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Tanz des Aufruhrs XXI

Tanz des Aufruhrs XXI,

in Gottes eigenem Land verschmelzen Himmel und Erde; Religion wird zur Politik, Politik öffnet die Tore zur messianischen Zukunft:

„Das Beste beginnt erst, das Beste kommt noch.“ (Trump)

Mit goldblonder Aureole auf dem Haupt verkündete der amerikanische Messias das Ende der bisherigen Geschichte.

„Sein Kommen gleicht dem Strahlen morgendlicher Sonnenpracht,
Den Herrschern Weisheit und den Tapfern Ehre Er vermacht.
Sein Reich auf unsrer Erde, es ist endlich nun vollbracht:
Unser Gott marschiert voran.
Glory, glory, hallelujah!
His truth is marching on.“

Die amerikanische Erwählung begann schon mit der Gründung des Kontinents. Nur die Besten waren es, die dem versumpften alten Kontinent den Rücken kehrten und das Neue Kanaan zur höheren Ehre Gottes besiedelt hatten.

Nach vielen Versuchen, Gottes Land der Vernunft zuzuführen, reute es die Erwählten und sie überwanden die Zweifel an ihrer Berufung – und wählten den, der da kommen sollte.

Und er kam, in verachteter Gestalt, widerstand dem Hohn und Gelächter der Welt, erduldete die Kränkung am Schandholz, die Niederfahrt zur Hölle der Amtsenthebung.

Jetzt steht sein Triumph bevor: die Auferstehung zum Pantokrator der Welt. Nun kann ihn nichts mehr treffen und verletzen. Er ist immun geworden. Alles Gehässige wird abprallen an seinem Panzer des Glaubens und seinem Helm der Hoffnung.

Die Seinen haben ihn erkannt und umgeben ihn mit der Phalanx des Glaubens. Sie kennen seine Schwächen, die sich durch die Kraft seiner Berufung ins Gegenteil

verkehrten. Sie schauen auf die Früchte seines Glaubens, nicht auf die Tugendwerke sündiger Eitelkeit.

An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Wenn ein Baum den rechten Glauben besitzt, ist er zu Werken des Unglaubens unfähig. Sündige tapfer, Donald, wenn du nur glaubst. Nicht umsonst hat Gott dich mit dem Namen Trump geehrt: Du bist Amerikas Trumpf, der Triumph des neuen Glaubens, welchem keine Grenzen gesetzt sind.

Das Wesentliche kommt noch. Amerikas Wunderwaffen rüsten sich, den Weltraum zu erobern. Sie werden wieder zum Mond fliegen und ihre Fahne auf dem Mars hinterlassen.

„Der Oberste Herrscher des Universums scheint sich einzuschalten und die Energie der Menschen dahin zu lenken, der Menschheit zu nutzen. Sein Eingreifen scheint mir am Erfolg unserer Waffen ablesbar. Dass die Rettung ungläubiger Seelen von allen Sünden, die die menschliche Rasse verpesten, das augenscheinliche Ziel ist, scheint offensichtlich. Wir würden unsere edle Mission schmählich verraten, sollten wir es ablehnen, dem höheren Zweck einer weisen Fügung zu gehorchen. Krieg hat seine Schrecken, doch der allwissende Herr der Geschichte hat ihn zum Instrument gemacht, das große Ziel menschlicher Erhebung und menschlicher Glückseligkeit zu erreichen. Deshalb stehe ich zur Doktrin der „manifest destiny“. Es ist das Schicksal der weißen Rasse, es ist das Schicksal der angelsächsischen Rasse.“ (zit. in Howard Zinn, Eine Geschichte des amerikanischen Volkes)

Zu den Waffen der Kriegsführung gehören auch wirtschaftliche und technische Überlegenheit. Wer den Prozess des Fortschritts anführt, beherrscht die Konkurrenz.

Die Angelsachsen haben den Ruf Amerikas gehört und sich von den Sümpfen Alteuropas losgesagt. Nun halten sie sich bereit, eine neue-uralte Schicksalsgemeinschaft wiederzubeleben. Wenn Amerika und England wieder zusammenhalten: wer sollte ihnen widerstehen, wen sollten sie fürchten?

