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Dienstag, 13. August 2013 – Monotheismen

Hello, Freunde der Logik,

Logik ist ein Lebensmittel. Wer Gesetze der Logik missachtet, zerstört Leben. Sein Leben und das seiner Mitmenschen. Zur Logik gehört die Beachtung natürlicher Gesetze, denn Logik ist selbst ein Gesetz der Natur.

Wer eine Mondrakete falsch berechnet, tötet die Insassen der Rakete, wenn sie beim Start zerbirst. Wer die Statik einer Brücke falsch berechnet, gefährdet die Benutzer der Brücke.

Zur Logik gehört die Lauterkeit der Rede. Wer Ja sagt, kann nicht Nein tun. Sonst gefährdet er den Frieden, der nur durch Lauterkeit des Verhaltens und der Rede gesichert werden kann. Logik ist kein Privileg bestimmter Menschen. Verbrecher können Wahrheit aussprechen, die besten Menschen können sich irren und täuschen.

Es gibt keine menschliche Institution, die Wahrheit irrtumsfrei feststellen könnte. In den Köpfen der Menschen muss sie sich selbst herstellen. Menschen spüren, wenn sie der Wahrheit auf der Spur sind. Beim Berechnen einer Gleichung merken sie, wie die Nebel weichen und sich alles in Wohlgefallen auflöst. In der Politik spüren sie, wie sich Frieden durchsetzt, wenn man Redlichkeit walten lässt. Wahrheit ist

der andere Begriff für Frieden.

Wer vor einiger Zeit behauptet hätte, die jüdische Lobby beherrsche Washington, wäre als Antisemit geächtet worden – wenn er nichtjüdischer Deutscher gewesen wäre. Als Sharon behauptete: „Israel regiert Amerika“, wurde der Satz hierzulande unterdrückt. Wenn Netanjahu vor seinen imperialen Siedlern stolz erklärt, die USA seien „leicht zu bewegen“, sagt er nichts anderes als der angebliche Antisemit. 

(Peter Philipp in der TAZ)

Es gibt viele israelische Stimmen aus den verschiedensten politischen Gruppen, die an der jüdischen Dominanz über die USA nicht den geringsten Zweifel hegen. Die Selbstkritischen wie Uri Avnery mit bedauerlichem Unterton, die Krieger Jahwes in religiöser Selbstgefälligkeit. Wenn dieselbe Aussage von den Richtigen kommt, muss sie richtig, wenn von den Falschen, muss sie falsch sein?

Zu den verheerenden Langzeitfolgen des Holocaust gehört die Aufhebung der Logik. Das haben die Deutschen sich selbst zu verdanken. Dennoch wäre allmählich von Juden und Deutschen zu verlangen, dass eine sinnvolle Erinnerungsarbeit nicht durch Beeinträchtigung elementarer Logik unterlaufen wird. Dass die überlebenden Opfer, ihre Kinder und Kindeskinder traumatisiert waren, muss niemandem erklärt werden, der noch ein Herz im Leibe hat.

Aber auch die Täter waren traumatisiert und haben komplementäre Traumata entwickelt. Bis heute verstehen sie nicht, wie sie als auserwähltes Herrenvolk aus der Gnade der Vorsehung fallen konnten. Die Unheilstradition ihrer Vergangenheit ist ihnen unbekannt, die demokratische Gedankenwelt der Befreier ist für sie lediglich ein Über-Ich-Kropf. Sie sind zu feige, die Ursachen ihrer logischen Verwirrungen zu erkennen und hegen einen innerlichen Groll gegen die Opfer, die sie insgeheim für ihre verdrängten Wahrheitsprobleme verantwortlich machen, anstatt vor der eigenen Tür zu kehren und ihre schizophrenen Welten miteinander zu konfrontieren.

