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Tagesmail

Dienstag, 22. Januar 2013 – Amerikas Lebenslügen

Hello, Freunde der nie endenden Reise,

ein amerikanischer Präsident regiert nur in seiner zweiten Amtsperiode. In der ersten lernt er nur die Ohnmacht seiner Macht und macht Wahlkampf für die zweite.

Zwei Bibeln sind besser als eine. Obama legte seinen Amtseid ab mit der Hand auf der weißen Bibel von Abraham Lincoln und der schwarzen von Martin Luther King. In feierlichen Worten schwur er, die Verfassung der Vereinten Staaten zu bewahren, zu schützen und zu verteidigen:

“I do solemnly swear that I will faithfully execute the Office of President of the United States, and will to the best of my Ability, preserve, protect and defend the Constitution of the United States.

(Ich schwöre feierlich, dass ich das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten getreu (= glaubensstark) ausüben und die Verfassung der Vereinigten Staaten nach besten Kräften bewahren, schützen und verteidigen werde.)

George Washington ergänzte: So help me God.“

Mit einem Meineid begann der hochgewachsene schöne Mann –„Saul war stattlich und schön; es war kein schönerer Mann in Israel als er, um Haupteslänge überragte er alles Volk“ – seine biblisch begründete Amtszeit als mächtigster Mann der Welt. Sein Schwur verstößt gegen die Bergpredigt. „Ihr habt weiter gehört, daß zu den Alten gesagt ist: „Du sollst keinen falschen Eid tun und sollst Gott deinen Eid halten.“ Ich aber sage euch, daß ihr überhaupt nicht schwören sollt, weder

bei dem Himmel, denn er ist Gottes Stuhl noch bei der Erde, denn sie ist seiner Füße Schemel, noch bei Jerusalem, denn sie ist des großen Königs Stadt. Auch sollst du nicht bei deinem Haupt schwören, denn du vermagst nicht ein einziges Haar schwarz oder weiß zu machen. Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.“ ( Neues Testament > Matthäus 5,33 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/5/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/5/“>Matth. 5,33 ff)

Warum sollen sie nicht schwören? Weil sie Gottes Macht hintansetzen, sich in den Vordergrund spielen und tun, als sei die Zukunft in ihren Händen. Gott kann solche Angebereien seiner Kreaturen nicht leiden. In amerikanischen Filmen hört man oft die Formel: ich versprechs. Wenn nicht der Zusatz sub conditione jacobaea (unter der Bedingung des Jakobus, Neues Testament > Jakobus 4,15 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/jakobus/4/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/jakobus/4/“>Jak. 4,15 ff) hinzugefügt wird, sind solche Schwüre blasphemisch: Ich versprechs, so Gott will und wir leben. Wir sind unnütze Knechte, taten nur unsere Schuldigkeit, o Herr.

Man soll Gottes Befehle ausführen, nicht aber gegen Lohn, sondern um Gottes Lohn – für umme. Wen Gott belohnt, muss seiner freien Entscheidung überlassen werden und kann durch Werkgerechtigkeit nicht erzwungen werden.

Der Unterschied zwischen Juden- und Christentum besteht in unterschiedlicher Bewertung des Selbstgeleisteten. Haben Juden ihren Teil – das Halten der Gebote – erfüllt, verlangen sie von Jahwe, dass er nun seinen Teil des gleichberechtigten Vertrags erfüllt und die Kinder Israels angemessen auszahlt.

Haben die Christen das Ihrige getan, können sie eine göttliche Gegenleistung nicht einklagen. Sie haben getan, als hätten sie nichts getan. Leistung muss sich in Jesu Reich nicht lohnen. Das wäre Werkgerechtigkeit.

Gleichwohl bringen sie eine andere Werkgerechtigkeit zustande: keine! Mit anderen Worten, sie müssen ihre Arbeit leisten, aber so tun, als hätten sie nichts getan. Das ist ihre Leistung der Nichtleistung. Sie müssen kapitulieren und um Gnade winseln.

