitzen Fingern die Bild-Zeitung vom vergangenen Freitag aus dem Sakko: „De Griesche kriesche nix mehr“, zitierte er daraus und fragte, ob das künftig der Spiegel-Stil sei. Büchner, an dem alle Kritik abzuprallen schien, „als trage er einen Neopren-Anzug“, sagt ein Teilnehmer, entgegnete, die Griechenland-Serie, die Blome verantwortet habe und für die die Bild-Zeitung – für Kritiker unverständlich – den Quandt-Preis erhalten hat, hätte auch dem Spiegel gut zu Gesicht gestanden; lediglich sprachlich hätte sie dem Spiegel entsprechend anders formuliert werden müssen.“ (Ulrike Simon in der BLZ)

Schwerhörige müssen nachfragen. Meinte Büchner, die Griechenland-Serie hätte dem SPIEGEL gut zu Gesicht gestanden? Oder meinte er, die Häme gegen die Griechen hätte dem SPIEGEL gut angestanden? Einige Wörter austauschen und der BILD-Inhalt ist reif für das Magazin? Wenn das so ist, kann Springer getrost den SPIEGEL-Verlag übernehmen und das Magazin als BILD de luxe für ein schwindendes Greisenpublikum anbieten.

Wie kann es eine Vielfalt der Parteiprogramme und konkurrierender Ideen geben, wenn es gar keine Ideen gibt? Die Journaille wirft den Politikern Ideenlosigkeit vor; sie selbst meuchelt die kleinste Idee, wenn sie das Köpfchen hebt. Mit Sätzen wie: das ist auch nichts mehr Neues. Jede Idee muss neu sein oder soll sich trollen.

Was war schon neu in den letzten 2000 Jahren, nachdem griechisches Denken und christliche Offenbarung an den Start gegangen waren? Neu waren lediglich verschiedene Mischgeburten und monströse Bastardisierungen aus Vernunft und Offenbarung im Verlauf der abendländischen Geschichte. Seitdem gab es grundsätzlich nichts Neues. Deutsche Gelehrte sind so vermessen, dass sie schon die nachsokratischen Schulen des Epikur und der Stoa als Eklektiker (= schwächliche Nachmacher und systemlose Pfuscher) diskriminierten. Seitdem muss das Abendland sich mit selbstzerfleischenden Varianten der immergleichen Themen begnügen.

Modernen Denkern fehlt die Kraft zur Systembildung, die auf einem tiefen, tiefen Gedanken basiert. Die letzten Systemgiganten waren die Deutschen. Seit Hegels Tod 1831  der erste Schwabe, der in Berlin das dialektische Zepter übernahm, weil die Eingeborenen flache Aufklärer waren  gibt’s nur neurotische Gigantendarsteller wie Schopenhauer oder diesen Nietzsche, der sein Leben lang gegen das Christentum wütete, kurz vor dem Tod aber sich mit dem Gekreuzigten und einem griechischen Gott identifizierte.

Immerhin war Nietzsche der letzte, der Generationen Deutscher in Wallungen versetzen konnte. Was lag im Tornister der Weltkrieger vor Verdun? Nietzsches Zarathustra und Fichtes Reden an die deutsche Nation, in denen die Deutschen zu Heilanden der Welt erklärt wurden. Deutsche Soldaten waren keine ordinären Pickelhauben, sondern Welterlösungsheilande.

Nachdem der erste Versuch misslang  jeder Mensch braucht eine zweite Chance  musste ein neuer Versuch unternommen werden. Wieder nichts. Aller guten Dinge sind drei? Das wäre die ultimative Höllenfahrt der Hobby-Erlöser. Doch keine Angst, die nächsten Messiasse kommen aus Wallstreet und Silicon-Valley.

Ratet, oh Freunde und Freundinnen, von wem in der folgenden Passage die Rede ist:

„Die Religion wurde fast allgemein im Sinne der wachsenden Mittelklassengesellschaft und ihres freien Unternehmersystems ausgeübt, für die das überzeugendste Argument die einfache Tatsache war, dass sie die wirtschaftliche und allgemeine materielle Besserstellung der Menschen zur Folge hatten. A. C. fasste sein Verständnis der wohltätigen Wirkungen des freien Unternehmersystems so zusammen, dass er es das „wahre Evangelium hinsichtlich des Reichtums“ nannte; dem „Gehorsam gegenüber diesem Evangelium werde es eines Tages beschieden sein, das Problem von reich und arm zu lösen und „Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“ zu bringen.“
Diese Passage stammt von Andrew Carnegie, keinem Tellerwäscher. Aber einem gelernten Spuler in einer Baumwollspinnerei, später dem reichsten Mann der Welt, der von ganz unten bis ganz nach oben kletterte. Nicht nur deutsche Heilande, sondern auch die angelsächsischen sind nach Amerika ausgewandert und missionieren seitdem die Welt mit gottgegebenem Zaster. Glaubet ihr nicht, so bleibet ihr nicht. Und werdet arm, elend und überflüssig. Glaubet ihr, so werdet ihr reich und selig.