Das Finale der Heilszeit beginnt. In Neukanaan wird Jüngstes Gericht abgehalten. Das auserwählte Volk der Amerikaner sitzt zur Rechten des Herrn und spricht sein Urteil über die Völker. Nur das erste auserwählte Volk hat noch die Chance, ins Finale der Konkurrenz zu kommen. Auserwählte unter sich. Doch ohne Frage, wer die wahren Auserwählten sind, wird es eines Tages kaum gehen.

Ansonsten Amerika. Amerika zuerst bis zuletzt. Amerikaner sind die Größten, die Einzigen, die Sieger der Heilsgeschichte. Unwahrscheinlich, dass die letzten Meter des geschichtlichen Wettbewerbs ohne Kriege auskommen werden.

„Heute sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir erneut die Kämpfe des 16. Jahrhunderts ausfechten – Offenbarung gegen Vernunft, dogmatische Reinheit gegen Toleranz. Wir finden es unbegreiflich, dass religiöse Ideen Menschen noch so sehr entflammen können, dass sie messianische Leidenschaften entfachen und Gesellschaften in Trümmer legen. Wir haben gedacht, die Menschheit habe endlich gelernt, das Religiöse vom Politischen zu trennen. Deshalb habe sie sich vom Fanatismus abgewandt. Es war ein Irrtum.“ (Mark Lilla, Der totgeglaubte Gott)

Da stand er, der Kaiser der Welt, der den Traum des Mittelalters erfüllt und sich zum Messias erklärt hat. Im Mittelalter rivalisierten weltliches Reich und sacrum imperium. Das Heilige römische Reich deutscher Nation und das Papsttum zermürbten sich, bis sie beide bedeutungslos waren.

Trump will das Heilige römische Reich amerikanischer Nation errichten, in dem Kaisertum und Papismus eins werden. Was Europa misslang, muss Amerika gelingen.

Warum haben ausgerechnet Amerika und Israel zusammengefunden? Weil sie die einzigen Weststaaten sind, die aus ihren messianischen Hoffnungen kein Hehl machen. Weil sie – in den Unsicherheiten der Moderne – den Frömmsten das Steuerrad der Nation überlassen. Wenn es hart auf hart kommt, können sie ihrer menschlichen Klugheit nicht mehr trauen.

„Die eschatologischen Hoffnungen des Judentums … richteten sich zu allererst auf das Volk Israel, dann auf die anderen Völker der Welt. Man blickt zurück auf das Haus David, dessen Thron wiederhergestellt werden soll, und vorwärts auf eine endlich vollendete Welt, in der alle Völker in Frieden und Gerechtigkeit leben und den einen, wahren Gott anbeten. Dieses Bild einer vollendeten Welt, meint Rosenzweig, setze einen latenten politischen Utopismus frei, der in Zeiten historischer Krisen messianische Impulse auslösen kann.“ (Lilla)

Die amerikanisch-jüdische Koalition ist eine eschatologische. Rechtgläubige Christen und Juden bereiten sich vor auf das letzte Kapitel der Offenbarung: die Rückkehr in den Garten Eden. Weshalb es auch keinen Friedensvertrag mit Palästinensern geben kann, die die Frechheit besitzen, uraltes biblisches Land, das einst den Kindern Israels gehörte, für sich zu reklamieren.

Trump gilt in Deutschland nicht als Christ, weil er kein gottesfürchtiges Leben führen würde. Als ob Glaubenshelden mit heidnischen Tugenden brillieren müssten. Glaubenshelden tun, was Gott befiehlt. Moralische Bedenken wären für sie Ungehorsam gegen Gott.

