Kategorien
Tagesmail

Dienstag, 04. Juni 2013 – Dummheit ist Unmündigkeit

Hello, Freunde der Kinder,

für ein Viertel aller Kinder gehört Gewalt zum täglichen Ritual. Kinder der Unterschichten erleben die Brutalität der Erwachsenen öfter als Kinder mittlerer und oberer Schichten. 17% werden oft so heftig verprügelt, dass sie blaue Flecken davontragen.

Nicht nur physische, auch psychische Gewalt müssen die Kinder über sich ergehen lassen, wenn sie als dumm und faul beschimpft werden. Ärmeren Kindern wird von ihren Lehrern und Mitschülern das Gefühl vermittelt, weniger wert zu sein als andere. Das soziale Gefälle zeige sich auch am täglichen Mobbing. Klaro, Kinder sollen frühzeitig lernen, in welche Gesellschaft sie geworfen werden. Ohne landesüblichen Aufprall keine metaphysische Geworfenheit in eine hierarchische Gesellschaft. Oder gleiche Bildungschancen für alle, wie Fachleute zu sagen pflegen.

Die progressiv-dynamische Erwerbsgesellschaft hat es nötig, ihre verdrängten Spannungen auf dem Rücken ihrer Kleinsten auszutragen. Nicht die Zunahme von Depressionen und Krankheiten ist das sicherste Zeichen für eine ausgebrannte Gesellschaft, sondern das Prügeln und Demütigen ihrer Kinder. Es sind jene Eltern, die alles mit allem vereinbaren können: Malochen und Kuschen, Abwesend sein und ihre Kinder als lästig empfinden.

In den Kreißsälen werden keine gleichberechtigten Kinder geboren, sondern Bälger der Unterschichten und Wonneproppen der Besseren – die auch ihr Fett abbekommen: sie müssen arrogant werden. (DER SPIEGEL)

 

Kitas nennen sich gern die „Wilde Dreizehn“, benannt nach dem gleichnamigen Kinderbuch von Michael Ende. „Die Wilde 13 ist eine gefährliche Bande von

Piraten, die mit ihrem Segelschiff die Weltmeere unsicher machen. Charakteristisch für sie ist eine spezielle Schreibtechnik: Jeder von ihnen beherrscht nur einen einzigen Buchstaben. Wenn sie etwas aufschreiben wollen, müssen sie kooperieren, das Wort wird vom Anführer laut und langsam vorgesagt, und wenn einer der Brüder „seinen“ Buchstaben erkennt, tritt er vor und schreibt ihn hin.“

Kinder, so die Botschaft der Kitas, sind wilde Kerlchen, die die Welt unsicher machen und zusammenhalten wie Pech und Schwefel. Selbst beim Schreiben sind sie aufeinander angewiesen, denn jeder von ihnen beherrscht nur einen Buchstaben. Nur zusammen können sie Sinnvolles erreichen.

Lauter falsche Versprechungen, um nicht das Wort Lügen zu benutzen. Gerade in den „anspruchsvollen“ Kitas sollen Kinder sich den Forderungen der Erwachsenen beugen. Denn das wahre Programm der Kitas ist „Full Immersion“, volles Eintauchen in doppelsprachliches und sonstiges Bildungsgeflimmer, das aus den Kindern prädestinierte Bänker macht. Echte Wilde eben, die es fertig bringen, piratenmäßig die Finanzen der Völker zu kapern.

Wenn die Eltern – die ihre Begeisterung für eine spezielle Kita durch regelmäßige Vorbesuche unter Beweis stellen müssen, damit ihre Kinder eine Chance kriegen – schon im Vorfeld der Bewerbung nicht richtig funktionieren, haben ihre Kinder nicht die geringste Chance. Man kann sich vorstellen, wie Unterschichtseltern solchen Kriterien genügen. Nicht die Kinder werden direkt nach Schichtenverhalten selektiert, sondern deren Eltern – und damit die Kinder über ihre Eltern.

