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Donnerstag, 29.08.2013 – Rote Linie

Hello, Freunde der Apartheid,

wann beginnt Apartheid? Wenn die einen im Bus hinten sitzen, die andern vorne. Als sich ein schwarzes Mädchen in Amerika die aparte Diskriminierung nicht mehr gefallen ließ, begann die schwarze Bürgerrechtsbewegung.
Sind die Distanzen zwischen weiß und schwarz, arm und reich seitdem geringer geworden? Distanzen verringern sich nicht, wenn wenige Schwarze ein paar Groschen mehr verdienen. Dafür sind die Weißen überproportional reicher geworden. Die Apartheidsgräben haben sich vergrößert.

Es geht um Macht- und Reichtumsgefälle. Dieses Gefälle hat sich vergrößert. Gefängnisse sind voll von schwarzen Übeltätern. Weiße Übeltäter kassieren gigantische Boni und besitzen private Inseln mit traumhaften Sandstränden. Es gibt doppelt so viele schwarze Arbeitslose wie weiße. Es gibt erbärmliche staatliche Schulen in den Armenvierteln, die Kinder der Reichen gehen in aufwendig ausgestattete Privatschulen. Es gibt schwarze Stars, die sich als Alibifiguren des Stillstands verdingen.
Selbst Obama muss einräumen: „Der „Schatten der Armut“, die „ewige Gewalt“. Vor allem wirtschaftlich habe sich die Kluft nicht verringert, nein sie ist gewachsen„. (Marc Pitzke im SPIEGEL)

Die Kluft ist gewachsen – ein echter Fortschritt nach hinten. Obama präsentiert sich als getreuerSchüler Martin Luther Kings. (Deutsche sprechen Luther wie Looser aus, warum nur?) Wieviel Macht er wirklich besitzt, schätzt Uri Avnery so ein:

„Der US-Präsident dirigiert in Wirklichkeit nicht die amerikanische Politik. Er kann wunderbare Reden halten, wobei er der Demokratie

einen göttlichen Status verleiht, aber er selbst kann nicht allzuviel dazu beitragen. Die Politik wird von einem politisch-wirtschaftlichen-militärischen Komplex gemacht, für den er lediglich eine Gallionsfigur darstellt. Dieser Komplex schert sich nicht um „amerikanische Werte“. Er dient den amerikanischen (und seinen eigenen) Interessen.“ (Uri Avnery)

Ausnahmsweise müssen wir dem wackeren Uri widersprechen. Der wirtschaftlich-politisch-militärische Komplex legt sehr wohl Wert auf amerikanische Werte, die immer eine widersprüchliche Melange aus demokratischen und christlichen Idealen waren. Nach dem 2. Weltkrieg war mal wieder Demokratie angesagt, um der Welt ein leuchtendes Vorbild zu sein. Nachdem die Primus-Kräfte erlahmten, fiel sie in den militaristisch-charismatischen Geist der Erweckungsbewegung zurück. Amerika, das neue Jerusalem – aber auf absteigendem Ast – zeigt der Welt, wo Bartels den Most holt.

Welche Rolle Israel im bevorstehenden Konflikt gegen Syrien spielt – somit gegen Erzfeind Iran, darf in hiesigen Gazetten nur angedeutet werden. Dass Netanjahu schon vor Tagen die Melodie auf der schneidenden Piccoloflöte vorpfiff: Wir haben den Finger am Abzug, wird hier nur in Klammern zitiert. Wie Uri Avnery, in den Augen hiesiger Antisemitismus-Experten ein jüdischer Selbsthasser, die Macht der Israelis in Washington einschätzt, hat er noch nie verschwiegen:

„Israel gewährleistet dem ägyptischen Militär seit Jahrzehnten jährlich ein umfassendes US-Hilfspaket. Indem es seinen ungeheuren Einfluss auf den US-Kongress geltend macht, hat Israel die Streichung dieser Subvention in all den Jahrzehnten verhindert. Zurzeit ist die riesige israelische Machtmaschinerie in den USA damit beschäftigt, sicherzustellen, dass die US-Subventionen in Höhe von 1,3 Milliarden pro Jahr für die Generäle auch weiterhin gewährt werden.“

Hier scheint Avnery einer Meinung zu sein mit Netanjahu, der stolz verkündet, die USA seien leicht zu bewegen. Aus einheimischer Perspektive von Antisemitismus-Experten müsste der Regierungschef in Jerusalem zu den größten jüdischen Selbsthassern gehören.