Trumps Symbiose mit seinen frommen Schafen ist unaufhebbar. Von Anfang an forderte er sie auf, ihre politische Zurückhaltung aufzugeben und zurückzukehren in die Politik des Tages, die im Zeichen der Endzeit stünde:

„In Orlando, Florida, versuchte Trump den dort versammelten Predigern Hoffnung zu machen. In der Bastion der christlichen Rechten versprach er ihnen, er werde die Kirche wieder zu dem machen, was sie einmal war. „Ihr habt eure Stimme verloren“, beklagte er den schwindenden politischen Einfluss der Pastoren. Sie würden von der Regierung daran gehindert, von der Kanzel zu sagen, was sie wollten. „Wir werden euch eure Stimmen zurückgeben“, verkündete er. Trump versprach, den drohenden Verlust ihrer Steuerbefreiung zu verhindern, wenn sie in ihren Kirchen Partei-Wahlwerbung machen oder gar eine Wahlempfehlung abgeben. Dafür erntete er von den Predigern tosenden Beifall.“ (Herder.de)

Das war eine unverhüllte Aufforderung an die Kirchen, von den Kanzeln herab Werbung zu treiben für Donald, den Knecht Gottes. Wenn Trump mit ausländischen Mächten einen Deal versucht, um die demokratische Partei zu schwächen, gilt das als Grund zur Amtsenthebung. Doch wenn er die Frommen des Landes auffordert, für seine Sache zu predigen, juckt das niemanden in Amerika. Wer täte sowas nicht, wenn er‘s könnte?

Trumps Rede an die Nation war ein Versuch, das Jüngste Gericht als Teil der Politik vorwegzunehmen. Das Jüngste Gericht ist Teil des jüdischen wie des christlichen Glaubens:

„Das Judentum vereinigt die kosmologische mit der zeitlichen Vorstellung im Gedanken eines endzeitlichen Weltgerichtes und anschließender messianischer Herrschaft. Das Neue Testament überhöht diese Vorstellung als Anmahnung des nahenden Gerichtes über alle Lebenden und Toten. Es entscheidet über Himmel und ewige Verdammnis und ist notwendiges Moment der endgültigen und vollständigen Errichtung des Reiches Gottes. Die Gläubigen dürfen sich nach dieser Vorstellung auf den Tag des Gerichts freuen im Wissen, dass ihre Erlösung naht, da der wiederkommende Christus die Strafe am Kreuz bereits getragen hat. Der Kampf zwischen den Streitern des Guten und dem Teufel ist Teil des Jüngsten Gerichts. „Sie wurden gerichtet, jeder nach seinen Werken.“ Auf das Jüngste Gericht folgt der „neue Himmel“ und die „neue Erde“, das „Neue Jerusalem“ als abschließende Erfüllung aller Verheißung vom Reich Gottes.“

Das politische Zentrum der USA verwandelte sich in den Gerichtssaal Gottes. Der oberste Richter hatte vorbildliche Menschen eingeladen, um sie vor der ganzen Nation zu ehren. Das waren die Guten.

Die Taten der Bösen – vor allem der Kriminellen und Ausländer – schilderte er in voyeuristischer Geilheit, wie wir es in Deutschland nur von BILD kennen.

Der Unfriedensvertrag des Trump-Schwiegersohns und intimen Netanjahu-Freundes Jared Kushner verweist bereits auf die letzten Tage der Heilsgeschichte. Feinde der Auserwählten haben in Jerusalem und in den alten, von Gott verheißenen Gebieten, nichts zu suchen.

Im Neuen Jerusalem werden die Getreuesten der Getreuen über die Völker der Welt herrschen. Umrisse des neuen Himmels und der neuen Erde zeichnen sich bereits ab. Es geht nicht nur um Herrschaft über die Erde, sondern um Eroberung des Universums – wenn‘s sein muss, mit militanten Methoden.

Das Christentum hatte nie die Absicht, die sündige Welt in eine politische Utopie zu verwandeln. Könnte die Welt gerecht werden, fiele das Jüngste Gericht ins Wasser. Denn es gäbe keine Guten und Bösen mehr.

Poppers Utopieverbot ist bekannt. Dass dieses Verbot seiner sokratischen Leidenschaft widersprach, fiel ihm nicht auf. Vermutlich hatte er sich zu sehr Hayeks Einfluss unterworfen – wie er am Ende seines Lebens in einem persönlichen Gespräch mit dem Eucken-Enkel Walter Oswalt gestand.

