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Donnerstag, 28. März 2013 – Karfreitag

Hello, Freunde des Karfreitags,

die deutsche Demokratie hat fast keine politischen Feiertage. Wir tanzen nicht um den Freiheitsbaum, gedenken nicht der Vorkämpfer der Demokratie. Selbst Pfälzern ist das Hambacher Fest so gut wie unbekannt. Wer kennt die südbadensischen Freiheitshelden Friedrich Hecker und Gustav Struve? Was ereignete sich im Vormärz?

Politik ist bei uns kein Anlass zur politischen Freude in der Polis. Unser Kalender wird von kirchlichen Erinnerungstagen besetzt. Erinnerungen an Geschehnisse, die Schauende und Entrückte vor Tausenden von Jahren halluzinierten.

Noch immer will Politik, Hand in Hand mit der Kirche, den Bürgern am Karfreitag vorschreiben, was sie tun und machen dürfen. Tanzen und unzüchtige Musik bleibt verboten. Christliche Scharia.

(Pascal Beucker in der TAZ)

Wir haben eine Geschichtsreligion, die mit Geschichte nichts zu tun hat. Je mehr die Menschen sich von den Kirchen entfernen, je christlicher werden sie. Abendländischer Glaubensstolz, der die Welt überwunden hat.

Wir haben eine kostbare Religion, die mit den Mythen der Ungläubigen aufgeräumt hat. C. F. von Weizsäcker rühmt die biblische Schöpfungsgeschichte, die dem magischen Aberglauben der Heiden ein Ende bereitet hat.

Es ist kein Mythos, dass ein Gott aus Nichts die Welt zaubert. Es ist kein Aberglauben, wenn man betet, um Schaden von sich und seiner Familie abzuwenden.

Die innigsten Bach-Choräle werden an Karfreitag gesungen.

O Haupt voll Blut und Wunden,
Voll Schmerz und voller Hohn,
O Haupt, zum Spott gebunden
Mit einer Dornenkron,

O Haupt, sonst schön gezieret
Mit höchster Ehr’ und Zier,
Jetzt aber hoch schimpfieret:
Gegrüßet sei’st du mir!

Umwertung aller Werte? Die Welt scheint auf den Kopf gestellt. Was sonst schön gezieret war, ist nun mit Schmerz und Hohn schimpfieret. Das Starke ist schwach und hässlich geworden. Was ist mit dem edlen Angesicht geschehen, vor dem sonst die ganze Welt erschreckt? Ist Christentum die Negation der heidnischen Despotie?

Du edles Angesichte,
Davor sonst schrickt und scheut
Das große Weltgewichte
,
Wie bist du so bespeit!
Wie bist du so erbleichet!
Wer hat dein Augenlicht,
Dem sonst kein Licht nicht gleichet,
So schändlich zugericht’t?

Wovor sie in normalen Zeiten Furcht und Angst empfinden, müssen sie jetzt bemitleiden. Die Gefühle haben sich ins Gegenteil verkehrt. Kein natürliches Gefühl kann sich seiner mehr sicher sein.

Natur wird zerrüttet, Übernatur ergreift die Macht über Denken und Fühlen. Der absolute Machthaber der Welt wird ans Kreuz geheftet und zum Sündenbock der Menschen gemacht. Sein Triumph ist zum Leiden geworden – das in Bälde den absoluten Endsieg erringen wird.

Des Herrn Antlitz war schöner als die Sonne und wird wieder schöner sein als die ganze Natur. Doch in der Mitte der Zeit hat er sich ins Gegenteil des Schönen gehüllt. Er hatte weder Gestalt noch Schöne, dass wir nach ihm geschaut, kein Ansehen, dass er uns gefallen hätte. Mit unschön verzerrten Zügen hängt er an jedem Marterl, um die Schönheit der Natur zu blamieren.

Törichte Menschen, verehrt und liebt nicht die schöne Natur, sie ist Lug und Trug, der euch in den Bann schlägt und euch zum Narren hält. Auch die Schönheit der Frauen ist nur trügerische Verführung, mit der sie euch ins Verderben ziehen.

Die Hässlichkeit der geschändeten Natur fällt uns nicht mehr auf. Unter den Hammerschlägen der Technik muss die entblößte Natur ihr wahres, ihr abschreckendes Gesicht zeigen. Des Menschen Herrschaft entblößt die abstoßende Natur. Lasst euch von Frauen und Natur nicht an der Nase herumführen, ihr Eros ist Lug und Trug.

