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Tanz des Aufruhrs XIX

Tanz des Aufruhrs XIX,

am Anfang schuf Gott Himmel und Erde – die Zeit inbegriffen.

Am Ende der Zeit, als Gott seine missratene Schöpfung einpacken und sich in ein Paralleluniversum davonmachen wollte – trat Gerhard Schröder ihm unerschrocken entgegen und versperrte ihm den Fluchtweg:

Gemach, Meister aller Klassen: wer ist hier Koch oder Kellner? Noch entscheiden wir Herren der Erde, ob wir Dich nötig haben oder nicht. Nichts ist vorbei, bevor der russische Mineralölkonzern Rosneft nicht seinen Profit eingefahren hat. Soviel Zeit muss sein. Schon von Luther gehört, Deinem treuen germanischen Knecht?

„Lasst uns ruhig einen Apfelbaum pflanzen. Die Zeit, die wir brauchen, müssen wir uns auch schon nehmen.“

Da Gott die Zeit bereits weggepackt hatte, entschied Schröder, die Verlängerungszeit höchstselbst zu erschaffen. Und siehe, auf seine Creatio ex nihilo war er stolz wie ein Pfau. Nach getaner Tat wandte er sich an Gott:

Schreib Dir hinter die Ohren: nicht FFF-Taugenichtse entscheiden, wer als Letzter das Licht ausmacht. Noch nie von Planungssicherheit gehört? Apokalypse ohne unsere Genehmigung kannst du dir abschminken. (FAZ.NET)

Die WELT unterstützt den Zeitschöpfer Schröder. Wer Herr über die Zeit ist, dessen Unsterblichkeit ist gesichert:

„Die Gründerväter von Google, Facebook und Tesla sind fest entschlossen, den Tod zu überwinden. Dafür werden sie von Moralisten angefeindet und verlacht. Aber muss der Mensch wirklich sterben, um zu leben. Ich habe nicht vor zu sterben“, erklärt Sergey Brin. Der Gründer des Gedächtnisnetzwerkes Google finanziert in San Francisco die Calico Labs, gemeinsam mit den anderen Gründervätern des Silicon Valley, mit Jeff Bezos, Larry Page, Mark Zuckerberg und Elon Musk. Auch sie,

die neuen Könige, kommen allmählich in die Jahre. Larry Ellison von Oracle stiftet allein Milliarden zur Erforschung des ewigen Lebens, von ihm stammt der Satz, er sei sehr wütend auf das Alter und den Tod. Nichts kränkt den menschlichen Narzissmus stärker als die Sterblichkeit.“

Nach Raymond Kurzweil „sei diese natürlich-künstliche Intelligenz spätestens 2045 so weit, die Sterblichkeit besiegt zu haben. Der Bioinformatiker Aubrey de Grey, ein bärtiger Schamane, sein Mäzen ist Peter Thiel von PayPal, sagt: „Ich werde tausend Jahre alt.“ Der Mensch möchte so lange leben wie der Grönlandhai oder die Grannenkiefer und am Ende ewig. Aber der Mensch wäre kein Mensch, wenn er sich mit den Einwänden der Moralisten abfände und seinen Tod einfach so hinnähme. In jedem Menschen schlummert eine faustische Figur. Papst Innozenz VIII. wies im 15. Jahrhundert seinen Leibarzt an, zumindest ihm, dem Papst, das ewige Leben zu verschaffen.

Wer den Tod besiegt, ist frei. Sie wollen mehr als die „zeitliche Heimat“ der Moralphilosophie der Sterblichen. Sie wollen alles. Sie haben die Macht über die Nullen und Einsen, nun wollen sie auch die Macht über das Leben und den Organismus, über Moleküle und Atome. Hybris ist der Treibstoff der Kultur und ihrer beiden Ausdrucksformen, Kunst und Wissenschaft.

Unsterblichkeit ist eine Utopie, eine Idee des immer besseren Lebens. Mag der Kampf gegen das Sterben auch nicht zu gewinnen sein, der Mensch muss den Kampf führen. Schon weil er ein Mensch ist, tut er, was er kann, und er muss tun, was er tun muss.

Sterblichkeitsapostel stellen das ewige Leben dar als unendliche Langeweile – als würde man seines alltäglichen Glücks, wenn es kein Morgen gäbe, jemals überdrüssig.

