Die Beste aller Welten – Natur und Neoliberalismus
Von allen möglichen ist die unsrige die beste aller Welten, sagte Leibniz. Ausdenken könne man sich zwar bessere, doch rundum perfekte überstiegen Gottes Kapazitäten. Auch für Kumpel Schöpfer gilt der lateinische Spruch: Ultra posse nemo obligatur, über sein Können hinaus kann niemand verpflichtet werden.
Die denkbar beste wäre natürlich die ohne Leid, Tod und Schmerz. Doch das bliebe selbst für deus omnipotens eine unerreichbare Utopie. Auch Er müsse sich an die Realitäten halten, könne nicht von makelloser Vollkommenheit träumen. Der Gerechte muss gelegentlich leiden, der Lump schwelgt in Überfluss. Das ließe sich nicht ändern. Hätte jedoch den Vorteil, dass jede Kreatur aus Elend klug, aus Trübsal weise werden könne.
So mache der Mensch aus Not eine Tugend, korrigiere des Vaters Schwäche, indem er aus eigener Kraft sein Päckchen trage und dennoch zur richtigen Einsicht käme: gloria in excelsis deo.
Da passierte es: das Erdbeben von Lissabon 1755 verwandelte die Stadt am Rande Europas in eine Staubwolke. Die fortschrittsfreudige Aufklärung war erschüttert, ihr Optimismus ramponiert. Die geologische Eruption passte nicht zum rationalen Deismus der Vernünftler, …
… die unter Newtons Einfluss grade begonnen hatten, in Naturgesetzen eine vollkommene Rationalität zu erkennen. (Im Deismus ist Gott identisch mit der rationalen Natur, siehe Spinoza. Im Theismus ist er eine Person, welche Natur übersteigt und nicht nur rational sein muss, siehe Christentum.) Voltaire verhöhnte die leibnizsche Verteidigung der besten aller Welten, obgleich er selbst Theist und kein Gottloser war, also an ein höheres Wesen glaubte, das mehr war als nur Natur. Seinen Frust hätte er besser an sich selber ausgelassen, als an dem armen Deutschen.
Mehr als Natur bedeutet, dass die unverbrüchlichen Naturgesetze durch göttliche Intervention durchbrochen werden können. Ist die Intervention zum Besten der Menschen, sprechen wir von Wunder, ist sie zu seinem Nachteil, von bösem Zufall. Obgleich sie gar kein Zufall ist, sondern das Werk eines von Gott zugelassenen Bösewichts und damit von Oben legitimiert. Man könnte von guten und bösen Wundern sprechen. Wer Natur für ein perfektes rationales Kunstwerk hält wie die Aufklärer, mag keine Wunder. Denn sie durchbrechen die ehernen Naturgesetze.
Schon sind wir bei den Neoliberalen der Gegenwart, die Ökonomie als perfektes Uhrwerk verstehen, das weder übergeordnete Eingriffe nötig hat, noch außengeleitete Interventionen verträgt. Ironischerweise war das die Leibnizsche Position im Gegensatz zu Newton, dessen Uhrmacher ständig nachjustieren musste, sonst wär der Wecker stehen geblieben. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: ausgerechnet der deutsche Leibniz war der perfekte „Neoliberale“, der aus dem kapitalistischen England kommende Newton hingegen „Interventionist“ und also – Keynesianer.
Erneut sieht man, wie nationale Eigenheiten in Europa komplementär voneinander abhängen. Will man exakt sein, müsste man sagen, die Engländer waren in himmlischen Dingen interventionistisch, nicht aber in irdisch-materiellen. Bei den Deutschen war’s umgekehrt. Doch die hübsche Einteilung stimmt nur im Allgemeinen, nicht im Besonderen. Adam Smith’s Unsichtbare Hand ähnelt mehr der hiesigen sozialen Marktwirtschaft und Keynes hatte bekanntlich auch nichts gegen staatliche Eingriffe.
Der Neoliberalismus der Gegenwart ist weniger den Insulanern zu verdanken, als degenerierten Österreichern und staatsfeindlichen Amerikanern, die auf die Position der klassischen Aufklärer regredierten. Allerdings mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass Voltaire, Diderot & Co das ganze Universum für ein vortreffliches und autonomes Kunstwerk hielten, Hayek, Friedmann & Co aber nur die Wirtschaft. Die Summe der Loser war ihnen schnuppe. Hier hätten sie sich in Leibniz wiederfinden können. Die Welt ist zwar die beste aller, aber nicht vollkommen. Vollkommen sind nur die evolutiven Wirtschaftsgesetze, der unheilige Rest speist an der Armentafel – oder wird bei McDonalds mit Fetthaltigem abgefüttert.
Versucht man den abendländischen Knäuel weiter zu entwirren, kommt man zu interessanten Ergebnissen, die auch die Ökodebatte weiter bringen können. Am Anfang der modernen Aufklärung war Natur als perfekte Maschine. Wie konnte das Malheur geschehen, da doch jede Aufklärung sich als Wiedergeburt griechischer Ideen vollzog?
