Kategorien
Tagesmail

Tanz des Aufruhrs IX

Tanz des Aufruhrs IX,

„Trumps Amerika vergeudet nicht Krisenzeit mit Verbündeten, die außer wohlfeilem Rat wenig beizutragen haben, wenn etwas als Ernstfall empfunden wird.“ (WELT.de

WELT-Trumpisten vergeuden keine Zeit mit Friedensgesäusel – das man ohnehin nirgendwo hört. Man hört Warnungen oder nichts. Ist das Kind in den Brunnen gefallen, kommen wohlfeile Ratschläge immer zu spät.

Wohlfeil ist nicht nur „billig“, sondern „geistlos, ohne intellektuelles Niveau“. Und siehe, das macht Sinn, denn Trumps Kreuzzug zur Rettung von Gods own country ist teuer, wird jeden Tag teurer und ist vor allem von höchstem Niveau. Nicht zuletzt beim erhöhten Ausstoß von CO2. Gegen Trumps geistsprühenden Intellekt kommt Europa nicht an.

Schon gar nicht Deutschlands fromme Alt-Mädels, die nichts sehen, nichts hören und nichts zu sagen haben: Ursula, Angela und Annegret. Sie gehen nicht vor die Kameras, erklären nichts, nehmen keine Stellung und verraten nicht, was sie zu tun gedenken. Angela telefonierte gar mit Donald, verschwieg aber, was sie ihm zu sagen hatte.  

Hier ein billiger, pardon, wohlfeiler Vorschlag:

„Meinet nicht, dass ich gekommen sei, Frieden auf Erden zu bringen. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es finden.“

Und also machten sie sich auf in den Vorderen Orient, um die heiligen Lande der Weltgeschichte vor den Ungläubigen zu retten. Sie wollten ihr Leben finden, weshalb sie es verlieren mussten.

Deutschland hatte den Frieden von seinen Befreiern als Geschenk erhalten, weshalb er ihnen von Jahr zu Jahr wohlfeiler wurde. Was nichts kostet, kann nicht viel

wert sein. Weshalb die deutsche TV-Kultur nur Quiz- und Rankingspiele kennt, deutsche TV-Filme die Realität nur als Kuriosum betrachten.

Lebendige Politik findet im Öffentlich-Rechtlichen nicht statt. Minimale Pflichtnachrichten, gelegentlich Brennpunkte, die nicht brennen – dann Sport und endlose Wiederholungen. Was geschieht in der Welt? Was auch immer: ab 8 wird unterhalten. Vor 12 nichts von Bedeutung.

Man stelle sich vor, am Samstag nichts als Politik. Kameras stehen in Basisgruppen, an zentralen Plätzen, in Arbeiter- und Millionärsfamilien. Deutsche Journalisten schwärmen aus nach Frankreich, Polen, auf die Flüchtlingsinsel Lesbos, woher sie berichten, was unterschiedliche Menschen über die Weltlage zu sagen haben.

Zum ersten Mal in der Weltgeschichte ist die Menschheit miteinander verknüpft – nur nicht in den elektronischen Medien. Keine Talk-shows nirgends. Die Matadore des Gesprächs machen Urlaub, wenn in Australien die Apokalypse beginnt und im Nahen Osten ein Dritter Weltkrieg sorgfältig angerichtet wird.

Alles keine Themen für deutsche Diskurssimulanten. Jede deutsche Provinzwahl erzeugt mehr Hektik als aufgeblasene Weltuntergänge – die wir doch vor kurzem selbst glorreich überstanden haben. Da kann uns niemand was erzählen. In Weltuntergang sind wir Spitze.

Hektik darf es nur geben, wo es wirklich wichtig ist: in den heiligen Hallen der Wirtschaft, wohin die friedensbeschenkten Nachkriegsdeutschen über Nacht geflüchtet waren, um ihre – damals noch intakte – Tüchtigkeit zu beweisen und alles andere zur Nebensache zu degradieren.  

Der Einbruch des Neoliberalismus stanzte endgültig den deutschen Lebensstil. Was nicht wohlstandsfördernd ist, hat in der Heimat der schwarz-rot-goldenen Null nichts mehr zu suchen.

