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Mittwoch, 13. März 2013 – Konklave

Hello, Freunde Ungarns,

unter den Augen Europas ramponiert Orban die Gewaltenteilung in Ungarn. Die Rechte des Verfassungsgerichts werden zunehmend beschnitten. „Den Richtern wird de facto die Kompetenz zur Prüfung eines Gesetzes auf seine Vereinbarkeit mit den Grundsätzen der Verfassung entzogen. Was ihnen bleibt, ist das Recht, über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens zu urteilen.“

Die halbherzigen Reaktionen hätten die Situation in Ungarn nur verschlimmert, schreibt die BLZ. „Folgenlose Kritik wiegt die Zweifelnden im Land in der Sicherheit, dass ihre Regierung stark ist und sich gegen mächtige Feinde durchsetzt.“

(Norbert Mappes-Niediek in der BLZ)

 

Kon-klave heißt mit Schlüssel. „Aber auch ich sage dir: du bist Petrus und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen und die Pforten des Totenreiches werden nicht fester sein als sie. Ich will dir die Schlüssel des Reiches der Himmel geben und was du auf Erden binden willst, das wird in den Himmeln gebunden sein und was du auf Erden lösen wirst, das wird in den Himmeln gelöst sein. Dann gab er den Jüngern strengen Befehl, sie sollten niemandem sagen, dass er der Christus sei.“ Seine Zeit war noch nicht gekommen.

Seit den Geschichtsreligionen ist Wahrheit eine Funktion der Zeit. Bei den Griechen war die Wahrheit zeitlos. Entweder wahr, dann immer wahr, oder falsch, dann immer falsch. Was nicht bedeutet, dass alle Wahrheiten erkannt sein müssen, sie werden nach und nach gefunden. „Nicht gleich anfangs zeigten die Götter den Sterblichen alles, Sondern sie finden das Bessere suchend im Lauf der Zeiten,“ hatte

Xenophanes, der radikale Religionskritiker erklärt. Sein Spruch wurde zu einem Leitspruch Poppers.

Der Mensch findet die Wahrheit peu à peu in der Zeit, doch ihre Geltung ist unabhängig von der Zeit. Wahrheiten sind Gesetze der unveränderlichen Natur, des schönen und wohlgeordneten Kosmos. „Sie schafft ewig neue Gestalten, was da ist, war noch nie, was war, kommt nie wieder alles ist neu und doch immer das alte“, schreibt Goethe in seinem Manifest über die Natur ganz im Sinn der Griechen. Bei Heraklit waren der ewige Wechsel der Natur und die unverbrüchliche Gesetzmäßigkeit allen Geschehens eine Einheit.

Im Neuen Testament war alles neu und das Alte dem Untergang geweiht. Das Alte ist das Minderwertige, das regelmäßig vom Neuen ausgeschieden werden muss. Ab der Schöpfungslehre des Christentums beginnt die Geschichte des Abfalls, des Mülls. Seit dem Abfall des Menschen von der Norm des Gottes ist die Geschichte des Menschen zur Geschichte des Abfalls geworden.

Der Abfall vom Absoluten steht im Mittelpunkt der Philosophie Schellings. Weil die Welt von Gott abgefallen ist, muss sie zur Strafe zur planetarischen Müllkippe werden. Wenn Altes und Neues nicht identisch sind, sich nicht ständig ineinander verwandeln, ist die Natur gespalten und zum Untergang verurteilt – in Erwartung eines ganz Anderen, eines ganz Neuen. Im griechischen Kosmos wäre kein Sohn Gottes möglich gewesen, der der alten Natur das Todesurteil spricht.

