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Tagesmail

Donnerstag, 22. August 2013 – Opium des Volks

Hello, Freunde des SPIEGEL,

der neue Chef des Rudolf-Augstein-Blattes will das bisherige Magazin Nr. 1 nachrichtenlastiger machen. Akzent auf Last? Noch mehr Nachrichtenfluten, in denen wir ersaufen? Der neue Chef kommt von DPA. Soll der SPIEGEL zur minimal angereicherten DPA werden? Noch weniger Stellungnahmen, Kommentare und Kritik?

Man schaue nach England, wo der Guardian einen exemplarischen Kampf gegen die außer Rand-und-Band-Regierungen und Schnüfflerhorden kämpft. Bei uns undenkbar. Es gibt zwar immer mehr Kritik, doch so viel altliberale Furchtlosigkeit wie bei den Engländern  die selbst in ihrem Land isoliert sind  ist bei uns unbekannt.

Hierzulande konferieren, nein konspirieren die wichtigsten Chefredakteure geheim mit Merkel, um sich eine Facon de parler zur Finanzkrise verpassen zu lassen. Über diese Nacht und Nebel-Verschwörung hat noch kein Chefredakteur nachträglich berichtet und sich vor seinem Publikum entschuldigt.
Das begann schon bei Schröder, der die wichtigsten Köpfe der Nation zu einem Denkermeeting einlud, um ihre Meinungen abzuschöpfen und zu kanalisieren. „Es wurde Stillschweigen vereinbart“, sagte Sloterdijk, der den Sozialstaat als Kleptokratie bezeichnete. Just wie Kirchenvater Augustin, der den Staat eine Räuberhorde nannte. (So originell sind die Postmodernen.)

Das tun die Geistesbegabten natürlich nur aus Verantwortung für das große Ganze. (An dieser ethischen Kitzelzone sind alle Deutschen zu kriegen: auch die SPD hat Kaiser Willem die Kriegsanleihen nur genehmigt, damit das Vaterland endlich die Weltspitze erreiche.) Die alte Augstein-Mentalität ist schon vor 100 Jahren gestorben. Eine zweite SPIEGEL-Affäre wird es nicht geben  obgleich

die heutigen Staatsanmaßungen unvergleichlich gigantischer sind als das bisschen NATO-Gedöns von damals.

Der neue Nachrichtensammler hat nun die Katze aus dem Sack gelassen und eine ausgewachsene BILD-Creation zum Vize gekürt, die auf den Namen Blome hört. BILD ist jene Postille, die europäische Freunde, die pekuniär schwach auf der Brust sind und Deutschen die Haare vom Kopf fressen, als maghrebinisches Gauner- und Faulenzervolk abmeiert.

Beim Zaster hört die Freundschaft auf. Da kann BILD so richtig hinlangen. Verkauft doch eure Inseln, gehört noch zum gesitteten Teil des Giftschaums, das das Springer-Blatt durch implantierte Afterdüsen absondert. Laut Dieckmann, der sich gerade Erleuchtung in Silicon-Mekka holte, soll das Blatt in Zukunft nur noch mit digitalen Hämmorhoiden-Apps geschrieben werden. Die Benutzung von Köpfen beim Schreiben wird der Karriere nur noch hinderlich sein: § 1 der neuen Redaktionsordnung.

Jürn Kruse in der TAZ: „Der Bild-Mann ist die erste bemerkenswerte und in Hamburg wohl auch verstörend wirkende Personalie des neuen Spiegel-Chefredakteurs Wolfgang Büchner, der am 1. September seinen Dienst antritt. Büchner hatte bereits angekündigt, das Magazin wieder nachrichtenlastiger machen zu wollen. Diese Nachrichten kann dann gerne auch einer von der Bild heranschaffen, also von dem Blatt, das der Spiegel noch Ende 2011 auf dem eigenen Titel als „Brandstifter“ bezeichnete.“

Der Brandstifter kommt nun als Biedermann in das Magazin, das einst fähig war, jeden Montag die Republik in Aufregung zu versetzen. Büchner & Blome werden es doch schaffen, SPIEGEL zu BILD de luxe oder zum Blinddarmfortsatz einer Nachrichtenagentur zu optimieren.

