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Montag, 27. Mai 2013 – Genie und Epigone

Hello, Freunde der Genies und Epigonen,

die Kluft zwischen Reichen und Armen wurde vorbereitet durch die Kluft zwischen Genies und Epigonen, den Geistreichen und ihren Nachahmern.

Heute empfinden sich die Reichen als begnadete Werteschöpfer, als Genies des Mammons. Das Wort genial ist aus der Mode gekommen, man spricht von kreativ. Das entspricht der Abwendung von der griechischen, der Hinwendung zur biblischen Kultur.

Der kreative Mensch ist gottgleich, dem Creator aus Nichts am nächsten. Gottebenbildlichkeit zeigt sich am besten an der Kreativität der Werte-Schöpfer.

(In TV-Kindersendungen wird die Herleitung eines Begriffs aus dem Griechischen mit einem „Gähn“ untermalt. Ein Gähn im Zusammenhang mit biblischen Quellen würde zu einem Rauswurf führen. Ein Berliner Zoodirektor will seinen Untertanen nur Weihnachtsgeld zahlen, wenn sie Christen sind. In Friedrichs Innenministerium sollen vor allem bewährte Katholiken eingestellt werden. Die Wiederkunft der Religion verstärkt die Absegnung der Kluft zwischen reich und arm. Diese Kluft gäbe es nicht, wenn der Himmel sie nicht für richtig hielte.)

In der Wirtschaft werden kreative Start-Up-Unternehmer verlangt, die mit Original-Ideen den statisch gewordenen Verhältnissen einen Kick geben. Nicht epigonale Leistung muss sich lohnen, sondern werteschöpfender Einfallsreichtum. Bloße Leistung ist Imitation, geistloses Nachäffen.

Bei Hayek hat jener Erfolg, dessen Idee von der evolutiven Marktintelligenz als ingeniöse ausgesucht wird. Der Mensch kann den Wert seiner Idee mit seinem kleinen Gehirn nicht ausrechnen. Es kommt auf den

Segen von Oben an. Die nach menschlichem Ermessen lukrativsten Einfälle können im Gully verschwinden, die unwahrscheinlichsten machen Furore.

Die Genieschmiede der Gegenwart liegt in Silicon Valley. Wer wissen will, wie „wir in Zukunft leben“ werden, muss die amerikanische Ideenschmiede – das Goldene Jerusalem des Fortschritts – besuchen. Wie werden wir morgen wohnen, wie werden wir uns fortbewegen, wird der Kühlschrank selbständig den Joghurt bestellen können? Können wir mit einer raffinierten Brille die verborgenen Gedanken unserer Gesprächspartner lesen und entschlüsseln?

Die Vordenker der deutschen Medien beobachten Silicon Valley, um ihre prophetischen Gaben unter Beweis zu stellen. Kai Dieckmann von der BILD machte sein Genie-Praktikum in Kalifornien, wo die Erfinder der Zukunft immer herrlich entspannt ihrer visionären Berufung nachgehen und auf keinen Fall den Eindruck erwecken wollen, sie würden, wie Krethi und Plethi, einer stumpfsinnigen Fließband-Arbeit nachgehen. Frank Schirrmacher ist das deutsche Sprachrohr von Silicon Valley. Er weiß genau, was uns erwartet, wenn er Ralf Kurzweils neueste Zukunftsideen wie Offenbarungen in Deutschland verbreitet.

Trotz Popper gibt’s den Beruf des Propheten in Deutschland noch immer. Der hat sich vergeblich die Finger wund geschrieben, dass Wissenschaft mit Prophetie nichts zu tun hat, Marx mit seinen Zukunftsvorhersage gar kein Wissenschaftler sein konnte. Deutsche Intellektuelle wie Historiker Winkler kennen weder Popper noch den Unterschied zwischen Prognose und Prophetie. Für Winkler ist Marx widerlegt, weil seine Prophetien versagten. Für Popper war Marx widerlegt, weil der Trierer sich als Prophet betätigte.