Die Ursache der ökologischen Katastrophe ist der Abfallcharakter der Natur unter der Norm eines Schöpfers, der seine eigene Creation für minderwertig hält und zum Tode verurteilt. Seit dem Fluch ihres Erschaffers steht die Natur unter Vorbehalt. Zuerst sollte sie gleich wieder mit Stumpf und Stil vernichtet werden, dann aber hat der Herr ein vorläufiges Einsehen:

„Ich will hinfort nicht mehr die Erde um des Menschen willen verfluchen, ist doch das Trachten des menschlichen Herzens böse von Jugend auf. Und ich will nicht mehr schlagen, was da lebt, wie ich getan habe. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“

Das kann nur ein jämmerlicher Trost sein, denn wie lange steht die Erde? Garantien für ihre Ewigkeit gibt es nicht. Die Erde steht solange, solange die Erde steht – wie beruhigend für die Gläubigen, die damit rechnen müssen, dass die alte Erde sich im nächsten Augenblick in Nichts aufgelöst hat.

Im Kosmos der Griechen stand alles unter Ewigkeitsgarantien. Was für ein Lebensgefühl muss das gewesen sein. Wir sind Teil der Natur. Die Natur war, ist und wird immer sein. Das ist die Ewigkeitsklausel der Wahrheit. Was wir erkannt haben, haben wir erkannt. Sofern wir uns nicht geirrt haben, wird uns diese Wahrheit in alle Ewigkeit tragen und festhalten.

Die Wahrheit der Erlöserreligion steht unter dem Obsoleszenz-vorbehalt: eins und eins sind zwei – sofern der Messias nicht kommt und das Gegenteil behauptet. Alles veraltet und wird unwahr. Wahrheit ist eine Funktion der Zeit. Eben war die Schöpfung noch eins mit Stern, zwei Tage später hätte ihr Erfinder sie auf der Stelle erwürgen können wegen irreparabler Kaputtheit. Dann lässt er sie gnädig davonkommen, doch nur eine ungewisse Zeit.

Zwischendrin wird der Sohn des Schöpfers herangekarrt, um eine Generalreparatur durchzuführen. Die Jünger sollen den Menschen noch nicht sagen, dass ihr Herr der Christus sei. Er ist sich seiner Sache noch nicht sicher. Die Wahrheit ist eine Funktion der Zeit und wenn die rechte Zeit nicht gekommen ist, ist die Wahrheit nicht die ganze Wahrheit. Die Wahrheit wird nicht von Menschen peu à peu aufgepirscht, sie wird ihnen von Zeit zu Zeit geoffenbart. Wenn Wahrheit eine Funktion der Zeit ist, ist sie eine Funktion fortlaufender und undurchschaubarer Offenbarungen.

Eine der mächtigsten Organisationen der Welt sucht ein neues Oberhaupt, der die Wahrheit der Kirche im Kairos, der rechten Zeit, neu justieren soll. Die Erfinder der Postmoderne sind die Priester, deren Wahrheit von der Zeit abhängig ist. Welche Wahrheit ist der Weltkirche im jetzigen Augenblick ihrer Geschichte angemessen? Welche Offenbarung soll eine neue Balance herstellen zwischen Aufgeschlossenheit für die Welt und dem prophetischen Wort an die Welt?

Wer bestimmt wen? Die Zeit die Kirche oder die Kirche die Zeit? In welchem Maß muss die Kirche von der Welt lernen? Und in welchem Maß hat die Welt sich der Kirche unterzuordnen? Die Zeiten ändern sich und die Kirche braucht neue Botschaften, in denen sich die Welt erkennen kann. Gleichzeitig will die Welt eine unerschütterliche Kirche, an der sie sich die Zähne ausbeißt.

Was ist das Geheimnis der Macht des Papismus? Dass sie sich der Welt entgegenstellt. Das ärgert die Welt und – bewundert sie im gleichen Augenblick. Denn die Moderne ist sich ihrer Sache so unsicher, dass jeder Widerstand gegen ihre wechselnden Bedürfnisse ihr wie ein sigillum veri erscheint, wie ein Zeichen der blanken Wahrheit. Wer die Kraft hat, der Moderne zu widerstehen, imponiert der Moderne, auch wenn sie sich es nicht zugibt.

