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Mittwoch, 21. August 2013 – Das Private

Hello, Freunde des Friedens,

„Es gibt nicht das leiseste Anzeichen einer Friedensorientierung. Genau das Gegenteil. Unsere Regierung braucht den neuen „Friedensprozess“ als Nebelschleier, hinter dem der Siedlungsbulldozer pausenlos im Einsatz ist.“

Schreibt Uri Avnery in seinem neuesten Brief über die Situation in Israel. Unter dem Druck John Kerrys musste Netajahu palästinensische Gefangene entlassen  die alle schon mehr als 20 Jahre in Gefangenschaft saßen. Um sein ramponiertes Image vor den eigenen Leuten zu retten, ließ er sofort ein neues Wohnungsprogramm in den besetzten Gebieten auflegen. Den EU-Boykott verurteilte er, da dieser dem „Friedensprozess schade“.

Was dem Frieden dient oder schadet, weiß Netanjahu am besten. Als Friedensexperte genießt er in Nahost einen überragenden Ruf. Gibt es dennoch Hoffnungszeichen für den Frieden? fragt der unbeugsame Avnery. Und antwortet mit dem jiddischen Spruch: Wenn es Gottes Wille ist, kann sogar ein Besenstiel schießen.
Besser wäre die Umdrehung des Willens Gottes, dass Er, sein Name sei gepriesen, Schießgewehre in Besenstiele verwandelte. (Uri Avnery)

Die Friedensfähigkeit der Netanjahuregierung unterstreicht die gerade von Israel gestartete Werbetour für die überaus friedensliebenden ägyptischen Generäle. Auf den Diktator Mubarak war Verlass, so sehen es die israelischen Generäle und Machtpolitiker. Jeder Umsturz zugunsten des Volkes wäre ein Verlust an Stabilität, erklärt die Regierung der einzigen demokratischen Villa im

arabischen Dschungel. Der arabische Frühling war für Netanjahu ohnehin nur ein arabischer Winter. Versteht sich, denn die einzige Villa weit und breit wäre demnächst von anderen Villen umrundet und verlöre ihr Alleinstellungsmerkmal.

War es nicht schon immer die hervorragendste Eigenschaft von Demokraten, fremden Demokraten mehr zu vertrauen als fremden Generälen? Nichts ist à la longue friedensstiftender als demokratische Verhältnisse  vorausgesetzt, sie werden von überzeugten Demokraten aufrechterhalten.

Aus der Perspektive Jerusalems war Verlass auf Mubarak, denn er hing am Bändel der USA, die ihn und seine Soldateska mit Geld zuschütteten. Bei Demokraten hingegen besteht immer die Gefahr, dass sie die eigene Meinung für wichtiger halten als ein üppiges Bakschisch.

Peter Münch will die Ängste der Netanjahu-Regierung ernst nehmen  aber da war doch noch was? Ach ja: „Das Dilemma des Westens ist es jedoch, dass zugleich die eigene Glaubwürdigkeit davon abhängt, dass die Werte der Demokratie nicht immer wieder auf dem schon reichlich blutverschmierten Altar der Realpolitik geopfert werden.“ Tapfer schreibt der SZ-Kommentator: „Israels Furcht kann daher nicht die einzige Richtschnur sein für den Umgang mit den ägyptischen Putschisten. Gewaltorgien wie in den vergangenen Tagen darf der Westen nicht blind mit weiterer Unterstützung honorieren.“

Ganz nebenbei ist nun auch das Rätsel gelöst, warum Amerika so gar nicht vor dem Putsch der Generäle gewarnt hatte. Ja, den Putsch im Allgemeinen und Besonderen sogar für den besten Geburtshelfer von Demokratien hält, wie John Kerry ausführte. Politologen aller Länder sind schon dabei, ihre veralteten und von demokratischer Gesinnungsethik verseuchten Lehrbücher umzuschreiben.

Wie sagte Netanjahu vor Siedlern? „Die USA sind leicht zu bewegen.“ Ein pfiffiger Politwissenschaftler hat den Titel seines neuen Buches bereits patentieren lassen: „Wie man Demokraten in Besenstiele verwandelt“.