Diese Utopie-Aversion, die über seinen Verehrer Helmut Schmitt in die SPD drang und die ganze Partei zerrüttete, verdankte er vor allem seiner Sympathie für den Theologen Karl Barth. Der Schweizer Karl Barth hatte die Bekennende Kirche gegründet, die heute als Hort des Widerstands gilt.

Was sie nur begrenzt war. Denn sie kämpfte weniger gegen die totalitären Tendenzen des NS-Regimes, als gegen die Machtverluste der Kirche, die von Hitler als Kopfnickerkirche verachtet wurde. (Dabei war sie alles andere als eine ecclesia patiens.) Barth selber war ein Sympathisant des totalitären Sozialismus.

Für Barth war die christliche Lehre „kein Anweisungskanon für eine moralische oder politische Entwicklung. „Eine direkte, allgemeine Nächsten- und Bruder- oder auch Fernsten- und Negerliebe (!) ist nicht gemeint“.“ (Lilla)

Barth hätte mit Bismarck sagen können, mit der Bergpredigt könne man keine Politik machen. Kaum ein Theologe, der Bismarcks Satz widersprechen würde – mit Ausnahme der deutschen Kanzlerin, die ihre desaströse Politik stets mit dem Mantel christlicher Nächstenliebe bedeckt.

Die Deutschen hören das gern. Es entlastet sie von der Pflicht, die hohlen Worte ihrer Chefpolitikerin unter die Lupe zu nehmen. Merkels Wortlosigkeit empfinden sie als Absegnung des politischen Desasters.

Barth – zufällig auch der Lieblingstheologe des Literaten Walser, der zur Politik schon lange nichts mehr zu sagen hat – sah in Jesus nur den leidenden Gottessohn, nicht den triumphierenden Herrscher des Universums.

„Christus leidet. Daher erobert er nicht. Er triumphiert nicht. Er hat keinen Erfolg. Er erreicht nichts als … seine Kreuzigung.“ (zit. in Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde)

Barths Widerstand gegen die deutsche NS-Theologie war ein Widerstand gegen die „Lehre von der Offenbarung Gottes in der Geschichte“, die besonders von Lutheranern vertreten wurde. Sie besagt nichts als die Trivialität, dass Gott Herr der Geschichte sei. Ob wir das erkennen oder nicht. Die Wahl Hitlers zum Führer der Deutschen war für Lutheraner ein Zeichen des Himmels.

Der leidende Jesus ist nur die Hälfte des christlichen Credos. Wenn Gott der Schöpfer der ganzen Welt ist, ist die ganze Welt eine Offenbarung seines Wesens. Um der Anklage zu entgehen, ein Sadist zu sein, hat der Allmächtige sich dienstbare Knechte und Mägde geschaffen, hinter denen er sich verstecken kann. Der wichtigste Knecht ist der Teufel, der für das Böse zuständig ist, obgleich er nur im Auftrag seines Herrn agiert.

Das Jüngste Gericht inszenierte Trump wie jene TV-Show, mit der er sich einen Namen gemacht hatte. TV-Spektakel sind immer Rankings oder gnadenlose Konkurrenzspiele. Alle sind ein Vorgeschmack auf das Ranking des Jüngsten Gerichts.

Soll niemand glauben, er könne sein Leben vertändeln. Alles, was er tut, ereignet sich unter den unsichtbaren Augen Gottes, der – nicht anders als das totalitäre System Chinas – alles sieht, nichts vergisst und jedem Menschen eines Tages die Gesamtrechnung präsentieren wird.

„Und ich sah die Toten, die grossen und die kleinen, vor dem Thron stehen, und es wurden Bücher geöffnet. Und die Toten wurden gerichtet auf Grund dessen, was in den Büchern geschrieben war, nach ihren Werken.“

Schon der Psalmist wusste:

„Mein Elend hast du aufgezeichnet, meine Tränen sind verwahrt bei dir. Steht nicht alles in deinem Buch?“

Gott weiß alles vom Menschen, weshalb seine Geschöpfe, die Ihm ähneln wollen, ebenfalls alles vom Menschen wissen wollen: wir befinden uns in der kreativen Werkstatt jener Maschinen, die die Menschheit rund um die Uhr überwachen.

