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Donnerstag, 11.07.2013 – Geheimnis

Hello, Freunde der Esoterik,

Demokratie ohne Esoterik, sprach Merkel, könne es nicht geben. Natürlich sprach sie nicht von Esoterik, sondern von Geheimdiensten. Dabei ist das Wörtchen esoterisch vom Ursprung her unschuldig. Es heißt nur innerlich, im Gegensatz zu exoterisch, äußerlich. (Deutsche Innerlichkeit wäre somit eine ziemlich esoterische Angelegenheit gewesen, weshalb sie keine Freundin exoterischer Demokratie sein konnte.)

Die Werke des Aristoteles hat man in esoterische und exoterische eingeteilt. Heute würde man von streng wissenschaftlichen Werken für Fachkollegen und von populären fürs breite Publikum sprechen.

(Dass Experten durchaus nicht immer streng sind, beweist das allseits beliebte Plagiieren, was mit purem Abschreiben nicht identisch ist. Umgekehrt muss populär nicht flach sein, das begreifen die strengen, aber flachen Deutschen nicht.

Der Philosoph Precht gilt schon deshalb als flach, weil er schöne lange Haare hat. Doch Schönheit, das haben strenge Untersuchungen festgestellt, muss exoterisch sein; wie sollte man sie bewundern, wenn man sie nicht vor Augen hätte?

Freiburg, vor 1000en von Jahren Hauptstadt der Grünen, ist längst zur Hauptstadt der Esoteriker geworden – was nicht unbedingt für die Grünen spricht. Der Grüne Esoteriker ist eine in Südbaden ausgemendelte neue Menschenart, die man einer Berliner Kodderschnauze nicht erklären kann.)

Ab wann wurde aus esoterisch – geheim? Wie ick den Laden hier kenne, kann es nur das kleine Jesulein oder ein Kirchenvater gewesen sein. In der Tat bestätigt Wiki: „Im Sinne von „geheim“ benutzte den Begriff esoterikos erstmals

der Kirchenvater Clemens von Alexandria.“

Unsere Geheimdienste, wir ahnten es, sind ziemlich esoterische Angelegenheiten. Jede Demokratie besteht aus einer ordinären exoterischen Mehrheit und einer feinen esoterischen Minderheit. Wenn Habermas heute seine Habilitation schriebe, dürfte er nicht mehr über „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ schreiben, sondern über die „Zeitlosigkeit des Geheimen“. Demokratie beruht auf Öffentlichkeit. Geht Öffentlichkeit verloren, geht Demokratie verloren.

Über Nacht ist das Wort Balance zum Lieblingsbegriff demokratischer Äquilibristen geworden, die auf einem dünnen Seil über den Abgrund balancieren. Als der Artist Nick Wallenda als erster Mensch den Grand Canyon überquerte, kamen störende Winde auf – und zwangen ihn in die Knie. Balance zwischen Sicherheit und Freiheit, das klingt wie Balance zwischen Teufel und Gott, da kann Demokratie leicht in die Knie gehen.

Was ist die Balance zwischen Gut und Böse? Zwischen X und Nicht-X? Sollte man nicht besser von Kompromissen sprechen? Unvermeidlichen faulen Kompromissen? Faul deshalb, weil es keine synthetische Einheit aus X und Nicht-X geben kann? Balance klingt nach Gleichgewicht und Harmonie. Was ist das harmonische Gleichgewicht aus Hitler und dem Grundgesetz? Aus Stalin und Menschenrechten?

Merkel sieht beim Balancieren keine Probleme: „Den Schutz vor terroristischen Anschlägen bestmöglich zu gewährleisten, sei „ohne die Möglichkeit einer Telekommunikationskontrolle“ nicht möglich. „Die Arbeit von Nachrichtendiensten in demokratischen Staaten war für die Sicherheit der Bürger immer unerlässlich und wird es auch in Zukunft sein“, sagte die Kanzlerin. Ein Land ohne nachrichtendienstliche Arbeit wäre zu verletzlich.“ (DER SPIEGEL)

Betrachtet man alles in allem, gibt es verschwindend wenige Opfer von Terroristen, verglichen mit Opfern ordinärer Kriminalität. Man könnte auch an die Opfer des Straßenverkehrs, der Naturverschandelung, des besonders gefährlichen homo öconomicus denken.