Das Private ist der Hort des selbstbestimmten Ich, das Öffentliche die Bewährungsprobe des selbstbestimmten Ich. „Privat“ ist ein merkwürdig Wörtchen. Das lateinische privatus heißt abgesondert, beraubt, getrennt. Privus ist das Eigene, das für sich Bestehende. Abgesondert  vom wem? Vom Staat. Dann wäre privat auf Lateinisch, was idiotisch auf Griechisch ist: das Gegenteil zur Teilnahme an der Demokratie. (Wer von Demokratie spricht, sollte selten von Staat sprechen. Auch Despotien sind Staaten.)

Das Dilemma liegt auf der Hand: wie kann man den Verlust des Privaten beklagen, den vom demokratischen Marktplatz abgesonderten Idioten aber für  einen Idioten halten? Was auf Griechisch falsch ist, kann auf Lateinisch nicht richtig sein. Versteht sich, dass unsere gelehrten Ologen solche Kinderfragen nicht verstehen. Kinder sind logische Wunderwesen, bevor man ihnen in Schulen mit Religionsunterricht das Großgehirn zu fräsen beginnt.

Im Grimm’schen Wörterbuch heißt es klipp und klar:

„Privat, adj. und adv., amtlos, besonder, geheim, unöffentlich, persönlich, häuslich, überhaupt dem amtlichen, öffentlichen, allgemeinen, gemeinsamen entgegengesetzt; im 16. jahrh. entlehnt aus lat. privatus (vom staat abgesondert, ohne amt für sich lebend; eine einzelne person betreffend): private angelegenheiten (oder angelegenheiten privater natur), händel, mittheilungen; einem etwas privat (nur für seine person) mittheilen.“

Botho Strauß wäre ein exzellenter Privatier à la Brüder Grimm. Den Titel Idiot hätte er sich mit Auszeichnung verdient.

Wie kommen wir jetzt nahtlos zur NSA und zu Zuckerberg? Der Gründer von Facebook  das Buch von „Angesicht zu Angesicht“  hatte keine Probleme, das Ende des Privaten einzuläuten.

(„Von Angesicht zu Angesicht“ ist der wunderschön poetische Begriff des Paulus für den Himmel. „Denn wir sehen jetzt nur mittels eines Spiegels in rätselhafter Gestalt, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich völlig erkennen.“
Aus der Geschichte der Eroberung Amerikas durch angelsächsische Christen wissen wir, dass sie sich mit dem Sündenfall nicht abfinden wollten und ihre Geschichte Neu-Kanaans als Rückkehr ins ursprüngliche Paradies betrachteten. Sie wollten, von Sünden unbefleckt, wieder von vorne beginnen.
Facebook und das goldene Silicon-Jerusalem stehen für die Realisierung dieses schuldlosen Neubeginns der Menschheit. Mit Facebook, wo jeder mit jedem von Angesicht zu Angesicht kontaktieren kann, sind die USA ihrem Garten Eden überaus nahe gekommen.)

Der kühne Akt eines blassen jungen Mann, der noch nicht bewiesen hat, dass er außer Netzprogramme erfinden, etwas von privat-idotisch und demokratisch-öffentlich versteht. Doch das ist das selbstgewählte Schicksal des Abendlandes  zu dem wir dreist die USA zählen , sich von technischen Bubis bestimmen zu lassen und die Unterwerfung unter ihre messianische Technik als unabwendbare Geschichte und Heilsgeschichte anzubeten.

Wir sollten der NSA dankbar sein, dass wir durch ihr allwissendes Prismenauge nie mehr einsam sein müssen. Gottes Auge ruht gnädig auf uns  sofern wir keinen Unfug treiben und nichts zu verbergen haben. Amerikaner sind Prä- oder Supralapsaristen  Unbefleckte vor dem Sündenfall  und kennen noch keine Sünde. Also haben sie vor Gott und der NSA nichts zu verbergen.