Ewiges Leben ist ein Gleichnis, eine Sinnfrage. „Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird ewig nicht sterben“, sagt Jesus Christus. Auch die Prediger aus Kalifornien und Boston spenden Trost. Sie verkünden das biblische Alter und bannen die Ängste vor dem immer ferneren Tod. Am Ende, ganz am Ende, wird der Mensch die Menschheit abschaffen auf seiner Suche nach dem Stein der Weisen. Aber bis es so weit ist, wird er unsterblich sein wollen und alles dafür tun.“
(WELT.de)

Gegner der Utopie sind die wahren Utopisten. Mit törichten Friedensideen unter dem Siegel der Sterblichkeit geben sie sich nicht ab. Sie wollen alles, denn sie wollen frei sein – frei vom Tod, frei vom sterblichen Leben. Gottgleich sein ist wahre Freiheit.

Nein, nicht Gott gleich sein: Gott muss übertrumpft werden. Denn Jener musste sterben, um ewig zu leben.

„Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird ewig nicht sterben.“

Sie wollen mehr sein als sterbliche Moralapostel, die Angst haben vor einem ewigen Leben. Sie werden nicht nur den Tod, sondern auch die Langeweile besiegen.

Unsterbliche wollen Macht, Macht über alles. Macht über das Leben. Sollte das Hybris sein, dann wäre es eine notwendige Hybris. Denn der Mensch ist eine faustische Natur. Er muss tun, was er kann – selbst wenn er sein Ziel nie erreichen sollte. Dann hätte er’s wenigstens versucht. Seinem Narzissmus muss er folgen und wenn die ganze Menschheit dabei unterginge.

„Am Ende, ganz am Ende, wird der Mensch die Menschheit abschaffen auf seiner Suche nach dem Stein der Weisen. Aber bis es so weit ist, wird er unsterblich sein wollen und alles dafür tun.“

Somit wären die letzten Rätsel der menschlichen Gattung gelöst. Es geht um bedingungslosen Wettbewerb, um Alles oder Nichts. Um Wettbewerb zwischen Erfindern der Unsterblichkeit und schnöden Sterblichen. Wer nicht alles will, will Nichts. Nur wer Alles will, wird das Nichts besiegen. Aus Nichts wird er Alles hervorzaubern.

Alles oder Nichts: das war die Losung eines deutschen Führers, der mit ihrer Hilfe an die Spitze der Macht gelangen wollte. Es gelang ihm:

„In dem folgenden Machtkampf setzte Hitler zum ersten Mal auf das Prinzip „Alles oder nichts“ – und hatte Erfolg, setzte sich nämlich mit seiner Kompromisslosigkeit durch. Daraus lernte er, dass er mit maximaler Rücksichtslosigkeit am meisten erreichen konnte. Dieses Prinzip behielt Hitler bei, bis ins Frühjahr 1945 hinein, als er jeden Ansatz von Verhandlungen mit den Kriegsgegnern verweigerte.“ (WELT.de)

The winner takes it all, der Sieger gewinnt alles: der Wettbewerb um Alles oder Nichts ist das Grundprinzip des Westens, das er der ganzen Welt übergestülpt hat.

Anfänglich war das Prinzip theologisch: ewige Seligkeit oder ewige Verdammung sind Lohn und Strafe für den Wettbewerb der Seelen quer durch die Geschichte.

Daraus entwickelte sich nacheinander der politische, militärische und technische Wettkampf. Dieser gipfelt heute im Wettbewerb um Unsterblichkeit. Der religiöse Wettkampf, umgewandelt in technischen und wirtschaftlichen, hat sich zum Gesamtkunstwerk komplettiert.

Der Wettkampf um weltliche Macht vereinigt sich mit seinem religiösen Ursprung zum Kampf um die Unsterblichkeit. Die Wissenden werden den Wettkampf für sich entscheiden, denn Wissen ist Macht.

In der Geschichte Europas gibt es nur zwei Klassen: die Wissenden und die Unwissenden. Eine dritte Mittelklasse gibt es nicht. Sie muss lediglich die Eliteklasse nach unten abschirmen oder im Falle des Versagens selbst nach unten abdriften.

