Kategorien
Tagesmail

Freitag, 26. Juli 2013 – Gustl Mollath

sie hinter Gitter zu schicken.

Der juristische Begriff Vorsatz soll aus dem 19. Jahrhundert stammen, also aus vorfreudschen Zeiten. Bitte korrigieren Sie mich, hohes Gericht, wenn ich daneben liege, aber Vorsatz muss ein bewusster Vorgang sein – ja oder ja?

Wo Es war, soll Ich werden, hat Freud erklärt – als er noch junger Aufklärer war. Doch das System Bewusstsein vom System Unbewusstes zu unterscheiden, scheint noch aussichtsloser zu sein, als Licht in den deutschen §§-Dschungel zu bringen. Da gibt es das Vorbewusste, das Unterbewusste – umgangssprachlich für das Unbewusste –, das Über-Ich, das auch unbewusst sein kann. Deutsche Richter müssen bewundernswert sein, dass sie neben dem schwierigen Jura-Studium noch eine komplette Psychoanalytikerausbildung auf sich nehmen, um ihrer Klientel gerecht zu werden.

Hinzu müssen sie die Kunst des Gedankenlesens beherrschen. Denn Vorsätze werden selten vorschriftsmäßig – am besten in mehrfacher Ausführung – vor der geplanten Tat schriftlich niedergelegt. Oder mehreren Vertrauen mitgeteilt, damit es Zeugen des Vorsatzes gibt. Denn ohne mündliche oder schriftliche Zeugen bleibt nur Gedankenlesen übrig.

Überhaupt sollte verboten werden, böse Taten ohne korrekt niedergelegte Vorsätze auch nur ins Auge zu fassen. Das allein könnte auf eine besonders verwerfliche, weil bewusst und heimtückisch vorsatzlose Tat hindeuten. Da lebt einer fröhlich und unbewusst in den Tag hinein, stielt und mordet nach Herzenslust: jeder Richter muss ihn freisprechen, denn Vorsätze können ums Verrecken nicht gefunden und nachgewiesen werden.

Heißt nicht ein eherner Grundsatz: Im Zweifelsfall für den Angeklagten? Zweifel müssen erhoben werden, wenn keine Beweise für die Schuld zu finden sind. Muss der Vorsatz zur Tat, nicht nur der Täter der Tat, eindeutig nachgewiesen werden? Wie geschieht das, wenn der Täter so infam war, weder mündlich noch schriftlich seine geplante Tat in die Welt zu posaunen?

Beinahe vergessen: Es gibt noch eine Möglichkeit, den Vorsatz der Menschen zu beweisen. Man muss nur versierte Gehirnforscher in den Regeldienst der Polizei einstellen. Diese könnten durch anatomische Gehirnveränderungen einwandfrei feststellen, welche Bürschchen die Tat begangen haben müssen und welche nicht. Das ist wichtig, denn es soll Menschen mit krankhaften Neigungen zu geben, sich von einem Gericht schuldig sprechen zu lassen – damit sie im Winter ein warmes Plätzchen haben.

Doch langsam: hat die Gehirnforschung die Regionen der Vorsatz-Lappen schon gefunden? Wenn nicht, kommt die Gehirnforschung nicht in Frage. Zudem müsste die Frage erhoben werden: lassen sich die Vorsatzlappen möglicherweise durch pharmazeutische Maßnahmen so verändern, dass bei Leuten mit Vorsatz gar keine Vorsatzlappenveränderungen nachzuweisen wären? Oder umgekehrt?

Wenn‘s jetzt einem schon schwindlig wird, keine Aufregung: es kann nur schlimmer werden. Hier sehen wir ganz düstere Aussichten, Vorsätze per Gehirnuntersuchung einwandfrei nachzuweisen. Denn schon stünden „Schönheitschirurgen“ bereit, jedes von bösen Vorsätzen verseuchte Gehirn durch spezielle Hirnspülungen – oder kirchlich bescheinigte Beichten – porentief zu reinigen. Wie im Iran Nichtmehrjungfrauen sich ihre beschädigten Lustorgane in jungfräulichen Zustand zurückversetzen lassen, so auch bei einheimischen beschädigten Vorsatzlappen.