Wie der Fromme Gott erlebt, so erlebt die Moderne ihre allwissenden Überwachungscomputer. Die heutige Welt ist eine irdische Vorwegnahme der göttlichen Totalüberwachung.

„Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne. Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege. Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, HERR, nicht alles wüsstest.“

Das Geheimnis der eschatologischen Trump-Show ist die Selektion Einzelner – als Vorbilder oder Bösewichte. Politik als Erwählungsakt zeigt, dass Christen demokratische Politik nicht verstanden haben. Sozialpolitik ist für sie Almosengeben für Menschen, die sie zufällig im Straßengraben finden. Gerechtigkeit halten sie für Sozialismus oder staatliche Gleichmacherei.

Auch Merkel bevorzugt die zufällige Samaritertat, keine zuverlässige Hilfe für vergleichbare Fälle. Menschen gleich behandeln ist für den christlichen Einzigartigkeitsglauben sozialistische Gleichmacherei.

Das Auge Gottes kennt nur Einzelne, keine Mitglieder, die sich ähnelten. Plötzlich überkommt Merkel ein samaritanisches Augenblicksgefühl: dann lässt sie Flüchtlinge massenhaft über die Grenze kommen.

Ist der Moment vorbei, hat sie schon vergessen, was sie tat. Wir warten auf den nächsten Genieblitz der Kanzlerin, den sie im stillen Kämmerlein Erleuchtung nennen würde. Dauererleuchtung ist in der Religion des Unberechenbaren nicht vorgesehen.

In der Trump-Show konnten die Selektierten ihr Glück nicht fassen, dass ausgerechnet sie vom Schicksal ausgesucht wurden.

Trumps Neoliberalismus à la Hayek kennt keine gerechten Normen, sondern nur ein Wirrwarr von Einzelfällen, die von der Evolution ausgespuckt werden.

Das Bevorzugen des Einzigartigen ist eine Reaktionsbewegung gegen wissenschaftliche Sucht nach gleichartigen Gesetzen in Natur und Geschichte.

Der Mensch, als Teil der Natur ein Rädchen unter vielen, rächte sich, indem er an anderer Stelle eine einmalige Individualität sein wollte. Das Persönliche, das er in der Wissenschaft verlor, hoffte er, in der politischen Sphäre als das Unvergleichliche wieder zurückzugewinnen.

Im Jüngsten Gericht gibt es keine Ränge mehr, sondern nur noch Entweder-Oder, Sein oder Nichtsein, Himmel oder Hölle. Dass die Deutschen solche Hell-Dunkel-Rigorismen hassen – die sie von logischem Richtig oder Falsch nicht unterscheiden können –, liegt an unterschwelligen Erinnerungen an das Jüngste Gericht, an die sie nicht erinnert werden wollen, obgleich sie angeblich gläubige Christen sind.

„Und seine Jünger kamen zu ihm [Jesus] und sagten: Erkläre uns das Gleichnis vom Unkraut auf dem Acker. Er antwortete: Der Mann, der den guten Samen sät, ist der Menschensohn; der Acker ist die Welt; der gute Samen, das sind die Söhne des Reiches; das Unkraut sind die Söhne des Bösen; der Feind, der es gesät hat, ist der Teufel; die Ernte ist das Ende der Welt; die Arbeiter bei dieser Ernte sind die Engel. Wie nun das Unkraut aufgesammelt und im Feuer verbrannt wird, so wird es auch am Ende der Welt sein: Der Menschensohn wird seine Engel aussenden und sie werden aus seinem Reich alle zusammenholen, die andere verführt und Gottes Gesetz übertreten haben, und werden sie in den Ofen werfen, in dem das Feuer brennt. Dort werden sie heulen und mit den Zähnen knirschen. Dann werden die Gerechten im Reich ihres Vaters wie die Sonne leuchten. Wer Ohren hat, der höre!“

Wer nicht für Ihn ist, ist gegen Ihn, ein Drittes gibt es nicht. Gut sind alle, die den rechten Glauben haben, nicht die, die ihrer eigenen Vernunft folgen.