Schon bei empirischen Prognosen, die sich aufs nächste Jahr beziehen, liegen die fünf Wirtschaftsweisen regelmäßig daneben, obgleich sie empirische Zahlen der Gegenwart nur mechanisch in die Zukunft weiterrechnen. Demoskopen haben dasselbe Problem. Wenn das wankelmütige Volk in der letzten Woche vor den Wahlen seine Meinung ändert, sind alle kurzfristigen Prognosen futschicato.

Prozesse kann man langfristig nur berechnen, wenn sie invarianten Gesetzen gehorchen. Das trifft nur auf die Natur zu. Kennen wir alle kausalen Faktoren, können wir – ceteris paribus, unter sonst gleichen Umständen – berechnen, an welchem Tag, zu welcher Stunde, es eine Sonnenfinsternis geben wird.

Im Bereich des Menschlichen, also im Bereich der Geisteswissenschaften, gibt’s keine 100%igen Gesetzmäßigkeiten. Kurzfristige Prognosen sind im Bereich des „freien Willens“ unsicher, langfristige Prophetien gänzlich ausgeschlossen.

Die freiesten Gesellschaften, die es in der Geschichte je gab, unterwerfen sich dem Diktat kreativer Diktatoren, die das Schicksal der Gattung in ihren Händen halten. Würde eine „Zukunftsschmiede“ der Menschheit Vorschläge machen und die Menschheit würde darüber abstimmen: wollen wir sprechende Kühlschränke, wollen wir tiefgekühlt werden, um nach dem Tode wieder aufzuerstehen? – wäre das eine akzeptable Methode der Zukunftsgestaltung. Nicht aber der Automatismus eines fragwürdigen Fortschritts, der von einer verschrobenen Elite determiniert wird.

Die freieste Gesellschaft kennt nicht die geringste Freiheit in der Gestaltung ihres zukünftigen Geschicks. Silicon Valley ist das Synonym für das prädestinierte Schicksal, dem wir unter keinen Bedingungen ausweichen können. In Amerika herrscht die calvinistische Prädestination in der Form eines 100%ig determinierten Fortschritts. Deshalb die Formel: wir können nicht zurück, bestimmte Lebensformen der Vergangenheit – und seien sie noch so vernünftig – können wir auf keinen Fall wiederbeleben. (Doch, können wir. Zeit ist keine einlinige Heilsgeschichte.)

Wir sitzen im Schnellzug der Geschichte und die Lok fährt unbeirrbar ihrem vorprogrammierten Ziel entgegen. Wer aussteigt, ist lebensmüde. Tempo und Richtung des Fortschritts sind festgelegt. Ein Zurück gibt es nicht. Aus der Vergangenheit können wir nichts lernen, also müssen wir nicht zurückschauen. In jedem Augenblick der sausenden Zeit erlischt die ganze Vergangenheit, wir erfinden und produzieren uns in jedem Augenblick völlig neu.

Theologen sprechen von der creatio continua, der permanenten Neuschöpfung. Würde jemand den Vorschlag machen, prüfet alles, das Beste aus allen Epochen behaltet, könnte er sich einbalsamieren lassen.

Kraft ihrer besonderen Erfindungskraft sind Genies die Gestalter des planetarischen Geschicks der Menschheit. Epigonen sind ihre Mitläufer, denen nichts anderes übrig bleibt, als dem Sog der kreativen Prädestination zu folgen.

Es gehört zu den kreativen Tricks der westlichen Erfolgsgesellschaft, ihre christlichen Faktoren zu übermalen, indem sie von der säkularen Moderne sprechen. Die Zeiten des Glaubens seien lange vorüber, die Gottlosigkeit greife mehr und mehr um sich. Wenn die Moderne sich demnächst den Hirnkasten einrenne, sei die gottlose Gegenwart schuld, die sich an die „Stelle des Gottes“ gesetzt hätte. Werde Gott abgeschafft, würde der atheistische Mensch die Leerstelle besetzen und sich anmaßen, gottebenbildlich zu sein. Wer die Gottebenbildlichkeit in seinem Dogma erfunden hat, wird dabei unter den Teppich gekehrt. („Der Mensch ist worden wie unsereiner“, Altes Testament > 1. Mose 3,22 / http://www.way2god.org/de/bibel/1_mose/3/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/1_mose/3/“>Gen. 3,22)

Vergesst das Gerede von der glaubenslosen säkularen Moderne. Die Säkularen handeln selbst dann ecclesiogen, wenn sie zu den wütendsten Gottlosen gehören. Das subjektive Bewusstsein spielt solange keine Rolle, solange es in völliger Selbstverblendung lebt. Christen, die kaum noch wissen, dass die Heilige Schrift aus Altem Testament und Neuem Testament besteht, sind zur objektiven Subjekteinschätzung unfähig.