Wer kein Geld hätte für solche Erneuerungs- und Wiedergeburtsoperationen, der hätte das Nachsehen. Geld repariert die Welt. Früher nannte man das Ablasshandel. Also weg mit der korrumpierbaren Gehirnchirurgie. Was bleibt? Nur noch göttliches Gedankenlesen nach dem Motto: der Mensch sieht, was vor Augen ist, Gott und deutsche Richter sehen das Herz an. (Nein, eine formelle Gottesausbildung ist bei deutschen Richtern überflüssig. Spätestens mit dem zweiten Staatsexamen werden sie automatisch gottähnlich.)

Schaut man bei Wiki unter Vorsatz nach, strauchelt man schon. In katholischer Sicht scheint‘s nur gute Vorsätze zu geben.

„Der gute Vorsatz ist Bestandteil der katholischen Beichte. Er ist die Fortsetzung der Reue und richtet den guten Willen auf eine oder mehrere konkrete Situationen aus, in denen der Beichtende künftig das Böse (vor allem schwere Sünden) meiden und das Gute tun will. Der gute Vorsatz ermöglicht so die ersten Schritte der Besserung des Beichtenden. Er soll konkret, machbar klein und spürbar groß sein“.

Jetzt kommen wir den ecclesiogenen Spuren des Merkel‘schen Durchwurstelns auf die Spur: Machbar kleine Taten, die per Springerpresse spürbar groß werden. Aber: ist Angie nicht protestantisch? Wie kam sie zum gusseisernen guten Vorsatzwillen der Papisten?    

Wie kommt bei Katholiken das Böse zustande, wenn’s nur gute Vorsätze gibt? Sind alle Katholiken seit dem neuen Papst per digitalem Ablass über die Schwelle des Bösen hinweg? (Genügt ein Twitter- und Facebookerlass des Vatikans, um zu einem guten Gewissen & vorsatzlosen Bösen zu kommen, wie neulich zu lesen war?)

Der böse Vorsatz passt nicht mehr zum Zeitgeist – also weg ins Archiv? Im Archiv aber ist nachzulesen, dass die Katholen – im Gegensatz zu den Protestanten – an den Freien Willen glauben müssen. Freier Wille ist guter und böser Vorsatz.

Warum hast du Sünder Böses getan? Weil mein freier Wille es so wollte, ich hatte den freien Vorsatz, Böses zu tun und also tat ich es. Gibt‘s einen Grund, warum du einen bösen Vorsatz hattest? Dumme Frage: gäbe es einen, hätte ich ja keinen freien Vorsatz haben können. Nein, grund- und ursachelos wollte ich Böses tun und tat es. So lässt sich dein böses Verhalten nicht erklären, da du keine Ursache und keinen Grund hattest, Böses zu tun? Du sagst es, endlich hast du es geschnallt. Dann bist du ja ab-grund-tief böse, da du grund-los Böses tatest. Hinweg aus meinen Augen. Schafft ihn aufs Schafott.

Folgt man der Logik des freien juristischen Vorsatzes, dürften in deutschen Gefängnissen nur katholische Straftäter mit korrekt freien guten und bösen Vorsätzen sitzen. Die Protestanten kennen keinen freien Willen, weder die Calvinisten noch die Lutheraner. Nach demoskopischer Schätzung müsste dann ungefähr die Hälfte aller Einsitzenden stante pede entlassen werden.

Oder sollten wir den dunklen Verdacht erheben, dass katholische Dogmen das von Luther geprägte Deutschland übertölpelt hat – wenigstens im Justizbereich? Hier tun sich Abgründe auf. Nach Luther und Calvin sind alle Menschen von Natur aus Schwerverbrecher. In Ihnen ist nichts Gutes, aber auch gar nichts. Nur als Wiedergeborene sind sie sauber und rein. Aber nur in den Augen Gottes. Nicht unbedingt in den Augen der Menschen. Denn vor letzteren dürfen sie noch immer nach Herzenslust sauen und sündigen, wenn sie sich nur an Luthers Regeln halten: sündige tapfer, aber glaube.

