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Donnerstag, 11. April 2013 – Aufklärung und Glück

Hello, Freunde des Wir,

bei Hinterpfälzern sind Mädchen nicht weiblich, sondern sächlich: nicht die Else, sondern das Else. Bei der SPD ist Wir sächlich. „Das Wir entscheidet“, so soll Peers neues Kampfmotto klingen. Wir entscheiden? Nein. Das Wir entscheidet. Ist Wir Einzahl oder Mehrzahl? Es muss Einzahl sein, sonst müsste es heißen: Wir entscheiden. Nicht mit Peer. Das Wir entscheidet, bedeutet für ihn: Ich, Peer Steinbrück, entscheide. Mein Ich ist das Wir.

Wenn der Papst von sich spricht, redet er in Wir-Form, dem Plural der Eminenz. Wenn Steinbrück päpstlich denkt, muss er es verbergen. Sein gigantisches Wir muss zum Plural der Bescheidenheit gestutzt werden. Peers Wir ist sein plurales Ich, das noch nicht erwachsen ist, sondern sächlich-infantil. Mit anderen Worten: Peers Ich ist ein hinterpfälzisches Mädchen, das noch nicht entschieden hat, ob es Männlein oder Weiblein werden will.

Wo Es war, soll Wir werden. Soviel zur Genderpsychologie Peers, der den He-Man spielt, um seine zarte weibliche Seite zu verstecken.

Stopp, da fehlt noch was. Das Motto hat die SPD von einer Leiharbeitsfirma plagiiert und soll uns signalisieren, dass man Peer ausleihen kann. Als was? Was kann er-sie-es denn? Wie wär‘s mit Kanzlerkandidat der SPD, die sicher sein will, dass sie nicht gewinnen muss und den geliehenen Kandidaten bei Nichterfolg garantiert zurückgeben kann? Sonst müsste es ja regieren, das dumme Ding. (Oder: die

Große Koalition kommt bestimmt.) (Die TAZ)

 

Deutschland will von europäischen Nachbarn profitieren, die die deutsche Regierung mit Sparmaßnahmen stranguliert. „Die EU wird als Ensemble mit gemeinsamer Währung nicht halten, wenn Deutschland immer reicher wird und der Süden verarmt“, schreibt Stefan Reinecke in der TAZ.

Die deutsche Selbstwahrnehmung sei narzisstisch verformt. „Obwohl Deutschland von der Krise profitiert, fühlt man sich irgendwie als Opfer der EU und der „Faulenzer“ in Südeuropa. Unter Helmut Kohl gab es noch eine historisch gewachsene, wache Aufmerksamkeit, wie deutsche Politik in Europa wirkt. Das ist lange vorbei. 2013 ist Berlin gefährlich blind für die eigene Macht.“

Wirtschaft macht Politik. Merkel ruiniert die EU. Deutschland will allein groß und mächtig werden und Europa beherrschen. Wir wollen unsern alten Helmut wiederhaben.

(Stefan Reinecke in der TAZ)

 

Ist Europa ein Vorbild für die Welt? Es könnte ein Vorbild sein, schreiben Susan Neiman und Sigmar Gabriel in der FAZ, wenn es sich von „Selbstzweifeln und Trägheit“ befreite und es wieder mit Aufklärung probierte. Neiman ist Philosophin und leitet das Einsteinforum in Potsdam, Gabriel ist Steinbrücks Rivale in der Wir-Partei. Was ist Aufklärung für das Duo aus Wissenschaft und Politik? Susan Neiman und Sigmar Gabriel in der FAZ:

„Es lohnt sich heute, noch einmal Voltaires „Candide“ zu lesen, um zu verstehen, dass die Aufklärung eine Bewegung war, die ernsthaft daran interessiert war, von anderen Kulturen zu lernen und sie zu verteidigen; anders gesagt, kommt der Vorwurf des Eurozentrismus aus dem Herzen der Aufklärung selbst.“

Eurozentrismus? Waren die Aufklärer Eurozentristen, die den Eurozentrismus kritisiert haben?

Der Reihe nach. „Unter Eurozentrismus versteht man die Beurteilung inner- und außereuropäischer Kulturkreise nach europäischen Vorstellungen und auf der Grundlage der in Europa entwickelten Werte und Normen. Europa nimmt im Eurozentrismus als Maßstab das alleinige Zentrum des Denkens und Handelns ein.

