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Montag, 31. Dezember 2012 – Die blutleere Linke

Hello, Freunde der Briten,

gibt es Deutsche, auf die man stolz sein kann, sofern man Wert darauf legt, den Fußballnarren etwas entgegenzuhalten?

Der britische Historiker und Labour-Abgeordnete Tristram Hunt – die Briten kennen Deutschland besser als die hiesigen Eingeborenen – hätte uns einen bärtigen Mann anzubieten, der uns irgendwie bekannt vorkommt.

Er entstammte einer pietistischen Industriellenfamilie in Wuppertal, lebte die meiste Zeit seines Lebens in England und unterstützte einen berühmten Freund und dessen Familie, weil jener immer nur lesen und schreiben musste und kein Geld verdienen konnte, um die Seinen durchzubringen. Der war so mittellos, dass Steinbrück sich heute weigern würde, ihn in seine arrivierte Proletenpartei aufzunehmen, wobei seine Partei ihre Existenz diesen beiden Herren verdankt.

Unser Kandidat lebte zumeist in Manchester, einer Stadt, die dem gleichnamigen Wirtschaftssystem den Namen gab. Den Grund zeigt die folgende Beschreibung der Stadt. „Die Textilwirtschaft boomt und verändert die Stadt von Grund auf. Der Fluss Irk, der den Ort in zwei Hälften teilt, wird von Färbemitteln und Abfall völlig verschmutzt. In den Elendsquartieren am Ufer leben die Arbeiter, die den neuen Reichtum der Stadt erst möglich machen.“

Wir befinden uns in Zeiten des Frühkapitalismus, denen der Spätkapitalismus in vielen Ländern der Erde immer ähnlicher wird. Die Verteidiger dieses mensch- und naturverderbenden Systems hassen unseren gesuchten Mann, weil er

schnörkellos beschrieb, was er sah – obgleich er selbst davon profitierte. Doch seinen ganzen Profit benutzte er, um Leute wie sich abzuschaffen.

(Der aus Ungarn stammende, britisch-jüdische Zocker, Milliardär, Popperianer und Philanthrop George Soros ist heute ein vergleichbarer Fall. Er nutzt das System, um es zu schwächen und gibt eine Menge Geld aus, um demokratische Ideen in der Welt zu verbreiten.)

Über die Lage der Arbeiter in Manchester schreibt er ein ganzes Buch: „Weiber, zum Gebären unfähig gemacht, Kinder verkrüppelt, Männer geschwächt, Glieder zerquetscht, ganze Generationen verdorben, mit Schwäche und Siechtum infiziert, bloß um der Bourgeoisie die Beutel zu füllen.“

Sollte er übertrieben haben, wie einige Gegner behaupten, hätte er noch immer untertrieben, um der Welt zu zeigen, dass man auf diese Art und Weise die Menschheit nicht glücklich machen kann.

Haben wir solche Kinderkrankheiten in den westlichen Staaten nicht überwunden?

Wir haben sie outgesourct und in die ganze Welt exportiert. Man kann den Eindruck gewinnen, dass unser Mann lange nicht so dogmatisch-autoritär wie sein berühmter Freund war und dass der Marxismus, wenn’s mehr nach ihm gegangen wäre, liberaler und demokratischer geworden wäre, als er in den sozialistischen Ländern geworden ist.

Er „beschrieb sich als »leidenschaftlichen Verfechter der Individualität und des offenen Kampfs von Ideen in Literatur, Kultur, Kunst und Musik«“. Das klingt nach Freiheit und Demokratie. „Ebenso modern in Finanzkrisenzeiten liest sich Engels’ Kritik an der Einigkeit von Staat und Kapital, an Kapitalflucht auf der Suche nach billiger Arbeit oder an der Umgestaltung des Familienlebens nach Markterfordernissen“.

Die Umgestaltung des Familienlebens im Dienste des Profits ist gerade in vollem Gang, indem das Leben in der Familie zur „Feudel-Hölle“ verunstaltet und geschändet wird. Das wahre Leben findet angeblich unter der Knute der Erwerbsdespotie statt.

Gebären, Erziehen, seinen Kindern ein präsenter Partner sein, sich politisch in der Gesellschaft einsetzen, unabhängig zu sein von undemokratischen Chefs, ein Leben in Muße – alles Mumpitz, verglichen mit der Persönlichkeitsdressur in patriarchalischen Hierarchien. Ehrgeizige Frauen sind am abhängigsten von der Akzeptanz aalglatter Erfolgsboys und sitzen berechenbar in der Falle männlicher PR-Genies. (Lisa Erdmann im SPIEGEL: Das Ende der Feudel-Gesellschaft)

Tristram Hunt hat die Lebensgeschichte eines großen Mannes aufgeschrieben, der bereit war, die zweite Geige zu spielen – ein seltenes Phänomen. In dieser Hinsicht war der Mann so ungewöhnlich für hiesige Verhältnisse, dass man ihn einen Undeutschen nennen müsste, sodass wir auf einen großen Europäer stolz sein könnten.