Wir leben im bestinformierten Zeitalter der Geschichte? Das können nur grandiose Selbstverherrlicher des Internet von sich geben. Von allen Epochen ist Gegenwart technisch am fortgeschrittensten, philosophisch befindet sie sich auf der Analphabetenebene des frühen Mittelalters. Sonderlich die Deutschen – vor dem Krieg noch mit den gelehrtesten und scharfsinnigsten Köpfen der Welt in ihren Reihen – sind durch den „verlorenen“ zweiten Weltkrieg noch immer traumatisiert und intellektuell unfähig, den schlichtesten Gedanken widerspruchsfrei zu durchdenken.

Zur Vergangenheitsbewältigung müsste auch die Analyse gehören, wie die totale Niederlage das Verbrechervolk in seinem Denkvermögen zerrüttet hat. Hier ging eine nationale Weltanschauung zugrunde, die sich in 150 Jahren konsistent gegen den Westen bilden konnte. Was ging verloren? Was wurde nie als Verlust verbucht und als Niederlage verschmerzt und bearbeitet? Alle prinzipiellen Hauptmythen der Nation seit der Romantik:

a) die Auserwähltheit der eigenen Nation als Vorbild der Welt,

b) der Glaube an die Geschichte, die die Wahrheit ans Licht bringen würde,

c) der Glaube an den untrüglichen Gottesbeweis des Krieges. War die Niederlage wirklich die Stimme Gottes oder nur eine weitere Prüfung? Momentan sind wir dabei, durch wirtschaftliche Tüchtigkeit den Gottesbeweis der Niederlage anzufechten. Wartet noch ein Weilchen und wir werden wieder singen: Deutschland über alles. (Eine englische Zeitung hatte diese Schlagzeilen nach dem Wembley-Spiel auf ihrer ersten Seite.)

d) der Glaube an die entscheidende Macht gottgesandter Männer und Führer,

e) der Glaube an die Zwangsbeglückung per „wahrer Ideen“. Das führte zum Glauben an die alleinige Macht materieller und wirtschaftlicher Faktoren. Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Konsumreize manipulieren die Gesellschaft.

Heute ist Deutschland Amerikas eifrigster Schüler in Ökonomie – ohne die christlichen Grundlagen des amerikanischen Kapitalismus zu erkennen. Hierzulande fühlt man sich im tiefsten Grunde seiner Seele urchristlich, wenn man sich antikapitalistisch fühlt. Der geistliche Unterschied zwischen Sieger-Lehrer und Verlierer-Schüler wird ausgeblendet.

Die Deutschen glauben, sie hätten ihre Vergangenheit bewältigt, wenn sie die quantitativen Seiten ihrer Verbrechen auswendig kennen. Vom Judentum verstehen sie noch weniger als von ihrem vorbildlichen Jesulein. (Womit sie die Linie Wagner-Chamberlain-Hitler bewusstseinslos wiederholen.)

Wirtschaftlich sind die Deutschen tüchtig, den geistesgeschichtlichen Rest in ihrem Land beißen die Hunde. Wie anders als durch larvierte Traumatisierungen kann man sich die Verwüstungen des momentanen Feuilletons erklären? Georg Diez hat – endlich einmal – den normalen Wahnsinn der deutschen Edelschreiber zum Gegenstand seiner SPIEGEL-Kolumne gemacht.

(Es ist kein Zufall, dass die Nannen-Jury einen substanzlosen Bericht über das deutsch-israelische Verhältnis aus der Feder des stellvertretenden ZEIT-Chefredakteurs Ulrich als besten journalistischen Beitrag des Jahres auszeichnete. Die Medienfürsten sind nicht einmal in der Lage, eine unabhängige Jury einzusetzen. Ihre Preise verteilen sie unter ihren Häusern nach dem klassischen Prinzip des Kuhhandels.)

