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Die ERDE und wir. VII

Tagesmail vom 26.08.2024

Die ERDE und wir. VII,

„Noch gilt das Wachstum der jährlich produzierten Warenmenge als das wichtigste Kriterium für eine gesunde Wirtschaft. Aber es könnte in naher Zukunft der Zeitpunkt kommen, zu dem eine Abnahme dieser Warenmenge dem Wohl der Menschheit dienlicher wäre als die Zunahme und zu dem man sorgfältig wird unterscheiden müssen zwischen den Waren, die unbedingt notwendig sind, und den andern, die man auch gut entbehren kann.“ (Heisenberg)

Sollte Heisenbergs Mahnung Recht haben, gäbe es keine einzige Partei, der wir unsere Stimme geben dürften. Gibt es irgendjemanden, der Abnahme predigt und die Zunahme verurteilt?

Links, rechts, Mitte? Vergiss es.

Parteien mit den größten Chancen kennen nur Wirtschaftswachstum, Parteien mit den kleinsten nur Almosen für Flaschensammler.

Sinnvolle Alternativen, die mit Argumenten streiten, wie man die Hauptprobleme der Menschheit lösen könnte, gibt es nicht.

Das scheitert schon daran, dass es keine Einmütigkeit gibt über die Hauptprobleme. Woran leidet die gegenwärtige Menschheit am meisten?

Menschheit? wiederholen die Mächtigsten und runzeln die Stirn. So können nur Weltenträumer reden. Wir haben keine Menschheit, sondern eine konkurrierende Menge von Völkern, die nur eins gemein haben: die exquisitesten Happen der Weltwirtschaft wollen sie allein für sich, um den Verlierern triumphierend die Zunge herauszustrecken.

Gemeinsamkeit ist ein Täuschungswort. Jeder ist sich selbst der Nächste. Wer am besten für sich da ist, ist am besten für alle da. Ein Minister erläuterte: „ihm seien Jagdhunde lieber als Hofhunde, weil sie sich ihre Nahrung selbst beschaffen und nicht auf den Hintern sitzen und jaulen.“

Es gehöre zu den Freuden einer freien Wirtschaft, unter Arbeitslosigkeit leiden zu dürfen. Ein Pressemagnat definierte Armut als Gewohnheit, ärmlich zu denken.

So begann die Nachkriegswirtschaft, in der Shopping zur Freizeitgestaltung wurde. „Verkaufsstrategen kalkulierten mit dem „impulsiven Einkaufen“, von Dingen, die man nicht wirklich brauchte, gestreifte Zahnpasta zum Beispiel. Kalkulierter Verschleiß sorgte dafür, dass gekaufte Artikel nicht lange hielten und neuen Bedarf weckten.

Die Konsequenz aus dem geplanten Verschleiß war das Wegwerfprodukt. Parallel dazu entwickelte sich eine Wegwerfethik.“

Die Wegwerfethik hat den Planeten erobert, sie ist das selten genannte Gegenstück zum Fortschritt. Wer etwas Neues präsentiert, muss ein Altes nennen, das überflüssig geworden ist.

Fortschritt ist zum Totengräber der tollen Menschheitskultur geworden. Niemand kann etwas Neues präsentieren, dem es nicht gelingt, ein überflüssiges Altes zu nennen. Da alles Alte durch Arbeit entwickelt wurde, ist die gesamte Arbeitskultur der Menschheit gefährdet.