Weil Trump nur Schmeichler und Verräter kennt, weigerte er sich, seiner Widersacherin Nancy Pelosi die Hand zu geben. Auch sprach er nur von Amerikanern. Ausländer erwähnte er beiläufig und in gehässigem Ton.

Seine amerikanischen „Werte“ scheinen von Menschenrechten noch nichts gehört zu haben.

Der Kampf der Aufklärung gegen voluntaristische Auswahlkriterien des Klerus ist bei Trump & Co nicht angekommen. Voluntaristisch oder willensmäßig bedeutet: der wankelmütig-willkürliche Wille entscheidet, nicht die Vernunfterkenntnis des Gleichartigen und Ungleichartigen.

Die Guten werden nicht auserwählt, weil sie gute Werke taten, sondern weil sie Jesus bestechen wollten. Die Objekte ihres Guthandelns waren ihnen gleichgültig. Sie waren nur stellvertretende Statisten für den eigentlichen Empfänger der guten Tat: für Jesus:

„Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Gehet hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln. Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich nicht gespeist. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich nicht getränkt. Ich bin ein Gast gewesen, und ihr habt mich nicht beherbergt. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich nicht bekleidet. Ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr habt mich nicht besucht.
Da werden sie ihm antworten und sagen: HERR, wann haben wir dich gesehen hungrig oder durstig oder als einen Gast oder nackt oder krank oder gefangen und haben dir nicht gedient? Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem unter diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. Und sie werden in die ewige Pein gehen, aber die Gerechten in das ewige Leben.“

Wenn Christen Menschen lieben, lieben sie nicht die Menschen, sondern allein ihren Erlöser. Womit sie auf ewigen Lohn spekulieren dürfen, denn Jesus notiert alle Taten in seinen ewigen Büchern. Nächstenliebe ist nur ein konditionierter Reflex zur Gewinnung der Seligkeit.

Panem et circenses, Brot und Spiele: wir befinden uns im Endstadium des Römischen Reiches. Wie Kirchenvater Tertullian davon träumte, im Himmel die Qualen der Verdammten in der Hölle zu beobachten, oder wie das ausgeraubte römische Volk durch schreckliche Folter- und Todesspiele in der Arena still gestellt wurde, so will Trump seine Untertanen mit himmlisch-höllischen Gerichtsinszenierungen bei der Stange halten.

Warum sind ausgerechnet die Schwächsten und Ärmsten seine getreuesten Anhänger? Weil religiöse Völker immer davon träumten, dass Götter ihr Elend am besten kennen – und sie eines Tages fürchterlich rächen werden. Wenn das der Kaiser, der Führer wüsste …

Trump ist nicht nur ein Genie in Ehrlichkeit, der die Moralfassaden vergangener Epochen vom Tisch wischte. Er ist auch ein begnadeter Satiriker mit religiösem Inhalt oder ein Volksprediger mit Entertainerqualitäten. Wenn Heilsgeschichte nichts anderes ist als eine spannende Geschichtserzählung mit unbekanntem Ausgang, so muss die beste Unterhaltung einen subkutanen religiösen Untergrund besitzen. Oder umgekehrt: die besten Prediger sind die Savonarolas mit komödiantischen Slapstickeinlagen.

Warum bezeichnete Dante seine Himmel- und Höllenreise als Göttliche Komödie?

„Der Titel Commedia verweist zwar auf Thema, Sprache und Stil des Werkes: Thematisch soll er ein Werk charakterisieren, das in seiner Behandlung eines Stoffes mit widrigen Dingen, hier den abstoßenden Schrecken der Hölle, beginnt und zu einem glücklichen Ende, hier den Freuden des Paradieses, hinführt. In Hinsicht auf die Sprache soll er der Tatsache Rechnung tragen, dass das Werk nicht auf Latein, sondern in der italienischen Volkssprache verfasst ist, „in der sich auch die Weiber unterhalten“. In Hinsicht auf den Stil soll er dadurch begründet sein, dass das Werk nicht durchgehend in einem erhabenen Stil verfasst ist, sondern in einem „lockeren und niederen“ Stil – während der Text der Commedia aber alle Stilregister, vom derb Obszönen über das gemessen Lehrhafte bis hin zum hymnisch Ekstatischen, vereint.“

Die besten Prediger sind diejenigen, die dem Volk aufs Maul schauen. Das Obszöne und das Heilige sind Zwillinge. Welches Heilige wäre nicht obszön, das Menschen willkürlich in Spreu und Weizen, Verworfene und Seliggesprochene zu trennen wagt?