Das Böse überhaupt verwüstet das ganze Menschengeschlecht seit Beginn der Menschheit und noch niemand hat die prophylaktische Vernichtung der Schlangen gefordert. Nicht mal ihr persönlicher Schöpfer, der allen Grund gehabt hätte, diese unappetitlichen Viecher vom Erdboden zu vertilgen. Was tat er stattdessen? Gott – sein Name sei gepriesen – begnügte sich mit verbalem Verfluchen. Er hätte besser daran getan, mit einem klitzekleinen Blitz das Übel in Feuer und Rauch aufgehen zu lassen.

Was würden wir sagen, wenn Mr. Obama eine oberste Verfluchungsstelle einrichtete, um alles Böse in Amerika in die Hölle zu wünschen? Das wäre erheblich billiger als NSA und auch effektiver. Die Menschen glauben selbst, dass sie Schurken sind und würden ihrer Verfluchung durchaus zustimmen – ohne sich gegen eine faschistische Überwachungsbehörde wehren zu müssen.

Aber halt. Obama verfügt ja über eine solche Verfluchungsbehörde. Sie nennt sich Kirche, gibt sich aus Tarnungsgründen unabhängig, um aus ideellen Gründen mächtiger zu sein, als sie wäre, wenn sie im Dienste des Staates stünde. Die Kirchen sind die NSA-Behörden der christlichen Staaten. Als Knechte und Mägde des Herrn sind sie Teil der allerbesten Überwachung, die man sich ausdenken kann, der Gedankenkontrolle des Himmels.

Der Mensch sieht, was vor Augen ist, Gott sieht das Herz an. Da die Priester noch keine Gedanken lesen können, haben sie die Ohrenbeichte eingeführt. Dort erfahren sie alles über terroristische Anschläge gegen Gott und seine Diener und über den aktuellen Sündenpegel ihrer Schäfchen.

Diese priesterliche NSA-Gesellschaft ist Überwacherin, Anklägerin, Richterin und Vollstreckerin in einer Person. „Was ihr auf Erden binden werdet, das wird im Himmel gebunden sein und was ihr auf Erden lösen werdet, das wird im Himmel gelöst sein.“ Das ist die Schlüsselgewalt der Kirchen. Wen sie durchlassen, der kommt durch, wen sie verfluchen, der hat in Ewigkeit keine Chancen.

Natürlich ist das ganze System wirkungslos, was die Ausrottung des Bösen betrifft. Wirkungslos soll es auch sein. Sonst verlöre die priesterliche Schlüsselgewalt auf Erden ihre Funktion und Gewalt. Schlüsselgewalt als Nadelöhr in den Himmel ist die denkbar größte Gewalt, die es auf Erden geben kann. Die ecclesiogene Security ist keine pädagogische Anstalt, sie will niemanden vom Bösen abhalten. Gelänge ihr dies, würde sie sich als Wadlbeißer des Herrn überflüssig machen.

Nein, sie will ihre Macht über die Seelen ausbauen und gegen alle Angriffe immunisieren. Das sogenannte Böse ist die beste Legitimation, die Menschheit an die Leine zu legen. Waren es 75 Milliarden Dollar, die der amerikanische Staat an die Seelenschnüffler überweist? Was könnte man mit diesen ungeheuren Geldern anfangen, um bessere Schulen und Jugendgefängnisse einzurichten? Um das soziale Elend der Unterschichten und die Brutherde der aus Not geborenen Kriminalität zu bekämpfen? Um Kümmerer an Brennpunkten der Gesellschaft einzustellen?

„Abweichendes Verhalten“ – um mal cool soziologisch zu reden – hat Ursachen. Ursachen könnten benannt und kuriert werden. Wenn, ja wenn man die Ursachen sehen und kurieren wollte. Die Eliten wollen das gar nicht. Zuerst schicken sie ihre wissenschaftlichen und medialen Kettenhunde, die alles Reden über soziales Elend, über links und rechts, mangelnde Gerechtigkeit und unglückliche Kindheit als nervende Scharlatanerie vom Tisch wischen. Sie wollen eine gut funktionierende Gesamtmaschine, früher Gesellschaft genannt, die ununterbrochen kleine Maschinen aus ihrem kreativen Stahlleib gebärt, um Wohlstand und Fortschritt zu generieren.

Generieren kommt von Genesis, womit die Generatoren der Unendlichkeit sagen wollen, dass sie die eigentlichen Schöpfer der Weltgeschichte seien. Zu den Maschinisten des BIP gehört der Zukunftsforscher Matthias Horx, der so nebenbei auch die Demokratie dem Moloch Zukunft opfern will und eine Große Konkordanz-Koalition fordert, um sinnlose Streitigkeiten und störrische Oppositionsgruppen zu überwinden. Das würde in der Schwyz doch auch funktionieren, und ist das Alpenland keine vorbildliche Demokratie?

