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Dienstag, 08. Januar 2013 – Antisemitismus und Antihumanismus

Hello, Freunde des Tabus,

Tabu ist polynesisch und heißt unverletzlich, heilig, unberührbar. Bestimmte Dinge darf man nicht ansprechen, wenn man kein Unglück heraufbeschwören will. Nicht mal die Existenz dieser Tabus darf erwähnt werden. Tabus sind ungeschriebene Gesetze, die eine höhere Macht besitzen als geschriebene, die man nach Belieben ändern kann.

Wer es mit Doktor Freud formulieren will, könnte von einem kollektiven ES sprechen. Auch das wäre nur eine Annäherung. Im ES sitzen unsere verbotenen Triebregungen, doch von wem stammen die Verbote? Vom Über-Ich oder vom Gewissen, das uns sagt, Onanieren ist verboten, sonst kriegen wir Rückenmarksverkrümmung.

Alle Tabus zusammengenommen wären eine Große Koalition von ES & Über-Ich, mit Akzent auf letzterem. Man kann das Polynesische auch sein lassen und von einer christlich-jüdischen Kultur sprechen. Hier heißen Tabus göttliche Gebote, die sich von Tabus höchstens dadurch unterscheiden, dass sie in heiligen Büchern formuliert und somit ins Bewusstsein der Menschen gehoben wurden.

Doch die Halbwertszeit des Bewusstseins ist gering. Werden göttliche Gebote zu totalitären Zwingmeistern des ganzen Lebens – also auch des politischen –, ergattern sie soviel Macht über die Untertanen, dass sie nur noch Angst und Schrecken erregen: dann werden sie allmählich dem Bewusstsein entzogen, damit die Untertanen des Schreckens (oder die Gläubigen) sich wenigstens die Illusion einer bestimmten Freiheit vorgaukeln können. Nach dem Motto: was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.

Henryk M. Broder, harter, aber ungerechter Zuchtmeister der Deutschen, im Nebenjob Witzbold, hat sich den tollsten Witz der Nachkriegsgeschichte erlaubt und kein

humorloser Deutscher hat‘s gemerkt und dazu gelacht: Wir leben, schreibt er, in der tabulosesten Epoche der deutschen Geschichte.

Würden wir den Satz auf den Kopf, stellen, näherten wir uns ungefähr der Wirklichkeit.

Liest man Bücher der Vorkriegszeit, kommt man nicht aus dem Staunen heraus, was die alles ansprechen konnten, ohne von Denkverboten und Zuchtmeistern belästigt zu werden. Hätten die Deutschen sonst den Titel Volk der Dichter und Denker oder der weltbesten Wissenschaftler erringen können, wenn sie ständig von einem Stoppschild gebremst worden wären: Betreten verboten?

Bekanntlich konnte man unter Kaiser Willem alles sagen, nur nicht, dass er behindert, schwul und ein Vollidiot war. Das musste ein tabuisiertes Staatsgeheimnis bleiben.

Warum sind die Deutschen so unintelligent geworden – fast so doof wie Amerikaner, die Hitler für den amtierenden Bundeskanzler halten –, wenn wir nicht in einer zuwachsenden Tabugesellschaft vor uns hin vegetieren müssten?

Hier schon das erste Tabu: Antiamerikanismus. Wer Amerikaner kritisiert, ist kein Amerikakritiker – Kritik wurde in der tabulosesten Gesellschaft in einem atomaren Endlager entsorgt –, sondern fanatischer Gegner von Coca Cola, McDonald und der Wallstreet.

Schon das zweite Tabu: wer die Wallstreet kritisiert, ist kein Wallstreetkritiker, sondern sekundärer Antisemit. Vermutlich, weil es unter den Zockern auch zwei Juden geben soll. Gezählt hat sie noch niemand, außer sie sich selbst.

Vorsicht jetzt vor dem Weiterlesen für labile Gemüter, Kreislaufschwache, Herzinfarktgeschädigte, Diabetiker und sonstige Angsthasen.