Die absolute Willkür göttlichen Lohnverhaltens zeigt das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg. Verschiedene Malocher im Weinberg des Herrn schuften unterschiedliche Zeiten, erhalten aber am Schluss denselben Salär. Als die gewerkschaftlich gebundenen Arbeiter zu maulen beginnen: wir haben länger gearbeitet, also wollen wir mehr Zaster, gibt’s vom himmlischen Ausbeuter Saures:

„Da aber die ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und sie empfingen auch ein jeglicher seinen Groschen. Und da sie den empfingen, murrten sie wider den Hausvater und sprachen: Diese haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleich gemacht, die wir des Tages Last und die Hitze getragen haben. Er antwortete aber und sagte zu einem unter ihnen: Mein Freund, ich tue dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir eins geworden für einen Groschen? Nimm, was dein ist, und gehe hin! Ich will aber diesem letzten geben gleich wie dir. Oder habe ich nicht Macht, zu tun, was ich will, mit dem Meinen? Siehst du darum so scheel, daß ich so gütig bin? Also werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein. Denn viele sind berufen, aber wenige auserwählt.“

Gütig sein bedeutet, die Menschen willkürlich und unberechenbar behandeln.

Mit seinem Eid hat der fromme Präsident ganz schön die Klappe aufgerissen. Ob da der Zusatz: so wahr mir Gott helfe, den Himmel begütigen kann, wissen wir in vier Jahren.

Dem SPIEGEL hat die Rede gefallen. Kein Pathos, kein biblisches Gedöns, sondern konkrete Handlungsanweisungen. „Verknüpfung von Pathos und Realität“. Schaunmermal.

Freiheit nennt Obama – nicht anders als sein Vorgänger und alle Vorgänger – ein Geschenk Gottes. Kein Halleluja-Gedöns? Mit einer historischen Gesamtlüge beginnt der Wiedergewählte seine ausgetüftelte, wie Sprechgesang vorgetragene Rede. Freiheit ist nicht das Geschenk eines Gottes, sondern des alten, maroden, von Kriegen zerklüfteten, von Fürsten und Klerikern geschändeten Europas an den jungen Kontinent. Freiheit und Demokratie waren Geschenke Griechenlands an Europa, das in vielen Jahrhunderten erbitterter Kämpfe gegen himmlisch abgesegnete Obrigkeiten das griechische Erbe wiederfand, aufnahm und in der Neuzeit in verschiedenen Schubbewegungen als staatliche Gebilde installierte.

Die Engländer waren die ersten, die in kontinuierlichem Prozess demokratisches Denken und Handeln entwickelten. Die Franzosen waren die impulsivsten und revolutionärsten, die in vielen Reaktions- und Zickzackbewegungen sich auf die heutige Demokratie zu bewegten.

Die Deutschen haben so gut wie nichts zu dieser Entwicklung beigetragen. Im Vormärz – der Zeit zwischen Metternich und 1848 – ging‘s noch am höchsten her. Doch dann zerschlug Preußen den demokratischen Aufbruch zu Gelee royale. Die Weimarer Republik ist wohl das Werk deutscher Matrosen und Proleten, doch ohne Niederlage im Weltkrieg wäre diese Wendung nicht möglich gewesen. Fast die gesamte deutsche Intellektuellenelite war der Demokratie heftig abgeneigt und sprang sofort auf den Zug eines gewissen Obergefreiten mit schönen Händen und einem sympathisch bayrisch-österreichischen Bariton – den er in orgasmischen Erlösungspredigten in einen apokalyptischen Brüllton verwandelte.

Heute hat Demokratie – vor allem in blasierten Schreiberkreisen – keinen guten Klang mehr. Die Deutschen bewegen sich auf ihrem Schleichweg in die Zukunft stracks in Richtung Vergangenheit.

Amerikaner können bezaubernde Freiheitsfreunde sein, wie man sie im Reiche Merkels kaum findet. Deutsche Gemüter ducken sich gern unter amerikanische Fittiche – und misstrauen allen geistigen Zwangsimporten aus dem neuen Kontinent aufs griesgrämigste. Im psychischen Untergrund ist Demokratie für viele Deutsche noch immer der ungeliebte Import unserer Besieger.

