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Dienstag, 02. Juli 2013 – Der dritte Weg

Hello, Freunde der Linken,

während die EWE – die Einprozentweltelite – sich rund um den Globus immer wirksamer vernetzt, verbarrikadieren sich die Überflüssigen der Welt (ÜWE) gegeneinander. Es gibt einen internationalen Sozialismus und einen nationalen. Nur ein internationaler Sozialismus könnte dem internationalen Kapitalismus Paroli bieten.

Doch die internationale Linke ist auf der ganzen Linie gescheitert. Blair wollte mit einem dritten Weg, den Schröder blindlings kopierte, einen Sozialismus, der dem Kapitalismus kein Leides antut. Sein Vordenker Anthony Giddens propagierte Globalisierung und verstand darunter den Freihandel rund um die Welt als Motor der wirtschaftlichen Entwicklung.

Wirtschaft muss wachsen, auch bei Sozialdemokraten. Ob Wachstum ökologisch verträglich und wirtschaftlich notwendig ist, um die Wachstumsraten als Sozialleistungen des Staates zu verteilen, wurde nie debattiert. Jedenfalls nicht in Deutschland. Arrivierte Sozis, linke Professoren und Exmarxisten nahmen vom Marxismus ein wenig und viel vom Kapitalismus und stülpten ihre akademischen Fündlein den lieben Genossen & Genossinnen über.

Verteilen kann man nur, was man als permanenten Profit erwirtschaftet. Damit waren die Profite der Vergangenheit als geronnener Besitz der Kapitalisten abgesegnet. Umverteilung von Eigentum war ausgeschlossen. Denn Eigentum ist einer der heiligsten Güter des Abendlands. Wie es zustande gekommen ist, interessiert niemanden mehr.

Wenn der Adel im Mittelalter die Bauern gelegt, deren Höfe und Ländereien kassiert hatte, wurde der Raubritterakt durch elitenhörige Rechtssprechung als Eigentum sanktioniert. Wer hat, der hat, bis in alle Ewigkeit. Bis heute

wurde das Recht der Nationen noch nie systematisch untersucht, welche Rolle es als Steigbügelhalter derer spielt, die da haben. Es gilt das Matthäus-Prinzip: wer hat, dem wird gegeben, wer nicht hat, dem wird noch genommen, was er hat.

Die asymmetrische Verteilung wurde zum heiligen Prinzip des rechtmäßigen Eigentumerwerbs. Ohne Änderung des Rechts wird es keine Korrektur des Kapitalismus geben.

Wir müssen Grundfragen stellen: warum verdient der Fabrikbesitzer automatisch mehr als der lohnabhängige Malocher? Sollen wir leichthin von Leistungsgerechtigkeit sprechen? Und mit welchen objektiven Messmethoden wird der Unterschied ermittelt? Sind Arbeitgeber stets die Fleißigsten und Tüchtigsten, Arbeitnehmer die weniger Tüchtigen? Warum verdienen die Tüchtigen 40-mal so viel wie die weniger Tüchtigen, obgleich die letzteren weit mehr schwitzen und sich um ihr Leben sorgen als die Vornehmen, die ihr elegantes, in hohem Maße sorgenfreies Jetsetleben als Arbeit ausgeben?

Heute verdienen die Eliten nicht 40-mal mehr als die anderen, sondern 400-mal mehr. Stellt man die Frage nach der Gerechtigkeit, wird sie regelmäßig abgebügelt mit der frivolen Bemerkung: unter Gerechtigkeit verstehe jeder Mensch etwas anderes, also können wir uns die Debatte getrost ersparen und zur Tagesordnung übergehen, die aber im Verlauf der Jahrhunderte ein gewaltiges Maß an Ungerechtigkeit als Naturgesetz oder Gesetz der Evolution installiert hat.

Was auch immer diese hohen Mächte – wohlgemerkt die Machenschaften der Menschen, die sich als höhere Mächte ausgeben – mit List, Tücke und Gewalt als Recht durchgesetzt haben: die nackte Tatsache, das bloße Faktum wird zur gerechten Norm erklärt. Dahinter steckt der Glaube an einen Gott der Geschichte, der die Fakten nicht zugelassen hätte, wenn er sie nicht für richtig gehalten hätte.