(Jenny Friedrich-Freksa in der ZEIT über die Engels-Biografie von Tristram Hunt)

Die heutige Linke gebärdet sich immer gedankenleerer und unphilosophischer. Ihre dürren strohernen Sätze, denen kein Mensch widerspricht und denen niemand zustimmt, sind in die ökonomistische Falle ihrer Gegner geraten. Mehr Steuern für die Reichen, weniger Steuern für den Mittelstand, Erhöhung der Hartz4-Sätze – und jetzt?

Das haut niemanden mehr vom Hocker. Anstatt das gesamte Leben in seiner Geprägtheit durch Raffen und Überbieten bis in seine Wurzeln zu verfolgen, begnügen sie sich mit dem Nachweis, noch versiertere Zahlenakrobaten zu sein als ihre Gegner.

„Radikal sein ist, die Sache an der Wurzel zu fassen“, sagte Marx. Radikalität erkennt man an der Orchestrierung des Denkens. Da darf kein Instrument fehlen. Von der Pikkoloflöte über die Tuba bis zur Pauke muss alles dazu dienen, unser verkrustetes Leben in Schwingung bringen, bis es in die Grundbestandteile zerfällt und erneut zusammenwachsen kann, dass es die Menschen nicht mehr in Einzelhaft nimmt. Die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen bringen, dass man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt.

Wer singt heute von den Linken? Sie krächzen wie die Raben nach dem Stimmbruch. Wer fühlt sein Leben in ihren honeckersteifen Reden widergespiegelt? Wer könnte den folgenden Satz sagen, ohne dass er fürchten müsste, als geschraubter, politikunfähiger Ideologe zu gelten:

„Es war der letzte Schritt zur Selbstverschacherung, die Erde zu verschachern, die unser Ein und Alles, die erste Bedingung unserer Existenz ist; es war und ist bis auf den heutigen Tag eine Unsittlichkeit, die nur von der Unsittlichkeit der Selbstveräußerung übertroffen wird.“

Unsittlichkeit ist ein moralisches Werturteil. Nicht anders als das Marx-Wort über das Kapital, „das von Kopf bis Zehn, aus allen Poren schweiß- und bluttriefend“, das Leben der Lohnabhängigen zur Sklaverei in Freiheit macht, eine schlimmere Unfreiheit als eine in sichtbaren Ketten, weil man schwer abschütteln kann, was man auf den ersten Blick nicht sieht.

Was hat die Marxisten geritten, aus der Befreiung der Menschen vom Diktat der Besitzenden eine verdammte Religion zu machen mit eben denselben Ingredienzien wie die Original-Heilsgeschichten, denen sie die lineare Zeit, das Evangelium der Arbeit, den von Menschen unabhängigen Fortschritt, die amoralische Instrumentalität des Klassenkampfes, die prophetischen Vermutungen über die Geschichtsepochen, die Eliminierung des autonomen menschlichen Bewusstseins, die völlige Unterschätzung des religiösen Faktors – und die jaja Verschacherung der Erde zu einem Rohstofffeld der Produktion entnommen haben.

Auch wenn die Früchte dieser Produktion gerechter verteilt wären, die Natur wurde im Sozialismus genauso bis auf die Knochen zerlegt wie bei ihren Systemgegnern. „Die der Menschheit zu Gebote stehende Produktionskraft ist unermesslich“, schreibt Engels und schwelgt in derselben falschen Unendlichkeit wie das unermessliche Wachstum der Ausbeuter.

„Diese unermessliche Produktionsfähigkeit, mit Bewusstsein und im Interesse aller gehandhabt, würde die der Menschheit zufallende Arbeit bald auf ein Minimum verringern.“ So nebenbei wird das Bewusstsein rehabilitiert, ohne dass es jemand merkte.

Man braucht eine unermessliche Produktion, um die Arbeit auf ein Minimum zu verringern? Das sind mathematische Spielchen mit Minimum und Maximum. Bevor die Natur nicht unendlich ist, dürfen wir die Arbeit nicht gegen Null reduzieren. Der Mensch kann sich erst befriedet fühlen, wenn die Natur unermesslich ist, um seine Bedürfnisse zu decken.