Nur in diesem Konnex kann man die verheerende Wirkung des Satzes verstehen: man muss doch mal sagen dürfen. Warum sagen sie nicht, was sie meinen? Und sollten sie für ihre Meinung geprügelt werden, haben sie das auf sich zu nehmen und sollten darüber nachdenken, was sie selbst tun müssten, um zum angstfreien Dialog zwischen Tätern und Opfer beizutragen.

Für die gefühlte Angst- und Zensurstimmung machen die Täter schon wieder die Opfer verantwortlich. Im kollektiven Unbewussten der Deutschen wird erneut ein unterirdischer Pool antisemitischer Gefühle angelegt. Wer dies verhindern will, muss seine Stimme erheben, auch wenn es für ihn unliebsame Konsequenzen hätte. Im Nachfeld ungeheurer Verbrechen kann niemand erwarten, dass sich beim Räumen der Minen, beim Beweinen der Toten, beim Erinnern an die Gräuel paradiesische Gefühle einstellen. Es gehört zu den schwierigsten Arbeiten des Menschen, seine Schuld und die Folgen der Schuld anzuerkennen.

In Erlösungsreligionen übernimmt ein Gott diese Aufgabe, um die Menschen zu entlasten zum Dank für die Entlastung müssen sie sich das eigene Denken abgewöhnen. Autonome Menschen verschmähen eine Lösung, die sie zu Unmündigen degradiert. Sie versuchen, mit menschlichen Mitteln eine Brücke zu den Anderen zu schlagen. Es wäre ein Brückenschlag der Täter zu den Opfern, aber auch der Opfer zu den Tätern. Es ist im Sinne der Opfer, die Täter zu verstehen, wie es für Täter selbstverständlich sein sollte, ihre Opfer zu verstehen.

Nein, verstehen heißt nicht verzeihen. Sondern heißt Grundlagen schaffen, eine drohende Wiederholung der Untaten zu verhindern. Nur wer sich verstanden hat, kann Abstand zu sich gewinnen und die innere Kausalkette zum Verhängnis unterbrechen. Verstehen ist eine politische Überlebensqualität. Wer diesem Satz nicht zustimmt, hat Freuds Lebenswerk nicht verstanden. (Erst der alte, resignierte Freud hat sich vom Aufklärungspotential seiner Psychoanalyse distanziert.)

Wenn die israelische Regierung Friedensverhandlungen mit den Palästinensern zustimmt, gleichzeitig neue Wohnungen bauen lässt, sagt die Regierung Ja, tut aber Nein. Ihre Unredlichkeit unterminiert jeden Friedensprozess. Ist die Unredlichkeit mit Macht über Amerika verkoppelt, wird die Unredlichkeit zum Zynismus einer Supermacht. Wenn Deutschland und die EU sich den Winkelzügen dieser Supermacht nicht widersetzt, machen sie sich zu Lakaien derselben.

Da der Nahostkonflikt einen zentralen Unruheherd der gesamten Weltpolitik darstellt, kann nur die Wiederbelebung der Logik dafür sorgen, dass die Blockaden der Unwahrheit abgetragen werden und die Völker auf einer neuen Grundlage miteinander ins Gespräch kommen.

Israels Minister für Bauwesen rechtfertigte den Plan für neue Siedlungen: „Kein Land der Welt lässt sich von anderen Ländern vorschreiben, wo es bauen darf, und wo nicht.“  (Andreas Hackl in der TAZ)

Die rigiden Frommen unter den Israelis, die nach Avnery eine riesige Macht im Land ausüben, wollen nicht nur alle Landstriche zurückerobern, die ihnen angeblich ein Gott zugesagt hat. Was, wenn sie die politische Geographie des Alten Testaments wieder hergestellt hätten? Würde dann endgültiger Frieden in Nahost ausbrechen? Oder käme dann der endgültige eschatologische Appetit? Und die Endzeitverheißung ihres Weltgottes käme auf die Agenda ihrer unersättlichen Politik?

