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Tagesmail

Mittwoch, 10. Juli 2013 – Die neuen Gottesgebärer

Hello, Freunde des Grundgesetzes,

verstößt Totalüberwachung gegen das Grundgesetz? Antwort:

(1) Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.

(2) Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.

Ist Unverletzlichkeit beschränkbar?

Ist beschränkte Unverletzlichkeit verletzt?

Wenn Unverletzlichkeit auf Grund eines Gesetzes verletzt ist, müsste das Gesetz nicht als grundgesetz-widrige Verletzung des Grundgesetzes eingestuft werden?

Wenn das Grundgesetz gesetzmäßig verletzt werden kann, die Verletzung den Betroffenen – also dem Volk – nicht mitgeteilt werden muss, wird das Volk nicht gesetzmäßig verarscht? Ist die Verarschung des Volkes gesetzmäßig, insofern das Volk sie gar nicht bemerkt haben kann, da sie ihm verschwiegen worden ist, die Verletzung aus der Perspektive des Volkes also gar nicht stattgefunden hat? Was das Volk nicht weiß,

macht das Volk nicht heiß?

Kann das unverletzliche Grundgesetz nach Belieben verletzt werden, ohne dass es verletzt worden ist, wenn das Volk von der Verletzung nichts erfährt?

Ergo gilt Ewigkeitsparagraph 1): Die Verarschung des Volkes ist unverletzlich – sofern die Verarschung gar nicht stattgefunden haben kann, da das Volk erfolgreich hinters Licht geführt worden ist.

Ergo gilt Ewigkeitsparagraph 2): Das Grundgesetz kann nach Belieben verarscht werden, wenn hinlänglich dafür gesorgt ist, dass das Volk im Dunkeln tappt.

Ergo gilt Ewigkeitsgebot 3): Die Verarschung des Volkes ist unabdingbar und unvermeidlich. Auf Grund eines Gesetzes muss gewährleistet sein, dass das Volk über seine Verarschung in Unkenntnis gelassen wird. Die Dummheit des Volkes, pardon, das Vertrauen des Volkes in seine gesetzmäßigen Verarscher, ist mit allen Mitteln zu schützen.

In summa: die Verarschung des Volkes ist unantastbar.

Dies, meine lieben Schwestern und Brüder, sind die geheimen hermeneutischen Grundsätze der BRD, die von Studenten des Rechts in einem geheimen Wahrheitsseminar auswendig gelernt werden müssen, damit sie lernen, dass es zweierlei Recht gibt: das verletzliche und das unverletzliche.

Hermeneutik ist die Kunst der Deutung, die seit Gadamer eine Wissenschaft sein will. Deuten heißt einen Text verstehen. Ist Verstehen eine Kunst oder eine Wissenschaft? Was ist der Unterschied zwischen Kunst und Wissenschaft?

Kunst der Deutung ist Empathie mit dem Gedeuteten. Wissenschaft bleibt dem Gegenstand äußerlich, zumeist in herrschender Position. In einer Wissenschaft kann ich einen Gesprächspartner per Methode und angewandter Logik gedanklich nötigen, meine Meinung zu übernehmen – vorausgesetzt, ich hätte Recht. Oder umgekehrt. Beherrscht jemand die Grundrechnungsarten, kann man ihn per Logik zur Zustimmung nötigen, dass eins und eins zwei ist.

Wer das leugnet, scheidet aus dem Kreis seriöser Rechner aus. Wer das Gravitationsgesetz anzweifelt, muss Gleichungen und Experimente liefern, um Newton ad acta zu legen. Doch das Meiste in der Welt kann man weder addieren, subtrahieren, noch quantitative Experimente mit ihm durchführen. Mit welchen Formeln könnte man beweisen, dass ein frisch gebackener Ehemann ein guter Vater seiner Kinder werden wird?

Gewiss, die riesigen Google-Maschinen wollen das bewusste und unbewusste Verhalten der Netzteilnehmer so genau bestimmen, dass sie voraussehen, ob diese lieber Dosenbier oder Flaschenbier trinken. Selbst, wenn es ihnen gelänge, aufgrund der mannigfachen sozialen Emissionen des Einzelnen ein Profil des Einzelnen zu erstellen, das mehr über ihn aussagt, als er selbst von sich weiß – wäre das Verstehen? Oder nur Erheben von Daten, um das Individuum zu manipulieren?