Bei den Griechen war Natur keine Maschine, sondern der vollkommene Kosmos. Ein Makro-Organismus, ein atmendes Lebewesen, auf keinen übernatürlichen Schöpfer angewiesen, ins sich selbst ruhend, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Auch Platons Demiurg ist nur ein biederer Handwerker, der aus dem vorhandenen Chaos das Beste macht. Kein allmächtiger Creator ex nihilo. In der Natur gabs keine Spaltung zwischen Materie und Geist (Leben), zwischen hyle und zoe. Deshalb spricht man von Hylozoismus.
Nur bei dem Ungriechen Platon beginnt eine gewisse Spaltung zwischen Ideen und sinnlichem Material. Doch Platon steht unter dem Einfluss dualistischer Mysterienreligionen, die ihren Ursprung in Ägypten haben. Aristoteles korrigiert die Spaltung, ohne sie völlig zu überwinden. Erst im Verfallsstadium der griechischen Philosophie, in der römischen Stoa, gewinnen die Daseinsspalter die Oberhand und übergeben sich ermattet dem Christentum.
Da die Aufklärer zwischen Deismus und Theismus schwankten, also nicht wussten, ob sie Natur als göttliches Wesen oder minderwertiges Werk eines übernatürlichen Schöpfers betrachten sollten, führte ihre Unentschiedenheit zur Vorstellung der Natur – als perfekter Maschine. In der damaligen Metapher: als vollkommene Uhr. Jetzt kommts: mit oder ohne Uhrmacher. Mit oder ohne eingreifenden Hersteller des wundersamen Chronometers.
Hat der Creator sein Werk in vollkommener Weise geschaffen, um es für alle Zeiten sich selbst zu überlassen? So Leibniz. Oder ermüdeten die Mechanismen, sodass der Meister in regelmäßigen Abständen nachhelfen und reparieren musste? So Newton. Letzterer war ein frommer Mann, schrieb dickere Bücher über Theologie und Apokalypse als über das Gravitationsgesetz. Auch Leibniz wollte alle Christentümer ökumenisch wiedervereinigen. Selbst Voltaire wollte von einem personalen Gott nicht lassen. Erst in der zweiten Generation der französischen Freigeister gabs Deisten, Agnostiker und Atheisten. Ohne Gott, in welcher Form auch immer, kamen die Rationalisten nicht aus.
Nur wenn sie einen klaren Schnitt gemacht hätten, wären sie in der Lage gewesen, alle Attribute des Vaters der Mutter Natur zurückzuerstatten. Denn von dem WEIB hatte der MANN sie zu Beginn der Hochkulturen geklaut. So sollte die Natur zwar optimal, aber nicht maximal sein. Das war der Leibnizsche Unterschied zwischen der besten aller möglichen – und der vollkommenen Welt. Da sie auf den Creator nicht völlig verzichten mochten, musste Natur degradiert werden – zur Maschine. Der göttliche Mann musste im Regiment bleiben, damit Magna Mater nicht hochnäsig wird. Optimal sollte sie wohl sein, aber nicht vollkommen. „Obwohl Gott gewiss allemal das Beste wählt, so hindert das nicht, dass das weniger Vollkommene an sich möglich ist und bleibt.“ (Leibniz)
Erst begnügten sich die Technikboys mit Nachjustieren, dann begannen sie überheblich zu werden und wollten eine zweite natura perfecta schaffen, um die alte minderwertige natura lapsa auf den Müll zu werfen. Der griechische Kosmos wurde kastriert und degradiert zum seelenlosen Apparat, zum Mechanismus, (aus welchem Wort Maschine abgeleitet wird, mechane = künstliches Werkzeug.)
Das Werkzeug will ein Automatismus sein. Etwas, was in sich selber lebt und bewegt. Das Auto will ein selbstbewegendes Ding sein, ein auto-nomes Lebewesen. Alle technischen Bezeichnungen der Moderne sind maßlose Übertreibungen, prahlerische Selbstverherrlichungen dessen, was der Mensch seinem Kopf entbindet und womit er Natur übertrumpfen will. Nur wenn wir das Göttliche und Vollkommene mit der Natur identifizieren, werden wir sie als denkenden und fühlenden Organismus behandeln. Und nicht wie einen unsensiblen, keiner Regung fähigen Roboter.
Worauf wollte ich eigentlich hinaus? Ach so, auf die beste aller reichen Welten im Universum. Immer mehr häufen sich die Geldmassen auf dem blauen Planeten, bald haben wir keinen Platz mehr für die goldenen Schätze und müssen mit Mond und Mars anbauen. Je größer der Reichtum, je höher die Schulden. Wenn das nicht optimal ist im Sinne des Leibniz, dann ist es bestimmt suboptimal. Mit anderen Worten: evolutionär maximal. Wir leben in der besten aller Welten – mit Ausnahme aller anderen.