„»Unsere Ergebnisse zeigen«, das hat mir Daron Acemoğlu per E-Mail bestätigt, »dass ein guter Teil der Investitionen in die Robotik nicht dem Drang entspringen, beim Aufbruch zum nächsten, fantastischen Ufer dabei sein zu wollen, sondern dass sie einfach getätigt werden, weil Arbeitskräfte fehlen, speziell Facharbeiter mittleren Alters.« So geht es zu, so nüchtern. Wer also das nächste Mal jemanden jammern hört, dass die Maschinen den Menschen die Arbeit wegnehmen, weiß es von nun an besser. Es ist nicht so. Es ist auf jeden Fall viel, viel komplizierter. Es gilt fürs Erste die Parole: Mach’ meinen Roboter nicht an.“ (SPIEGEL.de)

Mach meinen Roboter nicht an? Das ist ja noch Steinzeit-KI. Die nächste KI-Generation braucht kein falsches Mitleid ihrer Herren, sie ist selbst fähig, ihren Verleumdern eins in die Fresse zu hauen: Und dich brauchen wir schon längst nicht mehr, du freche Schnauze.

Sitzen diese Fortschrittsfeinde müßig den ganzen Tag auf dem Marktplatz und spielen nur noch Boule? Oder müssen sie warten, bis jene KI kommt, die überflüssiges Menschenmaterial einsammelt und in Nichts verwandelt?

Fortschritt wäre dann nichts anderes als jenes Medium, das die Menschen zum Verschwinden bringt und durch Maschinen ersetzt. Maschinen werden die genialen Menschen ersetzen.

Müssten wir nur noch darauf warten, dass Maschinen lernen, sich selbst in Bewegung zu setzen und nicht abwarten müssten, bis der Erfinder die richtigen Knöpfe drückt?

Aber halt, da gibt es diese ärgerlichen Fortschrittsgegner:

„Ohne eine entsprechende Vermehrung von Barmherzigkeit, Mitleid, Frieden und Liebe kann die Wissenschaft selbst alles zerstören, was sein Leben majestätisch und erträglich macht. So glänzend er auch an sich ist, befriedigt dieser Fortschritt nichts von dem, was das Menschenglück wirklich braucht. Kein materieller Fortschritt kann seiner Seele Ruhe bringen. Komfort, Beschäftigungen, Erleichterungen, Vergnügen werden zuhauf auf unsere Nachkommen eindringen, aber die Herzen werden ihnen weh tun, ihr Leben wird leer sein, wenn sie nicht nach Dingen Ausschau halten, die über das Materielle hinausgehen. Und mit den Hoffnungen und Kräften werden Gefahren kommen, zu denen das Wachstum des menschlichen Intellekts, die Stärke seines Charakters oder die Brauchbarkeit seiner Einrichtungen in keinem Verhältnis mehr stehen werden. Wieder einmal wird die Wahl geboten zwischen Segen und Fluch. Niemals war die Entscheidung, die getroffen werden wird, schwerer vorauszusagen.“ (Churchill, 1932)

Und vergessen wir nicht die Warnung von Arnold Toynbee aus seinem Buch „Menschheit und Mutter Erde“:

„Der technologische Fortschritt hat besonders in den letzten 200 Jahren Macht und Reichtum des Menschen gewaltig vermehrt, während die Kluft zwischen der physischen Möglichkeit, Böses zu tun, und der geistig-sittlichen Fähigkeit, diese Kräfte zu meistern, so klaffend geworden ist wie die mythischen Schlünde der Hölle.“

Gibt es dazu klare und beruhigende Antworten der Fortschrittler?

Na klar: alles schlechte Luft von gestern. Hier sprechen Leute, die nicht einmal wissen, wie ihre Kaffeemaschine funktioniert. Wären die nicht so verschlossen, würden sie erkennen, dass es keine gegenwärtigen Mängel gibt, die Zuckerberg & Musk nicht mit links auswetzen werden.

Doch das sind Antworten mit dem Holzhammer jener Zeitgenossen, die sich identisch fühlen mit der Heilszeit der Maschinen und ihrer Rechenkünste.

Es gibt überhaupt keine seriöse Debatte zwischen den zwei Lagern. Die große Mehrheit bruttelt vor sich hin, in der Hoffnung, dass der nächste Urlaub noch goldener wird als der jetzige.