Die Stimmung der Amtseinführung war flirrend, vibrierend zwischen irdischer Freiheit und eschatologischer Sehnsucht nach dem neuen Kanaan, das sich endlich in finaler Glorie mit dem Goldenen Jerusalem in der Mitte der Welt offenbaren möge. Go down Moses, wir wollen die ägyptischen Schlacken der sündigen Welt hinter uns lassen und einziehen in den neuen Garten Eden. Amerika belügt sich in kollektiven Religionsmythen, wenn es Freiheit nicht als mühsam selbsterarbeitetes Produkt Europas versteht, sondern zur Gnadengabe eines omnipotenten Gottes verfälscht. In Amerika wird Europa nicht zur Kenntnis genommen.

Auch Goethe fabulierte dummes Zeug, als er den Kontinent pries, der keine Vergangenheit habe. Amerika, du hast es besser, du hast keine Burgen und Schlösser. Und was die Amis für Schlösser und Burgen haben – in Las Vegas. In originalgetreuen Proportionen, aber bombastischen Übertreibungen. Die Aussiedler hatten die Burgen und Schlösser in sich und wollten das Alte Europas wieder herstellen, als ob sie es völlig neu erfunden hätten. Ohne Makel der Vergangenheit, auf der Tabula rasa eines unbefleckten Landes.

Selbst so kluge Leute wie John Dewey hatten Schreibhemmungen, den Begriff Griechenland zu buchstabieren. Dem größten Landraub der abendländischen Geschichte entspricht der größte Ideenraub. Amerika kennt keine Dankbarkeit, obgleich es voll in der Schuld englischer Gentlemen steht, die ihnen das Hellenische in die berühmte Verfassung schrieben. Waren John Locke, Thomas Paine Amerikaner?

„We the People of the United States, in Order to form a more perfect Union, establish Justice, insure domestic Tranquility, provide for the common defence, promote the general Welfare, and secure the Blessings of Liberty to ourselves and our Posterity, do ordain and establish this Constitution for the United States of America.”

Wir, das Volk der Vereinigten Staaten, von der Absicht geleitet, unseren Bund zu vervollkommnen, die Gerechtigkeit zu verwirklichen, die Ruhe im Innern zu sichern, für die Landesverteidigung zu sorgen, das allgemeine Wohl zu fördern und das Glück der Freiheit uns selbst und unseren Nachkommen zu bewahren, setzen und begründen diese Verfassung für die Vereinigten Staaten von Amerika.“

Von neokonservativen Weltbeglückungszwängen ist hier noch nichts zu finden. Das klingt geradezu roh egoistisch: uns und unseren Nachkommen. Punkt. Splendid isolation. Was geht uns die Welt an? Vor allem dieses trübselige Europa!

Wir, das Volk, so begann Obama viele seiner Redesequenzen. Die nächste Illusion: in einem neucalvinistischen Staat gibt’s nur Erwählte und Verworfene. Kein Volk. Nur Reiche und Arme, die durch nichts zusammengehalten werden als durch Religion. Würde die Religion schwinden, käme es zu einem GAU. Das christliche Credo – verstärkt durch das jüdische – ist die spirituelle Substanz der Weltmacht.

Christentum und Judentum bilden keine herzliche Gemeinschaft, sondern eine endzeitlich fundierte Zweckgemeinschaft, die dann zusammenbrechen wird, wenn die Juden sich verstockt weigern werden, zum Christentum zu konvertieren. Ein Volk existiert in Amerika so wenig wie eine Gesellschaft in Margarete Thatchers England.

Ruhe nur im Innern. Lasst die Außenwelt wie Sodom und Gomorrha in sich zusammenstürzen. Schaut nicht zurück, sonst erstarrt ihr zur Salzsäule. Gedenket nicht des Früheren. Die moderne Beerdigung der Vergangenheit begann in Gods own Land. Inzwischen hat das verrottete Europa diesen gefährlichen Unsinn übernommen.

