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Montag, 21. Januar 2013 – Was bringen Wahlen?

Hello, Freunde der Wahlen,

was geschah in Hannover? Es ist noch ein bisschen früh, aber nicht ganz falsch, zu sagen: mit demokratischen Mitteln schaffen die Deutschen die Demokratie ab. Hatten wir das nicht gerade vor 80 Jahren? Die Abschaffung ist kein spektakulärer Akt, keine Revolution. Für Revolutionen sind lutherische Untertanen und vatikanische Weisungsempfänger ungeeignet. Die Demokratie wird eingeschläfert. Mit ihren eigenen Methoden. Mit Wahlen werden Wahlen ad absurdum geführt.

Ruhe sanft, deutscher Wähler, der du so ingeniös politische Taktik gelernt hast, dass du lieber Toten deine Stimme leihst um deine vergilbte Macht zu erhalten, als eine Alternative zu schaffen. Tatsächlich, deutscher Wähler, du hast Recht, es gibt keine Alternativen. Dennoch kein Grund, wählen zu gehen, nur um hinterfotzig die Idee der Wahl mit sich selbst zu subtrahieren.

Die Deutschen wählen nicht mehr. Wählen heißt, wer mit X nicht einverstanden ist, zum Teufel jagen und Y an seine Stelle setzen. Das kann der deutsche Wähler nicht. Er könnte schon, aber er will nicht. Er will keine Verantwortung für seine beschissene Wahl übernehmen. Er will nicht hören: was, diese Hush Puppies hast du gewählt? Hush Puppies sind „frittierte kleine Bälle“, die aus demoskopischer Durchschnittspampe, zwei Portionen links, zwei rechts, zwei linksrechts, zwei rechtslinks, zwei weder-noch und zwei fallenlassen besteht.

Wenn Demokratie nur noch darin besteht, ab und an ein Papier zu bekreuzigen, wird Demokratie gekreuzigt. Wenn Wahlen nur noch personalisieren, also Gesichter wählen, anstatt Sache, die von Gesichtern vertreten wird, sind wir bald

bei Dieter Bohlen: wer ist der nächste Star, den morgen niemand mehr kennt?

Es gibt auch keine personellen Alternativen mehr. Angie hat alle Männer in ihrer Partei in die Flucht gejagt. Das Reservoir der Talente geht gegen Null.

„Anpacken – besser machen“, war das Motto einer Partei. Als ob es Übereinstimmung gäbe, was besser ist. Die Parteien haben nichts mehr zu sagen. Also lassen sie den Wahlkampf von PR-Experten abnudeln.

Zwei Komplexe überlagern sich:

a) Die Deutschen wählen die Demokratie mit Wahlen ab, die nichts mehr entscheiden. Wie lange geht das schon, dass Ergebnisse zustande kommen, die keine Entscheidungen sind, sondern Retourkutschen an die Gewählten: entscheidet selbst, was ihr aus unserer Blankoscheck-Vorlage macht? Am besten eine Große Koalition für immer. Mama Merkel mit Rottweiler Steinbrück. Sie sollen sich lieb haben. Ab jetzt kein Gezerre mehr beim nationalistischen Tanz ums goldene Kalb.

Inzwischen haben wir wilhelminische Verhältnisse: wir kennen keine Parteien mehr. Wir kennen nur noch ein hochtourig schnurrendes Vaterland gegen mediterrane Lebenskünstler, die die Kunst des Überlebens verlernt haben.

Wo können unsere Kinder Demokratie lernen? In Erfolgsfamilien gibt’s eherne Regeln, die nicht debattiert werden. In Kitas, Schulen und Unis gibt’s eherne Regeln, die nicht zur Disposition stehen. Wirtschaft bestimmt unser Leben – keine Demokratie. Bei den größten Arbeitgebern, den adipös-agapösen (reichen, fetten und kinderliebenden) Kirchen – von Demokratie kein Hauch.

Wenn es bei einzelnen, absurd erscheinenden Mega-Projekten zum Aufstand der Bürger kommt – wie bei Stuttgart 21 – wird Selbstverständliches zu heroischen Taten verklärt oder die Bürger werden zu Verweigerern der Moderne, Feinden des Fortschritts oder miesmachenden Bedenkenträgern dämonisiert. (Die Demonstranten müssen froh sein, dass sie nicht als Antisemiten angegriffen werden. Vor kurzem galt jede Kritik an der Moderne als Antiamerikanismus und tertiärer Judenhass, weil die Moderne offensichtlich von Juden erfunden wurde.)