Während Amerika glaubt, die Spuren der Apartheid zu beseitigen, beginnt Deutschland, immer mehr Barrieren der Gesellschaft in den Boden zu rammen. Mauerumringte Zaster-Viertel expandieren, die Privatschulen stehen hoch im Kurs. Die Lebenswelten der Lieblinge Gottes sind weit entfernt von denen der Verworfenen. Die Eliten, auch die politischen, haben keinen Schimmer von der Lebenswelt der Andern.

Straßenfußball mit Kindern aus verschiedenen Schichten – ein Ding der Unmöglichkeit. Gleiche gesellen sich zu Gleichen, die Ungleichen beißen die Hunde. Vermischungen zwischen den Ungleichen werden von Sarrazin & Co wie Rassenschande behandelt.

Die Grabenbildung zwischen den Schichten nähert sich den Standards des südafrikanischen Apartheidstaates. Mitten in einer Wattenscheider Schule wurde das Zweiklassenstrullen und Schichtenkacken eingeführt. Wer Geld hat, darf die parfümierten Toiletten de luxe benutzen, auf denen man sich mit echter Seife den Hintern polieren kann. Wer keins hat – also alle Hartz4-Bälger – muss auf ordinäre Klos, die „auch täglich gesäubert werden, aber nicht den Standard der neuen Toiletten haben.“   (TAZ-Interview)

Inzwischen kann man Schichtenzugehörigkeit nicht nur am makellosen Gebiss erkennen. Den Stand, in den man von Gott berufen wurde, kann man von weitem riechen. Oh, du riechst nach Seife, Kamerad, du musst Pinkepinke haben. Jetzt verstehen wir die soziologische Herkunft des Ausdrucks „du feiner Pinkel“.

Wenn Schichten an Gerüchen zu erkennen sind, werden Prophetien des Paulus zur unleugbaren Wahrheit. Während die Erwählten für den Rest der Ungläubigen zum „Kot der Welt geworden sind, ein Abschaum aller bis jetzt“ (1.Kor. 4,13), sind ausgewählte Schäfchen für die Nase Gottes „ein Wohlgeruch Christi unter denen, die gerettet werden, und unter denen, die verloren gehen, den einen ein Geruch aus Tod zum Tod, den andern ein Geruch aus Leben zum Leben.“ (2.Kor. 2,15 f)

Eine wahrhaft olfaktorische Bestätigung der angeblichen Christenwahrheit: vor Gott sind alle Menschen gleich – wenn Gott seine unfehlbare Nase zubindet. Schon die Opferdüfte des Abel stiegen dem Schöpfer lieblich zu Kopf, während Rauchschwaden des Kain schlimmer waren als deutsche Grillexzesse an der Freiburger Dreisam. Gott ist ein Gourmet der Odeure. Wen er nicht riechen kann, muss in die Feuerschwaden stinkender Teufel.

(Auch der Bhagwan Rajneesh, nicht nur Guru der Beatles, sondern des deutschen Philosophen Sloterdijk, soll seine Jünger, vor allem Jüngerinnen, mit Hilfe des Schnüffelns selektiert haben. Was ein indischer Guru kann, können wir noch besser, sagten sich die Amerikaner, die toilettenhygienisch ein feines Näschen entwickelt haben. Sei es für Vaginalsprays verführerischer Frauen – Frauen haben verwirrende Gerüche, weshalb sie sich schon im Alten Testament während ihrer Tage von sensiblen Paschahnasen entfernt halten mussten – oder für die privaten Geheimnisse dieser Welt, die zum Himmel stinken. In diesem kreativen Moment wurde die NSA-Schnüffler-Idee geboren.)

