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Freitag, 14. Juni 2013 – Walter Jens

Hello, Freunde des Walter Jens,

der jener Generation angehörte, die den Nationalsozialismus noch als Heranwachsende erlebte und sich beim Übergang zur Demokratie beweisen musste, dass ihre Generation verstanden hatte. Er starb im Dunkeln, weil ihm die Welt bescheinigte, zu wenig verstanden zu haben.

Kurz vor seinem 85. Geburtstag tauchten „vergilbte NSDAP-Parteikarten“ auf, die seine Mitgliedschaft in der Hitler-Partei bezeugten. Sein Sohn Tilman veröffentlichte ein Buch, in dem er die beginnende Demenz seines Vaters als Reaktion auf das lebenslange Beschweigen der Parteimitgliedschaft deutete.

Einen infamen Text, nennt Harry Nutt die literarische Analyse des Sohnes. „Er schmähte den Lebenden, der sich doch, als wäre er schon tot, nicht mehr wehren konnte.“ (Harry Nutt in der BLZ)

Der Versuch, einen Menschen zu verstehen, ist infam? Dann müsste man allen Berufsverstehern das infame Handwerk legen und ihre Praxen schließen. Ein Mensch müsse das Recht haben, sich gegen Verstandenwerden zu wehren? Dann muss Verstehen eine Form des Attackierens sein. Kann sich ein Mensch nicht mehr zur Wehr setzen, darf es keinen Versuch mehr geben, ihn zu verstehen.

Medizinische Diagnosen empfindet man heute nicht mehr als Angriff oder unrühmliche Entlarvung. Erkrankte in früheren Zeiten ein Mensch an Syphilis, war klar, dass er die Ehe gebrochen hatte. Das konnte unangenehme Folgen haben. Wenn Michael Douglas an Krebs erkrankt, weil er sich einer Frau allzu sehr näherte, wird er nicht mehr

auf dem Scheiterhaufen geröstet.

Wenn man aber einem Intellektuellen eine psychologische Deutung zumutet, wird man zum Vatermörder erklärt. Bei Freud gehören Vatermord und ödipales Begehren zum Repertoire jedes Menschen, jedes europäischen Menschen. Man spricht Trivialitäten aus, wenn man kollektive Neurosen anspricht. Warum also infam? Das kann nur bedeuten, dass der Schreiber – Harry Nutt – es selbst als infam empfinden würde, wenn man ihm eine solche Psychodiagnose verpassen würde.

Was ist ehrverletzender? Dass man ein Mensch ist, den man verstehen kann – oder dass man ein geniales Monstrum ist, das von Normalsterblichen unverstanden bleiben muss?

Ein führender deutscher Intellektueller wollte vorbildlich die Vergangenheit aufarbeiten, nichts verdrängen und vergessen, dem Moloch des schrecklichen Erbes mutig ins Auge schauen, nie mehr Mitläufer sein, das Innere nach außen wenden – um kathartisch gereinigt von vorne zu beginnen. Diese Vorbildfigur wollte der Gelehrte aus Tübingen sein. Der Redner und Schreiber. Der Momos („Mahner“) in der ZEIT, der frühzeitig das Medium Fernsehen zu analysieren begann, als die meisten Akademiker ihren TV-Apparat noch hinter Brockhausbänden zu verstecken pflegten.

Genau diesem magister germaniae passierte, was er ein Leben lang bekämpft hatte: er hatte seine Vergangenheit nicht offen gelegt. Seine Taten, so schien es, waren mit seinen Worten nicht identisch. Die Identität von Wort und Tat, das wusste der Altphilologe Jens, zeichneten den reifen, den weisen Menschen aus. Und dies hätte den leicht Verletzlichen nicht im Inneren treffen sollen? Die vergilbten Akten jener Verbrecher, die plötzlich aus dem Grabe auferstanden schienen, um ihm – wie die Rachegöttinnen der Antike – die Rechnung zu präsentieren, hätten seine Seele nicht kränken dürfen? Und dies sollte nicht ausgereicht haben, einen grübelnden und gedankenreichen Deutschen ins Reich des absoluten Vergessens zu bringen?