Warum gelten schöne Männer als dumm? Weil ein wahrer Mann hässlich sein darf. Er ist ehrlich und muss keine Maske tragen. Der hässliche Mann ist das Plagiat des Erlösers, der der Welt den falschen Schein des Vollkommenen und Schönen vom „Angesicht reißt“. Auf dem Angesicht des hässlichen Mannes liegt der Vorschein des Endsiegers, dessen zukünftige Schönheit alles überstrahlen wird.

Für Hegel ist das wahrhaft Schöne die Kunstschönheit, nicht die Schönheit der Natur. „Man kann abstrakt sagen, das Ideal sei das in sich vollkommene Schöne und die Natur dagegen das unvollkommene.“ (Vorlesungen über die Ästhetik I)

Der Geist des Menschen entwickelt das perfekte ideelle Schöne. Gegen die Vollkommenheit des geistgeborenen Schönen hat das Naturschöne keine Chance. Was der Mensch entwickelt, ist der Natur überlegen – auch wenn es nicht immer danach ausschaut.

Die Wunden in der Natur durch Landzerstörung lässt das Herz des männlichen Ingenieurs vor Freude hüpfen. Was dagegen ist ein vor Naturhässlichkeit strotzender Urwald? Erst wenn das Wilde und Rohe durch Zivilisation abgekocht ist, wenn schnurgerade Straßen den Triumph des Menschen über das unerlöste Chaos der Natur zeigen, wenn Bäume wie Streichhölzer aussehen, wenn die Landschaft durch rechtwinklige Grenzziehungen auf Vordermann gebracht wurde, hat das minderwertige Naturschöne ausgespielt.

Das Naturschöne ist hässlicher als das Geistschöne, weil Natur endlich und unfrei ist. Der Mensch ist die Krone der Schöpfung, weil er des Unendlichen und Freien mächtig ist. Solange etwas endlich in sich gärt und schmort, hat es die Freiheit des unendlichen freien Geistes noch nicht erreicht. „Das natürliche Leben jedoch bringt es nicht über die Empfindung hinaus, die in sich bleibt, ohne die gesamte Realität total zu durchdringen.“

Nur der Mensch kann alles totalitär mit seinem Geist durchdringen. Wo er war, wächst kein Gras mehr. Das zeigt seine Überlegenheit über die endliche Natur. Die vom Menschen nicht geprägte Natur empfindet sich nur selbst. Sie nimmt keine Notiz vom Menschen. Das ist Blasphemie vor dem Herrn der Schöpfung, der Spuren hinterlassen will, wo immer er seinen Fuß auf den Boden setzte.

Das Mangelhafte ist Endlichkeit, das Geistige und Schöne ist unendlich. Das Unendliche ist das Göttliche, das sich die Natur untertan gemacht hat. „Der Begriff – des Menschen – und konkreter noch die Idee ist das in sich Unendliche und Freie.“ Natur bleibt so lange hässlich und minderwertig, solange sie sich der totalen Herrschaft des Menschen entzieht. Das Kunstschöne muss die Hässlichkeit der Frau und der Natur korrigieren und perfektionieren.

Warum sind die meisten Modemacher Männer? Weil sie am besten wissen, was Frauen schön macht. „Die Notwendigkeit des Kunstschönen leitet sich also aus den Mängeln der unmittelbaren Wirklichkeit her, dass es den Beruf habe, die Erscheinung der Lebendigkeit und vornehmlich der geistigen Beseelung auch äußerlich in ihrer Freiheit darzustellen und das Äußerliche seinem – männlichen – Begriffe gemäß zu machen.“

Das Pygmalion-Motiv: der Mann schlägt aus Stein seine Traumfrau und macht sie zu seinem Ebenbild. Erst der Mann macht aus der Frau (oder Natur) einen ansehenswerten Menschen oder eine vom – männlichen – Geist geprägte Erde.

Die moderne Kunst ist aus verschiedenen Beweggründen zur Anbetung des Hässlichen übergegangen. Da war der Aufstand gegen eine unlebendig gewordene, rein dekorative Schönheit im Dienst der Macht. Da war das Motiv, das diffamierte Hässliche zu rehabilitieren, zu zeigen, dass es Hässliches in der Welt gar nicht gibt. Auch das Diskreditierte und Verleumdete ist schön. Da war der Protest gegen die technische Verhässlichung der Natur.

Doch an dieser Stelle ist die moderne Kunst stehen geblieben. Die reale Hässlichkeit der Natur war durch keine Installation eines Müllberges in einem Museum zu übertreffen. Keine Kunst besitzt mehr die Reichweite und Kraft, das Elend der zerstörten Natur zu zeigen, dass die Menschen ihr Leben ändern.