Der Punkt der Arbeit ist bei den Linken total versemmelt. Wenn die Arbeit unabhängig, notwendig und selbstbestimmt ist, dann macht sie auch Freude und muss nicht gegen Null reduziert werden. Hier sind uns Bolivianer und Hesiod weit voraus. Auch Aristoteles arbeitete wie ein Berserker, aber nicht gegen Geld, deshalb sprach er nicht von Arbeit, sondern von Muße.

Bei einem durchgängigen BGE (Bedingungsloses Grundeinkommen) könnte jeder wählen, ob er gegen Erwerb malochen oder was Sinnvolles tun will. Muße wird bei den Linken als lächerliches Makrameegetue leer laufender Hausfrauen abgetan. Man sollte wieder ein Blick in Lafargues Büchlein „Das Recht auf Faulheit“ werfen, wo Marx’ kubanischer Schwiegersohn der Sündenarbeit die rote Karte zeigt. Allerdings unterscheidet er nicht genügend zwischen Faulheit und Muße.

Wahrhaft Müßige sind die Fleißigsten und Unermüdlichsten. Kein Ruhmesblatt für die Deutschen, unter dem Einfluss ihrer Hirten die heidnische Muße zum antichristlichen Müßiggang verhunzt zu haben. Der Strafcharakter der Arbeit sollte nicht abgeschüttelt werden. Nichts, was Menschen auf Erden in eigener Regie tun, sollte Spaß machen. (Woher der Begriff „Heidenspass“ kommt.)

Arbeit kann sogar anstrengend sein, wenn sie als notwendig erachtet wird. Wenn die Arbeitenden den ihnen zustehenden Respekt und Lohn dafür erhalten, will sie niemand missen. Hat mal jemand in guter Atmosphäre bei einer Heu- oder Kartoffelernte mitgemacht? Man lese die berühmte Landpassage in Tolstois Anna Karenina.

Bei Marx dominiert noch immer der Typ „Sündenarbeit“, die durch Ausbeutung der Natur begrenzt werden soll. Pest soll durch Cholera reduziert werden. Mit dem erwartbaren Ergebnis: Pest und Cholera allerwege.

Dabei ist es seit Roger Bacon das Ziel christianisierter Technik und Wissenschaft, die strafbeschwerte Mühe der Maloche durch Maschinen abzuschaffen, den Sündenfall rückgängig zu machen und hochmotorisiert das Paradies zurückzuentern. Wie muss der Garten Eden sich fühlen, wenn Horden von technischen Dinosauriern seine Idylle platt walzen?

Der Namenskollege von Roger Bacon, Francis Bacon hat es in seinem „Novum Organum“ (Neues Organ der Wissenschaften) unmissverständlich deklariert. Eine Stelle, die bei keiner christlichen Technikschelte aufzutauchen pflegt:

„Denn der Mensch ist durch den Sündenfall um seine Unschuld und um seine Herrschaft über die Natur gekommen; beides kann aber im Leben gewissermaßen wiedergewonnen werden; das erste durch religiösen Glauben, das letzte durch Kunst und Wissenschaft. Nicht ganz und gar ist die Schöpfung uns durch den Fluch widerspenstig worden, sondern in jenem Machtspruche: „im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen!“ liegt zugleich die Zusicherung, dass wir durch steten Fleiß (nicht aber durch Disputationen oder leere magische Formeln) unser Brot zu erwerben, d.i. ein fruchtbringendes Leben zu führen, im Stand sein werden.“

Hier liegt eine Wendung vor, die in Deutschland nie und nimmer möglich gewesen wäre. Hier trennen sich die Christentümer. Während die quietistischen (= untertänig-passiven) Lutheraner die Wiedergewinnung des Paradieses dem wiederkehrenden Gottessohn überließen und ihr jämmerliches Lazarettdasein auf Erden passiv absolvieren mussten, wollten die selbstbestimmteren Insulaner sich nicht nur auf höhere Mächte verlassen. Die verlorene Unschuld konnte man zwar nur durch Glauben, aber die verlorene Herrschaft über die Natur durch Ingenium, Kreativität, Technik und Wissenschaft zurückerobern.

Man darf sich die Frage stellen, wozu der Mensch noch Glauben braucht, wenn er durch Einsatz technischer Mittel das Paradies und somit die Herrschaft über die Natur erobern kann. Das geistliche Ziel der Wiedergewinnung der Seligkeit ist nicht allein auf Glauben angewiesen, sondern kann alternativ durch Einsatz von Maschinen erfolgen.