Das dritte Tabu: Deutschland ist verstockt religiös und kehrt zum Bismarck‘schen Kulturkampf zurück: Thron & Altar-Protestanten gegen Vatikan-Katholiken, beide zusammen mit Juden & Muslimen gegen gottlose Horden aus dem Ossiland, die nicht mal das Vaterunser auf berlinerisch können: Und gib uns unsere Schrippen, wie auch wir vergeben den Weckenschwaben.

Das vierte Tabu: eine Demokratie kritisiert alles, nur nicht ihre besten Freunde.

Das fünfte: Die Deutschen hätten ihre Vergangenheit bewältigt. Das merkt man am jetzigen Augstein-Skandal.

Das sechste: Deutschland hätte ein Bildungssystem, wo doch alle Honoratioren – mit Ausnahme zweier Graubärte in Freiburg – Blinddarmfortsätze bestimmter Industrien geworden sind.

Das siebente: Deutschland hätte noch Intellektuelle. Die letzten vier Musketiere dieser überschätzten Gattung haben alle Hände voll zu tun, um einen kriminellen Verlag vor der Justiz zu schützen.

Das achte: Deutschland hätte eine freie Presse. Schon vor gefühlten 100 Jahren sagte Peter Scholl-Latour, dass es hierzulande ein Meinungskartell in der Hand weniger Verleger und Edelschreiber gibt. Die Presse war nicht in der Lage, den Neoliberalismus über den Atlantik zurückzujagen, noch zu erzählen, was in der amerikanischen Judenheit intern abläuft. Die Augsteingeschichte sei, verglichen mit Vorgängen in New York, ein Pipifax, schrieb Micha Brumlik, wie immer nebulös.

Das neunte: Juden und Deutsche bildeten wieder eine neue Sym-biose. (= voneinander abhängiges Zusammenleben). In Wirklichkeit bilden sie eine Symmachie als Antimachie (zusammenkämpfen um sich gegenseitig zu bekämpfen).

Das neunte: Deutschland sei wieder eine Weltmacht – zumindest in Europa. In Wirklichkeit kann Deutschland weder ökologische Autos oder einen Flugplatz bauen, noch außenpolitisch bis drei zählen. Die Riege Merkel-Westerwelle nennt Uri Avnery eine Fußmatten & Co KG.

Das zehnte: Uri Avnery gilt hier als Selbsthasser, weswegen das hiesige Meinungskartell ihn so gut wie nicht mehr zu Worte kommen lässt. Als Rudolf Augstein lebte, durfte er sogar im SPIEGEL publizieren. Heute benötigt das Magazin mehrere Tage, um dessen Sohn – und damit sich – vor unflätigen Angriffen in Schutz zu nehmen. Seitdem ein gewisser Aust als Nachfolger von Augstein sich weigerte, in die zu großen Schuhe seines Vorgängers zu schlüpfen, aus Angst, er könnte sich blamieren, gibt es keine Gazetten mehr in Deutschland, deren Chefredakteure in der Lage wären, sinnvolle Kommentare zur gegenwärtigen Weltlage zu schreiben. Die Medienlandschaft ist zu einer geschwätzigen Mutistengemeinschaft geworden, die sich gern mit Bischofszitaten schmückt – ohne zu wissen, was eine Bibel ist.

Elftes Tabu: wenn Intellektuelle tatsächlich mal Probleme mit dem Heiligen kriegen, wen fragen sie? Theologen. Wenn sie, wie schon seit 1000 Jahren, keine Ahnung von Antisemitismus haben, wen fragen sie? Juden. Konträre Meinungen sind – richtig – tabu. Das wäre, wie wenn ich den amtierenden japanischen Ministerpräsidenten fragte, ob Atom sicher sei. Die uralte römische Regel aller Meinungsbildung: audiatur et altera pars, auch die andere Seite muss gehört werden, haben heutige Journalisten weder in ihrem Journalistenseminar noch jemals in ihren Redaktionskonferenzen gehört.