Ist sie nicht, was die oppositionslosen Einheitsregierungen betrifft. Ist sie sehr wohl, was die direkten Volksabstimmungen betrifft – die von deutschen Konkordanz-Maschinisten mit Emphase abgelehnt werden. Menschen, die nicht in der Gegenwart leben können, müssen Zukunftsforscher werden. Da es keine Zukunft gibt – im selben Moment, als sie Land betritt, wird sie Gegenwart –, erforschen sie das blanke Nichts. Die Konkordanz eines ganzen Volkes hieß noch vor kurzem: ein Volk, ein Reich, ein Führer. (Matthias Horx in der BLZ)

Verhältnismäßigkeit der Mittel? Die NSA ist so verhältnismäßig, wie eine Pressluftramme beim Zerquetschen einer Stechmücke. Absolute Sicherheit gebe es nicht, sagen uns belehrend weltkundige Politiker. Als ob es einen einzigen Menschen auf der Welt gäbe, der das anders sähe. Absolute Sicherheit muss es geben, sagen aber die Omnipräsenzaugen der NSA.

Warum nicht alles wissen, warum nicht alle Daten der Welt sammeln? sagte Keith Alexander der Große, der zuständige General für Allwissenheit. Immer mehr wachsen unsere transatlantischen Vettern in die Rolle derer hinein, die sie ihrem Glauben nach schon immer spielten: in die gottähnlicher Lieblingssöhne des Allmächtigen. Allmacht ist nicht mehr lange das Alleinstellungsmerkmal ihres himmlischen Vaters. Sind sie rund um den Globus schon lange allpräsent, werden sie jetzt allwissend, um demnächst allmächtig zu werden.

Omnipräsenz, Omniszienz und Omnipotenz sind die drei wichtigsten Eigenschaften ihres biblischen Schöpfers. Obwohl es wesentlich mehr Opfer standardisierter krimineller Energie gibt als Opfer des Terrorismus: was tut der amerikanische Staat dagegen? Er unterstützt alle Bestrebungen, die Verbrechensursachen durch neoliberale Maßlosigkeiten noch zu erweitern und zu vertiefen. Die Gesellschaft wird nicht mit sich ausgesöhnt, sie wird gegeneinander aufgehetzt.

Gott hätte seinen Widersacher mit einem Blick auslöschen können. Er wollte nicht. Denn er benötigt den Diabolo, um seine eigene Macht zu sichern. Das Böse ist die Dauerlegitimation einer Superbehörde, deren Zweck darin besteht, ihre Menschheitsüberwachung dauerhaft zu beglaubigen. Sie brauchen das Böse als Vorwand, um es ununterbrochen zu beseitigen.

Was würde die Menschheit sagen, wenn ein Staat eine gigantische Polizeibehörde einrichtete, um die stets gleichbleibende Quote an Verbrechern mit Stumpf und Stiel auszurotten? Nach der Zweireichelehre hat Gott den Staat erschaffen, um dem Bösen so gut es geht Einhalt zu gebieten. Nicht, um das Böse fundamental auszurotten. Das bleibt Gott am Ende der Tage vorbehalten. Solange die Erde besteht, bleiben Raub, Mord, Lügen und Stehlen. Erst am Jüngsten Tag wird die Axt dem Bösen an die Wurzel gelegt. Bis dahin bleibts beim vorläufigen Eindämmen.

Im Zweifelsfall haben die USA in ihrem uralten Kampf zwischen Glaube und Demokratie stets die Fassaden der Demokratie gewahrt. Nun scheint ein Quantensprung eingetreten zu sein, das sichere Zeichen, dass das Jüngste Gericht nahe herbeigekommen ist. Ab dem Drohnenkiller Obama verlässt Gods own country den Bereich der endlichen Terra Mater und durchbricht die Schallmauer, die bislang geistliches und weltliches Reich, Transzendenz und Immanenz voneinander trennte.

Die USA, nicht anders als alpinistische Grenzüberschreiter, testen ihre Grenzen nach oben aus: sie transzendieren sich. Die augustinische Zweireichelehre haben fertig. Gott und sein auserwähltes Land verschmelzen. Mit Gott zur Einheit werden, ist Mystik. Mystik braucht Esoterik. Esoterik braucht Potestas Dei. Wir nähern uns mit Lichtgeschwindigkeit dem heilsgeschichtlichen Finale, wo es niemals Nacht wird und das ewige Licht alles an den Tag bringen wird, was im Endreich des Heiligen nichts zu suchen hat.