Die Amerikaner haben das Himmelreich auf Erden geholt. Sie wollten nicht länger auf die verziehende Parusie warten. Wo sie sind, spielt das Finale. Derweilen warten und warten die Deutschen auf ihren Heiland, der einfach nicht kommen will.
Das ist ein riesiger Unterschied in der Psychologie der beiden Völker. Die Deutschen machen nur in Hektik, innerlich liegen sie auf dem Bauch und hören auf Klopfzeichen der Zukunft. Deshalb die permanente Frage der Tagesbeobachter nach dem, was „auf uns zukommt“, was die „Zukunft uns bringen wird“.

Das Abendland hat zwei Begriffe hervorgebracht, die das ständige Abwarten und Hinausschieben bezeichnen. Wie immer, indem die Abkunft aus christlichen Wurzeln geleugnet wird. Gemäß dem Motto: der Westen ist Christentum  was hat Christentum mit dem Westen zu tun?

a) Attentismus: die Neurose des immer Wartenmüssens

b) Prokrastination: die Neurose des ständigen Aufschiebens

Das leuchtet auf den ersten Moment nicht ein. Sind die Modernen, besonders die Amerikaner, nicht Weltmeister in Aktivismus? Sind sie nicht hyperenergische Futuristen und Fortschrittsfreunde?

Eben drum, weil sie das sind. Schauen wir der Aktivität auf den Grund, huch, was müssen wir da sehen? In der Tiefe des Ozeans lauern die schrecklichsten Viecher, breitmäulig und triefäugig, die niemals von Gott erschaffen sein können. Soweit reicht Seine Sechstage-Phantasie nicht. Und was sehen wir? Das ADHS-Syndrom.

(Syndrom ist viel schlimmer als Symptom, und das ist schon ganz schön schlimm.) Das ist ein Ungeheuer, welches in Deutsch kaum übersetzt werden kann. Wiki hat es tapfer probiert:

„Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), die auch als Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom oder Hyperkinetische Störung (HKS) bezeichnet wird, ist eine bereits im Kindesalter beginnende psychische Störung, die sich durch Probleme mit der Aufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität äußert.“

Alles restlos klar? Von vorne, zum Mitdenken.

Die modernen Zappelphilippe, besonders die Erwachsenen, sind alle  gestört. Sie leiden unter vielen Defiziten. Nein, multiplen Defiziten, das klingt vornehmer. Sofern die Moderne hyperaktiv ist, ist sie krank. Die Kinder müssen die Symptome der Erwachsenen ausbaden. Das haben die Psychiater bis heute nicht gecheckt.

Psychiater sind Menschen, die dir von weitem  oder nach Aktenlage  ins Herz schauen und dich ruckzuck in die Psychiatrie befördern können. (Der Verteidiger Mollaths hat dessen erlittene Ferngutachten inzwischen ins Netz gestellt. Viel Spaß!)
Auch bei Breivik hat sich gezeigt, dass normalen Psychiatern der Zusammenhang von Krankheit und Gesellschaft unbekannt ist. Vor allem Kriminalpsychiatern, nach deren Vorstellungen Krankheiten mit dem angeborenen Bösen zu tun haben müssen. Irgendwas mit Genen. Oder dem perforierten Gehirn. Aber nichts mit Erfahrungen der Menschen.

Erfahrungen gibt es keine mehr. Die haben was mit der Vergangenheit zu tun und Vergangenheit ist außen vor. Wer adhs-mäßig in die Zukunft starrt, pfeift auf jede Erfahrung. Erfahrungen sind Hüterinnen des Gewesenen, sei es in abschreckender, sei es in erkenntnismäßiger Form. Moderne ADHS-Apostel hassen Erfahrungen. Besonders die positiven. Denn der Mensch neigt dazu, positive Erfahrungen zu bewahren. Sollte er sie gar verstanden haben, wären sie Erkenntnisse geworden.