Das Ganze erinnert an die neuesten Methoden der Bewerbungsgespräche. Wer nicht seine Leidenschaft für diese Firma bekunden kann, ist chancenlos. Die Institutionen wollen geliebt und anerkannt werden. Wer einen Arbeitsplatz will, muss sich durch vorauseilende Lobsprüche ranwerfen.

Ausgelaugt vom Run auf einen Kitaplatz, ist es den Eltern am Ende egal, wo ihr Kind schließlich landet. Ein Platz in einem katholischen Kindergarten ist in der Not immer zu kriegen. Lasset die Kindlein zu ihnen kommen und wehret ihnen nicht, denn ihrer ist das Reich staatlich subventionierter Kinderliebe. Die Wilden müssen gezähmt werden, auf dass die Wirtschaft verlässliche Instrumente erhält. Übrigens heißt Kinderliebe auf griechisch Pädophilie.

(Tom König im SPIEGEL)

 

Wer sind die größten Hartz4-Abzocker? Die großen Handelshäuser. 1,5 Milliarden fließen jährlich an den Handel, weil der zu arm ist, um seine Abhängigen zu bezahlen – damit diese von ihrem Lohn leben könnten. Jeder Fünfte verdient weniger als 8,50. Sie arbeiten den ganzen Tag und liegen dennoch dem Staat auf der Tasche. Der Handel streicht seinen Profit ein, da bleiben keine Krumen für die kleinen Betrüger an der Kasse.

Sind die Brüder Albrecht von Aldi Süd und Nord nicht die Reichsten der BRD? „Die Zahlen haben Sprengkraft, vor allem vor dem Hintergrund, dass Anfang des Jahres die Arbeitgeber in fast allen Bundesländern den Manteltarif im Einzelhandel aufgekündigt hatten. Wie schwierig abgesicherte Arbeitsbedingungen im Handel durchzusetzen sind, zeigte zuletzt auch das Beispiel Karstadt. Der Kaufhauskonzern war komplett aus dem Flächentarifvertrag ausgestiegen, weil er tarifliche Lohnerhöhungen nicht mehr mittragen will.“ Eben: mittragen will. Was man auf niederer Ebene Hartz4 nennt, heißt ab Millionengrenze – staatliche Subventionen zur Erhaltung minderwertiger Arbeitsplätze. (Yasmin El-Sharif im SPIEGEL)

 

Gleiche Bildungschancen, die soundsovielte. Fast jedes dritte Schulkind in England glaubt, dass Käse aus Pflanzen hergestellt wird. (Ist ja nicht falsch, nur über die Kuh.). Dass Nudeln aus Fleisch gemacht werden. Dass Brot vom Tier stammt. Und dass Fischstäbchen aus Hühner- oder Schweinefleisch hergestellt werden. Die befragten Kinder waren zwischen 5 und 16 Jahren alt. Vermutlich können die Kinder mit elektronischen Maschinen hervorragend umgehen. Von der Natur und der Gesellschaft wissen sie nichts. Nur die Kinder? (Lena Greiner im SPIEGEL)

 

Wilde kennen ihre Welt bis aufs I-Tüpfelchen. Arbeitsgeteilte Hochkulturen kennen nur enger und enger werdende Fragmente; Überblick und Zusammenhang des Ganzen gehen verloren. Das ist der Preis der arbeits- und bildungsgeteilten Zivilisation, den wir zahlen – und vom Profit des wachsenden Wohlstandes abziehen müssen.

Der Fortschritt wird von unvermeidbaren Rückschritten aufgefressen. Was bleibt unter dem Strich übrig? Sind wir weiter gekommen als unsre wilden Vorfahren in den Wäldern? Ein Wilder kann sich in seiner natürlichen Umgebung autonom durchschlagen. Mangels Kühen können wir heute nicht mal die Milch fürs Frühstück herstellen.

Können wir uns erlauben, den Überblick aufs Ganze zu verlieren? Nein. Demokratie heißt, das Ganze der Polis zu überschauen, um eine gegründete Meinung zu gewinnen. Der Überblick aufs Weltganze kommt heute noch hinzu.