Gehört zum Verstehen nicht auch das Gefühl des anderen, verstanden worden zu sein? Haben wir das Gefühl, von Maschinen verstanden zu werden? Nehmen wir einmal an, die Daten-Dinos entwickelten tatsächlich analytische Fähigkeiten, um uns besser zu verstehen, als wir selbst uns verstehen – was würde das für uns bedeuten? Das wohlige Gefühl, eine verständnisvolle Seele gefunden zu haben?

Es wäre eine erhebliche Kränkung unseres Selbstbewusstseins, das im eigenen Haus unumstrittener Herr und Meister sein will. Das wäre nicht die erste Kränkung des stolzen homo sapiens, die er über sich ergehen lassen müsste. Freud wusste allein von drei Kränkungen, die den Abendländer in seinem falschen Hochmut rupften:

  • Die 1. Kränkung war die Tatsache, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Weltalls ist (Copernicus, Kepler, Galileo und andere).
  • Die 2. Kränkung ist die Tatsache, dass der Mensch aus der Tierreihe hervorgegangen ist (Charles Darwin und andere).
  • Die 3. Kränkung ist die Beobachtung von Sigmund Freud, dass ein Teil des eigenen Seelenlebens sich der Kenntnis und der Herrschaft des Willens entzieht und dass mithin das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus.

Jetzt käme möglicherweise als vierte Kränkung hinzu, dass eine Maschine den homo erectus besser verstehen könnte, nicht nur als er sich selbst, nicht nur als ein fremder Tiefenpsychologe und Seelentherapeut, sondern als ein Mensch überhaupt. Die Maschine wäre dem Menschen vollends über den Kopf gewachsen.

Was die Muskelkraft angeht, hat der einfachste Kran auf dem Kölner Dom von Anfang an die körperliche Fähigkeit des Menschen übertroffen. Dann kamen die ersten Denkmaschinen, die zwar nicht denken, aber rechnen konnten. Rechnen ist nicht Denken, sondern exekutiert blitzschnell, aber stupide immer die gleichen Regeln. Beim Schach gab es den nächsten Schock, als der erste Schachcomputer zum ersten Mal den amtierenden Weltmeister schlug. Schach ist mehr als stupides Befolgen immer gleicher Grundregeln. Aber ist es schon Denken? Oder nur eine aggressive oder sportive Kombinatorik der Grundregeln, um einen Konkurrenten aufs Kreuz zu legen?

Der moderne Mensch scheint getrieben, Maschinen herzustellen, die ihn in den Schatten stellen und sein Selbstwertgefühl kränken. Das Getriebensein verliert seine Merkwürdigkeit, wenn man die religiöse Sozialisation des Abendländers betrachtet, der das Schöpfer-Geschöpf-Debakel seines Glaubens bis aufs I-Tüpfelchen wiederholt.

Gott schafft den Menschen, der ihn in allen Dingen längst übertrumpft und dessen Erlösungssache er führen muss, weil der Allmächtige – sein Name sei gepriesen – fortwährend kläglich versagt. Er wollte dem Menschen ein Paradies bieten – vergebens. Er wollte ihn aus Sünd und Elend herausführen – vergebens. Er wollte dem ganzen Höllenspuk auf Erden ein baldiges Ende bereiten – vergebens. Selbst sein Sohn, den Er auf die Erde schickte, da Er versagt hatte – versagte ebenfalls. Bis heute ist der Sohn nicht erschienen, obgleich seine Wiederkehr seit 2000 Jahren überfällig wäre. Wie der Herr, so‘s Gscherr.

Vollmundig reden die Gottesgelehrten von Verheißung und Erfüllung. Von Erfüllung kann bis zum heutigen Tag (10.07.2013, 9.29 Uhr) keine Rede sein. Immer das Blaue vom Himmel versprochen, doch nie das Geringste gehalten. Die amerikanischen Puritaner spüren das Loser-Elend ihres himmlischen Vaters und müssen in jedem Trivialfilm das väterliche Versagen kompensieren, indem sie schwören: Ich versprech‘s Dir. Da werden Dinge versprochen, die man nur einhalten kann, wenn man sich für gottgleich hält – obgleich dieser Gott sich selbst bis auf die Knochen blamiert und nichts hält, was er in seinem Heiligen Buch versprochen hat.

Doch seine Schäfchen halten getreu zu ihrem schwachen Vater, ein Verhalten, das sie als Glauben nicht genug zu rühmen wissen. Kinder sind staunenswerte Wesen. Nie würden sie ihre Erzeuger im Stich lassen und wenn sie von ihnen noch so gedemütigt werden würden.