Bei Lehrern, bei denen die Kinder Gemeinschaftskunde haben – was Gemeinschaft ist, bestimme noch immer ich, sagte der Herr mit dem Notenbüchlein –, lernen sie keine Auseinandersetzung, sondern patriarchale Einordnung. Kennt noch jemand den Unterschied zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft? In der Gesellschaft gibt’s Konflikte, in Gemeinschaft gibt’s ein Volk, ein Reich, eine Vorsehung. Lehrer sind Beamte und ihren Oberbeamten verpflichtet. Eltern und Kinder sind meistens nur lästig.

In Familien und Freundschaftsgruppen sind unterschiedliche Meinungen heute nicht mehr erwünscht. Die geringsten Fragen dürfen nicht mehr gestellt werden, wenn man nicht als Aggressor aussortiert werden will. Fragen gelten als Störungen des Privatlebens, das man lieber im Internet der ganzen Welt offen legt.

Demokratie ist Sand im Getriebe der Lebensleister, die wie geschmiert ihr Pensum absolvieren müssen.

Die Deutschen haben sich zu Mitläufern degradieren lassen, maulen an Stammtischen und sind zu klaren Signalen nicht mehr fähig. Besonders bei „unwichtigen“ Wahlen zeigt man es gern den Demoskopen und Regierenden, damit sie vor Erstaunen den Mund nicht zukriegen. Eine kleine Watsche zwischendurch, damit‘s den Mächtigen nicht zu wohl wird. Wenn‘s dann wieder drauf ankommt, lässt man die Kirche im Dorf.

Im Spätjahr große Koalition mit Merkel und Steinmeier. (Steinbrück wollte angeblich nicht.) Wähler schätzen die Bedeutung einer Wahl ein. Je unwichtiger sie ist, je unberechenbarer wird sie. Geht’s ums Ganze, reißt sich der Deutsche am Riemen seiner Verantwortung. Das Wahlsystem mit einem überdrehten Verhältniswahlrecht, mit Zweitstimmen für Parteien an sich, tut ein Übriges, um klare Alternativen zu verhindern.

Parteiprogramme ähneln sich wie ein Ei dem andern, dennoch gelten Parteien als Alternativen. Man wählt Persönlichkeiten, keine Apparatschiks anonymer Kohorten, die die Hälfte aller Gewählten unter sich ausmachen. Bei Bundesversammlungswahlen des Bundespräsidenten wählen die Parteien Bürger aus, die das Volk „repräsentieren“ – wenn sie vorher unterschreiben, dass sie den Richtigen ankreuzen.

Im Bereich der Vierten Gewalt gibt’s kaum noch Alternativen: Maische auf gedrucktem Papier von Flensburg bis Oberammergau. Der Presseclub ist zur chauvinistischen Nabelschau geworden. Einen Internationalen Frühschoppen gibt’s auf Phönix nur, wenn das Erste tagelange Übertragungen aus Eis und Schnee bevorzugt. Mit politischem Bildungsauftrag hat das nichts mehr zu tun. Man ist froh, wenn es irgendwo quotenträchtige Ereignisse gibt, dann ist der Tag wieder gerettet.

In Talkshows sitzen die ewig Gleichen, deren Meinung man inzwischen auswendig kennt. Das Volk ist zur programmierten Applausmaschinerie verkommen. Dieselben Claqueure standen vor nicht allzu langer Zeit an den Rändern der Straßen und Plätze, wenn die Prozessionen des deutschen Heiligen Krieges vorüberwallten.

Die Medien haben die Order ausgegeben: bei Wahlen nie den Demos kritisieren. Das Volk verträgt keine Kritik. Das war der erste Genickschuss für eine Volksherrschaft, wo das Volk unter die Schwelle der Kritisierbarkeit gesunken ist. In dieser Ökonomie-kratie gibt es nur Daxförderndes oder blasiertes Abwinken. Die TAZ kennt nicht mal den Begriff Streitgespräch. Geht’s um Brisantes, werden die üblichen Platzhirsche eingeladen, die jede Konferenz durch endlose Monologe in weißes Rauschen und griesgrämige Gesichter verwandeln können.

Flackert in Gazetten mal ein Differenzchen auf, sind es die medialen Konkurrenten, die das Grummeln zur Nabelschau eitler Kollegen erklären. Einerseits beklagen sie mangelnde Alternativen. Andererseits wird bei ihnen jede Alternative unter dem Etikett: Aufmerksamkeitserhaschungsmethode niedergebügelt. Der Markt ist knapp. Viele sind berufen, nur wenige auserwählt. Das sind dieselben Gewissensschreiber der Nation, die sonst nicht müde werden, das Neue zu beklatschen, damit niemand merkt, dass sie sich selbst seit Jahrhunderten wiederholen. Wer zuerst nach dem Neuen schreit, ist bereits runderneuert.