Der jetzige war so: auf dem Gardasee in einem Luxusschiff bei einem brillanten Essen zu schwelgen und die Augen zu verdrehen? Natur, die man aus der Nähe kennt, ist zur Wegwerfware verkommen. Schaut mal diese phänomenale Aussicht.

Für junge Deutsche ist ihr „Vaterland“ unerträglich geworden. Über 200 000 Jugendliche kehren Deutschland den Rücken.

Gelingt ihnen die Auswanderung, werden sie im Nu vergessen, dass sie aus dem Land der Dichter und Denker gekommen sind. Gelingt sie ihnen nicht, werden sie die Heimat wieder entdecken und die Welt verkommen lassen.

Der Streit zwischen Maschine und Geist ist deshalb zur Unmöglichkeit verkommen, weil niemand mehr weiß, was Geist ist. Und wenn er’s wüßte, behielte er es für sich. Wer wird sich denn mit Geist bekleckern, wo Rechenkünste gefragt sind?

Die Menschheit hat keine Ziele mehr, weshalb sie über diese nicht mehr streiten kann. Wie sagte die Dame auf dem Gardasee über ihr schwimmendes Glück?

„»Dolce vita«, sonst nichts: das ist doch das Ziel der Zufriedenheit? Wenn das zuträfe, warum einigt sich nicht die ganze Welt auf die Utopie:

»Dolce Vita« steht für ein lockeres luxuriöses Leben, Lebensfreude, Müßiggang, Entspannung und Vergnügen. Dolce Vita steht für Genuss, gutes Essen (Pasta, Risotto, Vitello Tonnato, Carpaccio,…), guten Wein und gute Musik. Dolce Vita bedeutet gut gekleidet zu sein, Espresso im Cafe am Marktplatz zu trinken und dem Treiben zu zuschauen. Dolce Vita bedeutet mit Freunden bei lauwarmen Sommernächten lange draußen zu sitzen. Dolce Vita steht auch für das Schlendern durch alte und gepflegte Städte. Es steht für mediterranes Flair.“

Wenn diese Definition stimmt, haben die Kritiker des Fortschritts recht: Fortschritt zerstört sich selbst, denn der goldene Süden ist dabei, durch Massen an Touristen sich selbst zu erledigen.

Schon schließen sie die Häfen, dulden immer weniger Urlauber und trauern um den Verlust ihres südlichen Lebens. In brütender Hitze, direkt aus dem Bauch des Fortschritts, dürfen die Einheimischen den Tod ihrer Welt erdulden.

Die Reichen aus dem Norden wollen nicht sehen, dass sie die Welt der Südländer rücksichtslos zerstören. Südländer sind nicht mehr fähig, ihre Lebenswelt gegen den Andrang der nordischen Barbaren zu verteidigen. Ist das der Geist, den wir benötigen, um die Zukunft der Welt zu retten?

Hören wir noch einen andern Großen – den wir längst vergessen haben:

„Das Verhängnis unserer Kultur ist, dass sie sich materiell viel stärker entwickelt hat als geistig. Ihr Gleichgewicht ist gestört. In der Begeisterung über die Fortschritte des Wissens und Könnens sind wir aber zu einer fehlerhaften Auffassung der Kultur gelangt. Wir überschätzen deren materielle Errungenschaften und haben die Bedeutung des Geistigen nicht mehr in erforderlicher Weise gegenwärtig. So paradox es klingen mag: durch die Fortschritte des Wissens und Könnens wird wirkliche Kultur nicht leichter, sondern schwerer gemacht. Bis zu einem gewissen Grade sind wir in den modernen Verhältnissen alle Unfreie geworden. Die Fortschritte der materiellen Kultur sind es auch, die die sozialen und politischen Probleme in so unheilvoller Weise verschärfen.“ (Albert Schweitzer, Das Materielle und das Geistige der Kultur)

Wohin man schaut: Warnungen, nichts als Warnungen. Nur die Fortschrittler preschen geistlos in die Zukunft.

