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Sonntag, 25.11.2012 – Deutschland und Israel

Hello, Freunde Israels,

Kriege sind zauberhafte Naturereignisse und heißen Sommerregen, Kiefernduft und Herbstwolken. So nannten die Israelis ihre Feldzüge gegen die Palästinenser. Nein, es gibt keine einzelnen Feldzüge, meint Yotam Feldman in der ZEIT, seit sieben Jahren gibt es nur permanenten Krieg gegen die Bevölkerung von Gaza.

Feldmann ist Filmemacher und schreibt für Haaretz. Die Angriffe hätten zumeist wenig mit Bedrohungen aus dem Gazastreifen zu tun gehabt. Auch die aktuelle Operation wurde begonnen, obwohl kurz zuvor eine langfristige Waffenruhe „zwar noch nicht unterschrieben, aber ausgehandelt war“. Kurz danach hatte Israel den Militärchef der Hamas ermordet, dann begannen die Angriffe.

Ein israelischer Offizier habe einmal die Militärstrategie in Gaza mit dem Einsatz eines Rasenmähers verglichen, der in regelmäßigen Abständen die zu hoch sprießenden Gräser köpft. „In Israel empfindet man die Angriffe auf Gaza zunehmend als hinnehmbar und befürwortet sie ohne weiteres, da sie … wenig Tote und Verletzte in Israel zur Folge haben.“

Der Preis, den die Israelis dafür bezahlen, ist nichts im Vergleich zu den palästinensischen Opfern. In der Militäraktion „Gegossenes Blei“ gab es 13 tote Israelis und 1400 Tote der Gaza-Bevölkerung.

Wenn israelische Politiker das Militär als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln propagieren, genießen sie die breite Unterstützung der Gesellschaft. Die Offensiven gegen Gaza nützen der israelischen Wirtschaft, deren neue Waffenprodukte im Einsatz getestet werden können. Die hochtechnisierten

Tötungsmaschinen sind auf dem internationalen Markt heiß begehrt.

Israelische Militärexporte haben sich in den letzten zehn Jahren verdreifacht und das kleine Land zum viertgrößten Waffenexporteur der Welt gemacht. „Der dauernde Kriegszustand erwies sich als derart profitabel, dass die israelische Wirtschaft von ihm abhängig ist.“

Ein kleines Land lebt vom Dauerkrieg. Gäbe es keinen Krieg, käme das Land in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten. Der Wohlstand des Landes hängt ab von der Dauerbekriegung eines weitaus unterlegenen Gegners. Die gesamte Politelite unterstützt den permanenten Kriegszustand, kein einziger Politiker war bereit, die rechtmäßig gewählte Hamas-Regierung anzuerkennen oder mit ihr zu verhandeln.

Es gibt keinerlei Anzeichen, dass sich dieser Zustand mit düsteren Aussichten für beide Länder ändern wird. Die Menschen von Gaza werden immer mehr zu lebenden Zielscheiben neuer Hightech-Roboter und Israel wird immer mehr zu einer Kriegsfestung, die sich vom Blut und Elend seiner illegalen Landnahme ernährt. Das zeigt, dass „der Zustand des ewigen Krieges in das Gefüge einer demokratischen und liberalen Gesellschaft integriert werden kann“.

Heißt es nicht immer, Kriege zwischen Demokratien seien nicht möglich? Hamas wurde in einem vorbildlichen Urnengang gewählt. Das bezeugten alle europäischen Wahlbeobachter.

Manche Kriegsbeobachter meinen, der jetzige wohlinszenierte Angriff war ein Probelauf für einen bevorstehenden Angriff gegen den Iran. Vor allem wollte man die neuen Abwehrraketen testen, um iranische Gegenattacken auszuschalten.

Netanjahu gilt als Verlierer, weil er den Bodeneinsatz seiner Truppen nicht anordnen durfte und Hamas mit ungewohnt neuer Unterstützung arabischer Bruderstaaten sich behaupten und an internationaler Bedeutung hinzugewinnen konnte. Auch im Fingerhakeln mit seinem bestgehassten Freund im Weißen Haus hat Netanjahu verloren. Es scheint, als ob er nicht mehr wie früher die Israelpolitik Amerikas von Jerusalem aus fernlenken könne.