Und das zwölfte Tabu (womit wir uns an das Tabu der heiligen Zahl Zwölf halten): Deutschland wäre ein aufgeklärtes Land. Es gibt heilige Zitate bei den Deutschen, die nicht aus der Bibel sind, bei denen man dennoch den Atem anhalten muss. Dazu gehört der Kantsatz: Sapere aude, wage es, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. Der wird deklamiert, als ob jeder Deutsche schon wüsste, in welchem Körperteil sich sein Verstand versteckt.

Dabei hat Kant vor seinem eigenen Anspruch versagt. Nicht nur praktisch, sondern der Theorie nach, indem er zwischen öffentlichem und privatem Gebrauch der Vernunft unterschied. Der öffentliche Gebrauch ist nur Gelehrten vorbehalten, die vor dem „ganzen Publikum der Leserwelt“ etwas zu anzubieten haben. Als Angestellte, Lohnabhängige, Beamte, Priester einer Kirche haben sie intern die Klappe zu halten.

Weswegen die heutigen Verhältnisse durchaus kantisch genannt werden können. Bei den Wahlen kann man seine Stimme in Form eines stummen Zettels erheben. Im kapitalistischen Beruf, als staatlicher Lehrer, als Erzieherin in einer katholischen Kita, als Finanzbeamter hat jeder seine freie Meinung an der Garderobe abzugeben.

Kant war kein Freund einer Demokratie, in der der Pöbel die Mehrheit bilden kann. Hat sich seit Kants Zeiten irgendwas geändert, außer auf dem Papier?

Deutschland ist so aufgeklärt wie ihr erster Aufklärer Habermas, der der demokratischen Vernunft nicht zutraut, ihr Gemeinwesen selbst zu erhalten und sie der benediktinischen Zwangsfürsorge empfohlen hat. Debatten über diesen schändlichen Verrat an Aufklärung und Demokratie – zwei identische Begriffe – hat‘s bis heute nicht gegeben.

Der zweite Riesenaufklärer ist ein gewisser Peter Sloterdijk, der den Steuerstaat abschaffen und die Armen per Gnadenalmosen knapp über dem Verhungern erhalten will.

Die deutsche Aufklärung, unter der kundigen Verwaltung von Theologen und Gottesgelehrten – Professoren der Philosophie, die sich Aufklärer nennen würden, machen lieber den Prager Fenstersturz auf den nächsten Misthaufen, als sich mit einem solch rohen und unterkomplexen Mäntelchen zu schmücken – ruhen und rasten nicht, bis die heidnische Vernunft wieder im Stall von Bethlehem neben Ochs und Esel angekettet ist.

Die erste vorbildliche Phase der Nachkriegszeit, als freiheits- und demokratiehungrige Jüngelchen in Amerika Demokratie lernten, ist lange vorüber. Dieselben sind zur Schicht der Etablierten aufgestiegen, preisen die ARD und halten das Wort zum Sonntag für eine Aufklärungssendung.

Im Mittelpunkt aller Tabus steht natürlich das deutsch-jüdische Esau– und Jakob-Verhältnis. Was gar nicht anders sein kann, denn hier ballt sich Religion zu einem heils- und unheilsgeschichtlichen Konzentrat. In wechselnden Rollen spielen Deutsche und Juden den Erstgeborenen oder den listigen Zweitgeborenen im Kampf um den göttlichen Segen. Hier haben wir das Urtabu einer religiösen Gesellschaft vor uns, welches die ganze Gesellschaft kontaminiert. Fast kein Gebiet, das von dieser Urquelle nicht unterspült wäre.

An vorderster Stelle die deutsche Kopfnickerei vor Israel, die man hierzulande in höchsten Tönen als bedingungslose Loyalität preist. Es ist bedingungslose Charakterlosigkeit und Verrat an allen menschenrechtlichen Grundsätzen. Hier machen sich Europa und Amerika, die der ganzen Welt Demokratie predigen, einer maßlosen und zynischen Dauerheuchelei schuldig.