Hegel hat es unübertrefflich formuliert: Was vernünftig ist, das ist wirklich, was wirklich ist, das ist vernünftig. Jeder Konfirmand stutzt und weiß, wo der Haken liegt bei dem Denker, der alle Widersprüche der Welt in Wohlgefallen auflösen wollte. Bei der Frage nämlich: wo ist das Böse abgeblieben? Wollte Gott das Böse als das Unrichtige? Wenn er das Böse wollte, darf man dann seinen Willen bekämpfen, indem man das Böse bekämpft? Wenn das Böse aber zum Inventar des Richtigen gehört, warum sollte man dagegen ankämpfen? Wenn Ungerechtigkeit zum Bösen gehört, müsste man sie akzeptieren, sofern man das Böse akzeptiert. Wenn nicht, müsste man mit der Bekämpfung des Bösen auch die herrschende Ungerechtigkeit vom Tisch wischen.

Hat Hegel den Katechismus der naiven Frommen angemessen in Philosophie übersetzt? Da der Katechismus sich selbst widerspricht, ist die Frage nicht eindeutig zu beantworten. Das Böse hat in der lutherisch-orthodoxen Dogmatik zwei Funktionen – die sich widersprechen:

a) Das Böse muss ausgerottet werden, weil Diabolo, der Agent des Bösen, die ganze Schöpfung durcheinander wirbeln und ruinieren will. Konsequenz: Tod dem Teufel. Das war der Job des Gottessohnes, der am Kreuz den Tod und das Böse überwand. Allerdings erst als Versprechen und Verheißen auf die Zukunft hin. Denn Tod und Teufel dürfen bis zur endgültigen Wiederkehr des Messias erstmal weiter machen und die Schöpfung durcheinander wirbeln. Sie sind besiegt und doch nicht besiegt.

b) Das Böse ist mitnichten negativ und destruktiv. Es dient den Guten, die schnell zu geistiger Trägheit neigen, als Stachel im Fleisch, modern gesprochen als Motivationstrainer. Ein Motivationstrainer ist das, was Adam Smith die Unsichtbare Hand nennt. Sie sei fähig, aus vielen eigensüchtigen – also bösen – Motiven ein gutes Endprodukt herzustellen: den allgemeinen Wohlstand der Nationen.

Man könnte sagen, das Böse als absolut Verwerfliches wird durch Infiltration aufgeklärter Gedanken immer mehr in Gutes geschlechtsumgewandelt. Das Böse wird reduziert zum Stachel des Guten. Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.

In der Aufklärung gibt’s kein irreparables Böses. Aufklärungsgedanken schleichen sich ins Glaubensbekenntnis und machen es vernünftiger, indem sie den Satan zum Teufel jagen. Der Mensch kann furchtbare und menschenfeindliche Fehler begehen. Doch irreparabel sind sie nicht. Durch Lernen und Nachdenken kann er ihnen auf die Spur kommen und den Stachel des Schrecklichen nehmen. Die Menschheit kann Menschlichkeit in Versuch und Irrtum lernen.

Erkläre ich das Faktische als gut und gerecht, weil es anders nicht zur Tatsache hätte werden können, habe ich das Böse als Verwerfliches aus dem Weltgeschehen eliminiert. Das ist die Position der heutigen Ökonomen, die somit Hegels Devise vertreten: Das Vernünftige ist wirklich, das Wirkliche ist vernünftig. Theologisch gesprochen haben die Neoliberalen das Böse entweder ausgerottet oder zur bloßen Motivation reduziert und somit in Gutes verwandelt. Auf dieser Basis haben sie Recht, die Frage nach der Gerechtigkeit mit Hinweis auf die Fakten abzulehnen – oder das Faktische zur Norm der Gerechtigkeit zu deklarieren.

Alle Ideologien der Neuzeit, sie mögen sich säkular geben wie sie wollen, sind Splitter und Fragmente des Glaubens, Fleisch vom Fleisch des Religiösen. Der Neoliberalismus hat das Böse überwunden. Die Welt, wie sie ist, ist perfekt. Moralische Korrekturen sind überflüssig und kontraproduktiv. Sie würden das Vollendete nur verschlechtern.

Von daher die Attacken gegen die Gutmenschen, die des absurden Glaubens sind, das perfekte Bestehende noch perfekter machen zu können. Womit sie alles nur verschlimmerten. Die Gutmenschen misstrauen dem Guten der Schöpfung und fühlten sich berufen, das elementare Böse im Geist des Guten zu reduzieren. Damit zeigten sie nur, dass sie der Güte der Schöpfung misstrauen und sie mit menschlichen Mitteln verbessern wollen. Die Welt, wie sie ist, ist gerecht. Wer das Gerechte noch gerechter machen will, macht sie nur ungerechter.