Wie können ausgelaugte, in der Mitte der Gesellschaft eingepennte Edelschreiber beurteilen, was eine Alternative ist? Sie sind ungekrönte Schrotflintenbeherrscher der Szenerie. Wen sie nicht kennen, den gibt’s nicht. Was sie nicht kennen, noch weniger.

Harald Schumann vom TAGESSPIEGEL bestätigt: „Medien können niemals als Speerspitze eines gesellschaftlichen Umbruchs fungieren. Woher sollte denn plötzlich ein avantgardistisches Bewusstsein der Medienarbeiter kommen, sie sind doch tief eingebettet in unsere Gesellschaft.“ 

Frank Schirrmacher, Oberschreiber der Nation, hat es einmal probiert und ist krepiert. Nach der xten Finanzkrise überkamen ihn nächtliche Zweifel am herrschenden Wirtschaftssystem. Als er sie aufschrieb, würgte ihn sein vornehmes Publikum solange am Halse, bis er die Marx-Attitüden sein ließ. Seitdem ist er auf der Suche nach dem Messias aus einem fremden Lande. Nach neusten Meldungen irrt er glasigen Auges und mit wirren Haaren in Gods own Land herum und skandiert manisch vor sich hin: Wer sucht, der findet; wer sucht, der findet.

Im frommen SWR-Radio werden Medienkritiker nach ihren Thesen befragt, als ob der Moloch ARD mit Medien nichts zu hätte. Jaja, doch schon, von einer Medienkrise hätten sie von weitem mal gehört. Folgt das Wort zum Tag von einer Geistbegabten mit Grabesstimme: liebe Hörerinnen und Hörer, auch ich stehe oft ratlos vor dem Leid der Menschen und habe keine Antwort, wenn man mich fragt: Warum gerade ich? Gott allein weiß es – nur, Er sagt es uns nicht.

b) Es gibt tatsächlich keine Alternativen. Seitdem die deutschen Medien sich dem Geldsturm der Neoliberalen ergaben, hat sich die Ökonomie in eine objektive Wissenschaft verwandelt, die sich mit Moral und Alternativen nicht mehr abgibt. Wetter ist Wetter und kann vom kategorischen Imperativ nicht beurteilt werden. Ökonomie verläuft nach Regeln, die von Demokraten weder eingesetzt, noch abgesetzt werden können.

Lechts und Rings sollen nicht velwechselbar sein? Diese ideologischen Schmarren sind von vorgestern, sagte Lechts-Chef Schröder und lachte über beide Siegerbacken, als er den lukrativen Gazprom-Vertrag bei seinem lupenreinen Freund Putin unterschrieb.

Die Medien waren es, die die Alternativen abschafften. Nun spielen sie die Unschuldigen, ein Spiel, das sie aus dem Effeff beherrschen. Wer sein Gedächtnis per Berufsbeschreibung abgeschafft hat, sich an nichts erinnern kann, weil er nur dem Tag verpflichtet ist, der hat‘s leicht mit gutem Gewissen. In medialen Kommentaren gibt’s keine Vergangenheit, die aufgearbeitet wird. Das überlassen sie Mäusen und Historikern, die der Vergangenheit den Todesstoß versetzen.

Bitte keine Lehren aus der Vergangenheit ziehen. Aus Früherem lassen sich keine Schlüsse auf die Gegenwart ziehen. Historiker sind allesamt zu Historisten verkommen: was war, ist vorbei und hat nichts mehr mit uns zu tun. Von Athen sollte man für die heutige Demokratie lernen, obgleich die Griechen nicht mal das Smart-Phone kannten?

In jedem Jahr wird alles neu erfunden. Demokratie anno domini 2013 hat nichts zu tun mit Demokratie 2011. Die Sucht nach dem Neuen wurde zur paradoxen Metapher, dass alles bleiben soll, wie es ist.

Leo Strauss erklärte die Lüge zur Staatsraison jedes Liberalismus. Freiheit dient seitdem zur Bemäntelung aller Erfolgs- und Naturausbeutungszwänge. Die Westökonomen beharkten vor kurzem noch jede unfreie Planwirtschaft. Inzwischen haben sie eine universelle Planwirtschaft, die nichts dem Zufall überlässt und von keinem ökonomischen Untertanen verstanden werden kann. Verglichen mit diesem Giganten ist jeder Stalin ein Wichtigtuer. Der Markt – ein Rechengenie der Evolution  lenkt alles planmäßig von oben. Die Freiheit des Einzelnen besteht nur darin, dem Markt zu gehorchen.

Die 5-Jahrespläne Stalins waren bekannt und konnten bestätigt oder widerlegt werden. Die verborgenen Heilspläne der universellen Planwirtschaft müssen geheim bleiben. Hat jemand Erfolg, hat er den Nerv des transzendenten Markts getroffen und erhält die Erlaubnis, reich zu werden. Erleidet er Misserfolg, hat er die Vorlagen des unsichtbaren Planes nicht richtig erraten.