Von Gott ist noch keine Rede. Der wurde erst später, auf wachsenden Druck frommer Kreise, eingeführt. Die englischen Urgentlemen waren keine schnöden Gottlosen. Ihr rationaler Naturgott entstammte aber keinen heiligen Schriften, sondern der Lektüre stoischer Philosophen. Der Geist amerikanischer Verfassungsväter war nicht biblisch prädestiniert. Erst die unendlichen Fluten europäischer Einwanderer verwandelten Neu-Athen in Neu-Jerusalem.

Da es noch keinen Gott in der Urkunde gab, konnte es sich um keinen Bund mit demselben handeln. Es ging um unseren Bund, um den Bund der Menschen mit Menschen. Der sollte vervollkommnet werden.

Vollkommenheit auf Erden! Waren die Urväter größenwahnsinnig? Schwebten sie bereits einige Zentimeter über dem Erdboden? So befreit von Altlasten muss das Lebensgefühl gewesen sein, so gigantisch die Zukunftsaussichten. Was sich bis heute in hohem Maße bewiesen hat. Doch nur für schrumpfende Minderheiten.

Vollkommen sein wollen ist die Ursünde wider den Geist. Schon gar nicht aus eigener Kraft. Vollkommenheit war ganz sicher ein Protest gegen das ewige sündige Jammertal Alteuropas, gleichzeitig eine joachimitische Identität des Himmels mit der Erde. Das Reich des Heiligen Geistes war nicht mehr in einem unbestimmten Jenseits.

Neu-Kanaan verschob sich von Palästina ins Land der Indianer, denen man, wie einst den Philistern, Enakitern und Kanaanäern, mit Gottes Hilfe die Schädel einschlug. „Denn von Jehova war es, daß sie ihr Herz verhärteten zum Kriege mit Israel, damit sie vertilgt würden, ohne daß ihnen Gnade widerführe, sondern damit sie vertilgt würden, so wie Jehova dem Mose geboten hatte.“

Im Vergleich zu den christlichen Indianerkillern der Frontierzeit sind die Israelis bis heute geradezu humanistisch geblieben. Soviel zum Thema, warum perfekte Christen böse Juden brauchen, um ihre eigene Bosheit zu entsorgen und ihre Perfektion zu retten. Umgekehrt brauchen Juden die Buhmänner-Rolle vor der ganzen Welt, um sich von ihrem Vater durch Züchtigung geliebt zu fühlen. Das ist das Geheimnis der deutsch-jüdischen Symbiose.

Zur Vollendung gehört die Herstellung der Gerechtigkeit. Doch welcher? Der Gerechtigkeit Gottes oder der irdisch gerechten Verteilung aller zusammen erwirtschafteten Reichtümer?

Amerika ist zu eine der ungerechtesten Nationen des Planeten geworden. Die amerikanische Gerechtigkeit ist zur Gerechtigkeit Gottes geworden, die den Ihren alles gibt und den andern alles nimmt. „Oder hab ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem Meinen?“ Gottes Verteilungsgerechtigkeit ist höchst einseitig und selektiv, nicht proportional ausgeglichen.

Allgemeines Wohl ist das Wohl der Allgemeinheit. Davon kann im Land der Seligkeitsegoisten keine Rede sein. Von Allgemeinheit sprechen nur Kommunisten und alteuropäisches Linken-Gesindel. Im Dunstkreis des ecclesiogenen Individualismus ist jede Allgemeinheit eine Gotteslästerung.

Kommen wir zu Gaucks Lieblingsvokabel, der Freiheit. Moment, da war doch noch was. Ach ja, das Glück der Freiheit. (Ist Blessing, der Segen, die richtige Übersetzung von Glück?) Erkennen wir Freiheit am Glück der Freien? Dann wären alle Abgehängten per se Unfreie, weil sie nicht sonderlich glücklich sein dürften. Das Glück der Einzelnen, das Glück der Allgemeinheit? Wenn letzteres, wäre die Freiheit Amerikas eine Chimäre. Wenn ersteres: können Minderheiten glücklich sein, wenn Mehrheiten immer unglücklicher werden?