Ein Fels in der Brandung kann eine ärgerliche Sache sein, man kann an ihm zerschellen. Er kann aber auch die letzte Zuflucht im brüllenden Meer sein, an dem man sich festhalten kann. Die Macht der katholischen Kirche besteht in ihrer Widerständigkeit, in ihrer verschleppten Ungleichzeitigkeit.

Wer die Bilder aus Rom sieht mit den Gesten ewiger Rituale, der kommt zur Ruhe, der fühlt sich von aller Hetze und modischem Potpourri befreit. Hier atmet ruhig und gleichmäßig der Gott, der über den Zeiten steht, und dennoch seine Botschaft in die Moderne hineinsagt. Gleichwertiges hat der Protestantismus nicht zu bieten, der jeder Torheit hinterherläuft und sich schamlos jeder Tagesparole anbiedert.

Die Menschheit will zur Ruhe kommen, traut sich aber nicht, ihr Bedürfnis dem Alltag mitzuteilen, der Welt der Arbeit. Also ist sie gezwungen, sechs Tage lang zu malochen, am siebenten Tag aber will sie ruhen. Seit Erfindung des Sonntags ist Ruhe etwas, was es im sündigen Alltag nicht geben darf. Arbeit muss Strafe sein. Strafe für den Abfall von Gott in der Frühe der Geschichte.

Arbeit darf keine Freude sein, die mir das Maß meiner Gestaltungskraft zeigt. Freie Arbeit ist das beglückende Gefühl der Kooperation mit der Natur, die gerne gibt, weil sie von ihrem Überfluss abgeben will.

Seit Erfindung des Sonntags steht die Moderne unter dem Fluch der ruhelosen sechs Tage. Ruhe ist das Privileg des Sonntags. Der Sonntag ist der Tag des Herrn und der Kirche. Solange die Menschen sechs Tage ihr Brot in Unruhe und Unsicherheit verdienen müssen, haben sie Sehnsucht nach dem Sonntag der Kirche, wo sie zur Ruhe kommen wollen. „Denn wer in seine Ruhe eingegangen ist, ruht auch selbst von seinen Werken wie Gott von den seinigen. So wollen wir uns nun eifrig bemühen, in jene Ruhe einzugehen.“

Gott ruht nicht in sich, er ist ein Gehetzter und Getriebener. Seine Schöpfung hat ihn schon überfordert. Kaum hat er hat das Gröbste erschaffen, schon ist er ausgelaugt und braucht einen Ruhetag, um sich vom Kreieren zu erholen. Er will die Natur in ihrer Schöpferkraft imitieren, das gelingt ihm nur durch einen außerordentlichen Kraftverschleiß.

Ganz anders die Natur: „Ungebeten und ungewarnt nimmt sie uns in den Kreislauf ihres Tanzes und treibt sich mit uns fort, bis wir ermüdet sind und ihrem Arme entfallen.“ (Goethe)

Erfinden und erneuern ist für Mutter Natur ein Tänzchen am Nachmittag, eine Leidenschaft, eine Lust. Keine entfremdete und frustrierende Arbeit, die man – kaum hat man sie geleistet – schon wieder mit Stumpf und Stil zerstören will.

Wir sind des Erfindens und Entwickelns müde. Die zwanghafte Creativität hängt uns zum Hals heraus. Erschaffen aus dem Nichts. Das Nichts ist das Vakuum unseres Kopfes, aus dem nichts mehr zu holen ist. Der Kopf des homo faber ist ausgekratzt bis auf den Boden. Was jetzt noch kommt, ist nur noch Angeberei und Tand. Die Übertreibung einer Übertreibung, der wir längst überdrüssig geworden sind.

Wir dürfen nicht müde werden, schon ruht Deutschland sich wieder auf den Lorbeeren seines wirtschaftlichen Wachstums aus. Schon stehen die fünf Weisen vor der Tür und ermahnen, mehr zu arbeiten und nicht so üppig zu verdienen. Die Anstrengung, durch Creativität gottgleich zu werden, hat die Moderne ausgelaugt.