Erzählen unsere Krankheiten nicht unser ungelebtes und unverstandenes Leben? Die Verbindung von Leib und Seele, die psycho-somatischen Erkenntnisse über menschliche Erkrankungen – all dies wird von einer seinsvergessenen Medizin verdrängt und von einem sinnvergessenen Feuilleton verhöhnt. Wer verstanden wird, fühlt sich nackt. Wer verstehen will, muss ein vatermordender Bastard sein.

Broder hat seinen Börne-Preis zurückgegeben. Mit Terror-Verstehern will er nicht zusammen in einem Klub gesehen werden. Verstehen des Bösen scheint Tolerieren und Absegnen des Bösen zu sein. Dann muss Verstehens-Verweigerung zur höchsten Tugend in der Politik und im Zusammenleben werden.

Gott ist kein Menschenversteher, sondern ein Menschenrichter. Im Jüngsten Gericht werden Bücher aufgetan, nicht um die „unglückliche Kindheit“ unter dem Einfluss eines allmächtigen Rachegottes zu verstehen, sondern um verständnislos und ultimativ zuzuschlagen. Im Neuen Testament gibt es keine einzige Stelle, die Gott als Versteher seiner missratenen Kreaturen schildert.

Freud hatte seine Nachfolger davor gewarnt, seine Verstehenskunst zwei Berufsgruppen auszuliefern: den Medizinern und den Theologen. Genau dies ist passiert. Die Psychoanalyse ist zum Blinddarmfortsatz der Medizin und zum pastoralen Instrumentarium der Gotteshirten geworden, die ihr Verstehen je nach Laune als gnädiges Dulden oder unerbittliches Verurteilen zelebrieren.

Während die Zunft der Berufsversteher – spätestens nach dem Ableben von H.E. Richter, dem man noch die maßlosesten Lobreden nachreichte, um sich endgültig von der Plage des Verstehens zu befreien – sich gekonnt tot stellt oder tot ist, macht sich heute verdächtig, wer sich anmaßt, den Dingen in den Rachen zu greifen oder in den Schlund zu kriechen.

Statt verstehen redet man von Flüstern, von Einflüstern. Von Pferde-, Hunde, Frauen- und Männerverstehern. Also von Lenken und Leiten mit sanften Methoden. Verstehen ist zur hinterlistigen Form des Manipulierens geworden. Dabei erinnere man sich, dass die Fakultät des Verstehens – die Hermeneutik („Erklärung, Übersetzung“) – von den Deutschen erfunden und der Welt als typisch deutsche Wissenschaft präsentiert wurde.

Ausgerechnet die Nation der Täter und Sünder erkühnte sich, die Welt zu verstehen? Hatte sie ihre Opfer verstanden? Erhöht es den sadistischen Spaß, jemanden zu verstehen und ihn dennoch zu massakrieren? Das würde viel zur Psychologie des Folterns beitragen. Man muss wissen, wie viel ein Opfer erträgt, um es langsam und genussvoll zu torturieren. Wer‘s zu schnell und unempathisch exekutiert, erweist sich als roher Tollpatsch und Brutalinski. Nein, Deutsche sind gebildet, sie können sich in ihre Opfer einfühlen. Sie sind Feinschmecker de luxe beim Quälen und Martern. Wenn schon ihr Heiland nach allen Regeln der Kunst von bösen Juden gemartert wurde (belanglos, dass es römische Foltergesellen waren), dann sollen die Mörder des Heilands doch sehen, wie es ist, wenn man selber das Objekt der Rachebegierde ist.

Wie kamen die Deutschen zur Frechheit, Gott und die Welt zu verstehen? Antwort: weil sie sich von der Welt – unverstanden fühlten. Wir zeigen euch, wie man versteht. Damit ihr uns in unserer Unvergleichlichkeit endlich nicht mehr missversteht. Herren der Welt fühlen sich vom unheiligen Rest immer unverstanden. Das ging den hässlichen Deutschen so, das geht heute den hässlichen Amerikanern so.