Was sagen uns die notorischen TV-Rückblicke, verbunden mit der Frage: Wo warst du, als Toni Turek, der Fall der Mauer, die Beatles oder Peter Handke über uns hereinbrachen? Ja, sie können sich noch genau erinnern, als sie auf dem Sofa saßen, Erdnüsse knabberten – und der Kairos das Wohnzimmer betrat. Ohne unser Dabeisein wagt dieser es nicht, zum historischen Ereignis zu werden.

Keine TV-Serie, kein Kulturereignis, das deutsche Kaltblütler in Wallung bringen könnte. Nur Sport erhitzt ihre Gemüter – und musikalische Arena-Events, bei denen sie sich selig in gemeinsamen Rhythmen wiegen. Es ist eine importierte Form des Gottesdiensts, geboren in ekstatischen Gospelsongs schwarzer Sklavengemeinden, sprachlich soweit verfremdet und säkularisiert, dass die communio sanctorum sich in nationaler Verbundenheit erheben kann. Welch erhabener Anblick, wenn ein Meer erleuchteter Phallisymbole taktsicher den Himmel anstrahlt.

Wer könnte es wagen, die nationale Ausgießung des Geistes mit internationalen Störungsversuchen zu unterlaufen? Bestellte Umfragen haben ergeben, dass die Deutschen immer glücklicher werden, je unglücklicher die Welt wird. Was, bitte, haben wir mit der schnöden Welt zu tun? Wir spielen in einer anderen Liga.

Gelassenheit zeichnet den deutschen Politstil aus – und nicht immer so viele Sprüche machen. Ja, auch Demut, was dem Seelenkenner die Höhe des deutschen Selbstwertgefühls anzeigt. Denn Demut können sich nur Zeitgenossen leisten, die selbst im geduckten Zustand noch ihre Wettbewerber überragen.

Sie hatten Angst vor ihrer eigenen Grandiosität, als das Stichwort Demut ihre Eitelkeit rechtzeitig aufs Erträgliche herabstimmte. Es soll Ökonomen gegeben haben, die vom deutschen Paradies sprachen, wenn die neuesten Exportzahlen auf ihren Tisch flatterten. Und wie sie sich glücklich priesen, jene goldenen Zeiten mit Bewusstsein erlebt zu haben – was ihnen damals kein Mensch angesehen hätte.

Vorhang zu und alle Fragen offen. Denkste. Fragen ist nicht mehr in. Alle Fragen werden beantwortet, bevor sie gestellt werden können. Wofür die Schulen sorgen, deren Weltniveau lästige Ungewissheiten gar nicht mehr aufkommen lässt. Staunen dürfen sie nur beim Anblick des göttlichen Säuglings in der Krippe.

Harter Schnitt: 36 Millionen tote Weihnachtsbäume sind entsorgt, nachdem sie den Müll auf den Bürgersteigen tagelang mit frischem Grün beleben durften. Und nun der Angriff der Gewaltigen, denen das Leben so wenig zu bieten hat, dass sie mindestens die Welt in Aufruhr versetzen müssen. Ab jetzt schlägt die Uhr wieder im Takt der Raketeneinschläge.

Die Medien müssen sich in den nächsten Wochen keine Sorgen mehr machen über quotenträchtiges Erregungspotential. Gegner der Klimahysteriker können sich zurücklehnen: diesen Aufmerksamkeitsverlust durch präzise Drohnenhinrichtung müssen die FFF-Naivlinge erst mal verkraften. Wär doch gelacht, wenn Frischlinge, noch grün hinter den Ohren, im Mittelpunkt der Meldungen stünden.