Glaube wird zur Methode der einfältigen Gemeinde, Technik zum Mittel der elitären Intelligenzler, um zum goldenen Ursprung zurückzukehren. Man könnte auch formulieren, der qualitative Glaube wurde ab Francis Bacon quantifiziert. Fehlt der Glaube, kann er alternativ durch technischen Fortschritt kompensiert werden. Am sichersten, beide Methoden werden gekoppelt und wir erhalten unser gläubig-technisches Wunderland Amerika.

Dass Bacons paradiesische Wiedergewinnungsmittel keine zufälligen Ausrutscher der insulären Geistesverfassung waren, sondern peu à peu die Entwicklung des Kapitalismus vorbereiteten, kann man an einer merkwürdigen und leicht zu übersehenden Stelle bei Adam Smith sehen. Dort ist die Gewinnung der Seligkeit „säkularisiert“ und verwandelt in die Gewinnung der Achtung und Bewunderung der Menschen.

Auch hier mit zwei alternativen Methoden, die uns bekannt vorkommen. Man höre und staune: „Die Achtung und Bewunderung der Menschen zu verdienen, zu erwerben und zu genießen, das sind die größten Ziele des Ehrgeizes und des Wetteifers. Zwei verschiedene Wege bieten sich uns, die beide in gleicher Weise zur Erreichung jenes Zieles führen sollen; der eine führt durch Streben nach Weisheit und die Betätigung der Tugend; der andere durch den Erwerb von Reichtum und Vornehmheit. Zwei verschiedene Gesinnungsarten bieten sich uns zur Nacheiferung dar: stolzer Ehrgeiz und prahlerische Habgier auf der einen Seite, demütige Bescheidenheit und billige Gerechtigkeit auf der anderen.“

Eine Stelle, die für deutsche Ohren fast unglaublich wirken. Habgier und Prahlerei soll eine ernstzunehmende Alternative sein zu Gerechtigkeit und Bescheidenheit, um von Menschen geachtet und bewundert zu werden?

Noch scheint es Adam Smith nicht ganz geheuer zu sein. Noch liegt sein Akzent auf Weisheit und Tugend, wenn er schreibt: „Es sind hauptsächlich die Weisen und Tugendhaften, eine auserwählte, doch wie ich fürchte, nur kleine Schar, die die wahren und ständigen Bewunderer von Weisheit und Tugend bilden. Der große Haufe der Menschen, der Pöbel, das sind die Bewunderer und Anbeter von Reichtum und Vornehmheit.“

Man hat den Eindruck, als ob Smith sich fragte, was kann die kleine Schar der Weisen bewirken, wenn der große Pöbelhaufen immer das Gegenteil bewundert. Der Pessimismus der Erfolgsaussichten rieb sich mit dem Glauben des Autors an die Cleverness der Unsichtbaren Hand.

Ganz allmählich neigt sich die Waage auf die Seite der prahlerischen Habgier, die das Los der Menschen allmählich verbessern könnte. Auch wenn es der Gier nach Geld an Weisheit ermangeln würde: die Unsichtbare Hand hat noch immer die Möglichkeit, die Untugend der Habgierigen durch gütige Weisheit der Unsichtbaren Hand nachträglich zu korrigieren.

Beim nächsten Satz haben wir schon ein Patt erreicht: „Es gibt kaum einen Menschen, der nicht den Reichen und Vornehmen bei gleichem Grade des persönlichen Verdiensts mehr achten würde, als den Armen und Niedrigen.“

Das stolze Britannien konnte unmöglich seine welterobernden Elite-Klassen im Regen der Verworfenheit und moralischen Verrottung stehen lassen. Es musste einen verborgenen Sinn hinter den Eitelkeiten und Habgierigkeiten der Oberen geben. So, als ob die Vorsehung – wie bei Mandeville und bei Goethes Mephisto – die Laster benutzen wollte, um etwas Gutes zu schaffen.

Man musste hinter die Kulissen der böse scheinenden Motivatoren schauen, um ihren guten und wahren Endzweck zu entlarven. Das Böse war ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft. Private Laster werden zu öffentlichen Tugenden. „Ihr zwar gedachtet, mir Böses zu tun, aber Gott hat es zum Guten gewendet“, sagt Joseph seinen Brüdern. Zur Vergebung ihrer Sünden, dass sie ihn an Karawanenhändler verkauft hatten. Und dennoch wurde er ein großer und einflussreicher Mann, der die Not seiner Familie beheben konnte.