Wenn unsere Gefängnisse nur für vorsätzliche Täter gebaut wurden, kann man sie getrost zur Hälfte abreißen. Böse Protestanten sind vom Himmel ferngelenkte Zombies. Sie können nichts für ihre Taten. Schuld ist allein der Himmel, der sie zu Guten oder Bösen prädestiniert. Frage: warum wird der Himmel nicht angeklagt und wegen ferngesteuerter böser Taten hinter schwedische Gitter gebracht? Christlich korrekte Antwort: Der Himmel hatte keine bösen Absichten beim Erschaffen seiner kreativen Sündenkrüppel.

Wie kann ein Mensch überhaupt böse Absichten haben, da er doch als gutes Wesen geboren wurde? Jedenfalls nach Sokrates. Theologisch korrekte Antwort: gute Wesen von Natur aus gibt es nicht. Die Natur ist selbst böse und wird am Ende aller Tage vernichtet.

Wie kann ein Mensch, vom bösen Weibe geboren, zu guten Vorsätzen kommen? Protestantisch korrekte Antwort: er kann nie und nimmer. Selbst als Wiedergeborener bleibt er in hohem Maße böse – nur sein gnädiger Gott rechnet die bösen Taten nicht zu, weil sein Sohn für den Sünder Fürbitte einlegt. Katholisch korrekte Antwort: durch die Gnadenmittel der Kirche. Ob göttliche Interventionen vor einem deutschen Gericht ins Gewicht fallen, darüber hat der christlich fundierte Bundestag noch nicht entschieden.

Wie kann man – nach Sokrates – Böses tun, wenn der Mensch von Natur aus gut sein soll? Sokratisch korrekte Antwort: durch falsches Lernen, das sich bis ins Schreckliche steigern kann, wenn der Irrende selbst Schreckliches erleiden musste. Irren bezieht sich nicht nur auf Peanuts. Fortgesetztes Irren potenziert sich, bis es zwischen Männlein und Weiblein, Gut und Böse nicht mehr unterscheiden kann. Womit wir nahtlos beim guten Vorsatz angekommen wären.

Doch was müssen wir lesen?

Mit guten Vorsätzen ist der Weg zur Hölle gepflastert.

Jetzt dreht sich alles. Hatte Sokrates doch Recht? Der Volksmund stimmt ihm zu? Korrekte Antwort: so ist es. Die gefährlichsten Menschen sind nicht die Bösen – die es nur in den Märchen der Frommen gibt –, sondern die, die ganz schnell die Besten sein wollen. Und ist die Welt nicht willig, so brauchen sie Gewalt.

Nicht die guten Ziele sind schuld, sondern die eingesetzten Mittel, die nicht auf Lernen und Einsicht jedes Einzelnen setzen, sondern den Menschen das Gute auf Teufel komm raus einpeitschen und einbrennen: nach elitärer Einsicht der „Weisen und Wissenden“. Hitler, Stalin, Mao, Jesus brannten vor bestem Willen, den Menschen das Heil zu bringen. Als sie scheiterten, als die Mehrheit der Menschen sie ablehnte, wurden aus Weltverbesserern – Weltverschlimmbesserer, Weltverderber, Welt- und Menschenvernichter.

Wie der Tugendhafte die Hure, die ihn zur Lust verführte, am liebsten massakrieren würde, damit es keine Zeugen seiner ruchlosen Tat gibt, lassen die Weltverbesserer die Welt, die ihr Scheitern sah, lieber hopps gehen, als ihr Scheitern zuzugeben und generellen Bankrott anzumelden.