Nur ein einziger Einzigartiger freut sich klammheimlich über die ablaufende Weltenuhr. Hat er doch rechtzeitig dafür gesorgt, dass er sich vom irdischen Chaotentanz unabhängig gemacht und sein zukünftiges Refugium ins Weltall verlegt hat. Das wäre das Arche-Noah-Prinzip im Zeitalter der Zuflucht ins Universum:

„Das hat so vor ihm noch niemand geschafft: Mit seinem US-Raumfahrtkonzern SpaceX hat Elon Musk nun insgesamt 180 Satelliten in den Weltraum befördert. Es ist der Beginn eines unglaublichen Projekts.“ (WELT.de)

Allgemeine Entwarnung. Und wenn die ganze Welt unterginge, immer ist ein Einzigartiger zur Stelle, um die Menschheit von vorne zu beginnen, wenn sie mal wieder in Nichtsein versank. Adam, Noah, Jesus, Elon: und wo stehst du, Donald?

So werden Katastrophen erträglicher, wenn wir wissen: der Fortbestand der Gattung ist gesichert. Die deutschen Mädels sind rehabilitiert. Nur nicht dem Gretafieber verfallen, nur nicht in Panik geraten:

„Doch es kann wieder geschehen, wie die schlafmützige Reaktion der EU auf die aktuelle Irankrise zeigt. Geschlagene drei Tage hat es gedauert, bis Ursula von der Leyen, die Chefin der „geopolitischen Kommission“, die Sprache wiederfand. Was sie dann erklärte, lässt Schlimmes ahnen. Von der Leyen erwähnte die Kriegsgefahr mit keinem Wort. Der völkerrechtswidrige amerikanische Mord per Drohne war ihr ebenso wenig der Rede wert wie die illegalen US-Sanktionen gegen Iran. Dabei haben diese Sanktionen, die sich auch gegen Europa richten, den Konflikt erst angeheizt. Auch die UNO kommt bei von der Leyen nicht vor. Statt den Fall vor den Weltsicherheitsrat in New York zu bringen, wie es bei solchen Anlässen üblich ist, will die EU selbst die internationale Vermittlung übernehmen. Doch wie will man vermitteln, wenn man Partei ist – und die Schuld an der Eskalation allein Iran zuweist?“ (TAZ.de)

Stell dir vor, es ist Krieg – und kein Europäer nimmt ihn zur Kenntnis. Wenn es stimmt, dass Dinge nur existieren, wenn wir sie wahrnehmen, dürfte es keine Irankrise geben.

Ist es vorstellbar: der Weltfriede ist bedroht – und keiner nimmt den Begriff in den Mund? Friede: was muss das für ein abstoßender Begriff sein, dass ihn kaum jemand aussprechen mag?

Die Welt hat ein Problem und niemand bringt es vor das Völkerparlament. Die Wende der Nachkriegszeit begann, als die UNO systematisch entleibt wurde. Die UN war die allseits anerkannte Richtlinien- und Konfliktregelungsinstanz der Welt.

Ohne ihre Zustimmung waren Kriege ausgeschlossen – und wenn sie aus humanen Gründen noch so geboten schienen. Die UN war der lebendige Beweis, dass die Welt es mit demokratischen Prinzipien ernst meinte.

Mit ihrem Verfall begann der Rückfall der Völker in nationale Borniertheit. Seitdem scheuen sich starke Männer nicht mehr, ihre Nationen in Despotien, rassistisch-überwachte Regimes und theokratische Scheindemokratien zu verwandeln.

Die UN war die institutionalisierte Garantin der Völker- und Menschenrechte. Ihre Charta formulierte die Würde der Völker und jedes Einzelnen.

„Die Vereinten Nationen wurden 1945 nach den Zerstörungen durch den Zweiten Weltkrieg gegründet. Ihre zentrale Mission: der Erhalt von internationalem Frieden und Sicherheit. Die Vereinten Nationen folgen dieser Mission, indem sie Konflikten vorbeugen; Konfliktparteien helfen, Frieden zu schließen; Frieden sichern und Bedingungen schaffen, unter denen der Frieden bestehen kann.“

Eine wirksame Friedenspolitik hätte der Demontage der UN mit aller Entschlossenheit widerstehen müssen. Was machte die deutsche Regierung, als in Amerika ein Rechtsruck eintrat, der alles unternahm, um die UN-Charta den Hyänen vorzuwerfen?