Wenn Europa weltweit für Menschenwerte eintritt, ist es dann eurozentrisch? Wenn Aufklärung ein europäisches Projekt war: ist Europa eurozentrisch, wenn es bei Putin gegen die Verletzung der Menschenrechte protestiert? Wenn Aufklärung sich selbst propagiert, ist sie dann selbst-zentriert und eingebildet? Betrachtet sie sich als Mittelpunkt der Welt? Glaubt sie, in menschlichen und politischen Dingen besser durchzublicken als andere Kulturen? Stellt sie ihre Werte arrogant über die der anderen?

Womit wir schon mitten in der Debatte um die Postmoderne wären, die das Pochen auf Wahrheit als Überheblichkeit betrachtet. Was bringt es uns, wenn wir Wahrheit leugnen? Es gibt keine Wahrheit: hält die Postmoderne diesen Satz für wahr? Wenn nicht, sollte sie die Klappe halten, denn sie hat nur gesagt, dass sie nichts gesagt hat. Wenn doch, tritt auch sie für Wahrheit ein. Wahrheit stünde gegen Wahrheit und es wäre die Sache der Wahrheitssuchenden, den „liebenden Streit“ um die beste Wahrheit durchzuführen.

Das ist normales Geschäft der Philosophie, seit es Wahrheitssucher wie Thales gibt, die vor lauter Suchen in den Straßengaben fielen und von hübschen Mägden ausgelacht wurden.

(Damit kein Shitstorm unter unseren geschätzten LeserInnen aufkommt: Frauen sind so wahrheitsfähig wie Männer. Ja mehr. Die erste Philosophin war Eva, die vom Philosophenbaum aß und nicht das rippenreduzierte Männlein an ihrer Seite, das die Hosen gestrichen voll hatte. Lieber riskierte Eva den Sündenfall als vom Baum der Erkenntnis die Finger zu lassen. Ihr Motto war offensichtlich: sündiget tapfer, Nachkommen, aber erkennet. Leider konnte sie sich gegen den macho-zentrierten Adam nicht durchsetzen.

Weder hat der fromme Westen sich die Freude am Sündigen, geschweige die Freude am Erkennen zu eigen gemacht. Gesündigt wird zwar viel, aber freudlos und mit unausrottbarem Bedürfnis nach Vergebung. Und Erkennen haben die Westler zugunsten des Malochens und Moneymachens völlig eingestellt. Wir sollten Urvater Adam in die Vitrine stellen und Mutter Eva zur Urmutter aller Dinge erklären.)

In der Tat, Philosophieren ist eine lächerliche Angelegenheit, mit der kein Staat zu machen ist. Das war die große Lebensenttäuschung des Platon, der es nicht schaffte, einen Diktator zu gewinnen, um seinen idealen Staat einzurichten. Frustriert machte er als Ersatz seine Akademie auf, weshalb alle Akademien bis heute frustrierte Staatsersatzgebilde und alle Akademiker – besonders unter den Medialen – Möchtegern-Platons sind, die der Meute beibringen wollen, dass sie am besten von weisen Edelschreibern regiert werden würden.

Der Niedergang des SPIEGEL zeigt einen erfreulichen Niedergang des deutschen Platonismus zugunsten des nicht mehr aufzuhaltenden Internet-Sokratismus. Venceremos, GenossInnen.

Pardon, wo waren wir? Ah Postmoderne – die vergebens gegen Wahrheit wütet, solange sie sich mit Verve zu Wort meldet. Was haben ausgewachsene Profidenker gegen Wahrheit? Unterminieren sie nicht ihren eigenen Job? Natürlich. Doch warum nur? Wenn man genauer zuhört, kann man eine Motivations-Kakophonie vernehmen.

 Die – vor allem französische – philosophische Selbsthinrichtung war eine Reaktion auf das gesamteuropäische Desaster der Zwei Weltkriege, der Verbrechen an Völkern, Andersdenkenden, Andersglaubenden, Bösen und Minderwertigen. Nach Auschwitz ist kein Gedicht mehr möglich, den Satz Adornos verwandelten die Postmodernisten in den Satz: Nach Auschwitz ist keine Philosophie mehr möglich.

Waren die Deutschen keine Dichter und Denker gewesen? Kenner der Literatur, leidenschaftliche Freunde der Kunst und alles Guten und Schönen? Wenn nach 2000 Jahren philosophierender Kultur solche Katastrophen möglich sind, wozu noch die nutzlos scheinende Frage nach der Wahrheit?