„Viele sind berufen, wenige auserwählt. Aber ihr glaubt nicht, denn ihr gehört nicht zu meinen Schafen. Meine Schafe hören auf meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir nach. Wer aus Gott ist, hört die Worte Gottes, deshalb hört ihr sie nicht, weil ihr nicht aus Gott seid. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört meine Stimme. Von denen, die du mir gegeben hast, habe ich keinen verloren. Denn wer hat, dem wird gegeben werden, wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat. Darum rede ich in Gleichnissen zu ihnen, weil sie mit sehenden Augen nicht sehen und mit hörenden Ohren nicht hören und nicht verstehen.“

Ein Wettbewerb um Alles oder Nichts, der kein echter Wettbewerb ist. Denn die Fähigkeiten und Kompetenzen sind ungleich verteilt. Die einen sind schlau, ehrgeizig, durchsetzungsfähig und in führende Schichten hineingeboren. Die anderen wollen ein schlichtes Leben führen, andere weder behelligen noch selbst behelligt werden: sie sind Opfer der Ehrgeizigen, die nur auftrumpfen können, wenn sie andere erniedrigen.

Was ist der Grundwiderspruch der SPD? Dass alle aufsteigen und dennoch Gerechtigkeit haben wollen. Beides schließt sich aus. Wer nach oben will, muss nach unten treten – ob er will oder nicht. Einigen wird der Aufstieg gelingen, doch nur, weil sie die Schwachen in den Boden stampfen. Einer winzigen Minderheit gelingt der Aufstieg, doch das ungerechte Prinzip bleibt. Im Grunde hat sich nichts geändert.

Was müsste die SPD ändern, um ihrer Unglaubwürdigkeit zu entgehen? Sie müsste den Aufstieg der Wenigen auf Kosten der Vielen dementieren und eine gerechte Gesellschaft erarbeiten, bei der es kein Auf oder Ab, kein Oben oder Unten gibt. An welcher Stelle der Gesellschaft man auch wäre: es müsste ein Oben sein, das kein Unten kennt. Aufstieg dürfte es so wenig geben wie Abstieg. Wo immer du bist, du bist ein Mensch.

Auch wenn der Kapitalismus manchen Völkern einen gewissen Wohlstand gebracht hätte, hat er das Prinzip Oben-Unten nicht verändert. Völker, die am Busen der Natur ein einfaches Leben führen, fühlen sich nicht arm. Jetzt, wo sie mit globalen Finessen eingekesselt wurden, fühlen sie sich nicht freier, sondern unfreier. Ihre Abhängigkeit von den überlegenen Nationen empfinden sie schmählicher als ihr einstiges Leben im Einklang mit der Natur.

„Globalisierung ist nicht gleichbedeutend mit der Universalisierung westlicher Werte. Die unterschiedlichen Wirtschaftskulturen werden immer unterschiedlich bleiben.“ (John Gray, Die Falsche Verheißung)

Westliche Werte können christlich oder vernünftig sein. Christliche Werte sind Spaltprodukte. Sie haben die Welt in Mächtige und Ohnmächtige, in Reiche und Arme geteilt. Generelle Werte der Vernunft spalten die Menschen nicht, sondern bringen sie zusammen. Sie praktizieren demokratische Solidarität.

Solidarität ist ein Begriff, den heute niemand mehr kennt. Über Nacht ist er aus dem politischen Vokabular verschwunden:

Solidarität … bezeichnet eine zumeist in einem ethisch-politischen Zusammenhang benannte Haltung der Verbundenheit. Sie bezeichnet den Zusammenhalt zwischen gleichgesinnten oder gleichgestellten Individuen und Gruppen und den Einsatz für gemeinsame Werte.“

Moralpolitische Begriffe sind heute verpönt. Sich einsetzen für das Wohl der Gesellschaft wird geschmäht als Gewaltakt gegen Freiheit und Individualismus.

Gar nicht merkwürdig, dass unter den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders vorne liegt. Die Deutschen haben verdrängt, dass Amerika in der Vor-Reagan-Zeit in erstaunlichem Maße sozialistisch war. Der Begriff war verpönt, weil er vom atheistischen Sozialismus besetzt war. Doch die Sache einer gerechten Gesellschaft war für viele eine uramerikanische Angelegenheit:

„Reichtum ist Macht. Eine extreme Konzentration von Wohlstand an der Spitze bedeutet auch eine extreme Konzentration von politischer und wirtschaftlicher Macht an der Spitze. Diese Ansicht ist so alt wie die USA. James Madison, der die US-Verfassung mitgeschrieben hat und ein Held für moderne Konservative ist, hat einmal geschrieben, dass eine übermäßige Konzentration von Reichtum zersetzend wirke. Für eine Republik sei ein solcher Zustand ähnlich schlimm wie ein Krieg. Es ist wichtig zu erkennen, dass die jetzige Lage eine dramatische Abweichung von der Geschichte des Landes darstellt. Viele Menschen haben vergessen, dass die USA früher das progressivste Steuersystem der Welt hatten. In den Dreißiger- bis Achtzigerjahren lag der Spitzensteuersatz im Durchschnitt bei 78 Prozent. Bis zum Amtsantritt von Ronald Reagan im Jahr 1981 gab es noch Grenzsteuersätze von bis zu 70 Prozent.“ (ZEIT.de)

Als der Neoliberalismus Deutschland eroberte – mit gnädiger Unterstützung der Roten und Grünen –, galt ein Steuersatz von knapp über 50% als Sünde wider den Geist. Die Deutschen, angesteckt vom Erfolg ihres Wirtschaftswunders, wollten der Welt weismachen, dass sie – nach der Katastrophe – sich nicht zufällig aus dem Morast erhoben hatten. Der Aufstieg durfte kein Zufall sein, also musste das importierte Evangelium der Reichen zur neuen Richtschnur einer Nation werden, die zu den führenden Wirtschaftsmächten der Welt aufsteigen wollte.

Was war der Unterschied? Vorher galt das Prinzip der sozialen oder solidarischen Marktwirtschaft, Nachher das Prinzip des bedingungslosen Wettbewerbs – mit samaritanischen Almosen für die Trägen und Doofen. Mit vibrierender Stimme verkündet von einem gewissen Gerhard Schröder, mittlerweilen aufgestiegen zum Creator temporis ex nihilo.

An die Stelle genereller Gerechtigkeit trat das Zufallsprinzip singulärer Gnade – wenn man das Auswahlgeheimnis des himmlischen Vaters als Zufall bezeichnen darf.

Der theologische Wettbewerb der Seelen endet in gnadenloser Ewigkeit. Wer in der Hölle landet, hat keine Chance mehr zur Wiederkehr. Eine Wiederbringung aller oder eine solidarische Zusammenführung aller mit allen ist verboten – seit die Wiederbringung der verlorenen Seelen bei Kirchenvater Origenes von der westlichen Kirche verdammt wurde.

Dieses Verbot einer endgültigen Versöhnung ist die Grundlage des heutigen Utopieverbots. Die Verhältnisse dürfen nicht besser werden. Die Reichen werden regelmäßig reicher, die Armen zuverlässig ärmer. EINPROZENT der Weltbevölkerung kassiert den Reichtum der Welt und weder eine SPD, geschweige eine CDU, möchte an der Gnadenwahl ein Tüttelchen ändern.

Wie Gott den Teufel benutzt, um Hiob in Versuchung zu führen, so nutzt der Kapitalismus das böse Wettbewerbsprinzip, um über Stock und Stein den Fortschritt zu bringen.

Fortschritt? Ist die ständige Zunahme von Ungerechtigkeit und Naturverwüstung mit Hilfe einer bösen Amoral, die man in hiesigen Revieren gelegentlich bedauert, aber für unumgänglich, kreativ und dynamisch hält.

Es ist tatsächlich der Vater, der seine Schäfchen in Versuchung führt – als Pisatest ihrer Frömmigkeit, bei dem sie beweisen müssen, dass sie das Abitur des Jüngsten Gerichts bestehen werden. Der Teufel ist der Tester, der Sendbote der Reifeprüfung. Es kann keine Rede davon sein, dass es ein Böses ohne göttliche Segnung gibt. Der Herr der Heerscharen ist unumschränkter Gebieter über die Geschichte. Ohne seinen Willen fällt kein Blatt vom Baum. Ein theologischer Rechtfertiger der Vater-unser-Verfälschung flunkert geistbegabt:

„Sprache entwickelt sich doch. Wichtig ist und bleibt aber immer das Gottesbild, welches sich hinter dem ein oder anderen Satz verbirgt. Und da können Sie, wenn sie das Neue Testament ernst nehmen, absolut sicher sein: Gott liebt den Menschen und möchte nicht, dass er untergeht. Also gefällt mir „Überlasse uns nicht der Versuchung“ ganz gut.“ (Sueddeutsche.de)