Bei uns jedenfalls ist Freiheit eine Last. Das Kreuz der Kultur, das wir auf uns nehmen müssen. Freiheit muss Risiko sein, unberechenbar, gefährlich, abenteuerlich. Gauck spricht ständig von Freiheit, aber nie von Glück. Könnte man nicht auch umgekehrt sagen: wer glücklich ist, ist frei? Glücklich werden nur selbstbestimmte, freie Menschen, die sich ihr Glück nach eigener Facon bestimmen können.

Wie glücklich ist das Land Amerika? Die Verfassung war eine Verheißung, in welchem Maße ist sie zur Erfüllung geworden? Warum ziehen die Neuerwählten nicht Bilanz und schauen, in welchem Maß sie ihre Verfassung in Realität umgesetzt haben? Fast könnte man vermuten, wenn Amerikaner ihre Verfassung ernst nähmen, würden sie das Land in die Luft sprengen.

Warum wurde das Glück der Freiheit später abgeschwächt in das Streben nach Glück? Haben da einige Verfassungsväter mulmige Gefühle bekommen, der Pöbel könnte die schönen Sätze der Verfassung wörtlich nehmen? Das Streben nach Glück ist wie Gleichheit der Startchancen. Klingt gut und wird von niemandem ernst genommen. Wer in Amerika nicht glücklich ist, ist selber schuld. Hätte er doch effizienter danach gestrebt.

Auch am Schluss der blanke und rohe Nationalegoismus: Glück der Freiheit nur für uns und unsere Nachkommen. Eine globalisierte Wirtschaft zum angeblichen Nutzen aller war den Urvätern kein Begriff. Da war Adam Smith schon weiter, der sein berühmtes Buch allen Nationen widmete: Der Wohlstand der Nationen. Die Amerikaner wollten ihr neues Paradies mit niemandem teilen.

(Sebastian Fischer und Marc Pitzke im SPIEGEL über Obamas Amtseinführung)

Kommen wir zur nie endenden Reise. Der Weg ist alles, das Ziel ist nichts. Der Weg zur Vollendung? Ist Vollendung zur Fata Morgana geworden? Ist die optimistische Siegergewissheit des Anfangs zur Devise verkommen: Du hast keine Chance, aber nutze sie?

Die Verfassung ist im Geiste des Ankommens, einer finalen Perfektion formuliert, Obamas Rede hingegen in ewiger Parusieverschiebung. Sie warten auf den Messias. Auf dem unendlichen Weg – in den Himmel? in die Hölle? – kommt auch der Gesalbte des Herrn niemals ans Ziel. Gott ist immer unterwegs. Denn der nie endende Weg des Menschen zu Gott ist umgekehrt der nie endende Weg Gottes zu den Menschen.

Der Messias ist wie der Bote des Kaisers bei Kafka. Wie viele Hindernisse müsste er überwinden und wegräumen, um zu Dir, du armer Amerikaner zu kommen? Doch niemals wird das passieren:

„Und stürzte er endlich aus dem äußersten Tor – aber niemals, niemals kann es geschehen –, liegt erst die Residenzstadt vor ihm, die Mitte der Welt, hochgeschüttet voll ihres Bodensatzes. Niemand dringt hier durch und gar mit der Botschaft eines Toten. – Du aber sitzt an deinem Fenster und erträumst sie dir, wenn der Abend kommt.“

Hier irrte Kafka. Kein Amerikaner wird jemals ruhig am Fenster den Messias erwarten. Ruhelos wird er mit mehreren Jobs in hard work nach seinem Glück streben. Sollte er einen Silberstreif am Horizont erkennen, wird er regelmäßig einer Täuschung erliegen.

Die nie endende amerikanische Reise darf nie ans Ziel kommen. Kein Vorbild für die Welt.