Gemach. Ist die abendländische Kultur wirklich die Frucht des sokratischen Satzes: Unrecht erleiden ist besser denn Unrecht tun? Oder der Überzeugung hippokratischer Mediziner, dass es nur gleichwertige Menschen gibt?

Das Abendland ist kein monolithischer Block. Es besteht aus Denken und Glauben. Genauer: Denken gegen Glauben. Was hat sich durchgesetzt? Wie verlief der Kampf der beiden Elemente? Die Allergie gegen große Begriffe muss in Frankreich außerordentlich gewesen sein. (Die deutsche Denkerszenerie war nach dem Krieg geprägt von uneinsichtiger Selbstverteidigung.)

Althusser und Kollegen verdammten den Begriff Humanismus. Nicht die Religion wurde unter die Lupe genommen, sondern die Weisheit der Welt. Ohne es zu wissen, handelten die Postmodernisten im Geiste Paulus: „Was vor der Welt töricht ist, hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache. Vernichten werde ich die Weisheit der Weisen und die Einsicht der Einsichtigen werde ich verwerfen.“

Der Ekel vor dem Verbrechen regredierte in den Glauben und machte die Weltweisheit für alle Übel verantwortlich. Wenn es um Sein oder Nichtsein geht, ist es stets die Vernunft, die an die Wand gestellt und standrechtlich erschossen wird.

Gegenwärtig ist welterschütternde Finanzkrise und Niedergang westlicher Glaubwürdigkeit: nieder mit der Vernunft. Freunde, wir müssen zurück in das sichere Revier des himmlischen Vaters. Nachdem der verlorene Sohn sich vom Vater abgenabelt hatte, „kam eine gewaltige Hungersnot über jenes Land und er fing an, Mangel zu leiden.“ Da zieht es den Untreuen zurück zum gemästeten Kalb des Vaters, der allen Sündern vergibt, wenn sie sich nur seinen Wohltaten unterwerfen.

Sind Europäer überheblich, wenn sie der Meinung sind, Menschenrechte seien besser als keine Menschenrechte? Recht sei besser als Unrecht? Über Menschenrechte muss gestritten werden. Niemand kann seine Überzeugungen anderen aufoktroyieren. Jede Zwangsbeglückung ist totalitär.

Hieße die Alternative völliges Aufgeben der eigenen Position? Das wäre eine falsche Reaktionsbewegung, auch wenn sie momentan in den Politeliten rasant um sich greift. Das Geschwätz über Menschenrechte sei eurozentrisch und störe nur die Geschäfte. Mit Gewalt verbunden ist jeder Zentrismus verwerflich. Wenn aber verknüpft mit Vorbildlichkeit und Argumenten, ist „Wahrheitszentrismus“ für das gute Leben der Gattung unerlässlich.

Die Chinesen haben Recht, wenn sie die Armutsbeseitigung für ein Menschenrecht halten. Doch der Westen hat Recht, wenn er die Methoden der Beseitigung für totalitär erklärt, denn die Menschen werden ihrer Selbstbestimmung und Freiheit beraubt. Die Chinesen hätten Recht, wenn sie dem westlichen Kapitalismus vorwürfen, nur für den Reichtum weniger zu sorgen und die meisten Menschen in Bedeutungslosigkeit und Elend verkommen zu lassen. Jetzt haben sie den Kapitalismus selbst importiert und verstoßen gegen ihre eigenen früheren Prinzipien.

Konfuzius hat gewiss autoritäre Züge. Wer dieselben aber benutzt, um Demokratie auszuhebeln, der hat die Vorzüge des chinesischen Philosophen ausgeblendet. Die Naturliebe des Konfuzius, seine Gelassenheit, die Preisung menschlicher Lernfähigkeit hätten wir bitter nötig.

Die Frage nach wahren Menschenrechten wäre schnell beantwortet, wenn man die Völker entscheiden ließe. Die Debatte der Eliten spiegelt nicht die Meinungen der Völker wieder. Menschenrechtler in unterdrückten Staaten sind allergisch gegen die Aussage, Menschenrechte seien Erfindungen Europas und für andere Kulturen nicht geeignet.