Schaut sie auf den Papismus, fühlt sie sich befreit von allem Selbstrühmen und Selbstbemühen. In diesen ewigen Hallen kann sie die Tätigkeit ihres Selbst einstellen. Die ewige Kirche ist gnädig und befreit den Menschen vom Zwang, sich autonom zu zeigen. Hier darf er knien, hier darf er sich unterwerfen. Hier darf er sein Selbst auf den Müll der Geschichte kippen. Hier warten alle Dienstleistungen Gottes auf ihn, der besser weiß, was er braucht, besonders, wenn er sich klein und hässlich fühlt. In der Welt habt ihr Angst, siehe, ich habe die Welt überwunden.

Umgekehrt wird ein Schuh draus. In der Natur fühlt sich der Mensch zuhause, kommen Gottes Unheilspropheten, füllen sie ihn mit Todesfurcht und Höllenangst.

Um zu erfahren, welche Macht die Kirche auszeichnet, muss man an die Zeit ihrer Entstehung zurückgehen. Sage mir, wie du entstanden bist und sich sage dir, wie du tickst. Das Christentum hat ein Weltreich besiegt, übernommen und zu einem geistigen Weltreich ausgebaut. Die Päpste sind die Erben der römischen Kaiser. Der Vatikan ist die pax romana – ohne Soldaten und Kanonen, nur mit der Waffe des Wortes. „Darum ergreifet die ganze Waffenrüstung Gottes, damit ihr am bösen Tage Widerstand leisten könnt.“

Wie hat er dieses Kunststück vollbracht? Mit welchen Waffen? Wie konnte eine geistliche Macht eine weltliche kirre machen? Wer nicht an die Allmacht eines Gottes glaubt, muss sich das Wunder profan erklären. Rom war nicht das Opfer des Christentums. Die mächtige Stadt war schon längst durch interne Klassenkämpfe und Widersprüche in sich zusammengebrochen. Die Christen mussten die Riesenleiche nur noch entsorgen und beerdigen.

Der erste christliche Verein in Rom war ein Beerdigungsverein. Die Christen sind die besten Beerdiger der Weltgeschichte. Sie beerdigen alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist: die irdische Lust, das eigenständige Erkennen, die autonome Moral, die emotionale Verbindung mit der Natur, die Solidarität unter den Menschen. Die ganze Welt, alle Werke des Fleisches und des Selbstrühmens. Der selbstbewusste Mensch wird am liebsten verscharrt.

In seinem epochalen Werk „Die Mission und Ausbreitung des Christentums“ beschreibt Adolf von Harnack die Situation des Christen im untergehenden Römerreich. Der Christ konnte die damalige Welt erobern, weil er – sie verschmähte. Pardon, weil er tat, als ob er sie verschmähte. Pardon, weil er tatsächlich glaubte, sie zu verschmähen. Weil er tatsächlich an ihren Untergang glaubte und das Erbe der toten Welt übernehmen würde in der glühenden Hoffnung, sie werde ganz neu auferstehen. Nicht mehr als irdisches, sondern als ewiges Reich ihres wiedergekommenen Messias.

Indem sie Nein sagten zur Welt, konnten sie die Welt als Gesamtpaket übernehmen. Niemand wollte die Trümmer eines stolzen Weltreiches. Vandalen und Germanen wollten nur zerstören, mit einem Weltreich konnten sie nichts anfangen. Da mussten schon andere Geister auftreten, mit der Machtgeste der Cäsaren und der himmlischen Attitüde der Stellvertreter Gottes. Der Geist übernahm das leere Gehäuse der Macht und wurde selbst zur doppelten Macht: hier auf Erden und jenseits der Erde.