Wer herrscht, muss unter dem mangelnden Verständnis seiner Opfer leiden. „Und dies (die Ausrottung der Juden) durchgehalten zu haben und dabei, abgesehen von menschlichen Ausnahmeschwächen, anständig geblieben zu sein, hat uns hart gemacht und ist ein niemals genanntes und niemals zu nennendes Ruhmesblatt“, so Himmler in seiner berüchtigten Geheimrede vor der SS. Niemand auf der Welt wird es den Deutschen danken, vor der schlechthinigen Gefahr des Menschengeschlechts gewarnt und die Feinde der Erde, stellvertretend für alle, beseitigt zu haben. Die Deutschen haben sich geopfert, um die Menschheit vor dem Bösen zu erretten. Ganz allein haben sie die ruchlos scheinende, in Wirklichkeit heilende Tat auf sich genommen, um ihre schwachen Menschenbrüder und -schwestern vom Übel zu befreien.

Seit Fichte, seit der Romantik, hatten sich die Deutschen zu Heilanden der Welt erklärt. Also mussten sie beweisen, dass sie sich für die Menschheit opfern können, indem sie das scheinbar Böse taten, um das wahrhaft Böse auszurotten. Um der Welt das Heil zu bringen, mussten sie die Rolle des Bösen spielen, wohl wissend, dass sie die Guten und Segensbringenden waren. Sie spielten die Rolle des Judas.

Judas opferte sich im Dienst Gottes, um Jesus den Juden zu verraten, auf dass die Heilsgeschichte vollendet werde. „Es ist unmöglich, dass Verführungen ausbleiben, doch wehe dem, durch den sie kommt.“ „Der Sohn des Menschen zwar geht dahin, wie von ihm geschrieben steht; aber wehe dem Menschen, durch den der Sohn des Menschen verraten wird. Es wäre ihm besser, wenn er nicht geboren worden wäre, jener Mensch. Judas aber, der ihn verraten hatte, antwortete und sprach: Doch nicht ich, Rabbi? Er sagt zu ihm: Du hast es gesagt.“ ( Neues Testament > Matthäus 26,24 f / http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/26/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/26/“>Matth. 26,24 f)

Welch ein Zufall, der keiner war, dass Walter Jens, der vorbildliche Vergangenheitsanalytiker, der selbstkritische Deutsche, die Figur – des Judas rehabilitierte. „Ohne Judas kein Kreuz, ohne das Kreuz keine Erfüllung des Heilsplans. Keine Kirche ohne diesen Mann; keine Überlieferung ohne den Überlieferer.“

Das kollektive deutsche Unbewusste hat den Ankläger Jens zum unwissenden Rechtfertiger der Deutschen gemacht. Judas war böse. Doch den Bösen brauchte Gott, um sein Heilswerk zu vollenden. Dazu benutzt er die Menschen als unfreiwillige Instrumente, die er danach ungerührt wegwirft, als ob sie freiwillig das Böse getan hätten. Menschen sind für den ER-lösergott nur Marionetten.

Als bekennender Protestant wäre es Jens nie in den Sinn gekommen, die logischen Folgerungen seiner Judas-Verteidigung zu ziehen und seinem Gott die Leviten zu lesen, der seine unschuldigen Kreaturen wahllos zu Robotern seines Willens macht.

War Walter Jens ein Denker? Wenn denken bedeutet, die Tabus des andressierten Glaubens und Fürwahrhaltens zu durchbrechen und „rücksichtslos“ seiner eigenen angstfreien Vernunft zu folgen – konnte er dann ein Denker gewesen sein?

Seine Mängel fühlte er dunkel, als er bedauerte, zwar Vieles, aber nicht das Entscheidende geschrieben zu haben: das opus magnum, das große Werk. Stattdessen hielt er sich an das Vielerlei: wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen. Er war sichtlich unzufrieden mit sich, wenn er trotzig sagte: „Ich kann nichts als Lesen und Schreiben, aber das ganz gut. Sonst nichts.“ Was er meinte: der Große Wurf war ihm versagt geblieben.

Sie alle machen einen überforderten Eindruck, die Generation der Flakhelfer, die nach Kriegsende alles besser machen wollten. Die Bölls, Grass’, Jens’ und die vielen anderen. Fast keiner ist ohne Makel davon gekommen. Sie alle waren involviert. Wie hätte es auch anders sein können, wenn das ganze Volk sich der führerhaften Ergießung des Heiligen Geistes unterworfen hatte?