Bei Adam Smith war Arbeitsteilung eine komplementäre Ergänzung. Der Bäcker kannte die Welt des Metzgers wie seine eigene. Und doch hatte Smith schon Bedenken, was die von ihm so gerühmte Arbeitsteilung (am Beispiel des Herstellens von Stecknadeln) an Nachteilen mit sich bringen könnte. Die Vorteile waren: Verbesserung der Produktivität. Größere Geschicklichkeit, Ersparnis an Zeit:

„Und dieses ungeheure Anwachsen der Produktion […], führt in einem gut regierten Staat zu allgemeinem Wohlstand, der selbst in den untersten Schichten der Bevölkerung spürbar wird. Wer arbeitet, verfügt über ein Leistungspotential, das größer ist als das, welches er zum eigenen Leben benötigt, und da alle andern genau in der gleichen Lage sind, kann er einen großen Teil der Arbeitsleistung gegen eine ebenso große Menge Güter der anderen oder, was auf das gleiche hinauskommt, gegen den Preis dieser Güter eintauschen. Er versorgt die anderen reichlich mit dem, was sie brauchen und erhält von ihnen ebenso reichlich, was er selbst benötigt, sodass sich von selbst allgemeiner Wohlstand in allen Schichten der Bevölkerung ausbreitet.“

Hier haben wir noch das gerechte Urmuster des aufgeklärten Kapitalismus – der mit dem modernen Neoliberalismus nichts mehr gemein hat. Hier zeigt sich der altruistische Zug des rationalen Egoismus. Wer in rechtem Sinn für sich arbeitet, arbeitet in rechtem Sinn für die Gesellschaft. Notstände können hier – außer durch Naturkatastrophen – nicht entstehen. Jeder arbeitet für den anderen, wenn er für sich arbeitet. Der Tausch besteht im gerechten Austausch der erwirtschafteten Produkte.

In diesem Modell konnte niemand reicher werden als sein Nachbar. Das ganze Dorf blieb auf demselben Niveau. In allen Schichten der Bevölkerung wächst der Wohlstand gleichmäßig. Und dies in allen Nationen. Wäre Adam Smith realisiert worden, lebten wir heute im Vorzimmer des Gartens Eden.

Und doch gibt’s einen kleinen Haken, der zum Verhängnis anschwoll. Das Beispiel mit den Nagelköpfen stammte aus einer Fabrik mit einem Fabrikeigentümer. Wie verlief hier die Arbeitsteilung? Es gab keine. Der Eigentümer dachte nicht daran, sich in die Reihe der Spezialisten einzureihen. Hier gab es ausschließlich eine Funktions– und Profitteilung. Und dies wurde zur verhängnisvollen Kluft zwischen denen, die hatten und den anderen, die in die Röhre guckten.

Wer das Geld hatte, eine Fabrikhalle und das nötige Wissen bereit zu stellen, der befand sich oberhalb der Arbeitsteilung. Statt seiner ließ der Kapitalist sein Kapital arbeiten. Damit war das gerechte Do ut Des – Ich gebe, damit du gibst – für immer unterbrochen. Der Fortschritt der Gesellschaft musste in eine immer tiefer werdende Kluft zwischen Geldgebern und Malochern münden. Genau genommen arbeitet der Geldgeber nicht. Er stellt nur Möglichkeiten zur Arbeit zur Verfügung und regiert den ganzen Prozess.

Regieren, lenken und leiten sind Berufungen, keine Berufe. Für seine elitäre Tätigkeit lässt er sich derart bezahlen, dass das Gleichgewicht zwischen Egoismus und Altruismus verloren gehen musste. In einer gerechten Kooperation fängt jeder am selben Punkt des Wohlstands oder der Armut an. Was aber, wenn die traditionell Reichen ins Geschäft einsteigen und einen riesigen Vorsprung vor den anderen aufweisen?