Europa hatte die griechische Philosophie, Afrika die Charta von Manden. „Die Manden Charta. Menschenrechte sind keineswegs nur europäischer Export der Kolonialmächte nach Afrika, denn die Afrikanischen Staaten können sich auf eine eigene Menschenrechtskultur berufen. Die Charter of Manden soll schon 1222 mündlich proklamiert worden sein.“ Wer die Mandencharta gelesen hat, wird die Menschenrechte nicht mehr als exklusiven Besitz Europas bezeichnen. Auszüge aus dem „Eid von Manden“:

„Jedes Leben ist wertvoll. Deshalb darf kein Leben verletzt werden. Daraus folgt: Niemand soll sich über seinen Nächsten stellen. Niemand soll seinem Nächsten Unrecht tun. Niemand soll seinesgleichen Gewalt antun. Jeder soll seine Kinder richtig erziehen. Jeder soll für seine Familie sorgen. Der Hunger ist ein Übel. Die Sklaverei ist ein Übel. Auf Erden sind dies die größten Plagen.“

Aufklärung bedeutet, eigene Erkenntnisse selbstbewusst vorzutragen und nicht aus falscher „Demut“ zu verleugnen, was man für richtig hält. Und dennoch im Lichte des Fremden das Eigene kritisch beäugen. Beide Fragen sind gleichberechtigt: was können wir von anderen, was können andere von uns lernen? Wenn dies Eurozentrismus sein sollte, wäre er gerechtfertigt. Wenn er aber Überwältigungswillen bedeutete, dann weg mit ihm ins Archiv der Unmenschlichkeit.

Gabriel und Neiman fordern Europa auf, nicht länger eine öde Wirtschaftszone zu bleiben. Was schlagen sie vor? „Ein solches Europa, in dem nicht allein Staats- und Regierungschefs und Technokraten in Brüssel über die Zukunft von 500 Millionen Menschen entscheiden, sondern frei gewählte nationale Parlamente zusammen mit einem frei gewählten europäischen Parlament – das wäre ein Angebot, für das leidenschaftlich zu streiten lohnt. Es könnte die Hoffnung der Menschen zur demokratischen Veränderung durch Mut, Ideen und Visionen wieder nähren.“

Dass Aufklärung ihre humane Wirkung dem Niederringen religiöser Unmenschlichkeit zu verdanken hatte, wird in dem saft- und kraftlosen Pflichtaufsatz von Neiman und Gabriel nicht mal erwähnt. Aufklärung wird zur dünnen Wassersuppe aufgekocht.

Die Realpolitik soll nicht länger Maßstab der Politik sein. Sondern was? „Nur wer bereit ist, die gegebenen Zustände entlang von Werten und Prinzipien grundlegend progressiv zu verändern, überschreitet die Grenzen von Realpolitik.“ Progressive Werte und Prinzipien? Geht’s noch trivialer und platitüdenhafter?

Die Philosophin steuert noch eine Prise Kant bei und fertig ist die Aufklärung zum Schnellverzehr. Aufgabe der Kant’schen Vernunft sei es, „sicherzustellen, dass die Erfahrung nicht das letzte Wort hat; sie soll uns dazu antreiben, den Horizont unserer Erfahrung zu erweitern, indem sie uns Ideen liefert, denen die Erfahrung gehorchen soll.“

Das klingt, als müsse die Idee die Welt so traktieren, dass Erfahrung willenlos zu gehorchen habe. Wäre das nicht Vergewaltigung der Erfahrung durch willkürliche Prinzipien? Womit wir wieder bei platonischer Zwangsbeglückung wären. Gewiss, bei Kant gibt es die Überzeugung, dass der Mensch der Wirklichkeit etwas vorschreiben müsse. Dennoch: ist Unterwerfung der Realität durch menschliches Denken der Kern der Aufklärung?

Menschenrecht ist kein Despotismus, um die Realität zu unterwerfen. Es gibt unendlich viele Erfahrungen geglückten Lebens in allen Epochen der Menschheit. Glück ist niemals das Ergebnis einer Vergewaltigung. Weder der Natur noch des Menschen. Eine vitale Aufklärung beruft sich nicht auf blutleere Ideen, sondern auf Erfahrungen glücklichen Lebens bei allen Völkern der Welt.

Solange geherrscht und gehorcht wird, sind wir nicht aufgeklärt. Glück lässt sich nicht aufspalten in leblose (= apriorische) Ideen und erzwungene Erfahrungen. Nach Kant ist menschliches Leben „nicht auf Glück als höchstes Ziel eingestellt – wenn auch von Natur aus jeder nach Glück strebt.“ Für die Verknüpfung von Sittlichkeit und Glückseligkeit würde die Religion sorgen, so Kant, der hier, in Anlehnung an Adam Smith, seine Version der Unsichtbaren Hand vorträgt.

Genau das ist Aufklärung nicht. Für Glück und Unglück seiner Gattung ist der Mensch selber zuständig.