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Tagesmail

Donnerstag, 04. Juli 2013 – Wertegemeinschaft zwischen USA und EU

Hello, Freunde der Ägypter,

innerhalb kurzer Zeit haben die Ägypter zum zweiten Mal in ungebrochener Leidenschaft einen Diktator gestürzt. „Wir haben die Ägypter unterschätzt“, sagte ein Nahost-Experte in der ARD.

Araber sind für Demokratien nicht geeignet, meinten vor kurzem dieselben Experten, die andere Völker schon seit Jahrhunderten unterschätzen. Und die westlichen Fähigkeiten für Demokratie bei weitem überschätzen, wie der Fall Snowden zeigt.

Auf Geheiß der NSA wird ein südamerikanischer Präsident in Wien zur Landung gezwungen, sein Flugzeug untersucht. Befreundete südamerikanische Staaten wagen es nicht, gegen Obama aufzumucken. Sie haben Angst vor Repressalien.

Das alles hätte Putin einmal machen müssen. Was wäre geschehen, wenn man den amerikanischen Fürsten dieser Welt beim Überflug über Afrika zum Landen gezwungen hätte? Was würde geschehen, wenn deutsche Geheimdienste das Weiße Haus verwanzen würden? Was würde geschehen, wenn deutsche Staatsanwälte den Chef der NSA vor Gericht bringen würden?

„Das ist doch alles nichts Neues“, erklärte der Historiker Michael Stürmer bei Anne Will, als er nach der rechtlichen Legitimität des Abhörens gefragt wurde. „Die Lage ist immer schlimm.“

Im SPIEGEL erklärt Jurist Reinhard Marx, die BRD könnte sehr wohl dem gesuchten

Pfeifenbläser eine Aufenthaltserlaubnis erteilen. „Geht es jedoch ans Eingemachte, nämlich um den Schutz des Informationslieferanten, wird die Zuschreibung der US-Behörden, die man soeben noch verurteilt hat, nämlich dass Snowdens Verhalten „kriminell“ sei, auf einmal akzeptiert und ihm deshalb Schutz verweigert. Glaubwürdige Politik sieht anders aus.“

Es sind nicht mehr die Chinesen, die westliche Industrieprodukte nachahmen. Es sind die Amerikaner, die per Industriespionage deutsches Überlegenheitswissen ausspähen und ihren Technikern aushändigen. Abgesehen von solchen geldwerten Informationen geht’s den Schnüfflern nicht um relevante Erkenntnisse. Die liegen auf der Straße und niemand hebt sie auf.

Spione sind technisch versierte Spezialisten, aber politische Holzköpfe. Noch nie haben sie wichtige Ereignisse vorausgesehen, die sich vor aller Augen angekündigt haben. Ihre Sammelwut geht gegen unendlich, die Summa ihrer Erkenntnisse gegen Null. Um analytische Petitessen geht es ihnen auch nicht. Sie wollen einschüchtern und rund um den Globus Furcht und Schrecken verbreiten.

Die Denkfähigkeit des Großen Bruders jenseits des Teiches lässt zu wünschen übrig. Überdehnte Macht macht dumm. Innerhalb kurzer Zeit ist das Image des amerikanischen Präsidenten in Deutschland abgestürzt. Würde er morgen vor dem Brandenburger Tor eine Rede halten, gäbe es Pfeifkonzerte. Auf Englisch Whistleblowing.

Hier die Handreichung zum Bau einer Schrillpfeife für den nächsten Besuch eines Freundes. Man nehme eine leere Getränkedose, Schere oder Messer, Stift oder Lineal und nicht mehr als zwei Minuten Zeit. Bestens geeignet für deutsche Denker mit zwei linken Händen, die die Straße schon lange nicht mehr als politisches Instrument gesehen haben.

Zum Thema „gemeinsame Wertegemeinschaft“ zwischen Europa und Amerika hat Christian Bommarius in der BLZ verschiedene Stimmen gesammelt.

Interessant die Stimme jenes Transatlantikers, der seinen europäischen Freunden sagte:

„Nach dem Zweiten Weltkrieg haben wir euch gerettet, jetzt seid ihr dran. Das waren pathetische Worte, Amerika hat die positiven Eigenschaften seines politischen Charakters noch lange nicht abgelegt. Die Spionageaffäre aber zwingt zu Klarheit. Da reichen keine deutlichen Worte in einem Telefonat zwischen Kanzlerin und Präsidenten. Die Selbstachtung von ‚We the People‘ verlangt, dass die USA an ihre Versprechen erinnert werden: Es geht hier um nicht weniger als um eine Freundschaft.“

Zuerst haben die Amerikaner die Europäer vor dem Unheil gerettet, zum Dank sollen die Europäer ihre Erretter vor dem Unheil retten. Das klingt nicht optimistisch. Vor welchem Unheil? Woran krankt Gods own country?