Adam Smith antwortet auf diese Bedenken, indem er darauf hinweist, dass „ohne Mithilfe und Zusammenwirken Tausender von Menschen in einem zivilisierten Land nicht einmal der allereinfachste Mann selbst mit jenen Gütern versorgt werden könnte, die wir gewöhnlich fälschlicherweise, grob und anspruchslos nennen. Natürlich muss sein Besitz äußerst bescheiden und ärmlich anmuten, vergleicht man ihn mit dem überfeinerten Luxus der Reichen. Doch sollte man bedenken, dass die Lebenshaltung eines Fürsten in Europa sich von der eines fleißigen und genügsamen Bauern vielleicht weniger unterscheidet, als die des letzteren von der manchen Herrschers in Afrika, der uneingeschränkt über Leben und Freiheit von zehntausend nackten Wilden gebietet.“ (Alle Zitate aus „Der Wohlstand der Nationen“)

Hier sehen wir den Wettbewerb der Kulturen, den Vergleich der Hochkultur mit den Wilden: die Hochkultur siegt in allen Punkten. Ein armer Bauer der Hochkultur ist dem Reichen in der Wildnis bei weitem überlegen.

Bei der Definition der Armut werden bei uns der absolute und der relative Arme gegeneinander ausgespielt. Verglichen mit den Wilden sind unsere Armen geradezu Fürsten an Reichtum, argumentiert gelegentlich selbst der linke Geißler. Das wäre noch schöner, wenn in den reichsten Ländern der Welt die Armen hungern müssten. Dennoch ist es notwendig, die „relative“ Armut zu definieren und in den Vordergrund zu stellen. Im Vergleich mit dem Reichen ist der Arme nicht nur wesentlich ohnmächtiger, er hat auch keine Chancen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Materielle Armut geht allzu oft einher mit geringerem Herrschaftswissen.

Hier stehen wir an einer interessanten Stelle, die selten debattiert wird: Smith vergleicht die Kultur des Abendlands mit der der Wilden draußen in der Welt. Und siehe: die Hochkultur hat den Wettbewerb um die menschlichste Kultur gewonnen. Der Kleinste in der Zivilisation ist noch immer größer als der Größte bei den Primitiven. Damit setzte sich der Westen an die Spitze der Welt und fühlte sich befugt – selbst bei Gutmeinenden –, dem Rest der unzivilisierten Welt zu zeigen, wo die Geschichte hinzulaufen hatte: in den globalen Kapitalismus.

Bei Flut steigen alle Boote, war die amerikanische Version des Smith-Vergleiches zwischen Hochkulturierten und Wilden. Die Boote der Armen in reichen Ländern lagen stets über den Schiffen der Reichen unter den Wilden.

Sind die Westler klüger als die Wilden? Hier zögert Smith, Ja zu sagen. Der Fortschritt durch Arbeitsteilung war in „ihrem Ursprung nicht das Ergebnis menschlicher Erkenntnis.“ Er entstand vielmehr „zwangsläufig, wenn auch langsam und schrittweise, aus einer natürlichen Neigung des Menschen, zu handeln und Dinge gegeneinander auszutauschen.“

Das ist mehr eine Ausflucht denn eine schlüssige Antwort. Wenn alles so natürlich gewesen wäre, warum dann nicht bei den Wilden, die der Natur näher stehen als die Hochkulturierten?

Dass der Fortschritt nicht das Ergebnis menschlicher Erkenntnis war, diente Hayek als Bestätigung seiner gegen-aufklärerischen These, dass des Menschen Vernunft nicht ausreicht, die komplizierten Prozesse des Fortschritts zu erkennen und zu steuern.

Den Vergleich zwischen Wilden und Zivilisierten führt Smith nicht mehr fort. Es muss ihm mulmig geworden sein, wenn er daran dachte, dass die Wilden zwar nicht denselben Wohlstand schufen, doch die Solidarität ihrer Clans wesentlich ungebrochener war als in der künstlich herzustellenden Solidarität der Hochkultur.

Fortan vergleicht er den Menschen der Hochkultur nicht mehr mit dem Wilden, sondern mit dem Tier. Das Tier besitzt viele Vorteile. Es ist unabhängig und selbständig, auf Unterstützung durch andere nicht angewiesen. Doch die Unabhängigkeit wird zur Einsamkeit und Isoliertheit, die nicht in der Lage sind, einen kooperierenden Fortschritt zu erwirtschaften. „Jedes Tier bleibt, allein auf sich gestellt, darauf angewiesen, sich am Leben zu erhalten und zu verteidigen, und es kann keinerlei Vorteile aus der Vielfalt der Talente ziehen, mit der Natur seine Artgenossen ausgestattet hat.“ (Echter Liberalismus ist kein solistischer Tanz der Einzelnen, sondern Kooperation der verschiedenen Individuen.)