Nun sehen wir den Trick Döpfners, auf einer Seite Ballast abzuwerfen, um auf der anderen mit ausgewählten Maulwürfen die letzten Reste des seriösen Journalismus zu unterwandern. Ein meisterhafter Trick, die Aufmerksamkeit des Publikums an die falsche Stelle zu ziehen, um an der richtigen still und leise die Pforten zu knacken. Döpfner blinkt rechts und biegt nun nach links zum ehemaligen Flaggschiff der schreibenden Kritik. 

Bleibt die Frage: hat Jakob Augstein durch seine Kaspereien mit Blome den roten Teppich zwischen BILD und SPIEGEL erst ausgerollt? Oder wurde er selbst hinters Licht geführt? In Zukunft darf er jetzt mit seinem Online-Chef debattieren. Sein nomineller Vater würde sich im Grabe umdrehen.

Es ist wie im Parteienwesen: jeder sollte mit jedem koalieren können. Nicht falsch. Allerdings koalieren Deutsche nicht. Da fehlt ihnen die soziale Intelligenz, Abstand zu halten und dennoch einen gemeinsamen Nenner herauszukriegen. Sie klumpen gern zu einem Herzen & einer Seele. Pardon, zu einem Herzen & einem Einheitsbrei.

Merkel spiegelt den Zustand der entente discordiale zurück. Dafür wird sie von den Medien geprügelt, die zur Selbsterkenntnis nicht fähig sind. Nein, kein Grund zur Aufregung. Das, meine lieben Zuhörerinnen und Zuhörer, war nur eine Lektion in neugermanischer Gruppendynamik.

Bodo Ramelow ist christlicher Prediger und dennoch bei den Linken, obgleich die Linken in Glaubensfragen noch intoleranter seien als dereinst die PDS. Starker Tobak. Was versteht ein Christ unter Toleranz? Dass man seinen Glauben kritiklos zur Kenntnis nimmt? Dass man dem Glauben bescheinigt, ein bloßer privater Seligkeitserwerbsglauben zu sein  und kein Welterwerbsunternehmen?

Christen präsentieren sich gerne als harmlose Gottesanbeter, die mit Politik, Macht, Naturfeindschaft, eschatologischer Zeitbeschleunigung und apokalyptischer Erdverwüstung nichts zu tun haben. An diese Dinge glauben sie ja nur. War Glauben nicht selbsterfüllende Prophezeiung, die Berge versetzen kann?

Die ehrlichen Biblizisten in Amerika sehen die Vorboten der Parusie bereits in allen Katastrophen, Vulkanausbrüchen, Klimaveränderungen, Krieg gegen islamistische Terroristen nahe herbeigekommen. Nur Glauben? Nur Fürwahrhalten im Kämmerchen?

Hochtolerante Fromme sind davon überzeugt, dass ihre gottlosen Gegner in die Hölle wandern. Was sie glauben, stellen sie her. Das ist die größte Sanftmut und Lindigkeit des Herzens, die man sich vorstellen kann. Hier schmückt sich der denkbar größte Hass aufs Menschengeschlecht  ewig verdammt sein mit der triefenden Maske der Nächstenliebe.
Vorsicht vor solchen lieben Liebenden. Sofort den Turbo einschalten und in der nächsten Kneipe verschwinden. Besser im Suff verenden als in den Folterkammern himmlischer Zärtlichkeiten, die einem unter frommen Gesängen die Haut abziehen. 

Womit wir zum Opium fürs Volk gekommen wären. Pardon, dem Opium des Volkes. Ein riiiiiesiger Unterschied, liebe Marxisten, die ihr eure Propheten nicht mal ordentlich lesen könnt. Sagt Ramelow. Hat der Interviewer es nicht besser gewusst oder Ramelow mit „falschem“ Wortlaut eine Steilvorlage bieten wollen, damit der linke Prediger rhetorisch auftrumpfen kann?

Inzwischen hält man alles für möglich, selbst bei linken Zeitungen. (Hat Ines Pohl nicht grade den Vorwurf am Hals, einen grünen-kritischen Artikel von Füller aus dem Blatt geworfen zu haben? Warum schweigt sie zu den Vorwürfen? Welche Fakten des Artikels sollen falsch gewesen sein? Füller attackiert  ohne Argumente  die ganze ideologische Basis der Grünen. Da werden Adorno, Wilhelm Reich, Befreiung der Gesellschaft durch angstfreie Sexualität, pädagogischer Eros in einem wirren Haufen den Alt68ern vor die Türe geworfen. Kein Thema dabei, das gründlich debattiert werden müsste?)

