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Brumlik-Kritik – Auszug aus TM vom 08. Mai 2012 – Handke und Israel

Auszug aus der Tagesmail vom Dienstag, 08. Mai 2012 – „Handke und Israel“:

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Micha Brumlik hat, wie so oft, einen verwirrenden Artikel über ein Thema geschrieben, das die Piraten nicht weiter interessieren wird. Da geht es um ein weit entferntes Land, das mit uns so gut wie keine gemeinsamen Berührungsflächen hat. Viel eher sollten wir uns um die Probleme in Ouagadougour kümmern als um ein Land, das wir eh nicht verstehen. Dass dies auch weiterhin so bleibt, dafür sorgt der professorale Rezensent.

Nachdem das Getöse um Grass nun endlich vorüber sei – an dem Brumlik nicht ganz unbeteiligt war –, könne man sich wieder um Israel kümmern.

Nach „überwiegender völkerrechtlicher Lehre“ widerspräche die Besiedlung internationalem Recht.

Hier stock ich schon: überwiegender völkerrechtlicher Lehre? Gibt’s denn Meinungen, die den imperialistischen Landraub absegnen? Warum versteckt sich Brumlik hinter sophistischen Gelehrten? Was ist seine eigene Meinung?

Zur Legitimierung berufe sich die Siedlerbewegung nicht auf sicherheitspolitische Erwägungen – wäre sie unter diesen Perspektiven etwa legitim? –, sondern auf die biblischen Landverheißungen.

Ob Brumlik das gut findet, erzählt er uns nicht. Sollen jahrtausendealte selbsterfundene Mythen heutige Unrechtspolitik legitimieren? Das wird auch dadurch nicht besser, dass christliche Theologen diesen Wahnwitz unterstützen.

Ein amerikanisch-jüdischer Friedensaktivist will nun mit einem Buch christliche Sympathisanten davon überzeugen, ihre Solidarität mit Israel und der Siedlerbewegung aufzukündigen und sie palästinensischen Christen zukommen zu lassen.

1. Israel und die „Siedler“bewegung sind nicht identisch. Ich kann sehr wohl die Siedler, die in Wirklichkeit Besetzer sind, kritisieren, ohne dem ganzen Land Israel meine kritische Freundschaft aufzukündigen. Schon klingt es bei Brumlik, als schütte der Autor Braverman das Kind mit dem Bade aus.

2. Die palästinensische Gesellschaft ist nicht identisch mit der christlichen Minderheit. Das klingt, als ob es dem Autor nur um die Minderheit der Christen ginge.

Brumlik formuliert mit subkutanen Akzenten, dass einem während der Lektüre alle möglichen Ressentiments um die Ohren fliegen. Bevor er die Position des Herrn Braverman darlegt, stellt Brumlik prophylaktisch fest, dass jener „judenfeindlich“ argumentiere.

Nun sind wir gewarnt und wissen gleich, was wir zu denken haben, wenn wir nicht in den Verdacht kommen wollen, judenfeindlich zu sein.

Judenfeindlich soll die Deutung der Thora sein, die der Autor nicht aus orthodox-jüdischer, sondern aus christlicher Perspektive deutet. Sie sei kein Akt der Gnade, kein neutestamentarisches Heilsgeschenk, keine Vergebung der Sünde. Sondern es ginge – ganz antik und weltlich – um nichts anderes als um Volkstum, Nachkommenschaft, Wohlstand und Land.

Der Autor verfüge nicht über die Kompetenz, so Brumlik, seine Meinung aus jüdischer Sicht zu begründen. Dazu fehle ihm die Kenntnis der außerbiblischen rabbinischen Literatur. Zudem sei er nicht fähig, „die universalistischen Gehalte prophetischer Verkündigung“ für seine Solidarität mit den Palästinensern aufzubieten. Vermutlich Brumliks eigene ethische Haltung.

1. Ist man automatisch judenfeindlich, wenn man jüdische Religion anders sieht als Juden? Dann wäre jede Religionskritik an sich schon ein antisemitischer Akt.

Voltaire und andere spöttische Kritiker der Bibel werden in diesem Sinn durchweg als Antisemiten eingestuft, obgleich sie sich über alle Religionen lustig machen. Ist Hohn und Spott gegen Religionen verboten? Diese aber dürfen die Mehrheit der Ungläubigen ungerührt der Hölle übergeben?

Sollen Religiöse bestimmen, wo legitime Kritik aufhört und Blasphemie beginnt? Dann sind wir endgültig ins Mittelalter zurückgekehrt. Kein Wunder, dass selbst atheistisch-selbstkritische Israelis sich zu einer grundsätzlichen Religionskritik nicht durchringen können.