(Yotam Feldman in der ZEIT: Israel hat sich an den Gazakrieg gewöhnt)

Die Feldman-Analyse stimmt mit der von Jakob Augstein überein. Im Jahre 2008 erklärten israelische Offiziere den Amerikanern, dass „Gaza ganz bewusst und absichtsvoll am „Rand des Kollaps“ gehalten werde, ohne dass es aber zum völligen Zusammenbruch komme. Gaza solle auf dem „niedrigsten Level funktionieren, der gerade noch eine humanitäre Katastrophe“ ausschließe.

Selbst diese entlarvende Aussage hält Augstein für verlogen. Gaza sei ein Ort aus der „Endzeit des Menschlichen“. 1,7 Millionen Menschen hausten hier auf 360 Quadratkilometern. „Gaza ist ein Gefängnis. Ein Lager. Israel brütet sich dort seinen eigenen Gegner aus.“

(Jakob Augstein im SPIEGEL: Gesetz der Rache)

Ein Lager ist kein Konzentrationslager, da hat sich Augstein knapp am Antisemitismus-Vorwurf vorbeigehangelt. Doch Endzeit des Menschlichen klingt nach Apokalypse und die NS-Schergen fühlten sich als apokalyptische Reiter. Da hätte Broder wieder eingreifen müssen, der für die pädagogischen Versuche der Deutschen, ihre israelischen Verbündeten zur Menschlichkeit zu ermahnen, nur Hohn und Spott übrig hat.

Solange die Deutschen auf die Erziehungskünste Broders hören, sind die Täternachfolger für Broder ein ziemlich dumpfes, dummes, aber erträgliches Volk. Wenn sie nicht mehr folgen, wird der Zeitschalter in die Vergangenheit gedreht und die Tätererben sind wieder die Täter, die nichts aus ihren Taten gelernt haben und nie etwas lernen werden.

Wie bei den Christen in der Endzeit heißt es für Broder: Wachet, denn das germanische Böse könnte unberechenbar und jederzeit aus dem Dauersuff erwachen.

Wenn Gräueltaten der Israelis von Deutschen mit nationalsozialistischen Gräueln verglichen werden, sind sie zu Recht erzürnt – wenn man als Vergleichsgröße den Holocaust nimmt.

Wenn man aber den Standard der Menschenrechte wählt, fallen beide in die Kategorie ungleicher, aber eminenter Menschenrechtsverletzungen. Nicht alles, was die Holocaust-Infamie verfehlt, ist schon eine legitime Tat.

Für die Deutschen ist es eine psychische Entlastung ihres permanent schlechten Tätergewissens, wenn die Opfer auch keine Engel sind und gehörig zuschlagen können. Seht her, so klingt das unartikulierte deutsche Geheule: die Opfer maßregeln und schurigeln uns ständig ob der Taten unserer Väter, für die wir gar nicht mehr zuständig sind und für die wir genug gebüßt, bereut und uns schuldig gesprochen haben. Dabei tun die Opfer genau das – pardon, fast das –, was sie uns ständig unter die Nase reiben. Ist das nicht eine verdammte Heuchelei?

Die Israelis hingegen hatten sich bei Gründung des Staates Israel geschworen, nie mehr Opfer zu sein, nie mehr wehrlos unter den Attacken der Fremden, der Gojim leiden zu wollen. Und also verwandelte sich das – seit Beginn der Diaspora – passive und pazifistische Volk zu einem aggressiven und militaristischen.

Michael Wolffsohn meinte, das jüdische Diasporavolk sei das eigentlich christliche Volk, da es sich tatsächlich an die Maximen der Bergpredigt gehalten hätte, während die Christen den althebräischen Rachegesängen gefolgt seien. Bis zur Gründung des neuen Staates Israel seien Juden die wahren Christen gewesen, die Christen aber die wahren Juden, die sich der Methoden der wenig sanftmütigen Althebräer bedienen würden. (Michael Wolffsohn, Juden und Christen)

Eine interessante These, die aber nicht richtig sein kann. Denn die Sanftmut der Bergpredigt ist eine instrumentelle zur Eroberung der Weltherrschaft. „Selig sind die Sanftmütigen, den sie werden das Erdreich besitzen.“

Selbst wenn die Sanften durchweg pazifistisch geblieben wären, wären sie die Kinder eines rachsüchtigen Gottes, der für sie die Schreckenstaten durchführt. „Rächet euch nicht selbst, Geliebte, sondern gebet Raum dem Zorn Gottes, denn es steht geschrieben: Mein ist die Rache, ich will vergelten, spricht der Herr.“ David ist äußerlich schwächer als Goliath, doch der omnipotente Schöpfer ist auf seiner Seite, sodass Goliath chancenlos ist.