Der Marxismus hingegen sieht im Ausbeutersystem noch immer das leibhaftige Böse, das durch einen dialektischen Erlösungsakt ins total Gute umkippen wird. Im Marxismus und seinen Ablegern herrscht noch der überwiegende Glaube an das unausgerottete Böse, das durch den Menschen nicht erlöst werden kann, sondern allein durch die Geschichte selbst, die bei Marx nichts anderes ist als Heilsgeschichte. Das Böse ist abgrundtief böse und wird im Reich der Freiheit porentief ausgemerzt.

Halt, auch das Marx‘sche Böse ist nicht nur satanisch, sondern auch produktiv. Marx war von den Fähigkeiten der kapitalistischen Bourgeoisie überzeugt. Sie hatte ihre Fähigkeit hinlänglich unter Beweis gestellt, dass sie die Natur unter Kontrolle bringen kann. Allerdings ist sie nicht in der Lage, die dabei auftretenden Widersprüche in den Griff zu kriegen und droht, total böse zu werden. Doch kurz vor dem Kollaps steht die Geschichte bereit, sich durch einen totalen Erlösungsakt ins Heile umzuwenden. Ende gut, alles gut.

Das sind idealtypisch die beiden Faktionen, die sich im gegenwärtigen Streit um ein gerechtes Wirtschaftssystem gegenüber stehen. Die einen, die Hayekianer, sagen Ja und Amen und preisen die Vernunft des Schöpfers oder der Evolution. Die anderen fühlen sich wie im Vorzimmer des Teufels und wollen ihn mit Schimpf und Schande davon jagen.

Die einen glauben allzu sehr an das Gute und übersehen das Schlechte, das vom Menschen repariert werden müsste. Die anderen glauben allzu sehr an das Böse und übersehen, dass Menschen keine Teufel sind, sondern trotz aller Bosheiten schon viel Gutes realisiert haben.

Gibt es einen dritten Weg zwischen beiden Entwürfen? Nicht als Kompromiss zwischen Gut und Böse, zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Sondern nur im vollständigen Bruch mit beiden Systemen als Endmoränen einer in Stücke geschlagenen Religion.

Die Geschichte des Menschen verläuft nicht im Pendelbereich zwischen einem vollkommenen Guten und einem teuflischen Bösen. Das sind Alpträume aus der Welt religiöser Geisterseher. Der Dualismus der Geschichtsphilosophien als Erbe einer schwarz-weißen Religion muss restlos überwunden werden. Nüchtern, sorgfältig, ohne Vergötterung und Verteufelung muss sich die Menschheit beraten, wie sie leben und wie sie auf keinen Fall leben will.

Jedes einzelne Element der jetzigen Welt muss unter die Lupe genommen und gewogen werden, ob es einer humanen Zielvorstellung entspricht oder nicht. Es bedarf keiner fundamentalen Erlösung, es bedarf vieler kleiner Lösungen, die sich aufsummieren zu einem Ganzen. Das Ganze muss nicht perfekt sein, aber auch nicht – aus modischen Demutsgründen – unreparierbar auf der Stelle treten.

Wie perfekt der Mensch werden kann, muss er durch die Tat beweisen. Glaubensbekenntnisse an das unreparierbar Böse erzeugen das Böse. Glaubensbekenntnisse an die Lernfähigkeit des Menschen erzeugen das lernende Verbessern in Versuch und Irrtum.

Nun können wir das heillose Wort System erklären. System ist alles, was der Mensch aus eigener Kraft nicht bewältigen kann. Er muss auf Erleuchtung, Erlösung oder Errettung durch übermenschliche Gewalten und Mächte hoffen. „Die Gefahr ist objektiv, nicht primär in den Menschen gelegen“, sagt Adorno und entmündigt den Menschen.

Alles ist in den Menschen gelegen, denn alles, was er an Kultur und Zivilisation errichtet hat, hat Er aus eigener Kraft errichtet. Was er getan hat, muss er auch verändern können. Der Mensch steht keinem Reich des Bösen oder Guten gegenüber, sondern einem Reich des Menschlichen. Er muss sich Rechenschaft ablegen über das, was er bislang geleistet und nicht geleistet hat. Dann muss er sich einen Lernplan ausdenken, miteinander debattieren und in die Tat umsetzen.

Man kann diese Strategie mit Popper durchaus als Stückwerktechnologie benennen. Wenn man unter Stückwerk nicht meint: zwei Schritte vor und drei zurück. Ist der Weg ins immer Bessere, ja ins Humane, dem Menschen für immer versperrt? Dieses paradies- und lustfeindliche Wissen ist eine Anmaßung und Selbstamputation des Menschen.