 

Was ist eine rote Linie? Ab wann darf ich zuschlagen? Obama hat die rote Linie definiert, dann ignoriert. Jetzt wird er sich dem Befehl seiner roten Linie beugen müssen. Schon nähern sich die Gewaltigen der Welt mit branchenüblichen Lügen ihren Träumen von Blut und Tod.

Im Irak waren es erlogene Massenvernichtungswaffen. Hier sind es chemische Gaseinsätze, die über Nacht von Assads Leuten eingesetzt worden sein müssen, obgleich kein Mensch weiß, woher sie wirklich stammen. Die UNO-Experten dürfen keine Hinweise auf die Herkunft der Waffen geben. Hat hier jemand etwas zu verbergen?

Giftgas muss schrecklich sein. Man sollte es weltweit ächten. Kriege sind noch schrecklicher, warum hat man sie bis jetzt noch nicht geächtet? Atomwaffen sind am schrecklichsten. Warum hat man Amerika wegen Hiroshima noch nie weltweit isoliert?

Was ist schlimmer: Pest oder Cholera? Es gibt ein furchtbares Ranking um die teuflischsten Waffen. Zieht man die rote Linie bei Massenvernichtungswaffen, darf man besten Gewissens mit Schellfeuergewehren, Drohnen und Fernraketen die Menschen massakrieren. Waren die bisherigen Toten Peanuts, weil mit koscheren Methoden ins Jenseits befördert?

Hier haben sich eitle Gigantismen des Mordens breit gemacht, dass man den Eindruck gewinnt: wenn du einem Nebenbuhler den Hals umdrehst, muss das eine Liebestat sein, verglichen mit 1000en von Tellerminen, mit denen afghanischen Kindern beim Spielen die Beine abgerissen werden.

Giftgas muss verboten werden! Alle anderen Waffen auch, mit denen man Menschen ausradieren kann. Ach übrigens, ganz nebenbei die Frage: woher hatte Saddam Hussein, der damalige Liebling des Westens, seine Giftgaswaffen, um Zehntausende iranischer Soldaten zu töten und zu verstümmeln? Von hochmoralischen Staaten des Westens, Deutschland inklusive. Andreas Zumach hat uns daran erinnert.

„Dass Saddam Hussein im ersten Golfkrieg überhaupt über C-Waffen verfügte, dafür sorgte die Bundesrepublik. Deutsche Firmen lieferten Bagdad die Grundsubstanzen für die Giftgase sowie das Know-how und die Produktionsanlagen für ihre Herstellung.“  (Andreas Zumach in der TAZ)

Wo ist die ultimative rote Linie, bei der man Mächtigen die rote Karte zeigen muss? Wenn sie den leisesten Versuch unternehmen, ihre Menschen unmenschlich zu behandeln. Wenn sie den kleinsten Versuch unternehmen, undemokratische Verhältnisse einzuführen.

Kein Land hat das Recht, seine Untertanen als Untertanen zu behandeln. Wo immer ein Mensch erniedrigt und beleidigt wird, da ist die rote Linie.

Da muss die rote Linie sein. Nicht als selbstgenehmigte Lizenz zum militärischen Eingreifen – Demokratie kann mit Gewalt nicht exportiert werden –, sondern als Pflicht aufrechter Humanisten, jedem leidenden Menschen in Wort und Tat beizustehen. Zur Tat gehört keine Gewehrsalve. Sondern die Ermahnung zu menschengerechter Behandlung, die man dann ernst nimmt, wenn die Ermahnten spüren, dass Wort und Tat der Mahnenden zusammenstimmen.

Auch die Reformatoren kannten eine rote Linie. Sie sprachen vom articulus stantis et cadentis ecclesiae: der Glaubensartikel, mit dem Kirche steht und fällt. Bei den Lutheranern war dies die Rechtfertigung aus Gnaden. Der articulus stantis et cadentis demokratiae ist die Würde des Menschen, die unantastbar ist.