Erkenntnisse der Vergangenheit werden von ADHS-Futuristen gehasst wie die Pest. Wozu bräuchte man ständig Neues, wenn das Alte sinnvoll und verlässlich wäre? Den latenten Zusammenhang von Antisemitismus und zwanghaftem Futurismus wollen wir nur diskret andeuten. Wie kann man die Vergangenheit bearbeitet haben, wenn man sie regelmäßig vom Tisch räumt? Wie kann man zukünftige Hassorgien verhindern, wenn man die Vergangenheit verleugnet?
(Unsere liebenswerten Antisemitismus-Wächter begnügen sich bislang mit der überschlichten Analogiemethode: ein Nationalsozialist hat X gesagt, Mister Y hat auch X gesagt  also ist Y ein Antisemit. Dass Antisemitismus ein Gedankenkomplex ist, der sich mit gewählten Begriffen dem oberflächlichen Antisemitismus-Verdacht entziehen kann, hat sich noch nicht herumgesprochen. Die ganze Postmoderne ist potentiell antisemtisch. Sie blickt nicht zurück, wie will sie aus der Vergangenheit lernen? Der zwanghafte Futurismus der Amerikaner ist potentiell antisemtisch. Die Entente cordiale zwischen Israel und Amerika ist eine kollektive Folie à deux und wird sich eines bösen Tages zur Kenntlichkeit entlarven. Wer hier nicht hinschaut, sollte fürderhin von Antisemitismus schweigen.)

Hyperaktivisten müssen Wirbel machen, weil sie keine anderen Methoden kennen, um das Interesse ihrer Umgebung auf sich zu lenken. In ihrer Kindheit haben sie nicht genügend Aufmerksamkeit erhalten. Weder von ihren leiblichen, noch von ihren himmlischen Autoritäten.

Was ist eine Neurose? Wenn ich ungezügelt um mich schlagen muss, um meine überlebensnotwendige Dosis an Aufmerksamkeit zu erzwingen, da ich sonst keine positive Möglichkeiten sehe, um geliebt zu werden. Ich zwinge meine Umgebung, mich wahrzunehmen, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass die anderen mich ohne Zwang anerkennen. Von meiner unliebenswerten Art bin ich tief überzeugt. Also prügle ich meine Umgebung durch Aggressionen, Leiden, Versagen, Unglücklich sein, damit die Umgebung empört zurückschlägt.

Es ist nicht anders als im SM-Studio. Schlag mich, Herrin, dass ich dich und mich spüre. Schlagen und Geschlagenwerden sind die einzigen Formen, mit denen der Neurotiker die Aufmerksamkeit seiner Umgebung auf sich lenken kann. Klagte die russische Bäuerin ihrer Nachbarin: mein Mann liebt mich nicht mehr, er hat mich heute noch nicht geprügelt.

Überschlägt man das Maß an Aggressionen in der Gesellschaft, erahnt man, wie tief die Wunden der Menschen durch Liebesentzug sein müssen, unter denen die meisten leiden.

Was haben psychische Defizite mit Amerika und dem ganzen christlichen Westen zu tun? Das ganze ADHS-Syndrom der Christen ist die Kompensation zu kurz Gekommener und Unglücklicher, die ihr Unglück nicht sehen wollen.

Christen leiden darunter, dass ihr Herr seit 2000 Jahren seine Wiederkehr ankündigt  und nichts geschieht. Der Bräutigam, der da kommen soll: er kommt und kommt nicht. Christen fühlen sich verraten, vergessen und nicht wahrgenommen. Die Pfälzer haben das Sprichwort: Du siehst aus wie bestellt und nicht abgeholt. Präziser kann man nicht sagen, wie die Moderne auf das Kommen ihres Herrn wartet. Allerdings in konträren Verhaltensweisen.

Neurosen sind Reaktionsbildungen auf derangierte Zügellosigkeiten. Wo das Maß verloren geht  wie Aristoteles in seiner Tugendlehre erklärte , wird es aufgespalten in widersprüchliche Extrembildungen. Wer nicht genügend Aufmerksamkeit erhielt, wird passiv und aktiv  in einem Akt.
Der Neurotiker ist ein ambulanter Widerspruch. In höchst spannungsreichem Zustand ist er zugleich apathisch, passiv und mutlos als auch überenergisch, aktivistisch und lärmend-optimistisch. In changierenden Gefühlsschattierungen.
Amerikaner betonen ihren aktiven Optimismus, indem sie ihre Ungeduld und ihre Unfähigkeit zu warten unter den Teppich kehren. Bei den Deutschen umgekehrt. Sie machen in Zweckpessimismus und zeigen ungern, dass es ihnen besser geht als sie ausdrücken können. Die beiden aus dem Ruder gelaufenen Extreme feuern sich an, eskalieren und verschärfen die Spannungen zu sich und zur Welt.
Weil Amerikaner immer ungeduldiger auf ihren Herrn warten, ihre Ungeduld aber nicht zugeben, überspielen sie ihr Wartenmüssen durch muskuläre Prahlereien, die durch selbsterfüllende Prophezeiung just das herbeiführen, was Gegenstand ihres Glaubens ist. Was ist Gegenstand ihres Glaubens: a) das Paradies auf Erden, das durch Wirtschaft und Technik herbeigeführt werden soll. Also durch Wallstreet und Silikon-Valley. b) die Hölle auf Erden durch Vernichtung der ersten Natur. Also durch selbst produzierte Umweltkatastrophen, Verelendung der ungläubigen Massen und Einrichtung eines globalen Überwachungskäfigs.