Micha Brumlik verdanken wir den nützlichen Hinweis auf die „lettres de cachet“, die Geheimbriefe des französischen Königs kurz vor der Französischen Revolution, mit deren Hilfe unliebsame Elemente des Volkes für ungewisse Zeit in den Tiefen der Bastille verschwanden.

„An der Bastille und ihren Häftlingen ist vor allem bemerkenswert, wie sie dorthin kamen. Keineswegs war das Ancien Régime unter dem unseligen letzten Bourbonen, Ludwig XVI., ein reiner Unrechtsstaat Kriminalverbrechen wurden in ordentlichen, wenn auch nicht strikt öffentlichen Gerichtsverfahren geahndet. Das galt aber nicht für jene Personen, die in die Bastille verbracht wurden. Sie saßen dort aufgrund eines „lettre de cachet“, eines „Geheimbriefs“, aufgrund dessen beliebige Personen heimlich auf Jahre aus dem Verkehr gezogen werden konnten. Die „lettres de cachet“ waren versiegelte Briefe mit der Signatur des Königs oder eines Ministers.“ (Micha Brumlik in der TAZ)

Wer Macht beansprucht, braucht Geheimnisse. Denn Geheimnisse erweitern die Macht, Macht schützt das Geheimnis. Geheimnis ist Herrschaftswissen über die Geheimnislosen, Nüchternen und Verständigen.

Keine Religion, die auf sich hält, ohne tiefe und unausdenkbare Geheimnisse. „Jetzt ist das Geheimnis allen Heiligen offenbar geworden, das verborgen war, seitdem es Geschlechter gibt. Ihnen wollte Gott kundtun, welches der Reichtum der Herrlichkeit dieses Geheimnisses sei, welches ist: Christus in euch.“ Das Geheimnis des Geheimnisses ist der Reichtum des Herrn, die vollständigen Schätze des göttlichen Besitzers der Erde, der seinen Reichtum seinen Kindern als Erbe übergibt. Ein Eldorado aus Gold, Silber und Edelsteinen, wenn man der johanneischen Offenbarung folgt.

Auch Paulus verrät seinen Korinthern ein göttliches Geheimnis: „Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden im Nu, in einem Augenblick der Posaune, denn die Posaune wird erschallen und die Toten werden auferweckt werden unverweslich und wir werden verwandelt werden.“

Geheimnisse müssen offenbart werden, um Gläubige zu locken, auf dass sie unermesslich gesegnet und belohnt werden. Offenbarungen und Geheimnisse bedingen einander. Wer über Geheimnis und Offenbarung verfügt, ist allmächtig. Paulus’ Offenbarung des Geheimnisses ging gründlich daneben. Zu seinen Lebzeiten tat sich nichts. Niemand wurde vom Tode auferweckt, niemand fuhr in den Himmel.

Ein Geheimnis ist nicht nur ein Herrschafts-, sondern ein separierendes Seligkeitsmittel. Es trennt die Menschheit in Spreu und Weizen: „Er aber antwortete und sprach: Weil es euch gegeben ist, die Geheimnisse des Reiches der Himmel zu erkennen, jenen aber ist es nicht gegeben.“

Jesus redete in Gleichnissen, damit nicht alle Hörer seines Wortes just for fun selig werden könnten. Nur die Erwählten sollten den Sinn der Gleichnisse verstehen, die anderen sinnloses Gestammel hören.

Die NSA ist eine Geheimbehörde, die von einem geheimen Gericht überwacht wird, deren Berichte geheim sind. Dass Demokratie eine Demokratie ist, wird demnächst zum Staatsgeheimnis erklärt werden.  

„Die Entscheidungen des Gerichtes sind als geheim eingestuft, was dazu führt, dass der normale juristische Prozess hier nicht greift.“ (DER SPIEGEL)

Demokratie wird von Geheimnisträgern ruiniert. Angelegenheiten des Volkes werden zu esoterischen Machenschaften.

Brüder und Schwestern, ich verrate euch ein Geheimnis. Bald wird es keine Demokratie mehr geben – wenn wir sie Offenbarern und Transzendierern überlassen, die Staat und Kirche zu einer totalitären Einheit verschmelzen.