Die Smith‘sche Definition des Tieres erinnert an die Hobbes‘sche Definition des Menschen. Das Leben der Menschen ist „einsam, armselig, scheußlich, tierisch und kurz.“ Der tierische Mensch bei Hobbes ist zum tierischen Wilden bei Smith geworden. Dieses einsame, armselige, scheußliche, tierische und kurze Leben des Wilden soll der Kapitalismus des weißen Mannes zugunsten einer arbeitsteiligen, aufeinander angewiesenen, solidarischen und geselligen Ebene der Kultur überwinden. Das war die Intention des aufgeklärten Kapitalismus, dessen Eitelkeit darin bestand, besser zu sein als Tiere und Wilde und dessen Humanität darin bestand, den ungeselligen Zustand des Tieres oder der Wilden in eine humane, solidarische Gesellschaft zu verwandeln.

Ist das Ziel dieser Humanisierung erreicht worden? Viele Seiten später in seinem Buch „Der Wohlstand der Nationen“ lesen wir die niederschmetternde Antwort:

„Mit fortschreitender Arbeitsteilung wird die Tätigkeit der überwiegenden Mehrheit derjenigen, die von ihrer Arbeit leben, also der Masse des Volkes, nach und nach auf einige wenige Arbeitsgänge eingeengt, oftmals auf nur einen oder zwei. Nun formt aber die Alltagsbeschäftigung ganz zwangsläufig das Verständnis der meisten Menschen. Jemand, der tagtäglich nur wenige einfache Handgriffe ausführt, die zudem immer das gleiche oder ein ähnliches Ergebnis haben, hat keinerlei Gelegenheit, seinen Verstand zu üben. Denn da Hindernisse nicht auftreten, braucht er sich auch über deren Beseitigung keine Gedanken zu machen. So ist es ganz natürlich, daß er verlernt, seinen Verstand zu gebrauchen, und so stumpfsinnig und einfältig wird, wie ein menschliches Wesen nur eben werden kann. Solch geistige Trägheit beraubt ihn nicht nur der Fähigkeit, Gefallen an einer vernünftigen Unterhaltung zu finden oder sich daran zu beteiligen, sie stumpft ihn auch gegenüber differenzierten Empfindungen, wie Selbstlosigkeit, Großmut oder Güte, ab, so daß er auch vielen Dingen gegenüber, selbst jenen des täglichen Lebens, seine gesunde Urteilfähigkeit verliert. Die wichtigen und weitreichenden Interessen seines Landes kann er überhaupt nicht beurteilen, und falls er nicht ausdrücklich darauf vorbereitet wird, ist er auch nicht in der Lage, sein Land in Kriegszeiten zu verteidigen. Ein solch monotones Dasein erstickt allen Unternehmungsgeist und verleitet ihn, das unstete, ungewisse und abenteuerliche Leben eines Soldaten mit Widerwillen zu betrachten. Selbst seine körperliche Tüchtigkeit wird beeinträchtigt, und er verliert die Fähigkeit, seine Kräfte mit Energie und Ausdauer für eine andere Tätigkeit als der erlernten einzusetzen. Seine spezifisch berufliche Fertigkeit, so scheint es, hat er sich auf Kosten seiner geistigen, sozialen und soldatischen Tauglichkeit erworben. Dies aber ist die Lage, in welche die Schicht der Arbeiter, also die Masse des Volkes, in jeder entwickelten und zivilisierten Gesellschaft unweigerlich gerät, wenn der Staat nichts unternimmt, sie zu verhindern.“

Diese Wucht der Selbstzweifel am Kapitalismus ist von Marx kaum überboten worden. Der spezialisierte Fortschritt des gesamten Kapitalismus ist ins Gegenteil verkehrt worden. Zwar ist der Mensch reich geworden, doch alle staatsbürgerlichen und vernünftigen Fähigkeiten hat er eingebüßt. Der Mensch ist geistig träge, ohne Unternehmungsgeist (Smith nennt die Ursachen der Apathie der Malocher, die heutigen Eliten wissen das nicht mehr), ohne Selbstlosigkeit, Großmut und Güte (von solchen Tugenden haben moderne Tycoons nicht mal gehört). Er kann die Interessen seines Landes weder geistig noch praktisch vertreten und hat all seine soziale und soldatische Tauglichkeit eingebüßt.