Die rote Linie aller leidenschaftlichen Demokraten muss bei der geringsten Verletzung der Menschenrechte beginnen. Und nicht nach metaphysischer Einschätzung grotesker Mordwaffen. Solche perversen Klassifizierungen des Grauens ähneln Dantes Versuchen, die Hölle in verschiedenen Marter-Ebenen soziologisch zu kategorisieren.

Der Westen scheint wieder einen Selbstreinigungsakt nötig zu haben, indem er renitenten Ländern das Einmaleins des Glaubens mit Feuer und Schwefel beibringen muss. Die gesamte internationale Politik stagniert in Fragen progressiver Humanität, die nicht mehr den kleinsten Schritt nach vorne gehen darf.

Obama und seine westlichen Kumpane haben sich dem Prinzip des strikten Uutopieverbots ergeben. Bis hierher und nicht weiter, Menschheit! Friedlicher wird’s nicht mehr unter euch menschenähnlichen Hyänen. Globale Utopien als Zielvorstellungen einer weltumspannenden Abschaffung von Hunger, Bedrohung und Freiheitsentzug sind den Christen Versündigungen an Gottes Alleinherrschaft.

Wir dürfen es nicht weiterbringen als zu einem weltumspannenden Lazarett. Also bringen wir es nicht weiter. Menschenverachtende Offenbarungen sind die wichtigsten Stichwortgeber der internationalen Politik im 21. Jahrhundert. Dem Menschen ist es verboten, Mensch zu sein. Er muss ein moralischer Bankrotteur bleiben. Ein zeitloser Sünder, der nicht aus seinen Fehlern lernen darf.

In Zasterdingen muss alles unendlich und grenzenlos sein – nur nicht bei der Vervollkommnung des Menschen in Menschenfreundlichkeit. In der Ökonomie beten sie: grow or go, wachse oder vergehe. Für moralisches Lernen des Menschen aber gilt das Prinzip: bleib, wo du bist und rühr dich nicht. Wehe, du versuchst, den Garten Eden als Heimat aller Menschen zu betreten. Vor dem Garten steht der Engel mit dem Flammenschwert.

In Amerika gibt es ein Gesetz, das es gar nicht gibt – oder nicht geben dürfte. Das Verbot nämlich, Frieden mit jenen Staaten zu schließen, die sie als perfekte Feinde benötigen, um den nächsten Krieg anzuzetteln. In diesem Fall mit dem Iran. Jakob Augstein, im Nebenberuf Karriereplaner Blomes, hat es in seinem Kommentar zu Syrien erwähnt:

„Es gibt starke Kräfte in Amerika, die Obama die Hände binden wollen. In der Iran-Politik kann der Präsident nicht frei handeln. Ein umstrittenes Gesetz, der Iran-Threat-Reduction-Act aus dem Jahr 2011, will einen Politikwechsel gegenüber Iran geradezu verbieten. Die Administration wäre danach verpflichtet, die Opposition zu unterstützen und direkte Kontakte mit dem iranischen Regime sind ohne vorherige Zustimmung des zuständigen Kongress-Ausschusses nicht erlaubt.

Der Nahostexperte Michael Lüders hat dazu geschrieben: „Ein vergleichbares Gesetz hat es nie zuvor in der Geschichte der Vereinigten Staaten“ gegeben.“

Würde man dieses Gesetz generalisieren, dürften die USA mit keinem Land der Welt friedensstiftende Beziehungen eingehen. Es bestünde die Gefahr, dass der militärisch-technische Komplex keinen Vorwand mehr fände, seine neuesten Menschenvernichtungs-Kreationen auf dem Terrain fremder Nationen zu erproben.

Es gibt Gesetze, die schlimmer sind als Giftgaswolken. Solchen Gesetzen müsste man die rote Karte zeigen.