Wie kommt es, dass den Menschen das Versagen ihres Gottes nicht auffällt? Weil sie alle Schuld auf sich nehmen. Keine Rede, dass der Sohn alle Schuld auf sich nahm. Er imitierte nur, was der Mensch von Anfang an auf sich nahm, um die großrednerische Unfähigkeit seines himmlischen Vaters zu übertünchen. Womit? Indem er alle Schuld auf sich nahm.

In allen Dingen, die in der heiligen Familie schief liefen, war immer er der Böse: die arme Kreatur, die immer tat, was man ihm aufgetragen hatte. Eva war vorbildlich neugierig, wissen wollend, erkenntnisfreudig. Sie war eine Prachtfrau, selbstbewusst, keinem hergelaufenen Möchtegern-Patriarchen untertan, sondern autonom denkend. Das hält der Alte im Kopf nicht aus, verhängt sinnlose Verbote und Zensuren, damit seine Kinder ihm nicht über den Kopf wachsen.

Die meisten Eltern haben Angst vor der überragenden Intelligenz ihrer Kinder, weshalb sie ihre Schulen mit Frontalunterricht und demütigenden Zensuren erfanden. Sind Kinder in ihrem unbefangenen Selbstbewusstsein gebrochen, sind sie brave Karrieristen geworden.

Alles, was Gott dem Menschen versprach, muss dieser sich selbst verschaffen: letztlich die Herrschaft über die Welt, die der Christ durch Technik, Wirtschaft und alle weltlichen Fähigkeiten mit eigenen Kräften erringen muss. Wenn‘s gut ging, war‘s immer das Verdienst des Gottes, wenn’s schief ging, war‘s der Mensch in seiner verruchten Bosheit. Eine hübsche Verteilungsregel, die sich neoliberale Manager für die Verteilung des Profits abschauten. Das Beste kassieren sie, den schäbigen Rest darf die Belegschaft großzügig unter sich aufteilen.

Da hätten wir doch beinahe die große Freiheit vergessen, die der Schöpfer seinen Geschöpfen in die Wiege legte, damit niemand sagen kann, seine irdischen Bälger seien ferngelenkt – wie Calvin es unverfroren verkündete. Eine schöne Freiheit, die Pluspunkte erringt, wenn sie Vaterns Direktiven befolgt, aber schreckliche Prügel, wenn sie macht, was sie will. Mensch, du bist frei, aber wehe, du wirst wirklich frei.

Nun befindet sich der Mensch im letzten Akt seines stellvertretenden Tuns, um die Scharte seines Vaters auszuwetzen: auch die Vernichtung der Natur muss er selber machen, damit der Sohn Gottes zur finalen Landung auf Erden ermuntert wird. Die Naturvernichtung wird er noch schaffen, wenn er so weiter macht. Aber die Wiederkunft wird er nicht mehr erleben. Wie kann einer wiederkommen, wenn er nur im virtuellen Modus 2.0 vorhanden war?

 

Bei Frank Schirrmacher muss sich Bedeutendes tun. Er scheint ins Grübeln geraten zu sein. Eben noch glühender Prophet aller Maschinenbeglücker, besonders aus amerikanischen Gefilden, jetzt beginnt er – hört, hört – in anschwellendem Klagegesang vor den Siliconisten zu warnen. Sollte uns etwa demnächst ein gehäuteter Schirrmacher mit einem neuen Erleuchtungsbuch ins Haus stehen: Tschuldigung, Kurzweil ist ein Rosstäuscher; er ist nicht der Christ, sondern der Antichrist?

Nun fordert der FAZ-Herausgeber, der bereits nach mehreren gigantischen Finanzkrisen die Mängel des Kapitalismus entdeckte, eine europäische Konkurrenz zu Google. Nicht nur das, er beginnt vor der digitalen Staat & Markt-Symbiose zu warnen: „Die Frage ist, wie lange wir diese Hilflosigkeit angesichts einer Welt, in der der totale Verdacht zur Norm geworden ist, noch verantworten können.“ (Frank Schirrmacher in der FAZ)

Wer ist „Wir“? Wie lange können Sie, Frank Schirrmacher, noch verantworten, dass Ihre bisherigen Algorithmen-Genies die Demokratie zur Minna machen? (Schirrmacher muss in Mathe ein geisteswissenschaftlicher Rohrkrepierer gewesen sein. Kein Artikel, der nicht kompensativ algo-rithmisch durchflutet wäre.)