Nun begann ein raffiniertes Doppelspiel zwischen Geist und Macht quer durch alle Jahrhunderte bis zum heutigen Tag. Durch Verzicht auf ordinäre Macht setzte sich der Geist über jede politische Macht hinweg. Das geistliche Schwert begann dem weltlichen Schwert zu befehlen. Als Gegenleistung trieb es der weltlichen Macht die Schäfchen ins Gehege, die nun jeder Obrigkeit gehorchten, als ob sie Gott selbst gehorchten.

Die Grundstimmung der ersten Christen war Absage an die Welt. „Von allen Christen kann man das Wort hören: Mir ist die Welt gekreuzigt und ich der Welt.“ Die Welt wurde ans Kreuz gehängt, die Christen erfanden den Tod der Natur. Die Heiden nannten den Christen „den Feind der ganzen Natur“. Tertullian: „Wir können auf keine Weise zu Schaden kommen, weil wir in dieser Welt schlechthin kein anderes Interesse haben, als sie so schnell wie möglich zu verlassen.“

Der Siegeszug über die Welt begann mit der Flucht vor der Welt, mit deren Erniedrigung und Eliminierung. Seit Christus den Tod am Kreuz besiegt hatte, war die sündige Natur mit besiegt. Die Frohe Botschaft war eine Todesanzeige: die Natur ruhe in – Unfrieden. Sie schmore in der Hölle, denn sie hatte die Unverschämtheit besessen, sich selbst erschaffen, den wahren Schöpfer abgelehnt zu haben. Sich selbst wollte sie alles zu verdanken haben.

Dieser hybride Kosmos musste zusammen mit Tod und Teufel für immer entsorgt werden. „Wer für die Welt etwas tun will, darf sich mit ihr nicht einlassen.“ Das gelang nur, wenn man den Unwert der Welt behauptete und sich in allen Dingen von ihr löste. Schluss mit der irdischen Geschichte. Der Erlöser war erschienen, die Welt hatte keine Berechtigung mehr, weiter zu existieren.

„Den Pessimismus der ältesten Christen in Bezug auf die Welt kann man sich nicht stark und entschieden genug denken. Der wahre Geburtstag der Christen war ihr Todestag.“ Die ganze Welt war ein Lazarett, das eines Arztes bedurfte. Gesunde bedurften des Arztes nicht, doch es gab keine Gesunden mehr. Die Welt war waidwund geworden.

Die sozialen Spannungen zwischen Reich und Arm entsprachen der modernen Kluft zwischen immer mächtigeren Eliten und dem riesigen Heer der Abgehängten. Das Elend der Massen war unbeschreiblich, sie lebten von der Hand in den Mund, ergötzten sich an öffentlich-rechtlichen Spielen der Gladiatoren und wilder Tiere.

Alles ist dem Untergang geweiht – wenn man nicht zum neuen Glauben übergeht. Alles ist Hoffnung auf ewige Seligkeit – wenn man sich der Taufe unterzieht und sich den neuen Bischöfen unterordnet. Die Christen verschmähten vordergründig den weltlichen Happen, den sie hintergründig zu erbeuten gedachten. Na gut, wenn man uns drängt, verwalten wir eine Zeit lang den Kadaver, dann kommt eh der Herr und macht alles neu.

Die Christen lehnten „den Staat als Sitz des Teufels und seine Herrschaft als Statthalter des Teufels ab und verlangten Gehorsam gegen die Obrigkeit als von Gott eingesetzt.“ Nicht der weltliche Staat war die oberste Stimme Gottes, sondern die Priesterschaft, und dennoch hatten die Christen auch der weltlichen Obrigkeit Gehorsam zu leisten.

Bis heute verbrüdert sich die Kirche mit jeder Obrigkeit, die sie gleichwohl als Staat unterminiert. Inzwischen hat die Wirtschaft die Rolle der Staatsfeindschaft übernommen, sie ist an die Stelle der Kirche getreten. Der Staat soll die Geschäfte der Wirtschaft schützen, aus ihren Beutezügen soll er sich raushalten.