Mit Gründung des Staates Israel seien die Juden wieder zurückgekehrt zur vielfältigen Rachemoral des AT, so Wolffsohn.

„Denn Lamech wird siebenundsiebzig mal gerächt.“ Was die Palästinenser zu spüren kriegen, die den Fehler begangen haben, jahrtausendelang auf jenem Land zu wohnen, aus dem Gott seine Kinder vertrieben hatte.

Die Juden ihrerseits fühlen sich restlos von den Tätern verkannt, weil diese die neue Lage des Staates Israel nicht sehen würden – die einzige demokratische Villa im arabischen Dschungel zu sein, der die Villa ständig überwuchern wolle, weshalb aggressive Militärmaßnahmen gerechtfertigt seien.

Natürlich könnten die Juden den Übertreibungscharakter der deutschen Vorwürfe durchschauen – und dennoch den wahren Kern der Kritik zur Kenntnis nehmen, anstatt das Übermaß zum Vorwand zu nehmen, alle Vorwürfe mit Stumpf und Stil auszurotten.

Natürlich könnten die Deutschen den Übertreibungscharakter der israelischen Menschenrechtsverletzungen den jahrtausendelang verletzten Seelen der Juden zurechnen (die bei Staatswerdung der Welt alles heimzahlen wollten), anstatt sie gleich mit NS-Schergen zu vergleichen. Was nämlich den Trotzeffekt der Israelis nach sich zieht: wenn man uns schon inhuman einschätzt, denken sie, können wir auch inhuman sein. Im Grunde aber sind wir herzensgut und werden, wie immer, von der Welt verkannt.

Diesen Dialog zweier sensibler Völker gibt es nicht, denn Täter-Opfer und Opfer-Täter reden nicht miteinander. Sonst aber ist alles okay, sie sind die besten Freunde, pardon, die zweitbesten.

Zeruya Shalev, israelische Schriftstellerin, sieht die Lage ihres Landes diametral anders als der Philosoph Moshe Zuckermann. Im Grunde habe sich seit 1948 nichts Wesentliches verändert. Schon immer hätten sie – die Palästinenser, die selten bei Namen genannt werden – das Leben der eingewanderten Juden bedroht. „Seither sind große Veränderungen in der Welt eingetreten, aber hier drehen wir uns immer im selben Kreis. Gibt es einen Ausweg aus diesem Teufelskreis?“

Erst vor sieben Jahre habe Israel sich einseitig aus Gaza zurückgezogen. Einseitig? Hätten sich die Gaza-Bewohner auch aus dem Land entfernen sollen? Mehrere Zehntausende israelische Einwohner, die im Laufe der Jahre blühende Dörfer im Gazastreifen errichtet hätten, mussten ihre Häuser verlassen. Die Palästinenser könnten endlich ihr eigenes Leben führen, deshalb war Shalev trotz vieler Bedenken für diesen schmerzlichen Rückzug.

Doch statt besser wurden die Verhältnisse schlimmer. „Jedes Stück Land, aus dem Israel abzieht, füllt sich mit Extremisten, die es vernichten wollen, und nicht mit gemäßigten Kräften, die friedlich an seiner Seite leben möchten.“

Der sensiblen und empathischen Schriftstellerin fehlt jedes Einfühlungsvermögen in die Lage jener, die die Israelis unterdrücken. Früher sagte man von den Deutschen, dass sie vor Selbstmitleid triefen. Heute ist es Zeruya Shalev, die sich darüber beklagt, dass die Palästinenser sie immerzu nur feindlich behandeln würden, obgleich die Israelis sie so überaus menschlich behandelten.

Bei Shalev ist kein einziger Satz des Verständnisses für das Andere zu finden. In allen Dingen sind die Starken unschuldig und die Schwachen schuldig. Von Anfang an wollten die Palästinenser nicht an der Seite der Israelis stehen, von Anfang an setzten sie auf Konfrontation und Krieg.

Warum nur? Es gab doch allen Grund, sich darüber zu freuen, dass die neuen Herren den Beduinen das Land abnehmen, um daraus das „Wunder“ eines Erfolgsmodelles zu machen. „Hätten sie damals keinen Krieg begonnen, gäbe es heute keinen einzigen palästinensischen Flüchtling. Und nun sitzen die Nachkommen jener Geflüchteten oder Vertriebenen in Gaza und schießen Raketen auf den Staat, der damals entstanden ist.“ Und der die Vertriebenen so überaus human behandelt hatte.