Stefan Kornelius beklagt in der SZ das Missverhältnis zwischen alter Liberalität und neuem Sicherheitsbedürfnis. Dieses Bedürfnis nähre einen Überwachungsstaat, der alle Ideale verhöhne, die Amerika in seinen Gründungsdokumenten und seinen Hymnen besinge. Kornelius verweist auf die „Star-Spangeld Banner“, das sternenbesetzte Banner, die offizielle Hymne der USA seit 1931 – Original und Übersetzung. 

Betrachten wir nur den vierten Vers:

„O, so sei es auf immer
wo freie Männer stehen
Zwischen ihren geliebten Heimen
und der Verwüstung des Kriegs
!
Gesegnet mit Sieg und Frieden
möge das vom Himmel gerettete Land
die Macht preisen
die uns eine Nation hat gemacht und bewahrt.
Dann müssen wir siegen
wenn unsere Sache gerecht ist.

Und dies sei unser Motto:
Wir vertrauen auf Gott.“
Und das sternenbesetzte Banner
möge im Triumph wehen
über dem Land der Freien
und der Heimat der Tapferen!“

Am Anfang viel Kriegsverherrlichung, verwoben mit Naturromantik. Natur wird erst schön, wenn stinkende Feinde tot das Ufer säumen:

„Ihr Blut hat schon ausgewaschen
die Verunreinigung ihrer stinkenden Fußstapfen“.

Freie und tapfere Männer sind immer im Krieg. Ohne Kriege fällt es ihnen schwer, sich als tapfere und freie Männer zu beweisen. Demokratische Tugenden sind damit noch nicht zur Sprache gekommen. Von Autonomie des Menschen keine Rede. Alles wird von Oben gelenkt und geleitet. Die Demokratie ist keine Errungenschaft des Menschen, sondern ein Geschenk Gottes. Nichts hat der Amerikaner zustande gebracht ohne Beistand seines Vaters im Himmel. Eine stabile Demokratie aber muss die Frucht des menschlichen Willens und Könnens sein.

Sieg und Frieden sind Segenswirkungen von Oben, das Land wird vom Himmel gerettet, der die ganze Nation gemacht und bewahrt hat. Wenn die eigene Sache gerecht ist, ist der Sieg unvermeidlich. Wie aber steht’s mit dem Umkehrschluss: gab‘s keinen Sieg, war die eigene Sache dann ungerecht? Jede Niederlage müsste dann ein Warnschuss von Oben sein, dass die Nation Mist gebaut habe.

War 9/11 eine Niederlage? War der Vietnam-Krieg eine Niederlage? Gab‘s nach diesen Demütigungen einen einzigen Bußgottesdienst in ganz Amerika, der die Frage stellte: oh Himmel, was haben wir falsch gemacht?

Oder wurde die Niederlage in ein intermittierendes pädagogisches Ereignis umstilisiert, gemäß dem alttestamentarischen Motto: wen Gott liebt, den züchtigt er? Aus welcher die Folgerung gezogen wurde, dass der nächste Sieg die Schlappe vergessen machen wird? Dann müsste unbedingt ein nächster Krieg angezettelt werden, um die Schwarte auszuwetzen.

Wer dieser Logik folgt, kann überhaupt nicht mehr verlieren. Der muss seinen martialischen Gott zwingen, ihm endlich den Sieg im nächsten Krieg zu verleihen. Die frommen Kriegshelden vertrauen nicht sich, sondern ihrem Gott, dem obersten Kriegshelden der Heilsgeschichte, der seine Macht am liebsten im Schlachtengetümmel beweist. Im Alten Testament wortwörtlich, im Neuen Testament in der Schlacht gegen Tod und Teufel. Golgatha war ein Schlachtfeld, auf dem der Sohn des Himmels durch vorgetäuschte Niederlage einen finalen Sieg erfocht.

Kurz nach der Schlacht von 1814 besuchte der französische Adlige Alexis de Tocqueville den neuen Kontinent und stellte fest, dass die Amerikaner in dieser begünstigten Lage nie einen Gegner zu befürchten hätten. Die lächerlichen Rothäute waren schon ad acta gelegt. Wen hätten diese neuen und tapferen Siedler fürchten sollen?