Diez spricht von „Exzessen der Erkenntnislosigkeit“. „Ist denn nicht Wachheit die Grundtugend des Geistes? Ist denn nicht Streit das Wesen des Intellekts? Ist denn nicht ein Argument das Schönste, was man sich denken kann, man kann es drehen und wenden, man kann es auf den Boden werfen und schauen, ob es bricht oder hält, man kann es auffangen und zurückwerfen. Aber: Da herrscht Müdigkeit und Mutlosigkeit, da soll alles bleiben, wie es ist, da will jeder seine Ruhe, da hat das Ressentiment das Argument ersetzt. Es ist die ästhetische Fortsetzung des Merkelianismus, es ist das geistige Pendant zur politischen Lethargie. Die Abschaffung des Streits“. (Georg Diez im SPIEGEL)

Die Grundlagen der deutschen Schaumschlägerei liegen in ihrer Geniereligion. Ein Genie kann sich und die Welt allzeit neu erfinden oder: nach Gusto verfälschen, ins Gegenteil verkehren, verleugnen und verdrängen. Schon ihre geistbegabte Hermeneutik geht vom Grundsatz aus: was im Buch der Bücher steht, bestimme alleine ich, halten wir uns nicht auf mit dem Terror des Wortwörtlichen. Es wird gedeutet, dass sich die Balken biegen. Ein Altphilologe müsste Cäsars Gallischen Krieg verballhornen wie die Gottesgelehrten die Heilige Schrift, dann könnte er sich am nächsten Tag an der Hartz4-Schlange anstellen.

Mit dieser grenzenlosen Erfindungskraft deuten sie die ganze Welt neu, wie es ihnen gerade in ihr postmodernes Neuigkeitsgeflunker passt. Wahrheit darf keine Imitation der Wirklichkeit sein. Mit dieser Lizenz zur unbegrenzten Creatio ex nihilo erweisen sie sich ihre grenzenlose Genialität. Ein Genie „besitzt beinahe göttliche Schöpferkraft“. Das beinahe können wir streichen.

Nach Leibniz schafft das Genie „mögliche Welten, es wird zum Schöpfer und damit quasi zum Gott („poeta alter deus“ – der Dichter als zweiter Gott)“. Leibniz war Anreger der Stürmer & Dränger, den Vorläufern der Romantik, wo die Geniereligion vollends ins Transzendente abhob.

Kant schwankte hin und her zwischen dem Respekt vor der Natur – „Genie ist die Instanz, durch die die Natur der Kunst die Regel vorschreibt – und der Dominanz der Vernunft gegen die Wirklichkeit.

Ab Hegel gab‘s kein Halten mehr. Der objektive Geist – der göttliche Geist, zu dem der Mensch sich aufschwingen sollte – hatte die Natur vollständig an die Kandare gelegt. Sollten Hegels Ideen nicht mit den Tatsachen übereinstimmen, umso schlimmer für die – Tatsachen. Seit dieser Vergöttlichung der menschlichen Kreativität ist das Wirkliche nur noch die Spielwiese des Genies, das aus jedem X ein U machen kann.

Bei Kant war es noch die Natur, die besser wusste, was der Mensch zu seinem Glück benötigte. Bei Hegel war es allein der menschlich-göttliche Geist, der Natur und Wirklichkeit vorschrieb, wie sie zu sein hatten. Die klassische Definition der Wahrheit als Übereinstimmung mit der Realität wurde als epigonale Nachahmung, als Imitation der Realität, verfemt. Nicht die Realität bestimmte den Menschen, der Mensch schalte und walte nach Belieben mit der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit wurde zur beliebigen Verformungs- und Knetmasse des Geistes, der aus dem Nichts seines Kopfes die Welt jeden Tag neu erschaffen kann.

Wie Fichtes Ich frei flottierend das „Nicht-Ich setzen“ konnte, so konnte Hitler das Judentum widerstandslos als Nicht-Ich ab-setzen. Das deutsche Ich war zu Gott geworden, der deutsche Idealismus – nach Kant – zum philosophischen Fußabdruck des allmächtigen Schöpfers geworden.

