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Dienstag, 14. Mai 2013 – Deutschland und Europa

Hello, Freunde der Europäer,

das Vertrauen der Europäer in die EU schwindet. Binnen eines Jahres sank die Zustimmungsquote von 60 auf 45%. Immer größer wird der Kontrast zwischen Deutschland und seinen Nachbarn. Die Deutschen zeigen sich weitaus zuversichtlicher als Griechen, Italiener und Spanier.

Eine Mehrheit der befragten Europäer hält die Deutschen für uneinfühlsam und arrogant. Auch diese Einschätzung können die Deutschen nicht nachvollziehen. Sie selbst halten sich für am wenigsten arrogant, am mitfühlendsten und vertrauenswürdigsten. Deutschland lebt immer mehr auf einer isolierten Insel. (Gregor Peter Schmitz im SPIEGEL)

Als es noch keine Wirtschaftskrise gab, waren die Deutschen eines der beliebtesten Völker der Welt. Weil sie tüchtig waren? Weil sie Weltmeister in Tourismus und in die entlegensten Winkel des Planeten vorgedrungen waren? Weil sie nach dem Zweiten Weltkrieg vorbildlich aus Ruinen auferstanden waren? Weil sie ihre schuldhafte Vergangenheit vorbildlich aufgearbeitet hatten?

Der Charme soziologischer Umfragen besteht darin, dass sie nichts erklären, weil sie nichts wissen wollen. Ist es die Kluft zwischen Reich und Arm, die sich hier erweitert? Die Kluft zwischen Einfühlsam und Uneinfühlsam? Zwischen Solidarisch und Eigensüchtig? Mitfühlend und Arrogant? Welche Kluft wird sich politisch am bedeutsamsten und gefährlichsten erweisen? Die materielle oder die emotionale? Der Arme hat keine großen Probleme mit dem reichen Nachbarn, wenn

er ihm auf gleicher Augenhöhe begegnet.

Warum sind die Deutschen wirtschaftlich am besten? Weil sie das Leben vernachlässigen und sich verbissen der Leistung und dem protestantischen Arbeitsethos verschreiben?

Die Lieblinge der Deutschen waren bislang die südlichen Völker des Mittelmeers. Beim Italiener um die Ecke empfanden sie sich in ihrer linkischen Art aufgehoben und durften sich selbst als kosmopolitische Meister der Grandezza fühlen, wenn sie lässig rufen konnten: Ciao bello, uno espresso per favore. Die Gewandtheit der Römer verwandelte tumbe Germanen in gefühlte Weltenbummler. In jeder Vorabendserie ist der Italiener vom Dienst das sympathischste WG-Mitglied, das die Gruppenprobleme am besten erkennen und lösen kann.

Noch immer steckt den Deutschen in den Knochen, dass Kultur und Zivilisation aus dem Süden kamen. Aber sie tun alles, um es zu verdrängen. Mit Winkelmann begann es. Erst mussten die Alpen überwunden werden, um ins Land der Sehnsucht zu gelangen. Sturm und Drang, die nachfolgenden Romantiker waren die erste Hippiebewegung und begehrten auf gegen Pflicht und Sündenfall – bis sie ermüdet den Verheißungen der Kirche wieder auf den Leim gingen.

Bei Eichendorff war es ein rebellierender Taugenichts, der Rom als verwunschene Stadt mitten im Garten Eden entdeckte:

„Unterwegs erfuhr ich, daß ich nur noch ein paar Meilen von Rom wäre. Da erschrack ich ordentlich vor Freude. Denn von dem prächtigen Rom hatte ich schon zu Hause als Kind viele wunderbare Geschichten gehört, und wenn ich dann an Sonntags-Nachmittagen vor der Mühle im Grase lag und alles ringsum so stille war, da dachte ich mir Rom wie die ziehenden Wolken über mir, mit wundersamen Bergen und Abgründen am blauen Meer, und goldnen Thoren und hohen glänzenden Thürmen, von denen Engel in goldenen Gewändern sangen. – Die Nacht war schon wieder lange hereingebrochen, und der Mond schien prächtig, als ich endlich auf einem Hügel aus dem Walde heraustrat, und auf einmal die Stadt in der Ferne vor mir sah. – Das Meer leuchtete von weiten, der Himmel blitzte und funkelte unübersehbar mit unzähligen Sternen, darunter lag die heilige Stadt, von der man nur einen langen Nebelstreif erkennen konnte, wie ein eingeschlafner Löwe auf der stillen Erde, und Berge standen daneben, wie dunkle Riesen, die ihn bewachten.“

Bei Goethe ist Italien die archaische Heimat der Deutschen, die sie verloren hatten und nun wieder entdeckten. Nicht die heilige Stadt, das Goldene Jerusalem auf europäischem Boden, mit eingeschlafnen Löwen, die zu ihrer Zeit wieder aufwachen und die Welt bedrohen würden, sondern das Land der Natur mit Zitronen und Goldorangen.

Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht?
Kennst du es wohl? Dahin!
Dahin möcht‘ ich mit dir,
O mein Geliebter, ziehn.

Kennst du das Haus? Auf Säulen ruht sein Dach,
Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach,
Und Marmorbilder stehn und sehn mich an:
Was hat man dir, du armes Kind, getan?
Kennst du es wohl? Dahin!
Dahin möcht‘ ich mit dir,
O mein Beschützer, ziehn.

Italien war innerhalb einer Generation aus der Urheimat des Heiden Goethe zur heiligen Stadt des frommen Romantikers geworden, in der Engel ihr Wesen trieben und dunkle Riesen das Idyll bewachten. Italien besaß in Überfülle, was Neugermanen aus den nebligen Wäldern des Nordens vermissten: Sonne, warme Nächte mit sinnlichen Verheißungen, eine wunderbare Symbiose aus sprechenden Ruinen und Gärten.

Mochte Vergänglichkeit über den römischen Mauern liegen, sie waren lebendiger als der sinnenfeindliche deutsche Protestantismus hinter dicken Mauern mit zerknirschten Seelen über Gebetbüchern. Die pulsierende Trattoria war das Herz der Stadt und erinnerte an die Polis Athens, wo sich mündige Bürger trafen, um der Öffentlichkeit zu zeigen: noch ist mit uns zu rechnen. Wir sind keine Untertanen.

Wenn sie nach Hause fuhren, hatten die deutschen Künstler die lebhafte Empfindung, das Leben gefunden zu haben. Am unvergänglichen Alten, am Lebensgefühl der Griechen und Römer, wurden die Deutschen gesund. Leib und Seele verschmolzen zur Einheit:

Froh empfind’ ich mich nun auf klassischem Boden begeistert,
Lauter und reizender spricht Vorwelt und Mitwelt zu mir.
Ich befolge den Rath, durchblättere die Werke der Alten
Mit geschäftiger Hand täglich mit neuem Genuß.

Aber die Nächte hindurch hält Amor mich anders beschäftigt,

 

Werd ich auch halb nur gelehrt, bin ich doch doppelt vergnügt.
Und belehr ich mich nicht? wenn ich des lieblichen Busens
Formen spähe, die Hand leite die Hüften hinab.
Dann versteh ich erst recht den Marmor, ich denk’ und vergleiche,

Sehe mit fühlendem Aug’, fühle mit sehender Hand.

 

Raubt die Liebste denn gleich mir einige Stunden des Tages;
Giebt sie Stunden der Nacht mir zur Entschädigung hin.

Wird doch nicht immer geküßt, es wird vernünftig gesprochen.“

In den Römischen Elegien verband Goethe in klassischen Versen das römische Liebchen mit vernünftiger Rede. Wenn er sich mit dem Bettschatz vergnügt, ahnt er die marmorne Schönheit der Kunst, wenn er die Skulptur mit dem Auge fühlt, empfindet er das Liebchen mit sehender Hand. In Italien konnte der leibfremde, kopfgesteuerte deutsche Himmelsanbeter zum ganzen Menschen werden, der seine Einheit am Busen der Natur fand, der kein anderer war als der Busen der römischen Muse. In Italien wurde der Neugermane zum Menschen. „Wird doch nicht immer geküsst, es wird vernünftig gesprochen.“

Heute ist Küssen zum Vorspiel degeneriert, das vernünftige Gespräch zu einem totalitären Monstrum verkommen. (BILD-Blome will sich von keiner staatlich verordneten Vernunft zur Geschwindigkeitsbeschränkung zwingen lassen. Vernunft empfinden die Deutschen als autoritäre Unterjochung. Die Unterjochung durch fremdgesteuerte Maloche hingegen ist für sie FREIHEIT.)