Auf den Nahostkonflikt schaut die ganze Welt und sieht mit Erstaunen, Wut und Verzweiflung, dass der vereinigte Westen an dieser Stelle Wasser predigt und doppeldeutigen Fusel trinkt. Überall auf der Welt sollen universelle Gesetze der Gleichheit gelten, nur nicht bei Palästinensern. Überall soll Demokratie Einzug halten, doch wehe, die Falschen werden in Gaza gewählt, dann wird das ganze Gebiet in Geißelhaft genommen.

Wenn das Westjordanland als gleichberechtigtes Land von der Völkergemeinschaft anerkannt werden will – ein gewaltiger Beitrag zum Frieden in der Welt –, gehen die Uhren in Israel anders. Das gebeutelte und besetzte Land wird öffentlich gedemütigt, sogar seiner Finanzen beraubt.

Dazu kein Wörtchen von unserem markigen Außenminister und seiner pastoralen Chefin, die ihre lutherischen Schuldgefühle gegenüber den Juden dadurch abbezahlt, dass sie Netanjahu die Schuhsohlen schleckt. Macht sie es einmal nicht, darf der ungeheure Affront bestimmt nicht in die Öffentlichkeit dringen.

Dass Augstein wegen einer harmlosen Kritik am heiligen Land getunkt worden ist, dafür kann er sich bei seiner Kanzlerin und dem gesamten Fußmattenkabinett bedanken. Da diese Regierung nur den Kotau vor Jerusalem praktiziert, fällt natürlich der kleinste Anti-Mucks als grelle Dissonanz auf. Hier gibt es nicht mal die geringsten Möglichkeiten eines rationalen Diskurs’, weil wir heiligen Boden betreten.

Für die engelgleiche Kanzlerin ist Nahost-Politik Gottesdienst. Bußgottesdienst. Eine ökumenische Prozession auf den Knien nach Canossa, um die Sünden der christlichen Judenhasser abzubüssen. Vor lauter verdrängter Schuld und knechtischer Bußfertigkeit kann sie nicht aus den Augen schauen und segnet blind ab, was Verderben über Nahost und die Welt bringt.

Nahost ist momentan der Nabel fast aller Weltkonflikte. Ohne die Doppelstandard-Politik des Westens gäbe es keine Salafisten und keine Taliban in der heutigen extremen Form. Die terroristische Reaktion der Muslime ist die Reaktion militärisch Unterlegener gegen übermächtige westliche Imperialisten, die die Ressourcen der Welt unter Phrasen und Parolen ausplündern.

Auch die Ajatollisierung des Iran geht auf das Konto von England und Amerika, die die demokratische Mossadegh-Regierung zerlegten, da jene es wagte, dem Raubbau ihrer Ölressourcen ein Ende zu bereiten.

Wie Deutschland West das Musterland direkt an der Grenzlinie zum sozialistischen Osten, so ist Israel das Aushängeschild des Westens an der Frontlinie zum muslimischen Asien und Nordafrika. Auf diese Stelle schauen die Völker der Welt, um zu sehen, wie der Westen mit seinen Menschheitsparolen umgeht. Die Behandlung des Nahost-Konflikts muss so überzeugend und authentisch auf die Beobachterstaaten wirken, dass alle unbestochenen arabischen und asiatischen Staaten sich zu Gegnern des Westens entwickelten.

Jede deutsche Kritik an Israel muss ausgeglichen sein und die Hamas-Raketen erwähnen, so wird bei uns betont, sonst wird sie als Antisemitismus vom Tisch gefegt. Der Hamas-Kurs ist eine sekundäre Reaktion auf die übermächtige unfriedfertige Landnahmepolitik der israelischen Regierung, die von der Majorität der israelischen Gesellschaft durch schweigendes Dulden abgesegnet wird.

Erstens kritisiert man Freunde immer stärker als Fernerstehende (worauf schon Avnery hinwies), zweitens muss die Übermacht zuerst die Hand ausstrecken und Waffen und Soldaten abziehen. Die Intoleranzformeln der Hamas und ihre Raketen sind Reaktionen auf die zynische Gewaltpolitik der Besatzer.