Rilke war naiv, als er davon träumte, dass ein archaischer Torso Apollos eine entscheidende Wirkung haben kann:

„Denn da ist keine Stelle,
die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern“

Seitdem die Kunst das Leben von niemandem mehr ändert, ist sie den reichen Mäzenen und Industriellen ins Netz gegangen. Picasso war noch sozialistisch, ja stalinistisch. Kein Künstler von Rang, der nicht antikapitalistisch gewesen wäre. Heute gehören sie selbst zu den Reichsten. Ihre Mäzene und Magnaten sind zu virtuosesten Kunstkennern geworden.

Kein Wunder, denn die gegenwärtige Kunst sticht und beißt nicht mehr. Man kann an den Werken mit folgenlosen Gefühlen vorbei flanieren, als ob man sie streicheln wollte. Geld hat Kunst zur schnurrenden Wildkatze gezähmt.

Mit Hegels Worten: „die Dürftigkeit der Natur und der Prosa“ ist überwunden. „Dann erst ist das Wahre aus seiner zeitlichen Umgebung, aus seinem Hinaussichverlaufen in die Reihe der Endlichkeiten herausgehoben und hat zugleich eine äußere Erscheinung gewonnen, aus welcher nicht mehr die Dürftigkeit der Natur und der Prosa hervorblickt, sondern ein der Wahrheit würdiges Dasein.“

Menschheit, freue dich, wir nähern uns einer Natur, die der Wahrheit umso würdiger wird, je mehr der absolute Geist des Menschen sie in Einzelteile zerlegt, damit sie neu und vollkommen werden kann. Das entspricht der paulinischen Idee, dass die verkommene Natur sich danach sehnt, vom Menschen erlöst zu werden. Hegel ist nur der Kommentator zu Römer Neues Testament > Römer 8,19 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/roemer/8/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/roemer/8/“>8,19 ff:

„Denn wir wissen, dass alles Geschaffene insgesamt seufzt und sich schmerzlich ängstigt bis jetzt. Denn die Sehnsucht des Geschaffenen wartet auf das Offenbarwerden der Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn der Nichtigkeit wurde das Geschaffene unterworfen, nicht freiwillig, sondern um dessen willen, der es ihr unterwarf.“

Formuliert in Prosa endlicher Dürftigkeit: die Natur wurde vom Mann vergewaltigt, damit er sie anschließend als großer Erlöser retten darf.

Einst war der Heiland so schön wie Apoll. Doch die apollinische Schönheit muss zuschanden werden durch das Kreuz am Golgatha:

„Die Farbe deiner Wangen,
Der roten Lippen Pracht

Ist hin und ganz vergangen;
Des blassen Todes Macht
Hat alles hingenommen,
Hat alles hingerafft,
Und daher bist du kommen
Von deines Leibes Kraft.“

Auch Schiller, der Nichtchrist, muss das Schöne sterben lassen. Die Mächte des schwäbischen Pietismus sind stärker als die künstlich angeeignete Gräcomanie:

„Auch das Schöne muß sterben! Das Menschen und Götter bezwinget,
Nicht die eherne Brust rührt es des stygischen Zeus.
Einmal nur erweichte die Liebe den Schattenbeherrscher,
Und an der Schwelle noch, streng, rief er zurück sein Geschenk.

Siehe! Da weinen die Götter, es weinen die Göttinnen alle,
Daß das Schöne vergeht, daß das Vollkommene stirbt.
Auch ein Klaglied zu sein im Mund der Geliebten ist herrlich;
Denn das Gemeine geht klanglos zum Orkus hinab.“

Am Tod des Schönen können wir nichts ändern. Was uns bleibt, ist der Gesang der Klage (= Nänie). Gräcomanisch ist Schillers Gedicht nicht mehr. Bei Platon ist das Schöne zeitlos und unvergänglich. Mit dem Schönen hat Goethes Freund abgeschlossen. Freie Fahrt der Naturzerstörung, der Herrschaft des Hässlichen.

Wer ist schuld am Tod des Heilands? Der Mensch: Du da und Du dort!

Nun, was du, Herr, erduldet,
Ist alles meine Last;
Ich hab’ es selbst verschuldet,
Was du getragen hast.
Schau her, hier steh’ ich Armer,
Der Zorn verdienet hat;
Gib mir, o mein Erbarmer,
Den Anblick deiner Gnad’!

Die wahre Schuld der Kreatur ist, dass sie ihren Retter zuschanden macht. Der Mensch hat den Tod des Schuldlosen verursacht. Die Schuld kann nur getilgt werden, wenn der Mensch sein Opfer als Erlöser anbetet und ihm durch Glauben zur Auferstehung verhilft. „Es wäre gut, dass ein Mensch würde umbracht für das Volk.“ Gutes muss durch Tötung eines Unbeteiligten erreicht werden. Wie viele Menschen müssen noch sterben, dass der heilige Rest sich gerettet fühlt?