Heute blickt der neureiche Germane verächtlich auf die Länder am Mittelmeer, ohne die es keine deutsche Klassik, kein Kunstgefühl, keine Geselligkeit, keine Emanzipation der Sinnlichkeit, keine Philosophie und keine Berliner Salons gegeben hätte.

Eichendorffs Taugenichts war kein typischer Deutscher mehr. Schon diesseits der Alpen musste er der religiösen Arbeitsfron entsagen, um für Italiens Reize aufgeschlossen zu sein. Es war südlich-heidnischer Protest gegen die Arbeitswut des Vaters, der aus den ersten Worten der Novelle spricht. Alles, was Pflicht war, sei es von der Kanzel oder von Kant, verabscheuten die Romantiker, um am Ende doch wieder in die Falle überirdischer Sirenengesänge zu tappen:

„Das Rad an meines Vaters Mühle braußte und rauschte schon wieder recht lustig, der Schnee tröpfelte emsig vom Dache, die Sperlinge zwitscherten und tummelten sich dazwischen; ich saß auf der Thürschwelle und wischte mir den Schlaf aus den Augen, mir war so recht wohl in dem warmen Sonnenscheine. Da trat der Vater aus dem Hause; er hatte schon seit Tagesanbruch in der Mühle rumort und die Schlafmütze schief auf dem Kopfe, der sagte zu mir: „Du Taugenichts! da sonnst Du Dich schon wieder und dehnst und reckst Dir die Knochen müde, und läßt mich alle Arbeit allein thun. Ich kann Dich hier nicht länger füttern. Der Frühling ist vor der Thüre, geh auch einmal hinaus in die Welt und erwirb Dir selber Dein Brodt.“ – „Nun,“ sagte ich, „wenn ich ein Taugenichts bin, so ist’s gut, so will ich in die Welt gehen und mein Glück machen.“ Und eigentlich war mir das recht lieb, denn es war mir kurz vorher selber eingefallen, auf Reisen zu gehen, da ich den Goldammer, der im Herbst und Winter immer betrübt an unserem Fenster sang: „Bauer, mieth’ mich, Bauer mieth’ mich!“ nun in der schönen Frühlingszeit wieder ganz stolz und lustig vom Baume rufen hörte: „Bauer, behalt Deinen Dienst!“ – Ich ging also in das Haus hinein und holte meine Geige, die ich recht artig spielte, von der Wand, mein Vater gab mir noch einige Groschen Geld mit auf den Weg, und so schlenderte ich durch das lange Dorf hinaus. Ich hatte recht meine heimliche Freud’, als ich da alle meine alten Bekannten und Kammeraden rechts und links, wie gestern und vorgestern und immerdar, zur Arbeit hinausziehen, graben und pflügen sah, während ich so in die freie Welt hinausstrich. Ich rief den armen Leuten nach allen Seiten recht stolz und zufrieden Adjes zu, aber es kümmerte sich eben keiner sehr darum. Mir war es wie ein ewiger Sonntag im Gemüthe. Und als ich endlich ins freie Feld hinaus kam, da nahm ich meine liebe Geige vor, und spielte und sang, auf der Landstraße fortgehend.“

Was hat das alles mit Jeremy Rifkin, dem Ende der Arbeit, den Piraten, dem BGE und Thomas Straubhaar zu tun?

In ihr politisches Programm haben die Piraten – als erste Partei der Bundesrepublik – die Forderung nach einem BGE (Bedingungsloses GrundEinkommen) aufgenommen. (Die Piraten werden allmählich konkreter. Wenn sie ihre Anfangsprobleme überwinden, sollten sie als Stimme der jungen Generation eine Chance erhalten. Unverbrauchte Gesichter braucht das Land.)

Schon vor Jahrzehnten beschrieb Jeremy Rifkin „Das Ende der Arbeit“. Immer effizientere Maschinen würden viele Arbeitsplätze überflüssig machen – oder wegrationalisieren. „Rifkin erwartet, dass bis 2010 nur noch 12 % der Weltbevölkerung in der Produktion arbeitet. Bis 2020 sollen es nur noch 2 % der Weltbevölkerung sein. Laut Rifkin ist hiermit von 2010 bis 2020 zu erwarten, dass es in der Produktion ein Rückgang der Werktätigen auf ca. 1/6 des heutigen Wertes geben wird.“

Wird dieses Thema heute debattiert? Nein. Warum nicht? Weil das protestantische Arbeitsethos den Neoliberalen die psychische Legitimation liefert. Je weniger „sinnvolle“ Arbeit es gibt, je mehr muss das Absterben der klassischen Arbeit vertuscht werden, damit die Lohnforderungen nicht ins Unendliche steigen. Die Eliten wollen den Eindruck erwecken, Arbeit gäbe es in Hülle und Fülle. Sie liege auf der Straße, man müsse sie nur sehen.