Die Arbeitermassen sind tierischer als die Tiere, unfähiger als die Wilden geworden. Sie können das Ganze ihres Volkes nicht mehr überblicken. Kant hätte gesagt: der kapitalistisch ausgebeutete Arbeiter ist nicht mehr aufklärungsfähig. Er hat seinen Verstand eingebüßt, dessen Fähigkeit er sich nicht mehr bedienen kann.

Was hat das alles mit Kindern zu tun, die die einfachsten Dinge ihrer Umwelt nicht wissen? Ihren Eltern geht’s nicht besser. Die Völker der Moderne haben jenen Zustand der Unmündigkeit oder Dummheit erreicht, den Smith präzise diagnostiziert hatte. Die Menschen der Gegenwart besitzen keinen Überblick mehr über ihre politische Lage. Der Blick fürs Ganze der Gesellschaft oder der Weltzivilisation ist verloren gegangen.

Die jüngeren Ursachen liegen in der arbeitsteilig produzierten Dummheit der Massen, die zur monotonen Trägheit erzogen werden. Die wirklichen Ursachen liegen in der christlichen Ideologie, die sich im Verlauf der Jahrhunderte zum Kapitalismus konkretisierte. Der einzelne Gläubige sollte keinen Überblick über seine Verhältnisse gewinnen.

Auch die Gemeinde war zur mündigen Selbstregulierung nicht fähig. Christus musste das Haupt der Gemeinde werden, damit sie unter autoritärer Leitung ungeschoren durch die Zeitläufte käme. Der erwünschte Idealgläubige hatte seinen Verstand bei Gott abgegeben und überließ das Schiffchen der Gemeinde urteilslos dem Großen Steuermann.

Vernunft und Glaube schlossen sich rigoros aus. Der autonome Heide verwandelte sich in der Taufe zu einem unmündigen Kind, das in allen Dingen den Himmel zu befragen hatte. Die Weisheit der Welt wurde vor Gott eine Torheit. „Vernichten werde ich die Weisheit der Weisen und die Einsicht der Einsichtigen werde ich verwerfen.“ Was war das Ergebnis dieser Verwerfung des menschlichen Verstandes? Eine Gemeinde, die in geistlichen und weltlichen Dingen nicht bis drei zählen konnte und sich dem Personal des Himmels oder der von Gott eingesetzten Obrigkeit unterzuordnen hatte.

„Sehet an, liebe Brüder, eure Berufung: nicht viel Weise nach dem Fleisch, nicht viel Gewaltige, nicht viel Edle sind berufen. Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, daß er die Weisen zu Schanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, daß er zu Schanden mache, was stark ist; und das Unedle vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, und das da nichts ist, daß er zunichte mache, was etwas ist, auf daß sich vor ihm kein Fleisch rühme.

Priester brauchen unmündige Toren. Keine Weisen und Urteilsfähigen, die ihre Herrschaft und Kanzelbotschaften kritisch beäugen. Demokratien gehen zugrunde, wenn ihre Bürger nicht fähig sind, sich ihres Verstandes zu bedienen.

Keine neoliberale Elite ist wirklich daran interessiert, den Bildungsstand und die Urteilsfähigkeit ihrer Abhängigen zu heben und zu fördern. Das Ergebnis kennen wir: wie Strom aus der Steckdose kommt, kommt der Wohlstand von den Eliten. Sie sind die werte-schaffenden Schichten, die die Überflüssigen über Wasser halten müssen, weil diese geistig träge und ohne Unternehmungsgeist vor sich hinvegetieren. Wie die Tiere und die Wilden.