Adorno und die Linken wollten den Menschen entlasten, indem sie aufs objektive System verwiesen. Nicht sie seien schuld am Elend, unter dem sie litten – wie der christliche Glaube das Individuum als verworfene Sündenkreatur verfluchte. Die Absicht der Entlastung war löblich, endete aber in einer Reaktionsbewegung.

Im religiösen Sinn war der Mensch nicht schuldig, in einem ganz handfesten Sinn aber schon. Er hat viele Fehler im Verlauf seiner Geschichte angehäuft, die den Eindruck vermitteln konnten, ein irreversibles Satanssystem eingerichtet zu haben, bei dem nur ein göttlicher Totalakt helfen kann. Dennoch ist der Eindruck falsch. Es gibt keine monolithischen Systeme. Es gibt nur Fehler, die zu einer trügerischen Einheit zusammen gebacken sind und den fälschlichen Eindruck einer bösen Einheit erwecken.

Es geht nicht um Entweder-Oder. Es geht darum, unter allem vermeintlich Guten das Gefährliche und unter allem vermeintlich Bösen das Verheißungsvolle herauszuarbeiten. Die Gefahr ist objektiv, so weit müssen wir Adorno folgen. Doch das Objektive ist allein der Mensch, der lernende und irrende Mensch. Wir müssen das Lernen wieder lernen. Das ist die einzige Alternative zu allen Revolutionen, die nichts ändern, allen Erleuchtungen, die nichts erleuchten und allen Erlösungen, die nichts erlösen und alles lassen wie es ist.

Der dritte Weg von Giddens, Blair und Schröder war eine Sackgasse. Sie wollten einige Petitessen für den Pöbel retten, verendeten aber im Reich falscher Versprechungen. Aus schlechtem Gewissen, die GenossInnen verraten zu haben, mussten sie sie besonders streng an die Kandare nehmen. Wie der überehrgeizige Lehrer seine eigenen Kinder in der Klasse am strengsten traktiert, so traktiert der dritte Weg die Kinder des Proletariats am meisten. Die Rohrstockhaltung gegen die eigene Klientel zeigt, wen die Arrivierten für die wahren Schuldigen halten: die Unteren selbst.

„Zentrale Mottos der neuen Politik sollen nach Giddens „keine Rechte ohne Verpflichtungen“ (Giddens 1999, 81, Hervorhebung im Original) sowie die Einsicht, dass eher mehr als weniger Staat gebraucht werde (Giddens 2001, 95), lauten. Damit ist ein neues Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft gemeint. Der Staat räumt dabei zwar Rechte ein und kommt selbst Verpflichtungen nach, bietet ein „ausgebautes Sozialsystem, nicht ein minimales Sicherheitsnetz“ (Giddens 2001, 181), so zum Beispiel bei den Sozialleistungen, koppelt diese allerdings an Bedingungen und Pflichten, die jedes einzelne Individuum in der Gesellschaft erbringen muss (Giddens 1999, 81).“

Das war die gedankliche Grundlage für die Hartz4-Bestrafungsorgie. Niemand gerät freiwillig in Not. Staat und Wirtschaft haben versagt, dem Menschen Arbeitsmöglichkeiten zu bieten. Dafür darf er nicht mit ehrlosen Verpflichtungen bestraft werden. Die Industrie erhält riesige Subventionen, die sie kaltlächelnd einsteckt.

Der Sozialismus muss sich ebenso global vernetzen wie die Gegenseite der Industrie. Die Vorteile deutscher Proleten dürfen nicht gegen die Vorteile anderer Proleten ausgespielt werden. Genau das geschieht, wenn Sahra Wagenknecht sich der Einladung an Jugendliche aus anderen Ländern widersetzt, sie mögen nach Deutschland kommen, um einen Handwerksberuf zu erlernen. Deutschen Jugendlichen müsste zuerst geholfen werden, bevor anderen geholfen wird, so die immer nationaler werdende Frontfrau der Partei. (Markus Decker in der BLZ)

Es gibt einen internationalen und einen nationalen Sozialismus. Den letzteren sollten die Deutschen zur Genüge kennen.

Kapitalismus und Sozialismus sind komplementäre Triebe am maroden Stamm einer religiösen Weltgestaltung. Das Heilige muss zur belanglosen Privatsache werden, damit eine religiös befreite Öffentlichkeit zur Vernunft kommen kann.