In Strophe 7 kommt der Sadismus des Sünders zum Vorschein:

Es dient zu meinen Freuden
Und kommt mir herzlich wohl,
Wenn ich in deinem Leiden,
Mein Heil, mich finden soll.
Ach, möcht’ ich, o mein Leben,
An deinem Kreuze hier
Mein Leben von mir geben,
Wie wohl geschähe mir!

Der Schuldige am Tod des Herrn empfindet Freude über das Leid des Gekreuzigten. Es dient zu seinen Freuden, es wird ihm herzlich wohl, wenn er an Jesu Leiden sein Heil finden kann. Was für absurde Gefühlsverschränkungen, die von keinem abendländischen Seelentherapeuten je analysiert wurden und unser Seelenleben in ein Vexierspiel verwandeln.

Der Schuldige am Tod des Erlösers freut sich über dessen Leiden, ohne das er nie aus seinem Elend herauskäme. Eine normale sadomasochistische Beziehung ist ein Kinderspiel gegen die sadomasochistische Verstrickung zwischen Erlöser und Sündenkrüppel.

Die christliche Botschaft soll die ganze europäische Geschichte geprägt haben – nur nicht das Seelenleben des gemeinen Europäers. Welche Bedeutung kann ein Ödipus-Komplex haben im Vergleich zum Erlöser-Komplex? Die Psychotherapie hat die gesamte Religion verleugnet und verdrängt.

Der Tod des Gottessohnes war eine revolutionäre Kampfansage an die Mächtigen der Welt. Nicht ordinäre Macht sollte das letzte Wort haben, sondern – die Allmacht des Erlösers, der sich dem scheinbaren Tod hingab, um den Mächtigen zu zeigen: eure Macht hat keine Gewalt über mich. Nicht mal einen Wehrlosen, nicht mal einen Ohnmächtigen könnt ihr besiegen, wenn die himmlische Macht nicht will.

Ohnmacht und Allmacht sind zusammengewachsen. Gott beherrscht die gesamte Palette menschlicher Handlungsmöglichkeiten. Die angekündigte Revolution beendete im Credo die politische Macht der Potentaten. Erweckte bei Unterdrückten und Schwachen neue Hoffnung auf Befreiung und auf ein selbstbestimmtes Leben.

Doch die Hoffnung trog. Wer sich dem Ohnmächtigen am Kreuz übergab, endete in den allmächtigen Fängen des Herrn der Heerscharen. Die Revolution war eine Scheinrevolution.

Warum revoltiert der christliche Westen nicht? Weil die Revolution schon stattgefunden hat – im Glauben.

An Revolution muss man glauben. Glauben ist Fürwahrhalten dessen, das man nicht sieht. Das Evangelium gaukelt den Gläubigen vor, alles sei schon erledigt. Der Heiland habe die Probleme der Welt gelöst. Wenn ihr glaubt, werden Berge versetzt und die Revolution wird die Welt auf den Kopf stellen. Fiktiv sind alle Probleme bereits gelöst. Der Glaube ist die 2.0-Welt der Sehnenden und Hoffenden. Alles ist bereits da, alle Aufgaben sind erledigt.

Mitten im Prunk und Reichtum der Weltkirche mimt der neue Papst den Armen und Schlichten. Und schon ist das Menschheitsproblem der Armut gelöst. Es hängt nur an Dir: Glaube und du erweckst die Heilstatsachen Jesu zu Fakten. Wenn nicht, hast du nicht genügend geglaubt.

In Griechenland gab‘s eine Revolution gegen die Macht der Reichen und Starken. Sie mündete in Errichtung der Demokratie, der debattierenden Agora und der kritischen Philosophie.  

Im heiligen Land ereignete sich die Revolution durch Offenbarung und Erlösung. Wie Frauen in ihrem Kampf gegen männliche Tyrannei sich in die Falle eines allmächtigen Tyrannen begaben, so verendete die gläubige Gemeinde, die sich von der Despotie der Magnaten befreien wollte, in den Armen eines omnipotenten Alleinherrschers.

Die Scheinrevolution des Glaubens verhindert bis heute alle realen politischen Revolutionen. Wenn von kompetenter Stelle alles erledigt ist, hat der Mensch nichts mehr zu tun.

Bei Freud ist Denken Probehandeln. Im Christentum ist Glauben phantastisches Ersatzhandeln, das jedes reale Handeln verhindert.

Neoliberale Magnaten wissen, warum sie Kunst und Religion hegen und pflegen.