Es ist Unsinn, von Israel als einem bedrohten Land zu sprechen. Durch seine notorische Eroberungs- und Unterdrückungspolitik gibt es nur ein Land, das Eretz Israel bedroht und das ist – Eretz Israel.

Die Juden hatten alles Recht dieser Welt auf einen eignen Staat, um das Elend ihrer 2000-jährigen Wanderung durch die Völker zu beenden. Herzl dachte nicht an Palästina als Ort der Wiedergeburt der Nation. Gleichwohl war es nicht verwunderlich, dass die Wahl auf die biblische Urheimat fiel.

Von vorneherein gab es zwei unterschiedliche Vorstellungen der Eroberung des Territoriums, das beileibe kein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land war. Die atheistischen Zionisten wollten nur ein ausreichend großes Gebiet, um einen funktionstüchtigen Staat zu errichten. Die Ultrafrommen lehnten zuerst die Besetzung ab, weil die finale Landnahme dem Messias vorbehalten sei. Als sie aber sahen, dass das mit ungeheurer Energie und Idealismus aufgebaute neue jüdische Gemeinwesen zur attraktiven Beute heranwuchs, machten sie sich daran, den Staat kontinuierlich zu übernehmen.

Mit dem Essen kam der Appetit. Israel sollte das ganze Gebiet vom Jordan bis zum Mittelmeer okkupieren. Kompromisse gibt’s in alleinseligmachenden Religionen nicht. Deus lo volt, die biblische Landnahme ist zum heiligen Vorbild der heutigen Ausdehnungspolitik geworden.

Frieden mit Gojim? Undenkbar. Heiden müssen sich ducken oder weichen. Ist es den Palästinensern zu verdenken, dass sie sich mit allen Mitteln gegen diese Unterjochungspolitik zur Wehr setzten?

Dennoch schwenkte Arafat nach einer längeren Militärphase in eine Friedenspolitik um, was von seinem Volk unterstützt wurde. Erst als die neue Politik der Verständigung von den jeweiligen Regierungen in Jerusalem immer weniger unterstützt, ja destruiert wurde, kam es zur reaktiven Extremisierung durch die Hamas.

Hätte Israel eine eindeutige Versöhnungs- und Kompromisspolitik betrieben, wüsste man heute nichts mehr von einem Nahostkonflikt. Die „ungeheure Bedrohung“ des Landes wird von Apologeten nur benutzt, um die schamlosen Menschenrechtsverletzungen und rechtlosen Eroberungen zu verteidigen. Kein Land – Iran inklusive – würde es wagen, dem Augapfel Amerikas und Europas nur ein Haar zu krümmen, es sei, es hätte suizidale Absichten.

Es gehört zur paranoiden Struktur des Landes, sich die ganze Welt zum Feind zu machen, um sich berechtigt zu fühlen, sich gegen die ganze Welt feindlich zu verhalten  sagt Avraham Burg in seinem aufrüttelnden Buch „Hitler besiegen“:

„Ich bin zutiefst überzeugt, wenn wir die moderne israelische Identität nicht auf Optimismus, Glauben an die Menschen und volles Vertrauen in die Völkerfamilie gründen, haben wir auf lange Sicht keine Existenz- und Überlebenschance – nicht als Gesellschaft in einem Staat, nicht als Staat in der Welt und nicht als Nation in der Zukunft. Die Ära ängstlichen Judentums und paranoiden Judentums ist vorbei. Die Zeit ist reif für die Integration in eine freie, positive Welt. Der Glaube des jüdischen Volkes in die Welt und die Menschheit muss wiederhergestellt werden.“

Von all diesen Perspektiven hört man in Deutschland nichts. Eine gleichgeschaltete Presse unter der Zensur deutsch-jüdischer Wächter, die sich als philosemitische Ehrengarde betrachtet, hat sich zum Sprachrohr der jeweiligen Unfriedensregierungen in Jerusalem gemacht.