Sie hätten es aber deutlich sagen müssen, dass sie Verführte waren. Niemand hätte ihnen einen Vorwurf gemacht. Nur ihren Eltern und Großeltern, die bei hellem Bewusstsein dem Sohn der Vorsehung gefolgt waren. Peter Wapnewski, Dieter Hildbrandt: haben sie selbst die Parteiausweise unterschrieben? Haben ihre Eltern ohne ihr Wissen den Wisch ausgefüllt?

Den einzigen Lehrstuhl für Redekunst in der BRD hat man für Walter Jens in Tübingen eingerichtet. Warum gerade für dubiose Rhetorik, die von Sokrates abgelehnt wurde, weil sie mehr Schein als Sein erzeugt? Isokrates, Begründer der Rhetorenschule in Athen, war kein Freund des Platon und der strengen Philosophie. Das beruhte auf Gegenseitigkeit. Sokrates lehnte die Redekunst ab, weil Reden nur über-reden, aber nicht überzeugen konnten.

Überzeugung kann nur in intimen Gesprächen entstehen, wo jeder Teilnehmer Rechenschaft über seine Meinung ablegen muss. Wer im Austausch präziser Argumente nicht standhält, der kann weder seine Meinung verteidigen, noch sich von einleuchtenden Meinungen überzeugen lassen.

Reden vor einem großen Publikum können nur wolkige Gefühle erzeugen: Gefühle des Überwältigtwerdens durch einen großen Namen, durch eine von Gelehrsamkeit strotzende Bildung, durch Suggestion einer Massenbegeisterung. Kein Redner kann auf die stummen Einwände des individuellen Zuhörers eingehen. Deutsche sollten doch wissen, wie redebegabte Tribunen Massen zur Ekstase bringen können.

Und nun wieder die Massenverführungskunst, kaum waren die niederträchtigen Redner unfreiwillig vom Podium gestiegen? Gerade deshalb! Die satanische Rhetorik sollte durch Rückkehr zur protestantischen Kanzelpredigt exorzistisch ausgetrieben werden. Der Redner als Inkarnation des Bösen sollte durch den Redner des wiedergefundenen Guten ausgeräuchert werden. Gleiches durch Gleiches, welches das genaue Gegenteil sein sollte. Der Protestant hielt der diabolischen Rede das lutherische Kreuz entgegen: weiche, Satan. Und kehrte zurück zur wortmächtigen Kanzelrede – mitten in der Welt. Es war eine Heilspredigt mit Mitteln des Gelehrten, der Literatur, der demokratischen Überzeugung.

Walter Jens wollte ein Luther der wiedergenesenen Deutschen sein. Sola demokratia. Solo verbo. Claus Kleber, der Schneidige vom ZDF, (der die Kamera wie beim Stierkampf mit grimmigem Blick auf die Hörner nimmt), verneigte sich in Ehrfurcht vor dem großen Tübinger, zu dessen Füßen er in Tübingen gesessen haben muss.

So etwas hätten die Studenten noch nie erlebt. Wenn Rhetor Jens seine säkularen Predigten hielt, sei den Zuhörern regelmäßig ein Schauer über den Rücken gelaufen. Solche Sätze, voller Schärfe und Eleganz, hätten sie noch nie vernommen. Sie wurden nicht überredet, sondern überzeugt von der Wortgewalt des „Zauberers.“

Wenn sie so überzeugt waren, wo sind sie dann alle geblieben: die überzeugten Kapitalismuskritiker, die überzeugten Demokraten? Heute sitzen sie in den Medien und stellen die Frage: Soll Demokratie alles gewesen sein? Den Einbruch des amerikanischen Neoliberalismus haben alle mit verstecktem und offenem Applaus begrüßt.