Hayek & Co verurteilen die Menschheit zur Kaffeesatzleserei. Man muss raten. Ratet, was Evolution und freier Markt sich für euch ausgedacht haben? Es ist wie Dauerwürfeln. Vernunft und Denken werden nicht mehr gebraucht. Wer aufs Raten angewiesen ist, kann nichts lernen. Versuch und Irrtum werden zur Leberschau des Übergehirns Markt. Der Markt plant und lenkt alles, der Mensch soll sich mit seinem Spatzengehirn raushalten.

Das Zocken ist zum Grundprinzip des Profitmachens geworden. Riskiere, setze, lass den Zufall walten. 3000 Jahre Entwicklung menschlicher Ratio sind zunichte geworden. Wir sind in die Zeiten der Vogelschau und des Zufalls zurückgefallen. Die Torheit Gottes hat sich gegen die Weisheit der Welt durchgesetzt. Die Weltpolitik wird von gottgleicher Vernunftfeindschaft regiert.

Bekanntlich wütet der Herr der Heerscharen gegen das Einmaleins und die Gesetze der Physik, wenn er die Menschen durch Wundern und Zaubern betören ließ. „Sonne, steh still zu Gibeon, und Mond im Tale Ajalon. Da stand die Sonne still und der Mond blieb stehen, bis das Volk Rache genommen hatte.“ Dass Mond und Sterne sich Bedürfnissen des Menschen durch Brechung der Naturgesetze zu beugen haben, ist das Mindeste, was Gläubige erwarten dürfen. Obgleich der Gottessohn seine Jünger rügt, dass sie nur glauben würden, wenn Er zaubere, zaubert Er dennoch. Widersprüche sind das Salz im Sauerteig des Credos.

„Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt.“  

Die Deutsche Bank nimmt wieder Lebensmittelspekulationen auf. Mit der Begründung: es sei nicht erwiesen, dass Zocken und Lebensmittelpreise zusammenhingen. An welche Beweise dachten sie, wenn der Markt alle rationalen Methoden des Menschen für Nonsens erklärt? Ulrike Herrmann in der TAZ zur Deutschen Bank.

Risiken eingehen, heißt, Vernunft aussetzen und dem Gott Zufall vertrauen. „Der Zufall, das ist letztendlich Gott“. (Anatole France) Wo steht Hayeks Lieblingsstelle in der Bibel, um seine Hasard-Ökonomie religiös zu rechtfertigen?

„Wiederum sah ich unter der Sonne, dass nicht die Schnellen über den Lauf verfügen, noch die Helden über den Krieg, noch auch die Weisen über das Brot, noch die Klugen über den Reichtum, noch die Verständigen über die Gunst, sondern Zeit und Zufall widerfährt ihnen allen.“ ( Altes Testament > Prediger 9,11 / http://www.way2god.org/de/bibel/prediger/9/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/prediger/9/“>Prediger 9,11)

Wer nicht der Berechenbarkeit der Natur, nicht der Zuverlässigkeit kosmischer Rhythmen vertraut, muss einem Herrn vertrauen, der seine eigene launisch-kapriziöse sprich: gnädige Zeit der Zeit der Natur überstülpt. Was die Ratio Zufall nennt, ist bei Gott gnädige Zuwendung oder willkürliche Verdammung.

Das Volk spürt, es gibt keine Alternativen. Parteien und Eliten sind verbraucht. Ein bisschen mehr oder weniger Demütigungs-Hartz4 was soll‘s? Ein bisschen mehr oder weniger den Reichen den Säckel leeren, was ändert‘s am Gesetz: die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer? Ist Steinbrück nicht Politiker geworden, weil er’s zum Sparkassendirektor nicht schaffte?

Die Klimakatastrophe steht vor der Tür und niemand will‘s wissen. Wenn die Information richtig ist, geht’s ans Eingemachte. Das lässt sich weder mit Rezepten der CDU, noch mit denen der Linken auch nur annähernd formulieren.

Hier die Wahlanalyse eines Politologen, der nichts Dramatisches am Wahlergebnis erkennen kann. Alles wie gehabt, nichts Neues im Staate Deutschland. Erkenntnisse? Fehlanzeige.

Das abendländische Paradigma steht en bloc auf dem Spiel. Wenn Wahlen die Überlebensprobleme der Menschheit ausblenden, sollte man sie einmotten. Wenn Wahlen keine Entscheidungen mehr bringen, steht Demokratie vor dem Offenbarungseid. Wenn Wahlen das Durchwurschteln ad infinitum absegnen und das Denken einstellen, hat die athenische Demokratie umsonst existiert.