Die Gefährlichen sind die Guten und Besten, die Brillanten und Genialen, die des Glaubens sind, allein das Gute gepachtet zu haben, die keinen Wert darauf legen, ihre Meinung gemeinsam in demokratischen Lernprozessen zu entwickeln. Es genügt ihnen, dass sie die Wissenden sind, die dem Rest der Welt ihren Willen aufzwingen.

Das kann mit brutaler Gewalt geschehen: dann sprechen wir von Faschismus und Totalitarismus. Der Rest der Menschheit ist nicht einsichtsfähig, also muss Gewalt die fehlende Einsicht ersetzen und überbrücken.

Das kann mit demokratischen Werbemethoden oder geeigneten Geschichts- und Fortschrittstheorien geschehen, dann sprechen wir von Evolution oder Heilsgeschichte. Der Lieblingssatz des faschistoiden Fortschritts und damit des Großteils deutscher Feuilletonisten: „Was auf uns zukommt“. Was auf uns zukommt, bestimmen flapsige Turnschuhschnuckelchen mit genialen Programmierkenntnissen.

Deutsche Wallfahrer ins heilige Silicon-Mecca kehren regelmäßig mit gläubigen Kinderaugen zurück, um jesajanisch zu verkünden, was demnächst auf uns zukommt. Andere reden von Allah, vom Messias oder sonstigen Geschichtsgöttern, die auf uns zukommen und uns am Kragen packen werden, wenn wir sie nicht anbeten. Als man noch deutsch sprach, sprach man von Fatalismus oder Schicksalsergebenheit. Noch früher von göttlicher Prädestination.

Wer den folgenden Artikel über deutschen Vorsatz versteht, wird die Hitzewelle am Wochenende unbeschädigt überstehen. Versprochen:

Hier wimmelt es nur von kognitiven (= wissenden) und voluntativen (= wollenden) Elementen, steinzeitlichen Bestandteilen einer vorfreudschen Psychologie. Man muss Freud nicht Recht geben, man sollte sich aber mit ihm auseinandergesetzt haben.

Dieses Strafrecht ist vorsintflutlich und basiert auf einem Menschenbild, das vom bayrischen Klerus gepredigt wird. Warum sollte ein Mensch wissend und wollend das Böse wollen? Das ist katholisches Menschenbild à la Thomas von Aquin.

Je bewusster der Mensch wird, je besser er sich kennen lernt, je besser und humaner wird er. Wahres Selbstbewusstsein und Unfähigsein zum Bösen: das ist identisch. Böse können Menschen nur werden, wenn sie im dunklen Widerspruch zu sich sind. Wer seine inhumanen Triebe wahrnimmt und ihnen auf den Grund geht, der erträgt es nicht mehr, Menschen leiden zu sehen oder leiden zu machen.

Nur, wer die seelischen Schmerzen seiner Entwicklung verleugnet, der steht unter dem Zwang, sie an andere Menschen weiterzugeben: Durch Erziehung, Politik, durch Macht jeglicher Art. Vor allem durch Zwangserlösung. Menschen, die mit sich in Einklang kommen, werden unfähig, wissentlich und wollend das Böse zu tun.

Menschen, die Böses tun, wissen nichts über sich. Was sie über sich zu wissen glauben, hat mit den Tiefen ihrer Persönlichkeit nichts zu tun. Das Böse ist die Summe ihrer unklaren, widerstreitenden Erfahrungen und Bedürfnisse, die sie zum Bösen zwingen. Böses ist nie die Folge klarer, bewusster Absichten und Vorsätze. Vom Bösen werden wir unwillentlich und unwissentlich übereilt.

Meistens sind wir die Letzten, die merken, dass sie auf anderen herumtrampeln. Hier hülfe nur – Demokratie, die Kultur unbefangener, angstfreier Kritik auf gleicher Augenhöhe. In der Demokratie hindert uns kein Machtgefälle, sorgsam aufeinander aufzupassen. Aufeinander aufpassen – das wäre die Kurzfassung von Demokratie.

Lasst Gustl Mollath frei. Versenkt das deutsche Dinosaurierrecht in den Tiefen des Ozeans. Verzeih, Ozean!