Gott benutzt das Böse für seine guten Absichten. Man sollte das Böse nicht von seiner abstoßenden Fassade beurteilen, sondern das Gute sehen, das sich dem ersten Augenblick nicht entschlüsselt:

„Eitle Menschen geben sich oft den Anschein einer modernen Verworfenheit, die sie selbst im Herzen nicht gutheißen und deren sie in Wirklichkeit gar nicht schuldig sind. Sie wünschen sich gelobt zu werden für dasjenige, was sie selbst nicht für lobenswert halten und sie schämen sich altmodischer Tugenden, die sie manchmal im Geheimen betätigen, und für die sie insgeheim eine wahrhafte Verehrung hegen. Es gibt Heuchler des Reichtums und der Vornehmheit ebenso wie solche der Religiosität und der Tugend.“ (A. Smith)

Solche Töne schrillen in den Ohren der Deutschen wie Feuerwehrsirenen. Bei ihnen gibt’s nur Heuchler der Kategorie „Ja-Sager und Nein-Tuer“, so gut wie nie den umgekehrten Fall der Nein-Sager, die ihr Nein bereuen und Ja tun.

Es handelt sich um das Gleichnis von den zwei ungleichen Söhnen. Neues Testament > Matthäus 21,28 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/21/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/21/“>Matth. 21,28 ff. Wer von beiden hat den Willen des Vaters getan, fragt der Herr. Die Jünger antworteten, der, der Nein sagte und doch den Willen des Vaters befolgte.

In Deutschland gibt’s nur Ideologiekritik der ersten Art. Sie predigen Wasser und trinken Wein. Dass manche, aus Allergie gegen den Schein des braven Burschen, Wein predigen, den Bösewicht mimen, im Geheimen aber Gutes tun, solche Fälle gibt es im einfältigen Germanien nicht.

Die Deutschen misstrauen ihren Guten und halten alle Menschen für versteckte Übeltäter, die Briten umgekehrt. Sie bleiben beim Bösen gelassen und sagen, echte Teufel gibt es nicht. Auch Moralverächter tun Gutes, ob sie wollen oder nicht, ob sie es wissen oder nicht.

Dieser „Optimismus“ bestimmt die angelsächsische Apologie des Kapitalismus. Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Kommt die Flut des Reichtums, heben sich alle Boote. Mögen die einen auch mehr vom Reichtum profitieren, die andern profitieren ebenfalls.

Bei den Germanen ist alles auf den Kopf gestellt. Trau keinem Moralprediger, bevor du ihm nicht auf die Schliche gekommen bist. Die Deutschen misstrauen ihren Guten und halten sie für heuchelnde Schurken, die Engländer misstrauen ihren Bösen und halten sie für larvierte Wohltäter. Wie bei Leibniz gilt, in der beste aller Welten muss am Ende alles zum Guten gedeihen.

Wer hat Recht? A priori sind die deutsche und die englische Methode symmetrische Fehlerquellen. Theoretisch können beide Recht oder Unrecht haben. Ob sie Recht haben oder nicht, können nur empirische Beweise erbringen, die ungefilterte Wahrnehmung der Wirklichkeit.

Davon sind wir noch weit entfernt. Ganz langsam erst dringt der Gedanke durch, dass nicht Wachstums- und Konjunkturzahlen, sondern der Glücksindex darüber Auskunft geben kann, ob die herrschende Wirtschaft zum Wohlbefinden der Menschheit beiträgt oder nicht. Die Menschen müssen selbst befragt werden, in welchem Maße sie mit ihrer Lage einverstanden sind.

Von wem werden sie gefragt? Die Selbsteinschätzung der Einzelnen ist den Hohepriestern des Marktes gleichgültig. Es ist eine geradezu faschistische Zwangsbeglückungs-Diagnose, den Menschen per Zahlen vorzuschreiben, wie sie sich zu fühlen haben.

Doch wo bleibt die Natur? Nur indirekt sagt uns die Natur, wie sich fühlt und überlässt es unserer Anschauung, sich ein empathisches Bild von ihr zu machen.

Ein gewaltiges Ziel hatte Engels mit seiner radikalen Denkungsart: nichts weniger wollte er als „die Versöhnung der Menschheit mit der Natur und mit sich selbst.“

Was davon haben seine sozialistischen Jünger realisiert? Was davon haben wir alle realisiert?

Vieles müsste überarbeitet und überdacht werden bei Engels. Nicht aber sein Ziel der Versöhnung des Menschen mit der Natur. Dieses Ziel der Versöhnung hat er verwechselt mit dem Ziel, Herren über die Natur zu werden. „Die Menschen, endlich Herren ihrer eignen Art der Vergesellschaftung, werden damit zugleich Herren der Natur, Herren ihrer selbst – frei.“

Wer Herr über sich selbst ist, ist zugleich Knecht seiner selbst. Wer Herr ist über Natur, macht sie zur Magd des Menschen. Versöhnung duldet weder Herren noch Knechte.