Viele Gottlose, die sich für aufgeklärt halten, glauben, mit einigen pfiffigen Argumenten die Wurmstichigkeit des christlichen Dogmas durchlöchern zu können. Sie haben das geniale Charisma dieser erfolgreichsten Religion aller Zeiten noch nicht erfasst. Nicht der Papst, die christliche Lehre ist unfehlbar. Niemand erwischt sie auf dem falschen Fuß. Für alle Eventualitäten des leidenden und triumphierenden Menschen hat sie eine perfekte und unwiderlegbare Antwort: Wir Menschen verstehen die Widersprüche Gottes nicht, aber in ihm sind alle Geheimnisse des Glaubens aufgehoben.

Harnack spricht von der complexio oppositorum, der Einheit aller Widersprüche. Was dem Menschen widersprüchlich scheint: bei Gott ist nichts unmöglich. „Denn die Waffen unseres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern mächtig im Dienste Gottes zur Zerstörung von Bollwerken, indem wir Erwägungen zerstören und jeden hohen Bau, der sich wider die Erkenntnis Gottes erhebt, und jeden irrigen Gedanken in den Gehorsam gegen Christus.“ Sie nehmen gefangen alle Vernunft im Dienste Gottes. Sind alle Fragen beantwortet, sagt sich der Einzelne: ich verstehe die Antworten nicht, also müssen sie richtig sein.

Es ist wie Hegels Dialektik, die keine Frage und keinen Widerspruch unbeantwortet lässt. Der Unterschied: der Fromme vertraut auf Gott, Hegel auf seine eigene Denkkraft.

Es war Endzeitstimmung im untergehenden Rom. Die Zeit ward erfüllt, das Reich Gottes war nahe herbeigekommen. Hier war Hoffnung auf eine Generalinventur, auf ein großes Reinemachen. Auf einen unbedingten Neubeginn. Die Altlasten konnten dem Erlöser auf die Schultern gepackt werden, die Welt konnte jungfräulich von vorne beginnen. Die Welt war alt geworden, sie war in Elend und Not zusammengewachsen.

Die verschiedenen Nationen hatten sich gegenseitig zur Strecke gebracht. Die menschliche Seele an sich war krank geworden, von Geburt an dem Tode verfallen. Alle Menschen waren allzumal untüchtig. In diese internationale Depression kam die Botschaft vom jenseitigen Leben, dem kein irdischer Tod etwas anhaben konnte. Die Botschaft von der Unsterblichkeit verhieß jedem Gläubigen das Leben seliger Götter. Die Kirche erhielt von ihrem Herrn die Lizenz, die Menschen zu binden oder zu lösen, sie in den Himmel oder in die Hölle zu verweisen. Eine größere Macht als über die Ewigkeit war nicht denkbar.

Die Macht des Christentums besteht in der Ohnmacht jedweder Alternative. Welchen Lockenkopf trägt die Vernunft? In welchen Tempeln wird sie verehrt? Welche Soutane tragen ihre Verehrer? Welche Litaneien singen sie? Welcher Michelangelo hat den Stolz und die Lust der Welt gemalt?

Tief in ihrem Herzen verehrt die Menschheit im Katholizismus die erhoffte Einheit aller Schwestern und Brüder. Im Gewand einer himmlischen Kommune sollen die Menschen friedlich beieinander wohnen.

Welch schreckliche Illusion. Keine Erlöserreligion wird die Einheit der Menschen herbeiführen. „Da sprach der König zu den Dienern: Bindet ihm Hände und Füße und werfet ihn hinaus in die Finsternis, die draußen ist. Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein. Denn viele sind berufen, wenige aber auserwählt.“

Der neue Vater der Christenheit, ein Muster an Güte und Barmherzigkeit, wird diese schreckliche Botschaft nicht in die Welt posaunen. Er wird sie praktizieren.