Nach amerikanischem Dogma gibt es keine Arbeit, die schändet. Arbeit ist den Christen nichts Rationales, sondern eine vorgeschriebene Sündenstrafe. Im Schweiß seines Angesichts muss man büßen. Gleichgültig, ob die Arbeit das Leben erhält oder zerstört.

Das Hinaufrollen des Felsens durch Sisyphos, das unvermeidliche Hinabrollen auf der anderen Seite des Berges ist das beste Symbol für sinnentleerte Maloche des kapitalistischen Betriebs. Ein Verhängnis, dass jeder Feuilletonist Camus zustimmt, der griechische Empörer habe sich bei seiner Strafarbeit glücklich empfunden.

Ein Nullsummenspiel soll das Glück vernünftiger Wesen sein? Das Absurde soll die Spitze eines erfüllten Lebens sein? Die Verwirrungen der Nachkriegszeit bestimmen noch heute unser Leben – im Gewande des Kapitalismus. Sisyphos müsste die schärfste Kritik an unserem absurden Wirtschaftssystem sein.

Einerseits gibt es immer mehr Maschinen, die die Menschen von mühevoller Arbeit entlasten, andererseits darf entwürdigende Arbeit nicht weniger werden. Abhängige Arbeit ist das Unterjochungsmittel der unteren Schichten im Frondienste jener, die sich die Maschinen als Besitz einverleiben. Nicht mehr als 4 Stunden sollten in Marxens Reich der Freiheit die Menschen arbeiten. An Stelle der Sklaven sollten Maschinen die lästige Maloche übernehmen.

Je weniger Arbeit es heute gibt, umso schlimmer wird der Arbeitsdruck auf jeden Einzelnen. Dabei wird die wesentliche Arbeit der Mütter, das Austragen, Gebären und Erziehen der Kinder, von den Herren der Schöpfung als presque rien, als Nichts betrachtet. Was Männer tun, ist Arbeit und muss entlohnt werden. Was Frauen tun, ist lohnunwürdige Idylle. Die Welt will betrogen werden, die Frauen werden am meisten betrogen.

Der Mensch muss für seinen erbsündigen Hang zur Trägheit und Faulheit bestraft werden. Dass jedermann sich spontan betätigen, einen freiwilligen Beitrag zum gesellschaftlichen Wohlbefinden leisten will, ist Anbetern des Sündenfalls von der CDU über die SPD bis zu den Grünen und Linken nicht zu vermitteln. Man lese die Hassäußerungen von Schröder und Müntefering gegen die Hartz4-Faulenzer nach, um zu wissen, wer die wahren Pastoren der Gegenwart sind, die den Sündern mit der Peitsche der Arbeit kommen.

Ohne Sündenfall, ohne Strafmaloche des Christentums, kein Kapitalismus – und kein Sozialismus, wenn es ihn noch gäbe. Wer nicht malochen will, der soll verrecken, schrieb der menschenliebende Völkerapostel. Das war die Heirats-Urkunde des heiligen Paars Kirche & Kapitalismus, das im sündigen Bettchen unendliche Produkte heckt, die es anschließend unmittelbar auf dem Müll entsorgt.

Anerkannte, sich wohl fühlende Menschen wollen etwas tun. Nicht anerkannte Menschen müssen etwas tun, um ein Leben lang der vorenthaltenen Anerkennung nachzujagen. Zuerst muss jeder Mensch um seinetwillen geliebt und geachtet werden. Dann wird er mit Lust und aus freiem Willen seinen Beitrag zur Erhaltung des Menschengeschlechts leisten.