Pech für infralapsaristische Nationen  Nationen nach dem Sündenfall  wie etwa die bitterbösen Deutschen, dass ihre endemisch schlechten Gewissen nichts anderes zu tun haben als gegen das gütiges Beobachten durch Gott zu protestieren. Wollen die aufgeklärten Germans denn nicht mehr vom himmlischen Vater beobachtet werden?

(Nur nebenbei: Journalisten betrachten sich gern als Beobachter, um sich selbst die Qualität der Gottähnlichkeit zu bescheinigen. Das ist natürlich frivol, denn im Grunde sind sie nur meinungslabile Voyeure des Zeitgeschehens, Boulevard-Spanner oder  Mauerschauer. Noch nie von Mauerschau gehört?
Wiki: „Als Teichoskopie (griechisch: τείχος = Stadtmauer und σκοπεῖν = beobachten) oder Mauerschau wird im Epos und Schauspiel der mündliche Bericht einer Figur bezeichnet, welche, von erhöhter Position aus, Vorgänge schildert, die aus künstlerischen oder (auf der Bühne) aus praktischen Gründen nicht dargestellt werden können.“
Auf ihre erhöhten Standpunkte legen moderne Mauerschauer erhöhten Wert. Warum nur hat man allzu oft das Gefühl, dass diese Schauer nicht auf der Mauer stehen und den Überblick haben, sondern unterm Stadttor durchlinsen und das Gewimmel aus der Froschperspektive betrachten? Froschmäßig klingen auch ihre Berichte. Märchenkundige wissen, dass man hässliche Frösche an die Mauer werfen muss, damit wir anmutige und kluge Prinzen begrüßen dürfen.)

Amerikaner erleben ihre Geschichte als technische Realisierung ihres Gartens Eden. Silicon-Valley ist das Neue Jerusalem, wo die Boten Gottes wie lässige Programmierer in Turnschuhen und mit verkehrter Mütze aussehen. Da hat uns Michelangelo ganz schön Sand in die Augen gestreut mit seinen wunderschönen barbusigen Engeln. Wahre Engel sehen Bill Gates verdammt ähnlich.

Vor Gott gibt’s nichts Privates. Sonst wäre er nicht omniszient, allmächtig und allwissend. Man kann es nicht oft genug zitieren: „Wohin soll ich gehen vor deinem Geiste; Wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht? Stiege ich hinauf in den Himmel, so bist du dort, schlüge ich mein Lager auf in der Unterwelt  auch da bist du.“ Bitte weiterlesen in Psalm 139.
Im christlichen Glauben wäre ein privater Bezirk, den Gott nicht im Auge hätte, eine teuflische Erfindung. Gottlob ist kein Diabolo so verschlüsselungsfest, dass er seine Kreaturen gegen die Dekodierungskünste des Himmels schützen könnte. Gott sieht alles  außer Dallas.

Man fragt sich, wieso im christlichen Abendland überhaupt so etwas wie eine private Sphäre entstehen konnte? Griechen und Römer kannten nur ein vom politischen Geschehen abgespaltenes, geschütztes Revier, keine geheimnisvollen Seelenabgründe. Wenn sie keine gefährlichen Möchtegern-Putschisten waren, interessierte sich niemand für ihre privatistischen Belanglosigkeiten.

In Athen war der Idiot sogar eine lächerliche Figur. Warum hätte man einen solchen apolitischen Wicht von morgens bis abends überwachen sollen? War er doch völlig uninteressant. Das Wesentliche und Spannende spielte vor aller Augen. Wollte man einen Menschen kennen lernen, musste man ihn auf der Agora agieren sehen oder in der Volksversammlung debattieren hören. Das „Private“ sagte nichts über den Menschen. Nur des Menschen Taten zählten, nichts außerdem.

Im Neuen Testament die verkehrte Welt. Dort zählten nicht die Taten, sondern innere Befindlichkeiten, die wahr, also fromm, oder unwahr  also gottlos  sein mussten. Ein Drittes gab es nicht. Die Taten der Gläubigen mussten nach vermuteter Herzensqualität bewertet werden. Ein gläubiger Mensch ist ein guter Baum und bringt gute Früchte hervor. Ein gottloser im Gegenteil: die Tugenden der Heiden sind goldene Laster.