Wörter einer Sprache verändern sich, aber nicht die Wahrheit der Begriffe, die in konstanter Präzision übersetzbar bleiben müssen. Sonst wäre es unmöglich, das Gilgamesch-Epos in moderne Sprachen zu übersetzen. Sollten sie Aristoteles in ähnlicher Weise verhunzen wie die heilige Schrift, gäbe es einen Aufschrei in der Wissenschaft. Die Deutungsverfälscher wissen besser, was Gott gemeint hat als er selbst, offensichtlich war er unfähig, seine Gedanken klar zu Papier zu bringen

Führe uns in Versuchung ist auch das Prinzip des Kapitalismus. Die Menschen sollen Böses und Gefährliches tun, damit der ICE des Fortschritts nicht ins Stottern kommt. Und wie man vom Teufel redet, kommt er zur Tür herein:

Die Seuche in China ist eine Gefahr für die Menschheit, als Gefahr aber eine wunderbare Möglichkeit für die Menschheit, ihren lahmenden Fortschrittsgeist anzustacheln:

„Die Milliarden zu zählen, die das Virus die Weltwirtschaft kostet, ist hingegen kleinkariert. Denn Pandemien bringen die Menschheit voran. Der Tod bringt sie auch voran – ins ewige Leben. Entsprechend kleingeistig und engstirnig wirkt es nun, wenn hastig die Folgekosten des Coronavirus hochgerechnet und die erwarteten Schäden akribisch in Milliarden Dollar oder Wachstumsprozenten beziffert werden. Aber die Kosten der einen sind die Erträge der anderen. Was – durchaus verständlicherweise – für manche zynisch klingen mag, ist für die Ökonomik nüchterne Arithmetik. Eben das bedeutet, dass Hysterie fehl am Platz ist und globale Risiken den Preis des globalen Fortschritts darstellen. Es gab und gibt für die Menschheit keine „Null-Prozent-Risiko-Strategie“.“ (WELT.de)

Das ist die Stimme Mephistos, der stets das Böse will und stets das Gute schafft. Ergo, ihr Gewaltigen der Weltpolitik: schafft Böses, damit die Kassen klingeln. Nach diesem Motto agieren alle Führer der Wirtschaft. Je höher die Schulden der Deutschen Bank, je höher steigen die Boni der Verantwortlichen. In der Sprache der FDP: Leistung muss sich wieder lohnen.

Die Motivation des Fortschritts durch belebende Wirkung des Teufels – pardon, des Risikos – wird selbst von Kant vertreten. Welche Geistesgröße hat die machterweiternde Potenz des Bösen nicht vertreten? Das eben unterscheidet Spießer von Steuermännern des Zeitgeistes: Steuermänner haben verstanden, dass die Moral der Kinderstube in der hohen Weltpolitik nichts zu suchen hat.

Wird an Kindern doch dasselbe schändliche Prinzip exekutiert. Im späteren Leben haben sie keine Chancen, wenn sie nicht mindestens ein halbes Jahr bei der Eingewöhnung in die Kitas Rotz und Wasser geheult haben.  

Ein Elternfilm ist für den Grimmepreis vorgesehen, der die Trennungsschmerzen der Kinder als ästhetische Herausforderung darstellt. Mit der Begründung, die Eltern sollten sich – unbeeinflusst von den Filmemachern – ihre Meinung selbst bilden.

Ebenso gut könnte man Folterungen in Guantanamo präsentieren, damit der Westen überprüfe, ob er noch immer an Menschenrechte glaubt.

Zugleich könnten Eltern sich testen, ob die Qualen ihrer Kinder sie nicht ins Wanken bringen, womit sie ihre Fähigkeit bewiesen hätten, sich von den Kindern zu lösen.