Doch noch immer glaubt die hochgelobte Schriftstellerin daran, dass es „auch im Gazastreifen Menschen gibt, die Frieden wollen, die bereit sind, an unserer Seite zu leben“. Auch? Nach Zuckermann gibt es in Israel fast keine.

Warum nur lieben die Unterdrückten ihre Unterdrücker nicht? Es gibt doch keinen Grund, nicht an der Seite der Eroberer den Rest der Welt in die Schranken zu weisen. In Israel gibt’s nur friedensstiftende Menschen und deren Gesinnung wird von den Gaza-Menschen bösartig verkannt.

Die Palästinenser wollen partout nicht die Segnungen der neuen Herren über ihr uraltes Land zur Kenntnis nehmen und würdigen. Anstatt sich zu freuen, dass ein in allen Dingen überlegenes Volk sich ihrer Sache angenommen hat, beharren sie verstockt in Ablehnung ihrer großzügigen Wohltäter.

Mit einem Wort: Shalev fehlt der kleinste Funke des Verständnisses für die Gegenseite, ihr Beitrag strotzt von larmoyanter Selbstgerechtigkeit. Wir sind die Guten, die euch nur Gutes bringen wollten, ihr seid die Bösen, die unsere Guttaten mit arglistigem Undank belohnen.

(Zeruya Shalev in der WELT: Arabischer Frühling – israelischer Herbst)

Ganz anders die Stellungnahme von Moshe Zuckermann in einem TAZ-Interview. Wenn Israel rational wäre, müsste es Frieden mit Palästina wollen, wolle es aber nicht. „Das ist das, was man in Deutschland nie begreifen will. Israel will sich aus den besetzten Gebieten nicht zurückziehen und fordert, dass die Okkupierten das ganz einfach hinnehmen. Das ist aber nicht zu haben.“

Ob es denn keine emanzipativen Impulse in Israel gebe? Nein, keine. Bei den jüngsten Massendemonstrationen ginge es nur um soziale Fragen, mit Absicht wurde das palästinensische Problem ausgeklammert.

Alle kritischen Stimmen seien vollkommen marginalisiert. Auch das wolle Deutschland nicht sehen. Vielleicht gebe es einen Lichtblick bei einigen amerikanischen Juden, die sich von Israel distanzieren würden.

(TAZ-Interview von Ines Kappert mit Moshe Zuckermann)

Israel habe das Recht, sich zu verteidigen, trompeten unisono Merkel und Westerwelle. Um Ursachen kümmern sie sich nicht. Dass Überfallene, Gedemütigte und Verzweifelte sich gegen ihre imperiale Macht wehren, scheint in Berlin nicht angekommen. Deutschland macht sich schuldig am israelisch-palästinensischen Elend.

Die Konsequenzen, die die deutsche Heuchelelite aus dem Holocaust zieht, ist das Gegenteil von Wahrheit und Humanität. Sie haben nichts gelernt und beteiligen sich durch Wegschauen und Wegducken erneut an völkerrechtlichen Verbrechen. Beruhigen sich dabei mit dem skandalösen Argument, dass es in Nahost noch nicht zu KZs und systematischen Massentötungen gekommen sei.

Das pure Einhalten der Menschenrechtskonvention scheint ihnen kein Maßstab ihres internationalen Engagements zu sein. Wie viele überlebende Holocaustopfer betrachten die von Verachtung und Hass gelenkte Politik ihrer Regierung als schändliches Gegenteil dessen, was der junge Judenstaat an Konsequenzen hätte ziehen müssen.

Deutschland kontaminiert mit seiner kollektiven Unaufrichtigkeit das Gesamtklima in Europa, dessen wirkliche Krise keine finanzielle, sondern eine politisch-moralische ist. Die ganze Welt schaute lange Zeit auf das europäische Modell als vorbildlichen Friedensbund ehemaliger Feinde.

Die Vorbildrolle hat Europa verloren. Niemand mehr erwartet vom alten Kontinent die geringsten Impulse zur Lösung des Nahostkonflikts. Die EU steckt in einer moralischen Verwahrlosung, in der keine Lichtblicke zu sehen sind.

Seinen friedensstiftenden und lauteren Nimbus hat Europa verloren.