„So hat Marx den Satz nicht gesagt, sondern: „Religion ist das Opium des Volkes.“ Lenin hat später daraus gemacht: „Opium für’s Volk“. Marx hat gemeint: Das Volk betäubt sich mit Religion, weil die Verhältnisse so schlimm sind, wie sie sind. Lenin meinte: Die Amtskirche betäubt das Volk mit Religion. Das ist eine völlig andere Aussage.“ (TAZ-Interview)

Wenn das Volk sich mit Opium zudröhnt, ist es das Volk, das sich mit Opium zudröhnt. Wenn der Klerus das Volk mit Opium zudröhnt, ist es noch immer das Opium des Volkes. Auch der Klerus gehört zum Volk  demokratietechnisch gesehen. Wenn das Volk es zulässt, von wem auch immer mit Opium zugedröhnt zu werden, ist es selber dran schuld.

In einer Volksherrschaft hat das Volk die Herrschaft. Wenn es diese Herrschaft an Popen und Magnaten verschleudert, hat es sich selbst ans Messer geliefert. Wenn das Volk die Falschen wählt, ist das Volk dran schuld, dass die Falschen an die Regierung kommen. Wenn Jan Ullrich sich von einem Arzt mit Dopingmittel zudröhnen lässt, hat er sich, mit Hilfe eines Arztes, selbst zugedröhnt. Wenn eine Demokratie zur NS-Despotie entartet, ist es schuldig an den Taten der Despotie.
In einer Demokratie gibt’s nur Volk. Sollte es Leute geben, die sich nicht als Volk definieren, ist das Volk dran schuld, wenn sich Eliten über das Volk erheben.

Marx hat sich auf Feuerbach berufen und die Kritik der Religion für abgeschlossen erklärt. Da hatte sie noch gar nicht begonnen. Das Volk war noch vollständig im Bann der Religion. Selbst wenn Feuerbachs Kritik das Herz des Christentums getroffen hätte  was sie nicht hat , ins Herz des Volkes wäre sie damit noch lange nicht eingedrungen. Die intellektuellen Eliten sorgten dafür, dass ketzerische Gedanken nicht nach „unten“ sickerten.

Nicht mal die harmlosen Ergebnisse der historisch-kritischen Arbeit sind bei den Gemeinden angekommen. Noch immer wissen diese nicht, ob die heilige Schrift von Menschen verfasst oder von Gott persönlich diktiert wurde. Die religiösen Kenntnisse einheimischer Christen gleichen den Erkenntnissen von Kindern, die noch immer glauben, dass der Storch die Kinder bringt. 

Wie kann man diesen Satz sagen, ohne schamrot zu werden?“
Für Deutschland ist die Kritik der Religion im Wesentlichen beendigt, und die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik.“

Nicht mal 200 Jahre nach Marx ist die Kritik an der Religion im Wesentlichen beendet. Religionen gibt es nicht. Welcher Religion? Des Christentums? Von Kritik am Christentum ist im ganzen Werk von Marx so gut wie nie die Rede. Mit der Bibel hat sich Marx so gut wie nie beschäftigt, genausowenig wie mit den Griechen  mit Ausnahme seiner Dissertation.

Offensichtlich glaubte er, mit seinem Jugendwerk die Griechen ad acta legen zu können. In seinem ganzen Alterswerk kommen die Erkenntnisse der Griechen nur als gelehrte Zitate vor.

Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet der Mann, der die Kritik der Religion für beendet hielt, seine Geschichtstheorie als Zellableger der christlichen Heilsgeschichte konstruierte. Karl Löwith:
„Man fragt sich, ob Marx sich jemals die menschlichen, moralischen und religiösen Voraussetzungen seiner Forderung: durch die Umschaffung des Menschen, eine neue Welt zu schaffen, klar gemacht hat. …Von einem allzumenschlichen Mitleid mit dem Einzelschicksal des Proletariats (nicht anders wie im Christentum) weit entfernt, sieht Marx im Proletariat das weltgeschichtliche Instrument zur Erreichung des eschatologischen Zieles aller Geschichte durch eine Weltrevolution. Das Proletariat ist gerade darum das auserwählte Volk des historischen Materialismus.“
Die kapitalistische Epoche „zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Klassengegensätze vereinfacht hat, indem sie die Gesellschaft in „zwei feindliche Lager“ aufspaltet, die einander direkt gegenüberstehen zur endgültigen Auseinandersetzung zwischen Bourgeoisie und Proletariat.“ „Das Kommunistische Manifest ist in erster Linie ein prophetisches Dokument.“ Der kommunistische Glaube ist „eine Pseudomorphose des jüdisch-christlichen Messianismus“.
Noch eins zum Schluss: „Der marxistische Messianismus transzendiert die bestehende Wirklichkeit so radikal, dass er, trotz seines „Materialismus“, die eschatologische Spannung und damit das religiöse Motiv seines Geschichtsentwurfs aufrecht erhält“.