Nehmen wir die Verheißung Daniels: „Und das Reich und die Herrschaft und die Macht über alle Reiche unter dem ganzen Himmel wird dem Volk der Heiligen gegeben werden. Ihr Reich ist ein ewiges Reich und alle Mächte müssen ihnen dienen und untertan sein.“ (7,27)

Man braucht keine gefälschten Protokolle der Weisen von Zion, um ihre nie verheimlichten Endzeitphantasien zu entdecken. Fundamentalisten halten an jedem Buchstaben ihrer Heiligen Schrift fest. Willst du wissen, wie Biblizisten ticken, lies ihre biblischen Bücher.

Warum wird getan, als ob es um Geheimnisse ginge? Weil Religion je nach Lage der Dinge als Privatsache getarnt oder als Weltbeherrschung offengelegt wird. Wäre Religion nur ein privater auf griechisch: idiotischer Glaube, wäre er belanglos. Mit einem Privatgläubigen zu sprechen, wäre wenn überhaupt nur aus religionspsychologischen Gründen interessant.

Wie kann man auf die absurde Idee kommen, die Religion eines Herrschers über die ganze Menschheit Natur und Universum inbegriffen als privates Nichts zu betrachten? Als ob es nur um Seligkeit und Verderben in einer jenseitigen Welt ginge?

Erlösungspolitik ist Kampf um Weltherrschaft. Die Auserwählten sollen die finale Herrschaft über die Schöpfung ihres Vaters zurückerobern, der seine Macht an einen diabolischen Widersacher verloren haben soll. In Wirklichkeit hat er sie nicht verloren. Der Allmächtige hat seinen teuflischen Gegner nur aus pädagogischen Gründen ins Spiel gebracht, um seinen Kreaturen einen fitten Sportsfreund anzubieten, an dem sie sich abarbeiten können und von dem sie sich motivieren lassen sollen, um ihre sündige Trägheit zu überwinden.

Naturreligionen fallen nicht unter die Rubrik Erlöserreligionen. Sie kennen weder Heilsgeschichte, noch Sünde, Vergebung, Seligkeit und Verdammung. Macht über die Welt ist ihnen unbekannt. Ihre Zukunft ist ihre Vergangenheit. Sie haben ein zyklisches Zeitmodell und kein lineares, das einem vorherbestimmten Zweck entgegenläuft.

Von weltpolitischer Bedeutung sind allein die drei monotheistischen Religionen. Keine andere Religion kennt vergleichbare Weltherrschaftsphantasien. Dass der politische Charakter der drei Monotheismen noch immer verschleiert wird, hängt mit der listigen oder feigen Selbstdarstellung derselben zusammen was vor allem für die mitteleuropäische Form des Christentums gilt.

Der Islam, das orthodoxe Judentum, das fundamentale Christentum Amerikas lassen keinen Zweifel an ihren weltpolitisch-finalen Ambitionen. Nur das aufgeklärt sein wollende europäische Christentum schämt sich dieser „Mythen“ und hat fast alle dogmatischen Glaubensaussagen über Anfang und Ende der Heilsgeschichte amputiert. In den Augen unaufgeklärter Monotheismen ist das europäische Christentum eine degenerierte Schrumpfform, die mit wahrem Glauben fast nichts mehr zu tun hat.

Da zum nationalsozialistischen Antisemitismus-Grundinventar der Vorwurf gehörte, das internationale Judentum wolle per Zinsknechtschaft und Mammonismus die Weltherrschaft erringen, war die Frage nach der Macht des Judentums in der Nachkriegszeit ein nachvollziehbares Tabu. Schon hinter der unschuldig klingenden Frage witterten die Opfer eine noch nicht bearbeitete Gift- und Hassblase. Womit sie mit Sicherheit nicht immer falsch lagen, allerdings auch nicht immer richtig.

Mittlerweilen haben sich die Völker, selbst Deutschland, nicht wenig verändert. Wir müssen von vorne beginnen, jaja, was nicht heißt, dass der Vergangenheit nicht mehr gedacht werden dürfte. Im Gegenteil. Es ist der Neoliberalismus, der die Vergangenheit tilgt und mit unschuldigen blauen Augen in eine messianische Zukunft schaut.

