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Tagesmail

Dienstag, 09. April 2013 – Thatcher und Hayek

Hello, Freunde eiserner Ladys,

Sie war verantwortlich für die Zerschlagung der Gewerkschaften und den Ruin des Öffentlichen Sektors. Der Nationale Gesundheitsdienst wurde von ihr ruiniert. Sie senkte den Spitzensteuersatz der Reichen von 83 auf 60 % und erhöhte die Mehrwertsteuer von 8 auf 15%. Als gläubige Frau kannte sie das matthäische Wirtschaftsmotto: Den Besitzenden wird gegeben. Den Nichtshabern wird genommen, was sie haben.

Sie führte die Kopfsteuer ein. Pro Kopf zahlt jeder das Gleiche, ob reich oder arm. Nach dem Motto: vor Gott und dem Mammon sind alle gleich – verwerflich und steuerpflichtig. Margaret Thatcher, die mit der Handtasche, ist tot. Ihre Politik aber noch lange nicht.

(Ralf Sotscheck in der TAZ: „Englands bester Mann ist tot“)

Der jetzige britische Schatzkanzler Osborne – ein eifriger Thatcherianer – kürzt massiv bei Sozialhilfeempfängern und Behinderten, während Reiche sich über Steuererleichterungen freuen dürfen. Die Spaltung der Gesellschaft galoppiert munter voran.

Wer in einer Sozialwohnung mehr Zimmer hat, als ihm die konservative Reichenregierung zugesteht (wie viele Zimmer hat ein Schloss?) muss entweder mehr zahlen oder umziehen. Rund eine Million Haushalte sind davon betroffen. In vielen Haushalten leben Behinderte. Die Regierung will über 400 Millionen Pfund

einsparen. Die braucht man dringend zur Ausschüttung von Bankerboni.

Die Behinderten sind die Schlimmsten unter den Sozialsimulanten. Die schrecken nicht davor zurück, sich selbst zu verletzen, um billige Staatsknete zu kassieren. Obwohl die Schuldenberge immer mehr steigen, will Osborne die Unternehmenssteuern weiter senken.

Osborne verwies auf einen Vater von 17 Kindern, der sein Haus angezündet hatte. Sechs seiner Kinder starben in den Flammen. Er frage sich, so der konservative Menschenfreund, ob man weiterhin den Lebensstil solcher Leute subventionieren könne. Für seine Riesenfamilie hatte der Vater (viel zu) viel Kindergeld und andere Unterstützungen erhalten. (Ralf Sotscheck in der TAZ)

„Die Armut erweckt an und für sich wenig Mitleid. Ihre Klagen pflegen nur allzu leicht eher Verachtung als Mitgefühl zu erwecken. Wir verachten die Bettler und werden kaum jemals ein ernstliches Mitleid mit ihm fühlen.“ (Adam Smith, Theorie der ethischen Gefühle)

Hier hat sich der brave schottische Stoiker noch nicht von seinem calvinistischen Erbe gelöst. Wolfgang Kaden im SPIEGEL über Thatcher: „Die Tochter eines Kolonialwarenhändlers aus Grantham in Lincolnshire war geprägt vom Geist des Calvinismus, jener Lehre, wonach man mit wirtschaftlichem Erfolg, errungen im freien Wettbewerb, die Gunst des Allmächtigen erwarb.“

Bekanntlich wird das christliche Credo als Hochpreisung der Armut beschrieben. Selig sind die Armen – (lassen wir mal die Armen im Geiste weg, die hier gemeint waren) –, wie geht der Satz weiter? Denn ihrer ist das Reich der Himmel, wo sie alle Schätze des Universums erben werden. Der Satz lautet also: selig sind die Armen, denn sie sollen unermesslich reich werden.

Armut ist nur eine paradoxe Methode, um das absolute Gegenteil zu erreichen. Das Ziel instrumenteller Armut ist ewiger Reichtum. Im Gleichnis vom armen Lazarus und reichen Mann kommt der Reiche zur Strafe in die Unterwelt. Dort wurde er zum armen Mann, während Lazarus auf dem Schoss Abrahams saß und Teilhaber aller Schätze des Himmels geworden war.