Der junge Goethe hatte in seinem Gedicht Prometheus die Gottähnlichkeit seines Ichs in scharfen Worten formuliert:

„Hier sitz’ ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sey,
Zu leiden, zu weinen,

Zu genießen und zu freuen sich, Und dein nicht zu achten,
Wie ich!“

Goethe verachtet in seinem Gedicht die Götter, er hätte auch die Realität verachten können.

Auch an der Religionsfront spielt der Gegensatz von Genie und Nachahmung eine Rolle. Eine riesige esoterische Bewegung geht über das Land, die in der ZEIT als epigonale Strömung der christlichen Religion charakterisiert wird. (Max Rauner in der ZEIT)

Viele esoterische Praktiken würden in einer stillen spirituellen Revolution Europa verändern „wie in keiner Missionsphase“ Europas zuvor. Ein Bayreuther Religionssoziologe erklärt diese neue Wunderheilerphase als Bedürfnis „sich Elemente für ein selbst konstruiertes Weltbild zusammenzusuchen und danach zu handeln.“

Nach Belieben zusammensuchen ist das Kennzeichen des Epigonen, der keine Kraft besitzt, ein geniales Original zu erfinden – oder zu bewahren. Das Original ist die Frohe Botschaft. Wer nur einen Millimeter vom Original abrückt, ist ein schwächlicher Nachahmer.

Die Esoterik gleiche heute einem Supermarkt. „Zur Auswahl steht der Fundus der Weltreligionen: die Engel und die Heiligen aus dem Christentum, Geister und Götter aus dem Hinduismus; die Anthroposophie Rudolf Steiners ist untergemischt sowie eine Mixtur aus Philosophie, Glauben und Aberglauben; dazugerührt das autoritätsstiftende Vokabular der Naturwissenschaft mit ihren „Feldern“, „Energien“ und „Quanten“. An der Kasse wird alles zum Paket verschnürt und mit dem Etikett „Neu! Ganzheitlich! Spirituell!“ versehen.“

Merkwürdig, dass begeisterte Konsumideologen die freie Wahl von Ideologien bemäkeln. Wäre eine erzwungene Heilsbotschaft die bessere Alternative?

Wohin die Kritik der „objektiven Religionswissenschaftler“ zielt, zeigt das nächste Zitat: „Der Berliner Religionswissenschaftler Hartmut Zinser fasst darunter kurzerhand alle Lehren und Praktiken zusammen, die „entweder, soweit es sich um Religiöses handelt, mit den erklärten Lehren der Kirche im Widerspruch stehen oder, soweit es sich als Wissen versteht, mit der Wissenschaft unvereinbar sind“.

Esoteriker sind Ketzer im Gewande einer neuen Wischiwaschireligion. Außerdem Gegner der Wissenschaft – als ob christliche Religion mit den Naturwissenschaften ein Herz und eine Seele wäre.

Es gehört zu den merkwürdigen Spielregeln der deutschen Gesellschaft, dass just die Vertreter der Großkirchen ihre Nachäffer im Namen der Vernunft durchprügeln. Das Original besitzt die Deutungs- und Diskriminierungshoheit über alle Konkurrenten, die sich still und heimlich aus dem Christentum entfernen, ohne ihre Kritik offen zu legen. Die esoterischen Stiefkinder des Christentums glauben jedem Hokuspokus, um die emotionalen Leerstellen ihres kapitalistischen Alltags mit Ahndungen und Allmachtserwartungen zu füllen.

Welche Fachleute werden in den Medien regelmäßig zu Sektenfragen interviewt? Die objektiven Sektenbeauftragten der Kirchen. Warum wandern so viele Kirchenschafe zu konkurrierenden Sekten ab? Antwort der klerikalen Experten: weil sie simple Lösungen für das Überkomplexe suchen, das sich einfachen Erklärungen entzieht.

Da müssen wir über Jesu Botschaft froh sein, die so komplex ist, dass sie sich nur dem Glauben öffnet. Credo, quia absurdum.