Fast 200 Jahre lang nach dieser Schlacht gegen Britannien lebten die USA in tiefem Frieden. Zwar gab‘s diverse Techtelmechtel zur Erweiterung des Landes, doch immer weit weg von der Heimat. Das Innere des Landes blieb ungefährdet – bis zum 9/11. Das war ein Schock für die bislang unberührbare Nation. Die Fama der Unbesiegbarkeit war dahin.

Würden die Amerikaner der Glaubenslogik ihrer Hymne folgen, müssten sie seitdem mit schweren Anfechtungen und Glaubenszweifeln kämpfen. Eine solch katastrophale, vor aller Welt beschämende Niederlage lässt mehrere Schlüsse zu. Entweder waren die Amerikaner wegen Fehlverhaltens aus dem Glauben gefallen und von Gott verstoßen? Oder es gab doch keinen Gott mit Sternenbanner im Himmel? Oder es war ein Warnschuss vor den Bug selbstgerechter Kinder Gottes, der sie zu neuen Glaubenstaten und -kriegen ermuntern sollte?

Dann hätten wir einen achsensymmetrischen Dschihad zwischen Christen und Muslimen. Im Dreiecksspiel der drei Monotheismen gab‘s schon immer ein rotierendes Ringelreihen Zwei gegen Eins bei wechselnden Koalitionen.

Als die spanischen Christen im Mittelalter die Juden vertrieben, flohen diese überwiegend in islamische Länder. Da waren sie nicht gleichberechtigt, aber als Angehörige einer Buchreligion wohl gelitten. (Ausnahmen bestätigen die Regel)

Heute steht‘s wieder zwei gegen eins: zivilisierte, hochaufgeklärte, wirtschaftlich unschlagbare Christen & Juden gegen muslimische Hinterwäldler, die nur neidisch sind auf die Überlegenheit des Westens.

Das schwer angeschlagene Selbstverständnis der Amerikaner kann nur durch weitere Siege auf dem Schlachtfeld des Herrn kuriert werden. Durch herrliche Schlachten in der Abenddämmerung des Hindukusch oder in morgendlichen Nebelschwaden über dem Zweistromland. Amerika wird seine Glaubenskrise nur dank der Existenz schlachtenmotivierender Achsen des Bösen lösen können. Mit anderen Worten: die Krise Amerikas ist eine Glaubenkrise.

Wie kriege ich einen gnädigen Gott, fragte Luther, sich selbst peinigend. Und antwortete: sola gratia. Allein durch Gnade. Weshalb die Lutheraner obrigkeitsergeben geworden sind – bis sie von ihrer eigenen Passivität die Schnauze voll hatten, sodass der national zersplitterte Quietismus (politisch-fromme Untätigkeit) in welterschütternde Berserkerei umschlug.

Die Amerikaner sind vom Ursprung keine duldenden Lutheraner, sondern vor Kraft strotzende Welteroberer, die ihren Calvinismus in pure Aktivität umkippen ließen – um durch Erfolg und Reichtum den Stand ihrer Auserwählung zu erforschen. Noch mehr als bei Luther kippte die zur Passivität verdonnernde Prädestination in überbordende Rastlosigkeit um.

Luther kannte keine eindeutigen Beweise der eigenen Erwähltung. Der Fromme musste sich mit Furcht und Zittern begnügen, unter denen er seine Erlösung erbitten und erflehen konnte. Das wäre den energiestrotzenden Welterboreren im calvinistischen Holland und England nicht im Traum eingefallen, sich mucksmäuschenstill jeder Obrigkeit zu unterwerfen, ohne die geringste Gewissheit, ob der Himmel sie erkoren habe oder nicht.

Man muss dialektische Kippbewegungen verstehen, um nachzuvollziehen, wie die passivste Ideologie der Weltgeschichte – der strenge Vorherbestimmungsglaube Calvins – in die überaktivste Ideologie umschlagen konnte. War der Kampf Luthers mit seinem gnädigen Gott ein einsamer in Beten, Bibellesen und Choräle singen, wurde der Kampf der Calvinisten mit ihrem geheimnisvollen Gott eine Herausforderung, die nicht gigantisch genug gedacht werden kann.

Ich, Puritaner X, werde mit Dir, Gott der Vorherbestimmung, einen riesigen Fight führen. Sei es, um herauszukriegen, dass du mich auserwählt hast, sei es, dass du es noch tust, falls du es sträflicherweise versäumt hast. Mit meinem Lebenswandel werde ich dir beweisen, dass ich deinen Ruhm in allen Landen verkünden werde.