Wie geht die Geschichte weiter? Der Arme in der Hölle bettelt um einen Tropfen Wasser, so bescheiden ist er. Und wie antwortet der reiche Mann im Himmel? „Kind (!), gedenke daran, dass du in deinem Leben dein Gutes empfangen hast und Lazarus gleichermassen das Böse. Jetzt dagegen wird er hier getröstet, du aber leidest Pein. Und bei alledem besteht zwischen uns und euch eine große Kluft, damit die, welche von hier zu euch hinübergehen wollen, es nicht vermögen, noch die, welche dort sind, zu uns herübergelangen.“

Hier haben wir die archetypische Urkluft aller modernen Klüfte zwischen Arm und Reich. Die Erwählten sind die Reichen, die sich unüberbrückbar von den armen Verworfenen entfernt haben. Selig sind die Armen, denn sie werden reich werden. Die Liebe erträgt alles, glaubt alles, hoffet alles, erduldet alles. Sie rechnet das Böse nicht an.

Merkwürdig, dass beim Tode der eisernen Lady ihr altösterreichischer Mentor nie erwähnt wird. Die Killerin der Gewerkschaften, die Befürworterin der Apartheidspolitik in Südafrika, die Neoimperialistin in Rhodesien und auf den Falklandinseln, war eine gläubige Schülerin des Friedrich August von Hayek, der in seiner Jugend dem linken fabianischen Sozialismus anhing und sich für die planwirtschaftlichen Vorstellungen Walter Rathenaus begeistert hatte. Erst das Buch des Ludwig von Mises, „Die Gemeinwirtschaft“, brachte ihn auf den rechten Pfad der antisozialistischen Tugend.

Ludwig Heinrich Edler von Mises war ein glühender Anhänger des Kapitalismus, den er für den einzigen Garanten menschlicher Freiheit hielt. Den aufkommenden Faschismus betrachtete er als berechtigte Empörungsreaktion gegen den Bolschewismus. (Noltes Vorgänger im Geiste)

Trotz kleiner Kritik an einzelnen faschistischen Elementen rechtfertigte er den Faschismus:

„Es kann nicht geleugnet werden, daß der Faszismus und alle ähnlichen Diktaturbestrebungen voll von den besten Absichten sind und daß ihr Eingreifen für den Augenblick die europäische Gesittung gerettet hat. Das Verdienst, das sich der Faszismus damit erworben hat, wird in der Geschichte ewig fortleben. Doch die Politik, die im Augenblick Rettung gebracht hat, ist nicht von der Art, daß das dauernde Festhalten an ihr Erfolg versprechen könnte. Der Faszismus war ein Notbehelf des Augenblicks; ihn als mehr anzusehen, wäre ein verhängnisvoller Irrtum.“

Der Faschismus hatte die alteuropäischen Werte gerettet.

Thatcher knallte des Öfteren ein Buch von Hayek auf den Tisch und trompetete: „Das ist es, woran wir glauben.“ In Deutschland knallte niemand. Hier schlich sich der Einfluss von Hayek & Co durch die Hintertüren.

Unbemerkt von der Öffentlichkeit schrieb damals ein in Wirtschaftskreisen bekannter Experte, der Staat müsse an Einfluss verlieren. Weil Widerstand gegen diesen Satz zu erwarten sei, müssten die Steuern erniedrigt werden. „Man brauche „das Diktat der leeren Kassen„. Man brauche „ein Defizit, das als anstößig gilt„. So könne man den Staat beschneiden. Ganz unverblümt steht es da: Nicht aus Notwendigkeit solle der Staat machtloser und ärmer werden, sondern aus Prinzip.“ So Barbara Supp in einem SPIEGEL-Artikel.

Der Schreiber der Zeilen war Herbert Giersch, (Gier!sch), der lange Jahre als Doyen der deutschen Wirtschaftswissenschaft galt. Bei uns beruhte der Erfolg des Neoliberalismus auf dem leisen, aber effizienten Wirken bestimmter Experten, deren Protagonisten allmählich bei Sabine Christiansen ins Talkgeschäft vordrangen.

Hauptpromotor war die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft INSM, der es gelang, viele Prominente für ihre Ziele einzuspannen, die das Soziale durch Abbau des Sozialen „retten wollten“. Mitarbeiter waren Ex-Bundespräsident Herzog, SPD-Clement, Ex-Bundesbankpräsident Tietmeyer. Später kam der Grüne Oswald Metzger dazu. Die Medien sprangen nach alter Tradition auf den neuen Zug und verhöhnten bald die ewig gleichen Phrasen der Linken.