Die deutschen Juden, beherrscht vom schlechten Gewissen, Israel nicht im Lande selbst zur Verfügung zu stehen, kompensieren ihren „mangelhaften Patriotismus“ – so der Vorwurf vieler Israelis – mit kindischem Übereifer. Ihr Volk glauben sie zu verteidigen, indem sie den Deutschen die kleinste Kritik an Israel als Antisemitismus auslegen.

Moshe Zuckermann, der zur Riege der israelkritischen „Selbsthasser“ gehört, hat zur Augstein-Affäre eine unmissverständliche Meinung. Der Vorwurf des Antisemitismus sei nichts als eine perfide Abfertigung und Zurichtung politischer Feinde.

Hintergrund: „Nach Ansicht des Sozialwissenschaftlers Salzborn hat „die Elite“ zumindest in einem Fall schwer versagt. Er ist mit dem Simon-Wiesenthal-Zentrum der Meinung, dass der Verleger Jakob Augstein zu den schlimmsten Antisemiten der Welt gehört. Wie sind dann eigentlich Neonazis und andere rechtsradikale Judenhasser einzuordnen?

Zuckermann: In der Frage steckt bereits das nötige Maß an Polemik zu ihrer Beantwortung. Das, was man sich mit der Einstufung von Jakob Augstein als einen Antisemiten geleistet hat, ist dermaßen idiotisch, dass man darüber eigentlich nur noch – freilich angewidert – lachen kann. Es hat aber sein Gutes, was geschehen ist. Es wurde höchste Zeit, dass das miese Unwesen, das diverse Diffamierer im deutschen Diskurs mit dem Antisemitismus-Vorwurf betreiben, endlich als das vorgeführt wird, was es ist: als perfide ideologische Praxis zur Abfertigung und Zurichtung politischer Feinde. Dass es diesmal jemanden getroffen, der nicht zu den „üblichen Verdächtigten“ gehört, ist, so besehen, ein günstiger Fall. Plötzlich verteidigen ihn Leute, die in dieser Hinsicht selbst einiges auf dem Kerbholz haben.“

Hier das ganze Interview mit Moshe Zuckermann im Hintergrund.

Die friedensstiftenden Stimmen der israelischen „Selbsthasser“ werden hierzulande nicht zur Kenntnis genommen. Jeder Antisemit habe seinen Hofjuden, um zu beweisen, dass er eigentlich nichts gegen Juden hätte, pflegt Broder die Stimmen von Zuckermann, Avnery, Gideon Levy, Haaretz in der Luft zu zerfetzen. Legte man Broders Wald- und Wiesenpsychologie an ihn selbst an, müsste er das Land Israel hassen. Vor Jahren versuchte er vergeblich, dort journalistisch Fuß zu fassen. Jetzt unternimmt er nichts, um den abschüssigen Kurs des Landes zu bremsen – außer, indem er alle verflucht, die vor den Gefahren dieses Kurses warnen.

Die falschzüngige deutsche Presse, die feige Haltung der deutschen Gesellschaft, die Mehrheit der deutschen Juden tragen Mitschuld daran, dass der Kurs der deutschen Regierung gegenüber Israel in untergründigem Hass verharrt, der sich kaschiert als Demut und Fürsorglichkeit, doch nichts ist als unaufrichtige Liebedienerei. Der wirkliche Antisemitismus versteckt sich hinter der Maske seines Gegenteils.

Antisemitismus ist Teil eines wachsenden allgemeinen Antihumanismus, der durch soziale Zerrüttung der Gesellschaft, durch Anbetung erbarmungsloser wirtschaftlicher Rivalität das Feld bereitet, auf dem auch der Antisemitismus am besten gedeihen kann. Je ohnmächtiger die Menschen, je mehr suchen sie die Ursachen ihrer Ohnmacht nicht in ihrer Ökonomie, nicht in ihrer Religion, nicht in ihrer defekten Demokratie, sondern bei historisch bewährten Sündenböcken.

Wer die wahren Ursachen seines Elends nicht sehen will, der benötigt Ersatzobjekte seiner blindwütigen Aggressionen. Wer über Inhumanität nicht sprechen will, sollte von Antisemitismus schweigen.

Thema wird fortgesetzt