Die Deutschen wissen nicht mehr, was ihnen geschieht. Einst waren sie stolz auf ihre Denker und Dichter, heute denken sie nur noch an die nächste Generation ihrer KI – die für sie formulieren, übersetzen und denken muss.

Geist können sie vergessen. Es gibt keine geistigen Streitereien, keine trefflichen Disputationen, keine scharfsinnigen Gegenwartsanalysen mehr. Literatur ist kein Ereignis mehr, Denker sind wegen mangelnder Nachfrage verschwunden. Musik muss von auswärts kommen, um ein empathisches Publikum zu finden.

Was Recht ist, weiß niemand. Juristen treten auf wie Theologen, Debatten um das Recht hat es seit Ewigkeiten nicht mehr gegeben. Das Recht wird als Peitsche missbraucht, um das unzerstörbare Böse zu zerstören.

In normalen Zeiten kümmert sich niemand um die totalitären Kerne der drei Erlösungsreligionen. Die fremden Religionen werden vor dem Recht geschützt, um die eigene Religion nicht unter die Lupe nehmen zu müssen. Doch wenn eine Untat geschehen ist, kommen die Androhungen. Wenn ein terroristischer Akt geschieht, erwachen die feindlichen Geister der Erlöserreligionen. Plötzlich sind die religiösen Untaten einer fremden Religion das schlimmste Verbrechen der Welt. Das deutsche Recht aber ist ein Therapeutikum der Vernunft, kein Erlösungsmittel gegen fremde Erlösungen.

Das Gesetz ist kein Therapeutikum des Bösen, sondern eine äußerste Notwehr. Der Begriff des Sozialtherapeutischen ist verschwunden. Wer wird denn so vermessen sein, das Böse prophylaktisch durch Verstehen zu vermindern.

Dass das Böse die Frucht der gesamten Gesellschaft ist – Freud sprach vom kollektiven Unbewussten – hat man längst in alle Winde verstreut. Böse sind immer die anderen. Die eigene Person muss nur durch den Polizeiknüppel geschützt werden. Je härter die Bestrafung, umso mehr nähern wir uns dem Paradies. Geht’s noch naiver und einfältiger?

Dirk Kurbjuweit widersetzt sich dem Geschrei der Schläger:

„Die Position der Vernunft ist jetzt: Bei allem Schmerz über die Opfer ist der Affekt fast immer falsch in der Politik. Ein Gewalttäter sollte keine Macht über die Gesetze haben, auch nicht über Wahlergebnisse. Es geht nicht um schnelle Gesetze, sondern um durchdachte. Dafür braucht es auch eine ehrliche Diskussion über das Gewaltpotenzial unter Geflüchteten, ohne Rassismus und Hetze.“ (SPIEGEL.de)

Die Deutschen selbst sind in religiös-politischer Intoleranz aufgewachsen – die sie erst in der Nachkriegszeit ablegten. Sie sollten am besten wissen, dass nur die Kraft der Vernunft fähig ist, die Anziehungskräfte der totalitären Religion zu überwinden. Humanität kann nicht durch Gewalt erkämpft werden, sondern durch soziale Empathie.

Ums Verstehen geht’s, nicht ums Draufschlagen, welches das Verhindern des Bösen ohnehin nicht schafft. Wer seinen Mitmenschen, auch in dessen schlimmen Taten, nicht verstehen kann, wird auch sich selbst nie verstehen. Harte Strafen sind kein soziales Therapeutikum. Dem, der mit bösen Affekten kämpfen muss, hilft nur die Selbsterforschung seines verwilderten Innenlebens.

Das Böse kann nur durch Verstehen der Mitmenschen verhindert werden. Verstehen heißt nicht verzeihen. Niemand fragt, wie solche Untaten zustande kommen. Das ist menschenfeindliche Ignoranz, die kein einziges Opfer verhindern kann.

Man kann es nicht anders sagen: die deutsche Demokratie ist erstarrt in mangelndem Einfühlungsvermögen oder in asozialer Dummheit.

Fortsetzung folgt.