Die Bewertung des Menschen erfährt durch den Sieg Jesu über alle heidnischen Regimes einen vollständigen Wandel. Das Innere wurde zur alleinigen Bewertungsgrundlage der Einzelnen. Das unsichtbare Herz wurde zum entscheidenden Kriterium des Menschen. Der heidnische Mensch sieht, was vor Augen ist, Gott und die Seinen sehen das Herz an. Zu diesem Zweck müssen sie das verborgene Innere oder das Private ins Visier nehmen.

Doch Vorsicht, das Innere des Frommen ist nur eine Quelle des abendländischen Privaten. Allmählich wissen unsere lieben LeserInnen, dass das Abendland aus zwei Strickstrümpfen gestrickt ist. Meistens widersprechen sich christliche und griechische Traditionen, die zumeist so verbissen gegeneinander kohabitieren, dass man sie kaum auseinander halten kann.

Jede Art der Zwangsvermählung muss individuell untersucht werden. Ob die widersprüchlichen Elemente sich gegenseitig bis aufs Äußerste schwächen, ob sie sich gar  in Fragen des Machiavellismus  gegenseitig stärken. Oder ob sie chemisch so gut wie nicht aufeinander reagieren.

Auch bei den Griechen gab es ein privates Zurückgezogensein. Bei Epikur das berühmte Lathe biosas, lebe im Verborgenen. Begonnen hatte es schon bei Sokrates, der sich am Ende seines Lebens aus der Öffentlichkeit zurückzog. Es war ihm allmählich zu gefährlich geworden, sich dem Zorn des Pöbels auszusetzen.

Das hatte nichts mit Feigheit zu tun, wie wir aus der Geschichte seiner Anklage wissen, wo er den Schierlingsbecher trank, obgleich er aus Athen hätte fliehen können. Der Grund war: er wollte noch möglichst lange für die Polis durch aufrüttelnde mäeutische Gespräche wirken, wie es ihm im relativ Abgeschiedenen noch möglich schien. Sein philosophisches Motiv bleib unverändert: die Menschen zu besseren Demokraten zu machen.

Bei Epikur, der nach ihm lebte, war der Verfall der Demokratie so weit fortgeschritten, dass es ihm nur noch in seinem abgeschiedenen Garten möglich schien, im Kreise seiner Freunde die Wahrheitssuche fortzusetzen. Das war kein apolitischer Akt, wie es von deutschen Gelehrten immer dargestellt wird, sondern der Versuch, unter widrigen Umständen das Mögliche herauszuholen. Was man in der Öffentlichkeit tun konnte, sollte man noch tun. Danach im geschützten Bereich für das Überleben der Philosophie sorgen.

Epikurs 39. Grundsatz: „Wer seine Angelegenheiten am besten gegen die Bedrohungen von außen geordnet hatte, machte sich mit allem, was er beeinflussen konnte, vertraut. Was er aber nicht beeinflussen konnte, blieb ihm wenigstens nicht fremd. Wo ihm aber auch dies unmöglich war, vermied er jeden Kontakt und bemühte sich darum, alles zu tun, was dazu nützlich war.“

a) Griechisches Prinzip: nur im geschützten, intimen Kreis der Freunde, nur in abgesonderten philosophischen Schulen konnte der Einzelne durch intensive Gespräche zu sich kommen. Erkenntnisse waren im Lärm der Öffentlichkeit nicht zu gewinnen. Dieser geschützte Raum der Selbsterkenntnis war nicht das Gegenteil zur öffentlichen Sphäre, sondern die Voraussetzung, um vorbereitet und selbstbewusst in die Öffentlichkeit zu gehen und dort seinen politischen Rechten und Pflichten nachzukommen.
Das Private war der Ursprungshort des Demokraten. In der Öffentlichkeit musste er seine erlernte Kompetenz beweisen  solange die Öffentlichkeit nicht so feindlich geworden war, dass man um Leib und Leben fürchten musste. Ein blindes Märtyrertum hätte die Existenz der ganzen Philosophie gefährdet.
Nach Epikur kam die Stoa, die ständig zwischen öffentlichem Engagement und vorsichtiger Zurückgezogenheit schwankte. Dennoch gelang es ihr, die Eliten Roms in ihren Bann zu ziehen. Bei allen Brutalitäten der Lateiner: ohne stoisches Salz im römischen Teig hätte es den langen Frieden und die Toleranz der pax romana in Denk- und Glaubensfragen nie gegeben.