Gerade, weil Trump das Obszöne artistisch zu traktieren weiß, ist er ein begnadeter Märchenerzähler von sagenhaften Segnungen der Zukunft. Beherrschung des Universums, Überwinden des Todes und Erlangen der Unsterblichkeit kennzeichnen den teuflischen Verführer als wahren Erlöser. Den sündigen Weibern zwischen die Beine grapschen – und anschließend in Tränen mit ihnen zusammen beten: das passt zusammen wie das satirische Meisterpaar Gott und Teufel. Der Teufel ist der Hans Narr seines Gottes.

Auch Juden kennen die Gestalt des Messias. Im 17. Jahrhundert verehrten sie einen Sabbatai Zwi als Erlöser, den sie lange erwartet hatten. (Siehe Gershom Scholem, Sabbatai Zwi. Der mystische Messias)

In der Hoffnung auf Erlösung gerieten die Juden in ekstatische Gefühle der Freiheit. „Sie bekamen den Vorgeschmack auf etwas vollkommen anderes, fühlten sich frei, viele waren überzeugt, das alte Leben sei ein für alle Male vorbei.“

Sie waren sogar bereit, die Thora über Bord zu werfen. War das Gesetz nicht gescheitert beim Versuch, sie zu retten? Menschen aller Schichten akzeptierten den gesetzlosen Antinomismus des Sabbatai. „Das alte Gesetz werde außer Kraft gesetzt und Handlungen, die früher verboten waren, wären plötzlich heilig.“

Als Sabbatai gefangen genommen und vom Sultan gezwungen wurde, zwischen Tod oder Übertritt zum Islam zu wählen, entschied sich Sabbatai für den Islam. „Der Messias war zum Apostaten geworden.“

Ein Verteidiger Sabbatais versuchte, den Glaubensverrat des Messias mit den Worten zu erklären: „Die Erlösung habe begonnen, aber es sei ein Rückschlag eingetreten und Sabbatai sei gezwungen worden, noch tiefer ins Reich der Unreinheit hinabzusteigen und selbst die Gestalt des Bösen anzunehmen. Dies sei die letzte „heilige Sünde“. Radikale Sabbataianer konnten sich nicht entschließen, zum alten Gesetz zurückzukehren. Sie glaubten, die Juden müssten ihrem Messias ins Reich des Bösen folgen und ebenfalls abtrünnig werden.“ (alle Zitate in Karen Armstrong, Im Kampf für Gott)

Im Mittelpunkt der deutschen Oberammergauer-Festspiele steht das Leiden des Herrn am Kreuz. Im Mittelpunkt der Trump‘schen Himmel- und Höllenspiele steht die Macht des Auferstandenen.

Durch seine Freisprechung im Amtsenthebungsverfahren steigt Trump zum unfehlbaren Kaiserpapst der Welt auf. Auch für ihn gibt es keine Sünde mehr, die verboten wäre. Im Gegenteil: heilige Sünden kennzeichnen die Qualität des wahren Messias.

Was Carlo Strenger für sein Land Israel erhoffte, wäre gültig für alle messianischen Nationen, sei es des christlichen, jüdischen oder muslimischen Glaubens:

„So lebe ich wie viele meiner Freunde zwischen der Hoffnung, dass Israel der Stimme der Vernunft folgen wird – und der verzweifelten Feststellung, dass die nationalen Mythen schwer aus den Köpfen der Menschen zu bekommen sind. Was aber sind die Mythen des jüdischen Volkes? Der wohl bedeutendste Mythos ist der vom auserwählten Volk.“ (Israel. Einführung in ein schwieriges Land)

 

Fortsetzung folgt.