Wie Jakob mit seinem Jahwe auf der Leiter rang, bis jener sich durch KO ergab, so wollten die Neucalvinisten mit ihrem Herrn, der ihnen ein neues Kanaan vermacht hatte, so lange ringen, bis sie ihm sagen konnten: wir lassen dich nicht, du segnest uns denn.

Das Kriterium ihres Siegs über Gott war ihr Sieg über die Menschen, sei es in militärischem, sei es in wirtschaftlichem Erfolg. Ihr weltlicher Erfolg wurde zum unfehlbaren Schibboleth ihrer Auserwähltheit.

Hier sehen wir den großen Unterschied zu den deutschen Lutheranern. Zwar war auch Luther als Schüler Augustins ein Anhänger der Prädestination. Doch er stellte diese Lehre nicht so streng in den Mittelpunkt seiner Lebensfrömmigkeit, wie es der Genfer getan hatte. Er begnügte sich bei Weib (in der Woche zwier macht im Jahre 104) und abendlichem Bier mit dem innerlichen, wenn auch schwankenden Gefühl der Gnadenhaftigkeit. In seiner politischen Abhängigkeit von launischen Fürsten hätte er gar keine andere Wahl gehabt, als sich hübsch zu bescheiden.

Holland und vor allem die Angelsachsen waren politisch weiter und längst dabei, sich eine ganze neue Welt unter den Nagel zu reißen. Der lutherischen Selbstvergewisserung durch deutsche Innerlichkeit stand die angelsächsische Erwählungsvergewisserung gegenüber, die sich an das alttestamentarische Machtmotto hielt: Macht euch die Erde untertan.

Kornelius erwähnt auch den neueren Song We are the People. Hier die Übersetzung:

„Wir sind die Menschen, die die Welt regieren
Eine Kraft in jedem Jungen und Mädchen
All das Jubeln in der Welt
Nimm mich jetzt, wir können es versuchen.

Ich weiß alles über dich
Du weißt alles über mich
Wir wissen alles über uns.“

„Ich weiß alles über dich“. Das könnte die Devise der heutigen Gigantoschnüffler sein. Wenn nicht – ja wenn nicht auch das Reziproke drin stünde: Du weißt alles über mich. Doch zu früh gefreut, ihr Verteidiger der gleichen Augenhöhe zwischen Amerika und Europa. Denn wer ist Ich, wer ist Du? Du könnte auch der Gott Calvins sein, dessen geheimer Vorherbestimmungs-Code durch amerikanischen Fleiß und weltlichen Erfolg geknackt ist.

Die verschlüsselte und digitalisierte Prädestinationssprache Gottes haben die Amerikaner dekodiert. Sie scheinen vom Triumph beseelt, ihren Gott auf Jakobs Leiter besiegt zu haben. Gott hat sich ergeben und seinen Jüngern signalisiert: Ihr seid meine lieben Söhne, an denen ich Wohlgefallen habe. Deshalb der pantokratische Vers: Wir sind die Menschen, die die Welt regieren. Du Gott und Wir Amerikaner: wir wissen alles über uns. Zwischen uns gibt es keine Geheimnisse mehr. Deshalb gebührt uns zu Recht all das Jubeln der Welt.

Wertegemeinschaft zwischen dem neuen Kontinent und dem alten Europa? Ja – durch das Christentum. Nein – durch ein völlig verschiedenes Christentum.

Bei uns gilt es als Affront, einen christlichen Staat aus den Voraussetzungen seines Glaubens zu erklären. Das christliche Abendland ist stolz auf seinen Glauben, doch geprägt will es von ihm nicht sein. Das wiedergeborene Amerika ist stolz auf seinen Glauben und vereinnahmt großzügig athenische Demokratie und stoische Menschenrechte als Geschenke des Himmels.

Die Europäer verachten heimlich die wortwörtlichen Biblizisten des Bible Belt. Die Amerikaner betrachten die Europäer als in der Wolle gefärbte heidnische Aufklärer, die sich als Christen ausgeben.

Die Deutschen haben die Epoche ihrer Gottgleichheit mit apokalyptischem Ende bereits hinter sich gebracht. Die Amerikaner streben mit Macht der globalen Apokalypse entgegen. Nur sie als Lieblinge Gottes werden von ihrem Messias in die ewige Seligkeit geführt. Europa und der Rest der Welt fahren ins höllische Feuer.

Eine echte Wertegemeinschaft, in brüderlicher Nächstenliebe verbunden.