b) Christliches Prinzip: die Frohe Botschaft hasste alle selbstbestimmte heidnische Politik und prophezeite den heidnischen Staatsgebilden den baldigen Untergang. Wenn der Messias kommt  und er sollte schon morgen kommen  war endgültig Schluss mit stolzen Demokratien und Kaiserreichen. Kommt der himmlische Staat auf Erden, wird es aus sein mit allen irdischen Reichen und Politgebilden. Ein privates Revier außerhalb göttlicher Allwissenheit und Überwachung  ausgeschlossen!

Nehmen wir beide widersprüchlichen Prinzipien zusammen, addieren oder multiplizieren sie und teilen sie durch zwei: erhalten wir die abendländische Chimäre des Privaten in ihrer momentanen schillernden Nebulosität. Insofern die moderne Demokratie noch griechische Elemente enthält, ist das Private nur dann ein schützenswerter Raum, wenn von einem pervertierten Staatsgebilde Gefahren für Selbstdenker ausgehen. Heute müssen Snowden & Co in fremde Länder flüchten, um ihre „Privatsphäre“ zu schützen und ihren demokratischen Pflichten nachzukommen.

Für jede wahre Demokratie wäre das Private belanglos, ja verächtlich. Denn jeder stolze Citoyen zeigt seine Fähigkeiten in öffentlichen Taten. Versteckte Gesinnungen? Geheimnisvolles Innenleben, das man ergründen müsste? Uninteressant.
„Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten“: dämlicher kann man Gedankenfreiheit und freies Wirken im „Staat“ nicht missverstehen. Gedanken, die nur Gott erraten kann, sind irrelevante Gedanken.
Das Freud’sche Unbewusste ist das Erbe des christlichen Herzens, in dem unergründlich das Böse lauert. In freien Gesellschaften würde sich das Es schnell in ein transparentes Ich verwandeln. Warum sollte man verdrängen und verbergen, wenn es keine allwissende Instanz gäbe, die das Verborgene des Herzens durchleuchten und bestrafen müsste?

Gleichwohl ist es unabdingbar, das Private zu schützen  als Ort der „Einsamkeit und Freiheit“, um unbeeinflusst von Mächten zu sich zu kommen und seine Persönlichkeit zu entfalten.

Überflüssig zu betonen, dass moderne Demokratien mit der griechischen Urform wenig gemein haben. Allein durch schiere Größe, unvorstellbare technische und wirtschaftliche Machtballungen droht jeder Einzelne erstickt zu werden, wenn er sich nicht nach Belieben zurückziehen kann, um sein Ich frei zu entwickeln und zu stabilisieren.

Jeder Einzelne muss die Möglichkeit haben, Distanz zur Manipulations-, Verführungs- und Propagandagesellschaft einzulegen, um in Einsamkeit und Freiheit (eine Fichte-Formel) über sich nachzudenken und mit Selbstbewusstsein in die öffentliche Arena zurückzukehren. Die Kräfte und Mächte der Weltpolitik sind so gewaltig angewachsen, dass der Einzelne nach Belieben von ihnen zerquetscht werden könnte, wenn er in seinem privaten Zufluchtsnest nicht geschützt wäre.

Religionspsychologisch wird die Furcht vor Überwachung auch damit zu tun haben, dass eine nachchristliche Bevölkerung die Schnauze voll hat, von einem allsehenden Gottesauge rund um die Uhr ausgespäht und kontrolliert zu werden.

In summa: Gesellschaften, in denen private Schutzbezirke von Staat, Wirtschaft, Militär und sonstigen Spähern geschleift werden, können keine Demokratien mehr sein.