Dasselbe gilt für alle schulischen Tests und Zeugnisausgaben. Kinder leiden unter ihnen, doch nur zum eigenen Besten. Im späteren Leben werden sie Demütigungen und Schikanen klaglos wegstecken müssen. Mit Intelligenz haben Zensuren nichts zu tun:

„Es gibt in jedem Fall eine Menge Studien, die zu dem Ergebnis kommen, dass Noten so gut wie nichts mit der Intelligenz eines Kindes zu tun haben. Da gibt es nur minimale Überschneidungen.“ (Sueddeutsche.de)

Das Unfriedensdiktat von Trump und Netanjahu dient, nach Robin Alexander, nur dem Zweck, die arabischen Staaten zu motivieren, dass sie die inferioren Palästinenser in die Gänge bringen. Wenn man ein Problem nicht direkt am Kragen packen kann, muss man es von außen in die Zange nehmen:

„Der neue Ansatz ist, dass Trump sagt: Ich setze nicht darauf, die Palästinenser und die Israelis zusammenzubringen, sondern ich ziele auf die anderen Araber, die Saudis, die Ägypter. Ich will, dass sie die Palästinenser bewegen, konsensfähig zu werden mit Israel.“ (BILD.de)

Nach derselben Logik hätte man auch New York und Jerusalem mit russischen und iranischen Kräften besetzen können, damit die Koalition aus christlichen und jüdischen Orthodoxen endlich zur Raison kommt.

Natürlich ist das jetzige Diktat offenbarungs-konformer. Schließlich ist für Kinder Gottes die Vision des Psalmisten in Erfüllung gegangen:

„Du deckst mir den Tisch im Angesicht meiner Feinde.“

Wenn Palästinenser in ihren zerrissenen Parzellen vom Wohlstand ihrer Gegner umzingelt sind, werden sie mit Sicherheit ins Grübeln kommen.

Da Bosheit das beste Instrument des Guten ist, kann es keine Hell-Dunkel-Moral geben. Das ist der Grund, warum in unzähligen Artikeln auf den schädlichen Effekt der Moralisten verwiesen wird. Moralisten sind Totschläger des Fortschritts und sollten in Speziallagern interniert werden, damit sie endlich zur Raison kommen.

Nein, eben nicht zur Vernunft, die sich für befugt hält, mit kindischen Regeln die Wirklichkeit zu regieren.

„Je klüger der Mensch ist, desto dümmere Ansichten hat er gewöhnlich über soziale Dinge; desto mehr neigt er zu der Idee, dass die bewährte Moral (des darwinschen Selektionsprinzips) durch eine autonome ersetzt werden könnte. Unser Gehirn ist nicht etwas, was Vernunft produziert, sondern Vernunft von der Wirklichkeit lernt.“ (Hayek)

Philister verstehen nicht – so ein Wirtschaftslexikon –, dass Moral unfähig ist, die kreative Unmoral des Faktischen anzuerkennen. Nur so gelange man zu den „relativ besten Problemlösungen“.

In Klartext: „Das Grundproblem der Wirtschaftsethik besteht darin, dass der Wettbewerb für moralisch motivierte Vor- und Mehrleistungen Einzelner keinen Raum lässt. Moral und Wettbewerb scheinen sich im Handlungsvollzug (oftmals) auszuschließen.“ (Gabler, Wirtschaftslexikon)

„Scheinen, oftmals“: wie schamhaft plötzlich. Sagt doch einfach: Moral ist wirtschafts-, fortschritts- und machtschädlich. Ungewollt hättet ihr die Wahrheit gesagt.

Ilan Baruch war Botschafter Israels, zuletzt in Südafrika. In den neunziger Jahren war er an den Oslo-Verhandlungen zwischen Israel und der PLO beteiligt. 2011 trat er aus Protest gegen die Netanjahu-Regierung vom diplomatischen Dienst zurück. Über den Unfriedensvertrag schreibt er:

„Das Abkommen zwischen Trump und Netanjahu kennt keinen palästinensischen Partner. Die Palästinenser genießen keine Wertschätzung, geschweige denn Parität. Wir erleben einen Paradigmenwechsel. Es herrscht die reine Macht. Sobald Israel Teile des Plans umsetzt, gibt es kein Zurück mehr. Ein Mangel an europäischem Mut, sich gegen die Amerikaner zu behaupten und das Abkommen zurückzudrängen, könnte dazu führen, dass Israel am Ende die Gewinne einfährt und Palästina mit einer tragischen Niederlage dasteht.“ (TAZ.de)

Nur Moralisten, im Hochmut ihrer selbsterfundenen Humanität, können so dreist die Staatsraison des Brutalen in Frage stellen. Ist den Schwärmern nicht klar, dass der Westen zusammenbräche, wenn er sich von der Faszination des Bösen nicht länger blenden ließe?

Just der Zusammenbruch des Bösen-Kults wäre Voraussetzung für die Genesung der Welt.

 

Fortsetzung folgt.