Von vorne beginnen, heißt, die notwendigen Folgen aus dem Holocaust zu ziehen. Und die können nur sein: gleichberechtigte Völker haben sich auf demokratischer, friedlicher und kritischer Basis über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auseinanderzusetzen. Ohne Emotionen kann das nach allem Schrecklichen nicht geschehen. Es würde zum Lernprogramm der Völker gehören, solche Emotionen nicht zu unterdrücken, vor allem, sie verstehen zu lernen.

Wenn wir verstehen als verzeihen in Misskredit bringen, wenn wir hämisches und schadenfrohes Nichtverstehenwollen zur Grundlage internationaler Politik machen, können wir uns das Zusammenwachsen der Völker abschminken. Wer an der unverbesserlichen Natur des Menschen der aus seinem sündigen Schlamassel nie herauskomme aus pessimistischen, zynischen oder sonstig frommen Verachtungsgründen des Menschengeschlechts festhalten will, für den ist die Lektüre der folgenden Zeilen Zeitverschwendung.

Heute hat jeder denkende Mensch sich ein Bild von der Welt und der Weltpolitik zu machen. Dazu gehört die realistische Einschätzung der Kräfte- und Mächteverhältnisse. Wenn Israel sich rühmt, Amerika nach Belieben seines Weges zu führen, ist es unerlässlich, auch die Macht des „internationalen Judentums“ wahrheitsgemäß einzuschätzen. Ist es wirklich so, dass Netanjahu den amerikanischen Präsidenten um den Finger wickeln kann wie es überall angedeutet und geschrieben steht? Oder sind das eitle Übertreibungen?

Jeder Student der Politologie lernt im ersten Semester, den Faktor Macht in der Realität einzuschätzen. Das Reden über jüdisch-israelische Weltmacht darf nicht länger automatisch als antisemitische Verdächtigung diskriminiert werden. Die NS-Ideologie ist nicht der Nabel der Welt, dass mit einfacher Analogiebildung die Bösen und mit simplen Reaktionsbewegungen die Guten zu entdecken wären. Wenn nach Ingeborg Bachmann jedem Menschen die Wahrheit zumutbar ist, ist auch dem Staate Israel zuzumuten, die Wahrheit seiner Machtverhältnisse offen zu legen.

Es ist unzumutbar, dass die Welt zunehmend von Gewalten beherrscht wird, die sich hinter Tabus und Geheimniskrämereien verstecken. Wenn die NSA eine Zumutung für die demokratische Weltgemeinde ist, so ist die getarnte Weltmacht Israels gleichfalls eine Zumutung. Wer an der Weltspitze mitspielen will, hat sich gefallen zu lassen, von einer wachsamen Weltöffentlichkeit unter die Lupe genommen zu werden.

Hinzu kämen ja noch die Geheimnisse überlegener Silicon-Technologie, die unbekannten Militärstärken von Peking, Indien, Russland oder sonstiger Giganten. In absehbarer Zeit wäre die Weltbevölkerung die Beute apokrypher und apokalyptischer Mächte. Ginge die Entwicklung der Weltmächte ungebremst in Richtung „Geheim & Unerforschlich“, wäre der neue Film „Elysium“ eine realistische Verfilmung unserer unausweichlichen Zukunft.

Es ist ein suizidaler Wahn, die Zukunft als offen und überraschend zu beschönigen. Wie die Weltspieler schon lange nicht mehr in den Startlöchern knien, sondern längst in die Zielgerade einbiegen, so liegt die Zukunft längst fest. Die Zukunft hat schon begonnen? Schnee von gestern. Die Zukunft hat uns im Griff und wir werden mit trügerischen Flunkereien über Offenheit, Neuheit und Grenzüberschreitung an der Nase herumgeführt und eingelullt.  