Neurosen besitzen zwei Köpfe, die sich scheinbar widersprechen und gegenseitig behindern und dennoch in zwanghafter Widersprüchlichkeit voneinander abhängig sind.

Das doppelköpfige Ziel der selbst erfüllten Heilsgeschichte ist Paradies und Hölle. Auf diese beiden Ziele der westlichen Heilsgeschichte steuern wir ungebremst zu. Was wir mit links als bessere Lebenschancen erarbeiten, verwirken wir rechts mit wachsenden Untergangsszenarien.
Der Garten Eden und die Apokalypse sind die beiden sich überlagernden und bekämpfenden Lichter am Ende des Tunnels. Je mehr Fortschritte wir in Wohlstand, Gesundheit und einem behaglichen Leben erringen, umso mehr werden sie durch wachsende Gefahren und Nachteile vertilgt.

Ob wir glücklicher sind als „vormoderne“ Eingeborene mitten in der Natur? Auf den ersten Blick wollen viele Westler das glauben. Auf den zweiten Blick könnte das irreversible Elend, dem wir durch Naturzerstörung entgegengehen, alle Fortschritte als Lug und Trug entlarven.

Die Glücksbilanz mag für Privilegierte unserer Zivilisationen jetzt noch günstig aussehen. Doch schon drohen Kriege um knapper werdende Ressourcen und wegen unerträglicher Folgen der Klimaveränderung. Solange die mächtigen Weststaaten von den Folgen dieses sich selbst erfüllenden Jüngsten Gerichts verschont bleiben, wird es keinen grundsätzlichen Politwechsel geben. Die trügerische Hoffnung der Frommen, als Privilegierte alle höllischen Ereignisse zu überstehen, wird sie davon abhalten, die Gefahren realistisch einzuschätzen.

Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch: das Opium der Erwählten wird ihre hyperaktive Passivität, ihre apathische Hektik, ihren ruchlosen Optimismus nicht korrigieren können.

Viel Stoff für Gedanken, Ideen und existentielle Fragen, wo wir stehen und was wir ändern müssten, um unser Leben auf Erden zu bewahren. Im deutschen Journalismus hat man andere Sorgen. Hier wird nicht gedacht, sondern agitiert und recherchiert. Natürlich wird nicht recherchiert. Fällt das Stichwort Recherche, hört man immer nur einen Namen, der das ganze Gewerbe retten soll: Hans Leyendecker. Was hat er ans Licht der Öffentlichkeit gebracht? Warum wird er nicht Chef des SPIEGEL, wenn er der einzige deutsche Entlarver der Mächtigen ist?

Was ist eine Recherche? Wolf Schneider definiert:

„Die Recherche ist die Kür des Journalismus: Nur so erfahren die Menschen die Ereignisse, die ohne die Mühe des Journalisten niemals ans Licht gekommen wären. Keine journalistische Aufgabe ist schwieriger, aber auch so abhängig von Zufällen, vom Glück – und von einer detektivischen Kleinarbeit. Nur der Fleißige und Couragierte nimmt sie auf sich.“

Das also ist die Kompetenz authentischer Journalisten? Die Definition Schneiders trifft am besten auf Snowden, Manning und andere Whistleblower zu. Warum nur werden tapfere „Verräter“ im Dienste einer aufrechten Demokratie von deutschen Steigbügelhaltern der Regierung niedergebrüllt?

Weil hierzulande niemand der Demokratie den couragierten Liebesdienst einer runderneuernden Kritik erbringen will.
Unsere Demokratie ist in Gefahr  der deutsche Journalismus schlägt sich um Macht und Posten. Von Gedanken, Ideen, Wahrheitssuche und politischem Verstand ist schon lange nicht mehr die Rede. Uralte Wörter, derer nicht mehr gedacht werden soll.