(Es ist eine dümmliche Mär, die Griechen seien eine arbeitsscheue Elitengesellschaft gewesen und hätten alle Arbeit von Sklaven verrichten lassen. Die Athener waren eines der rührigsten und fleißigsten Völkchen: in Demokratie-, Erkenntnis- und Kulturarbeit. Was sie verabscheuten, war abhängige, nicht selbst gewählte Maloche. Muße war nicht Nichtstun, sondern Leidenschaft für frei gewähltes Tun und Handeln. Unter athenischer Perspektive ist die Moderne die schlimmste Sklavenhalter-Epoche der Geschichte – unter dem lächerlich-trügerischen Mantel der Freiheit.)

Dass die Mehrheit der Deutschen das BGE ablehnt, hängt mit ihrer Sicht des Menschen als träges und faules Tier zusammen, das nur arbeitet, wenn man es unter Androhung sozialer Verachtung oder des Hungertodes zum Malochen zwingt.

Thomas Straubhaar hat in der WELT die Notwendigkeit des BGE aus ökonomischen Gründen begründet:

„Wer nicht erwerbstätig ist oder Arbeit sucht, wer in Patchwork-Beziehungen lebt oder alleinerziehend ist, wer Beruf, Wohnsitz oder die Lebensabschnittsbegleiter wechselt, der benötigt sozialpolitischen Schutz. Mehr noch: eine Sozialpolitik, die der neuen Lebenswirklichkeit Rechnung trägt, darf sich nicht darauf beschränken, Menschen in Not zu helfen. Sie muss verhindern, dass Menschen in Not geraten. Also Prävention statt Reparatur. Beschäftigung ermöglichen statt Beschäftigung sichern. Ermächtigen statt Bevormunden. Kurzum: Chancen eröffnen statt Almosen verteilen.“

Deutschland kann mit seiner imperialen Arbeitsethik nicht mehr ungestraft weitermachen und seine Nachbarn mit imposanten Wirtschaftsdaten in die Knie zwingen. Wenn die Deutschen dem Rest Europas ihren lebensfeindlichen Kapitalismus aufnötigen, werden sie die Hauptschuld am Zerfall Europas tragen.

Dem Süden haben wir Demokratie, Menschenrechte, Erkenntnis und Aufklärung, das sinnliche und freudige Leben zu verdanken. Soll Hyperion endgültig in die Emigration gezwungen werden, weil er unter Menschen nicht existieren kann, die ihre kostbare Lebenszeit mit Arbeit totschlagen?

Was hat sich geändert, wenn Hölderlin bereits vor 200 Jahren seinen Landsleuten vorwerfen musste: „Töten könnt ihr, aber nicht lebendig machen?“ Heute töten die Deutschen nicht mehr mit Flugzeugen und Panzern, sondern mit Verelendungsprogrammen und ökonomischer Kraftmeierei.

„Deine Deutschen aber bleiben gerne beim Nothwendigsten, und darum ist bei ihnen auch so viele Stümperarbeit und so wenig Freies, Ächterfreuliches. Doch das wäre zu verschmerzen, müssten solche Menschen nur nicht fühllos seyn für alles schöne Leben, ruhte nur nicht überall der Fluch der gottverlassnen Unnatur auf solchem Volke. – Die Tugenden der Deutschen aber sind ein glänzend Übel und nichts weiter; denn Nothwerk sind sie nur, aus feiger Angst, mit Sclavenmühe, dem wüsten Herzen abgedrungen, und lassen trostlos jede reine Seele, die von Schönem gern sich nährt, ach! die verwöhnt vom heiligen Zusammenklang in edleren Naturen, den Mislaut nicht erträgt, der schreiend ist in all der todten Ordnung dieser Menschen.

Es ist auf Erden alles unvollkommen, ist das alte Lied der Deutschen. Wenn doch einmal diesen Gottverlassnen einer sagte, dass bei ihnen nur so unvollkommen alles ist, weil sie nichts Reines unverdorben, nichts Heiliges unbetastet lassen mit den plumpen Händen, dass bei ihnen nichts gedeiht, weil sie die Wurzel des Gedeihns, die göttliche Natur nicht achten, dass bei ihnen eigentlich das Leben schal und sorgenschwer und übervoll von kalter stummer Zwietracht ist, weil sie den Genius verschmähn, der Kraft und Adel in ein menschlich Thun, und Heiterkeit ins Leiden und Lieb und Brüderschaft den Städten und den Häusern bringt.

Und darum fürchten sie auch den Tod so sehr, und leiden, um des Austernlebens willen, alle Schmach, weil Höhers sie nicht kennen, als ihr Machwerk, das sie sich gestoppelt.“