Alle drei Weltreligionen haben symmetrische Strukturen und müssen in ihrer Verwechselbarkeit erkannt werden. Es gehört zu den gegenwärtigen Großheucheleien, den Muslimen vorzuwerfen, was auch christliche und jüdische Fundamentalisten betrifft. Das europäische Christentum kritisiert einseitig die Muslime, um vom eigenen theokratischen Potential abzulenken. Das gleiche tun Juden, die sich, zusammen mit dem Christentum, in einem aufgeklärten Boot wähnen, aus dem Christen & Juden auf die hinterwälderischen Muslime herabschauen.

Selbst Atheist Dawkins beteiligt sich an diesem zwei-zu-eins-Bashing, indem er den Status des Aufgeklärtseins der drei Religionen an der Zahl ihrer Nobelpreise misst. Danach wäre Amerika mit weitem Abstand das aufgeklärteste Land der Welt, gefolgt von England, danach Deutschland. Der jüdische Faktor ist national nicht verwertbar, denn die meisten jüdischen Preisträger sind amerikanische Juden. Sind sie Amerikaner oder Israelis? Oder werden sie salomonisch aufgeteilt?

Dawkins übersieht, dass die arabische Kultur im Mittelalter die einzige Kultur war, die sich der griechischen Philosophie und Wissenschaft annahm und kreativ fortentwickelte. Nur über Bagdad und Toledo strömte der freie Geist der Griechen ins christliche und jüdische Abendland. Danach kam ein Rückfall der arabischen Kultur in einen despotischen Islam. Der Aufschwung des Abendlandes begann durch Aufklärungsbewegungen, die die Macht der Kirchen immer mehr in die Schranken wiesen.

Auch heute droht jederzeit die Gefahr des Rückfalls in religiöse Denkverbote des Mittelalters. Sei es aus Glaubensmotiven, sei es aus Gründen furchterregender Überwachungs- und Bedrohungsgewalten. Nobelpreise haben mit instrumentellem Verstand, aber nichts mit politischer und philosophischer Aufklärung zu tun.

Naturwissenschaft und Technik der Gegenwart haben sich fast vollständig wirtschaftlichen, politischen oder militärischen Mächten unterworfen und müssen die apokalyptischen Fieberphantasien dieser eigentlichen Herrscher der Welt ins Instrumentelle übersetzen. (Daniel Haufler in der BLZ)

Für alle drei Religionen gilt:

Sie kokettieren mit einer verwirrenden Anzahl kanonischer Aussagen. Was ist die wahre Form des Christentums, Judentums und des Islam? Ist sie identisch mit der Urform ihrer heiligen Schriften? Oder mit den unendlichen Deutungen, Uminterpretierungen und Lesarten der Gläubigen aller Generationen bis zum heutigen Tage?

Wenn Christentum alles sein kann, ist es omnipotent und allwissend. Solche phänomenalen Chamäleons sind undefinierbar, ungreifbar und unwiderlegbar. Das sollen sie auch sein. Das Schillern gilt nicht nur für die dogmatischen Lehren, sondern auch für ihre Moral, die keine abgrenzbare Moral ist, sondern eine beliebig wandelbare, mit jeder Macht verträgliche Moral, die kein Verhalten der Welt ausschließt. Experten reden von antinomischer Moral.

Mit dieser willkürlichen Chamäleonsmoral hat sich das Christentum zur weltbeherrschenden Religion entwickelt: A) Es hat immer recht und B) Es ist an nichts schuld. Es ist eine göttlich-perfekte Erscheinung mitten in der Misere der Menschen. Gegen diese wahrhaft genialen Religionen ist bislang kein Kraut gewachsen. Eine effektive Religionskritik ist weit und breit nicht zu sehen. Der gegenwärtige Atheismus begnügt sich mit erkenntnistheoretischen Marginalien.

Kann man Religionen nicht weiter entwickeln? Jede Religion wäre reformierbar und veränderbar. Neue Deutungen wollen aber nicht reformieren, sondern unveränderlichen Büchern fremde Inhalte aufoktroyieren, die besser sein wollen als der Urtext der Religionen, dennoch aber nach wie vor das Siegel göttlicher Unfehlbarkeit für sich reklamieren. Das schließt sich aus: entweder menschliche Meinung, die zur Debatte steht oder irrtumslose Offenbarung. Beides passt nicht zusammen.