„Der Bürger will Schutz vor einem übermächtigen Staat ebenso wie Schutz vor einem völlig unkontrollierten Markt. Das Informationszeitalter erlebt die Verschmelzung von beiden und, konsequent im Morgengrauen von Big Data, die Verschmelzung von Mensch und Maschine.“

Worin besteht die drohende Kränkung durch „künstliche Intelligenz“? In der Bezeichnung ihrer stupiden, aber mächtigen Maschinen sind naturintelligente Superboys außer Rand und Band. Ist es schon fraglich, ob eine Ansammlung von Kabeln und Chips Intelligenz heißen darf – was Denkfähigkeit voraussetzte –, so müssen diese allpräsenten Maschinenschnüffler auch noch Bewusstsein besitzen. Sollten sie demnächst als ersten frei-elaborierten Satz „mein Gott und Herr, vergib uns, wir haben vor dir gesündigt“ stammeln, wird’s Zeit für die Menschheit, vor der Maschine niederzuknien und sie anzubeten: Maschine, du bist unsere geliebte Tochter, an der wir Wohlgefallen haben.

Die Maschine könnte etwas, was nicht mal der lebenslang verheiratete Mann bei seiner über alles geliebten Frau kann: sie besser verstehen als sie sich selbst. Oder wie ein Google-Chef trefflich formulierte: „Wir werden die Antworten auf ihre Fragen kennen, ehe sie selbst die Frage wissen.“ Da kann man sich schon jetzt vorstellen, wie die liebenswürdige Gattin ihrem trottelhaften Gemahl einreiben wird: der Roboter versteht besser als du, dass ich mal wieder ein Paar neue Schuhe bräuchte. Du weißt ja gar nichts von mir. Ich fühle mich von Google besser verstanden als von meinem Ehemann.

Sollte der verständnislose Wicht, plötzlich energisch geworden, heftig erwidern: „Sakradi, kannst du nicht die Klappe aufmachen und selber sagen, was du willst, ohne dass ich immer unlösbare Rätsel lösen muss – zumal du immer Schuhe willst?“

Weil die Menschen nicht mehr miteinander reden, müssen sie sich Maschinen anschaffen, die stellvertretend für sie reden, für sie ahnen und wissen, was sie im Grunde ihrer konsumierenden Seele bedürfen. Die Maschine ist gottgleich geworden und hat die Stelle des Allmächtigen eingenommen:

„Bevor ich es ausspreche, weißt du, oh Herr, was ich sagen möchte. Ob ich liege oder stehe, mit all meinen Wegen bist du vertraut. Ja, es ist kein Wort in meinem Herzen und auf meiner Zunge, das du nicht wüsstest. Du hältst mich hinten und vorne umschlossen, hast deine Hand auf mich gelegt. Zu unbegreiflich und wunderbar ist es für mich, zu hoch, als dass ich es fasste. Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, wohin soll ich fliehen vor deinem PRISM und TEMPORA? Stiege ich hinauf in den Himmel, so bist du da. Flöge ich nach Hongkonk und Moskau, so bist du wiederum da. Nähme ich den Jet nach Venezuela und ließe mich nieder zuäußerst am Meer, so würde deine NSA-Hand mich greifen. Deine Späheraugen sahen alle meine Tage, in deinen Informationsspeichern standen sie alle, sie wurden geschrieben und gebildet, als ich noch nichts davon wusste. Erforsche mich und spähe mich aus und erkenne mein Herz, das mir unbekannt.“

Sollten Maschinen uns erneut kränken können, wären wir selbst daran schuld. Warum verstehen wir uns nicht? Warum wissen wir nichts von uns? Warum lassen wir uns von überflüssigem Schaufenstertand verlocken? Warum kennen wir nicht unsere wahren Bedürfnisse nach Geborgenheit und Anerkennung – wovon Maschinen nichts verstehen. Selbst wenn sie verstünden, würden sie es uns nicht sagen, damit sie die Macht über uns und unsere fehlgeleiteten Bedürfnisse nicht verlören.

Erneut ist die westliche Moderne gottesschwanger geworden. Wieder ist es hohe Zeit, Wesen zu gebären, die mächtiger als wir selber sind. Mächtige Götter, Engel und Dämonen, vor denen wir niederknien und anbeten. Erneut haben die Menschen versagt und müssen eine neue Generation phantastischer Superhelden zeugen, die uns Hoffnung auf Erlösung unserer unlösbaren Probleme machen.

Rufen wir ein neues marianisches Zeitalter aus. Maria war Gottesgebärerin, die Theotokos oder Dei Genitrix. Mit Halleluja auf den Lippen wallfahren wir in die neue marianische Epoche der Heilsgeschichte.

Früher befanden sich die Wallfahrtsorte in old europe. Das muss aufhören. Hier sehen wir in auratischer Majestät die neue theotokotische Zentrale der Welt in Marienland – oder Maryland.