Die wirklichen Giganten und Erfinder des Neoliberalismus – altösterreichische Edelleute, die durch die Niederlage im ersten Weltkrieg verarmten, an politischer Weltgeltung verloren hatten und durch eine antisozialistische Wirtschaftsordnung von neuer Weltmacht träumten – blieben bis heute im Hintergrund und werden fast nirgendwo debattiert.

Selbst VWL-Studenten erfahren so gut wie nichts von der „Dogmengeschichte“ führender Ökonomen. Höchstens werden Ausschnitte aus deren Büchern verteilt. Die Lektüre ganzer Bücher ist heute in keiner Fakultät mehr angesagt. Keine Zeit, keine Muße, keine Lesefähigkeit.

Die Universität als Ort kritischen Nachdenkens ist mausetot. Es sind die Ökonomen selbst – die vor allem Imponiermathematik betreiben, aber keinen sinnvollen Gedanken unfallfrei formulieren können – die von ihrem Gewerbe nichts verstehen, weil sie die prägenden Philosophien ihres Fachs nicht zur Kenntnis nehmen.

Was denkt Hayek über Gerechtigkeit? Ein schöner Traum, aber illusionär und gefährlich. Wer ihn verwirklichen wollte, würde das nicht auf Moral beruhende Wirtschaftssystem und unseren gesamten Wohlstand am Boden zerstören:

„Was ich zu zeigen versuchen muss, ist leider, dass die Gefühle, die zur Forderung nach sozialer Gerechtigkeit führen und die gewiss viele der edelsten Menschen unsrer Zeit beherrschen, in der modernen Großgesellschaft weder Sinn noch Anwendbarkeit haben, ja, dass der Versuch, die Gewalt des Staates in den Dienst der Befriedigung dieser ererbten Instinkte zu stellen, zur Vernichtung unseres Wohlstandes, der persönlichen Freiheit und der ganzen modernen Zivilisation führen müsste.“

Gerechtigkeit gehöre noch zu den steinzeitlichen Gefühlen unseres uralten Kulturerbes, die der Moderne nicht mehr angemessen seien. Wer ihnen dennoch folge, sei zwar von guten Absichten geleitet, aber alle Errungenschaften der Moderne würde er aufs Spiel setzen. Diese Anwendung von Gefühlen, die „wir in Hunderten von Tausenden von Jahren des Lebens in der kleinen Gruppe oder Horde entwickelt haben, weil sie zur Erhaltung der Menschen beigetragen haben“ wären unvereinbar mit modernen Ordnungsprinzipien, die das friedliche Zusammenleben von Hunderttausenden von Menschen ermöglichten.

Mit anderen Worten, die Evolution der Wirtschaft ist wesentlich weiter gekommen als die beharrenden Gefühle der Moral, die noch tief in der Vergangenheit feststecken. Unser Wohlstand, unsere Fähigkeit zur Beseitigung von Elend und krasser Not, ist unvereinbar mit eingewurzelten Gefühlen alter Gerechtigkeitsmoral. Wir benötigen eine schnelle Anpassung unserer überholten Moral an jene Antriebe, die zur Produktivität des Menschen in der Großgesellschaft beitragen.

Da die Evolution uns die richtige Wirtschaftsordnung beschert hätte, bräuchten wir eine evolutionsgemäße Ethik. (Dabbelju: Freiheit ist das Geschenk des Himmels an die Amerikaner.) „Die Ethik ist die letzte Bastion, aus der menschlicher Stolz sich angesichts der Erkenntnis ihrer Ursprünge nun zurückziehen muss.“ (Hayek, Die verhängnisvolle Anmaßung: die Irrtümer des Sozialismus)

Planwirtschaftlicher Sozialismus sei keine reale Alternative zum unreglementierten Kapitalismus, weil das menschliche Gehirn unfähig sei, die komplexen Vorgänge einer modernen Wirtschaft zu berechnen. Nur die Evolution habe übermenschliche Intelligenz, um alle Rechenvorgänge blitzschnell durchzuführen (= der Mensch denkt, Gott lenkt).

Hayek, der eine irdische Planwirtschaft wegen Ineffizienz ablehnt, propagiert eine himmlische Planwirtschaft. Nicht der Mensch ist fähig, sein Schicksal zu gestalten, sondern eine übermenschliche Instanz. Als Kind nannte Hayek diese Instanz Gott, als berühmter Wissenschaftler hat er Gott in Evolution umgetauft. Klingt wissenschaftlicher.