So könnte man mit Löwith und vielen anderen fortfahren. Kein Linker hat je einen seriösen Marx-Kritiker gelesen. Kein Gysi, kein Lafontaine, keine Wagenknecht, wird das Wort Religion in irgendeiner Wahlrede in den Mund nehmen. Religion ist perdu, nur hinter den Kulissen kracht’s ununterbrochen. Das Verhältnis der Partei zur Religion war noch nie ein seriöses Thema von Parteitagen. Solcher Tand wird von Parteistrategen sofort abgebügelt, denn es könnte Stimmen bei der abendländischen Christenheit kosten.

Überall stehen Religionen, nein Erlösungsreligionen, im Mittelpunkt von Kriegen, Bürgerkriegen. Doch ein Problem darf Religion nicht sein. Moderne Menschen stehen über der Religion. Doch wehe, man tritt ihrer Religion auf die Zehen. Dann ist sofort von Intoleranz und Dogmatismus der Religionskritiker die Rede.

Marx hat eine Ersatzdroge erfunden, um die religiöse Droge in leicht veränderter Form zu ersetzen. Wenn Religion das Opium des Volkes ist, ist Marxismus die Droge der Intellektuellen, die wahnhaft des Glaubens sind, sie könnten das Volk durch Heilsgeschichte erlösen. Marx hat die Epoche der Religion für beendet erklärt, er wollte Platz schaffen für seine Ersatzreligion. Marx war Romantiker im Gewande des eiskalten Ökonomen.

Seine Jünger haben sich vom Schoße der Religion nie entfernt. Im Gegenteil, sie fanden jene Elemente, die sie ständig an ihren Kinderglauben erinnern  nur in pseudowissenschaftlicher und pseudorealistischer Verpackung. Das Volk Gottes sind die Proleten, die Priester sind die Funktionäre, die Erlösten sind die Elenden  die Letzten werden die Ersten sein , die Reichen und Vornehmen werden in der Hölle verschwinden.

Die Heilsgeschichte ist die unabwendbare Geschichte zur Errichtung des Reiches der Freiheit, sprich, des Himmels. Messias war Marx und ein Engel(s) sein Prophet. Nicht anders als bei Fichte, der das ganze deutsche Volk zum Messias aller Völker machte.

Über all dies bis heute kein einziges sinnvolles Wort von den Linken, die nur von der Verdrängung ihrer Geschichte leben. Auch die Frankfurter Schule war von derselben Mischung aus wissenschaftlichen Einzelerkenntnissen und eingebetteten Hoffnungen auf Erlösung. Bei Bloch gradheraus, bei Adorno verklausuliert als negative Erlösung. Auf Deutsch: Erlöst wird man, wenn man nicht mehr dran glaubt. Also spricht man wie der Jünger Jesu: Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben. Marxismus, Leninismus und Stalinismus sind uneheliche Kinder des Mannes am Kreuz, der angeblich keine irdischen Kinder zeugen durfte.

Die Deutschen fühlen sich am urchristlichsten, wenn sie Kirche und Dogmen kritisieren. Doch zur sachhaltigen Kritik sind sie nicht in der Lage: den Inhalt des Christentums lassen sie links liegen und verwandeln ihren Jesus in einen sokratischen Tugendlehrer.

Christen sind sie schon lange nicht mehr  das wollen sie nicht wahrhaben , sondern den Menschenrechten verpflichtet, die auf sokratischem Boden gewachsen sind.

Sie sind ernsthaft der Meinung, ihre Menschenrechte seinen auf biblischem Boden gewachsen. Überprüfen werden sie diese kühnen Thesen in diesem Leben nicht mehr. Lieber eine heilige Lüge als Droge, als eine unheilige Wahrheit, mit der man anecken könnte.

Eine riesige Enttäuschung in religiösen Dingen müsste übers Land gehen. Eine Ent-täuschung ist das Ende einer Täuschung.