Die meisten Deutungen sind Anpassungen an den Humanismus und die Menschenrechte der abendländischen Aufklärung. Das wäre zwar eine Deutung „ins Gute“, dennoch eine Fälschung des Urtextes, der noch immer unantastbar sein soll. Hier bemühen sich Eleven der Religion, im Geist einer Freiheit, die aus anderen Quellen rührt, sich vom Joch väterlicher Autorität zu befreien ohne sich wirklich vom Vater loszureißen. Es ist wie im Gleichnis vom verlorenen Sohn, der seine Freiheit an Schweine verschleudert und reumütig zum goldenen Erbe des Vaters zurückkriecht.

Mit solche Heiligen Schriften, die unfehlbar in allen Farben des Regenbogens schillern, ist keine pluralistische Demokratie zu machen. Am Ende entscheiden diejenigen, die schon immer entschieden haben: die unfehlbaren Priester, die Macht über Schriften und Seelen besitzen. Haben sie wieder Macht, regredieren sie mühelos auf den ursprünglichen Text, der die Menschen in Erwählte und Verworfene einteilt. Und wieder entscheidet der steinzeitliche und menschenfeindliche Mechanismus: die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen.

Solange der vergiftete Urtext nicht eliminiert wird, vergiftet er aus dem Untergrund das Leben aller Neudeuter, Entmythologisierer und Zeitgeistanpässlinge.

a) Mag es viele gläubige Muslime geben: echte fundamentalistische Muslime gibt es wenige. Zu ihnen gehören die Terroristen, die mit Waffengewalt eine Theokratie herbeibomben wollen.

b) Mag es viele Juden geben: echte fundamentalistische Juden gibt es wenige auch wenn sie in Israel über große Macht verfügen.

c) Mag es viele Christen geben: echte fundamentalistische Christen gibt es wenige. Nur in Amerika wollen Biblizisten mit wirtschaftlichen und militärischen Waffen dem ungläubigen Rest der Welt den Geist Gottes einjagen.

In allen drei Religionen haben sich die Gläubigen in Richtung eines aufgeklärten Humanismus entwickelt. Ihre Gesinnungen sind unbewusste Kompromisse zwischen heiligen Urtexten und Sehnsucht nach Humanität. Die arabische Revolution war ein Aufschrei nach Freiheit und Selbstbestimmung.

Die meisten Gläubigen haben den steinzeitlichen Moralstandard ihrer kanonischen Schriften weltenweit überwunden. Jetzt kommt das große Aber. Das wissen sie aber nicht und wollen es auch nicht wissen. Anstatt zu erkennen, dass ihre neue humanistische Mentalität mit ihren heiligen Schriften inkompatibel ist, bemühen sie sich verzweifelt, ihre emanzipatorischen Erkenntnisse den Urtexten aufzupropfen oder sie mit List und Gewalt aus jenen abzuleiten.

Hier sind sie zum Scheitern verurteilt. Es fehlt ihnen der letzte Schritt, um ihre Bibeln, Talmuds und Korane als normale Bücher zu betrachten, mit denen man hadern und streiten kann. So sind sie gezwungen, ihre neue Lebenssicht uralten Hieroglyphen einzuimpfen. Obgleich ihre Gesinnung schon himmelweit von den Barbarismen ihrer uralten Religion entfernt ist. Es fehlt der letzte entscheidende Schritt: emanzipieren heißt selber denken ohne Abstützung an väterlicher Unfehlbarkeit.

Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen ohne Leitung eines andern. Dazu gehört: ohne Leitung eines Furcht einflößenden Buches oder göttlicher Offenbarungen.

Eine planetarische Menschheit in Gleichheit und Freiheit ist mit Offenbarungsreligionen unverträglich.