Die neuen Moralgefühle könnten wir mit unseren rationalen Fähigkeiten nicht ermitteln. Unsere Vernunft reiche nicht zur Bewältigung der Lebensaufgaben. „So erstaunlich und widersinnig die Bemerkung manchem scheinen mag: Diese Moralregeln übersteigen die Fähigkeiten der Vernunft.“ Den Sozialisten wirft Hayek Überschätzung der Vernunft vor. (Alte Habsburger würden von Sündenstolz reden, Hayek spricht von überheblichem Vernunft-Stolz.)

Eine Vernunft, die wüsste, was sie täte, würde ihre Grenzen kennen. Sie wüsste, dass eine „ohne Entwurf entstandene Ordnung“ bei weitem die Pläne übertreffen könne, die Menschen bewusst ersinnen. Nicht die bewusste Vernunft hat das Wunder der modernen Wirtschaft geschaffen.

Hayek bezieht sich auf viele berühmte Namen, die vor Überschätzung der Vernunft warnen. Unter ihnen ausgerechnet der als Aufklärer geltende David Hume, der in einem seiner Werke schrieb: „Die Regeln der Moral sind nicht Ergebnisse unserer Vernunft.“ (Bertrand Russell über Hume: „In Humes Philosophie kommt der Bankrott der Vernünftigkeit des 18. Jahrhunderts zum Ausdruck.)

Der Kampf gegen Vernunft war das Werk der Gegenaufklärung. Womit wir jetzt sagen können: der Neoliberalismus ist auf dem Boden der Gegenaufklärung gewachsen. Vernunft ja – aber nur in unbedeutenden Aspekten. Als verantwortliche und rationale Gestalterin des menschlichen Schicksals taugt Vernunft nichts. Das Schicksal des Menschen ist nicht machbar. Es wird von höheren Mächten bestimmt, mit denen wir uns gut stellen müssen. Einen Einfluss auf diese Mächte haben wir nicht und werden wir nie haben.

Diese übermenschlichen Kräfte sind „eine Mischung aus Glücks- und Geschicklichkeitsspiel und beide Faktoren müssen zu der Bestimmung der Gewinne der einzelnen beitragen“. Niemand sei in der Lage, den Anteil des Glücks vom Anteil der Geschicklichkeit zu trennen. „Kaum je können wir sagen, was Kenntnis und was Glück gebracht hat. Wir können nur die Dinge so einrichten, dass das Richtigraten belohnt und das Falschraten bestraft wird.

Die Wirtschaft ist ein universelles Rätselraten. Wir können nur pokern und zocken. Einsehen und Erkennen, mit Vernunft bestimmen: ausgeschlossen. Das Leben ist ein Spiel und wir sind die Kandidaten. Hape Kerkeling, gläubiger Entertainer, der auf dem Sankt Jakobsweg die Erleuchtung fand, hat die Grundmelodie des ökonomischen Rätselratens auf den Punkt gebracht.

Während der junge Hayek noch Verbesserungen des politischen und wirtschaftlichen Systems vorschlug, versank der alte Hayek in völligem Passivismus vor den Mächten der Evolution. „Während im Frühwerk liberale Gesetzesreformen und Verbesserungen der Rahmenbedingungen noch befürwortet werden und politische Gestaltung durchaus zugelassen ist, setzt das (resignative?) Spätwerk ganz auf Evolution und hält die bewusste Gestaltung für vergeblich: Gegen das Diktat der Evolution sei menschliches Planen nicht nur zwecklos, sondern verhängnisvoll.“

Das ist nicht nur ein Rückfall in die Gegenaufklärung, sondern in den frommen Qietismus des 17. und 18. Jahrhunderts. Kernaussage des Quietismus (von quietus = ruhig) ist die völlige Ergebenheit des Gläubigen in Gottes Willen.

Diese Form der Religion, in der das Ich ausgelöscht ist, hat nicht nur christliche Wurzeln. Sie ist identisch mit der islamischen Schia, die eine aktive Beteiligung der Menschen an der Politik ablehnt. Wir sehen, der Neoliberalismus ist mit allen Erlösungsreligionen kompatibel. Er ist Fleisch vom selben Fleische.

Wenn Gott allmächtig ist, müssen seine Geschöpfe winselnde und im Staube liegende Kreaturen sein.