Jens sei ein Anwalt der Aufklärung gewesen. Sind Aufklärer Zauberer und Magier? Verführt Zaubern zum präzisen und kritischen Nachdenken? War Rede als böser Zauber nicht gerade das Geschäft jener, die Walter Jens für immer vergessen machen wollte? Muss man nicht gerade dem großen Publikum den Unterschied zwischen Überreden und Überzeugen vermitteln? Ist es keine Volksverdummung ersten Grades, Rednern die Qualität des Überzeugens zuzuschreiben? Weiß Journalist Kleber nicht, dass deutsche Parteien dazu neigen, sich ihre Spitzen-Kandidaten durch rhetorisch stimulierte Scheinorgasmen auszusuchen?

Mit seiner Freundschaft zu Marcel Reich-Ranicki wollte Jens einen persönlichen Beitrag zur Wiederversöhnung zwischen Deutschen und Juden liefern. Stundenlang müssen sie miteinander telefoniert haben, um sich zu beweisen, dass die Kluft zwischen Tätern und Opfern wenigstens bei ihnen nicht irreparabel sei.

Wie schrecklich muss es für beide gewesen sein, als Tilman Jens, der Sohn Walters, eine TV-Doku drehte, in der er beweisen wollte, dass Reich-Ranicki eine unrühmliche Rolle im polnischen Widerstand gespielt haben soll. Sprach aus dem Sohn die verdrängte Stimme des Vaters, der seine Kritik an Reich-Ranicki nicht formulieren konnte, um das Projekt Versöhnung nicht zu gefährden? Der Vater distanzierte sich nicht von den Erkenntnissen des Sohnes, die Freundschaft zerbrach. Zwar versöhnten sich die beiden alten Herrn nach langer Zeit, doch die Versöhnung sah eher nach Pflichtübung denn nach Herzensbedürfnis aus. Über die Vergangenheit wollten sie nicht mehr sprechen. Die verheißungsvolle Rekonstruktion der deutsch-jüdischen Vorkriegssymbiose war gescheitert.

Im „Hungerpastor“ Wilhelm Raabes, in Gustav Freytags „Soll und Haben“ waren exemplarisch jüdisch-deutsche Freundschaften geschildert, die nach anfänglicher Euphorie kläglich endeten. Der Deutsche war immer der Gute, der Jude endete als Kapitalist oder geschliffener Salonrabulist. Das wollten die beiden Freunde der deutschen Literatur besser machen. Gershom Scholem bezweifelte, dass es je eine echte deutsch-jüdische Symbiose gegeben hatte. Jens und Reich-Ranicki wollten die Skeptiker und Pessimisten vom Gegenteil überzeugen. Es misslang. Vor seinem Tod flüchtete Walter Jens ins totale Vergessen.

Als Gründer der Nachkriegs-Hermeneutik wird Hans Georg Gadamer genannt. Er wollte den Deutschen das Verstehen beibringen. In seinem Buch „Wahrheit und Methode“ kommen die Begriffe Nationalsozialismus und Judentum nicht vor. Der deutsche Professor für Verstehen verstand nichts. Weder von Deutschen noch von Juden, geschweige von ihrer gemeinsamen Vergangenheit

Was verstand er unter Verstehen? Irgendetwas Überdimensionales: „Für Gadamer ist jegliches Verstehen, gleichgültig, ob es sich um Texte, Kunst- und Bauwerke oder das Gegenüber in einem Gespräch handelt, an die Sprachlichkeit des Seins vor dem Horizont der Zeit gebunden. Dies setzt beim Interpretieren von Werken Offenheit, das Bewusstmachen der eigenen Vorurteilsstruktur sowie die Bereitschaft zum Gespräch bzw. zu reflexivem Auseinandersetzen voraus. Die philosophische Hermeneutik wurde von Gadamer so allgemein fundiert, dass sie auf prinzipiell alle ethisch-ästhetischen Aspekte und Fragen des Lebens Anwendung finden kann.“

Das deutsch-jüdische Verhältnis muss wohl nicht unter die Kategorie: Fragen des Lebens fallen. Sonst hätte der Heideggerschüler seine Verstehenskünste bestimmt an Auschwitz und Dachau erwiesen. Mit niedrigen Dingen wie Völkerverbrechen kann sich philosophische Hermeneutik nicht abgeben. Deutsches Verstehen steht auf gleicher Augenhöhe mit Sein und Zeit.