2. Gibt es eine Religion der Juden? Wenn es den Juden nicht geben darf aus Klischeeverdacht, wieso kann es dann einen verbindlichen Glauben der Juden geben?

3. Wieso muss man alle Büchermassen rabbinischer Gelehrter gelesen haben, um schlicht seine individuelle jüdische Meinung zu äußern?

4. Wieso muss man sich dem „universalistischen Gehalt prophetischer Verkündigung“ verpflichtet fühlen, um mit unterdrückten Völkern solidarisch zu sein?

Halten zu Gnaden: universalistisches Denken ist auf dem Boden griechisch-universeller Vernunft entstanden.

Universelle Vernunft ist die Stimme aller Menschen: von Natur aus angelegt, im streitenden Dialog auf der demokratischen Agora entbunden.

Prophetie ist Stimme einer Offenbarung im Namen einer himmlischen Autorität, an die man nur glauben kann. Wer den Glauben nicht teilt, wird ausgesondert und vernichtet.

Soll die Thora – wie bei Mendelssohn oder Cohen – nicht das Produkt einer Offenbarung sein, kann die Stimme der Vernunft keine prophetische sein.

Sokrates trat nicht als Stimme eines Gottes auf. (Popper, der Sokrates-Fan und leidenschaftliche Freund der Aufklärung und der Vernunft, warnt ausdrücklich vor Richtern und Propheten.) Als das Orakel von Delphi ihn zum weisesten Menschen erklärte, unternahm er alles, um diese Aussage zu überprüfen und zu widerlegen.

Propheten hingegen widerspricht man nicht, wenn man von Strafen ihrer Auftraggeber verschont werden will. Prophetischer Universalismus ist ein Widerspruch im Beiwort.

Vernunft beruft sich nicht auf Personen und seien sie noch so angesehen und göttlich, sie beruft sich auf ihre eigene Autonomie, die sich im Verlauf einer gleichberechtigten Debatte durch Evidenz äußert. (Es geht nicht um Sokrates, es geht um Wahrheit.) Äußert sie sich nicht, müssen die Streiter weiter an ihr arbeiten.

Eine unfehlbare Instanz – Rom hat gesprochen, die Rabbiner oder die Gottesgelehrten haben gesprochen, ergo ist die Causa beendigt – gibt es nicht. Eine Botschaft für alle ist noch lang keine Botschaft von allen, die von allen vernünftigen Menschen unterschrieben werden kann.

In einem Doppelinterview mit Peter Handke und seinem jüdischen Freund Luc Bondy zeigt sich der Doppelstandard der öffentlichen Debatte um Israel unverhüllt.

Im Streit um Grassens Gedicht stellt Handke fest: „Okay, Israel sagt nicht, Gaza muss vernichtet werden und Iran muss vernichtet werden, aber im israelischen Denken ist doch etwas, was einem immer wieder wehtut. Darf man das nicht sagen?“

Bündige Antwort von Bondy: „Nein“. Begründung: „Die Leute in Israel dürfen öffentlich Kritik äußern, öffentlich diskutieren, und sie sind nicht in der Situation, dass sie einfach Befehle ohne Widerspruch hinnehmen.“ Beckmesserisch könnte man nachfragen: Mit Widerspruch aber müssen sie die Befehle hinnehmen?

In Israel, fügt Bondy hinzu, gebe es noch das Recht auf Widerspruch. Das klingt mehr als merkwürdig. Darf man Israel von außen nicht kritisieren, weil es a) eine Demokratie ist, b) weil die Israelis sich selbst kritisieren, c) weil Israel eine bessere Demokratie als der Iran ist? d) Wieso muss man um Erlaubnis fragen, wenn man eine Demokratie kritisieren will? e) Wer nimmt sich das Recht – zumal als Demokrat – eine solche Kritik zu erlauben oder gar zu unterbinden?

Warum stellt der in Sachen Serbien so kühne Außenseiter Handke sich im Fall Grass so unterwürfig und halbwissend dar? Warum fragt er um Erlaubnis, wenn er zum Thema Israel nur seine subjektiven Gefühle äußert, das Land nicht mal sachgerecht zu kritisieren wagt?

Warum stellt der ZEIT-Interviewer nicht die Frage, warum Handke demütig fragen muss und Bondy autoritär die Debatte beenden darf, eine Debatte, die ihren Namen nicht verdient?

Bestätigt das Interview nicht das, was es dementiert: dass das israelische Thema noch immer ein Anathema ist?

Das deutsche Heuchel-Maß der öffentlichen Debatte in Sachen Israel ist einer Theokratie würdig, nicht einer mündigen Demokratie.

Wer glaubt, mit dieser devoten Beflissenheit dem Land Israel zu nützen, sollte die Begriffe kritische Solidarität aus seinem Wortschatz tilgen.