Über solche Quisquilien spricht keine deutsche Kanzlerin in ihrer Neujahrsansprache. Weltpolitik kommt in ihren nationalen Monologen nicht vor. Deutschland ist ein Gebilde an sich. Geht es diesem gut, kann uns die Welt gestohlen bleiben.

Über Friede spricht man hierzulande so wenig wie über Utopie. Streng genommen sind beide Begriffe identisch. Keine Utopie ohne Weltfrieden, kein Frieden ohne utopische Verhältnisse. Wer Utopie ablehnt, will keinen Frieden. Er suhlt sich gern im Morast der Friedlosigkeit.

Die Voraussetzung des Weltfriedens wäre die Einhaltung der Völker- und Menschenrechte, jener Frucht griechischer Humanität, die sich das Christentum kaltblütig als eigene Errungenschaft ans Revers heftet.

Die Friedensbotschaft Jesu richtet sich an alle Welt, erreicht aber nicht alle Welt, denn sie kann oder will nur einen winzigen Teil der Menschheit erlösen. Jeder weiß es, der Himmel und Hölle kennt. Das Finale ist eine ewige Spaltung in Errettete und Verworfene.

Diese „eschatologischen“ Ziele der Heilsgeschichte werden von Kirchen und Theologen der Öffentlichkeit nach Möglichkeit entzogen. (Eschatologie = die Lehre von den letzten Dingen). Es wird der Eindruck einer für alle Menschen gültigen Seligkeit erweckt: eine ruchlose Täuschung und Irreführung der Menschheit. Doch zu Gottes Lob und Ehr sind alle Mittel erlaubt, auch die satanischen.

Die Gleichheit aller Menschen im Menschen- und Völkerrecht nennen Experten das Naturrecht der Schwachen. Im Gegensatz zum Naturrecht der Starken, bei dem das Motto gilt: Recht hat, wer die Macht hat.

Demokratie wurde erst möglich, als das Naturrecht der Schwachen – oder die Gleichheit aller Menschen – das alte Naturrecht der Starken soweit ausgeschaltet hatte, dass in der Volksversammlung jeder am Geschick der Polis mitbestimmen durfte. Nein, nicht jeder: Frauen und Sklaven waren Menschen zweiter Klasse. Das war eine traditionell übernommene Hypothek, die erst im Verlauf der Entwicklung abgeworfen werden konnte.

Philosophische Emanzipationsbewegungen sorgten dafür, dass es im Hellenismus nur gleichberechtigte Wesen gab – allerdings in einem imperialen Rahmen. Die griechische Demokratie war ein lernendes System, das durch Auseinandersetzungen ihr theoretisches Anfangsideal in politische Praxis verwandelte.

Warum ging die griechische Demokratie unter? Weil die athenische Polis nur ein kleiner Stadtstaat war, der sich – im Zuge der damaligen „Globalisierung“ – gegen die Übermacht seiner nichtdemokratischen Nachbarn auf Dauer nicht durchsetzen konnte. Zumal auch interne Dauerstreitigkeiten zwischen Schwachen und Starken für die Dominanz der letzteren sorgten, die mit List und Tücke ihre verlorenen Privilegien zurückerobern wollten.

Sparta, der militärisch unbezwingbare Gegenpol zur athenischen Polis, die selbst nicht frei war von imperialen Beutegelüsten, dominierte die Gesamtatmosphäre von Großgriechenland, gegen die Athen auf Dauer machtlos war. Als zudem das benachbarte mazedonische Königreich immer mächtiger wurde und unter Alexander die Welt zu erobern begann, hatte das letzte Stündlein Athens geschlagen. Zum Glück für den damaligen Mittelpunkt der Welt war Alexander ein Bewunderer des griechischen Geistes, den er in den eroberten Staaten des Nahen Orients mit großem Erfolg etablieren konnte.

Als die Römer die zerfallenen hellenistischen Nachfolgeimperien eroberten, war es ein Glück für die griechische Philosophie, dass die Besiegten die Sieger geistig besiegten. Die römischen Eliten wurden zu begeisterten Philhellenen. Die stoische Philosophie wurde zur Bildung Ciceros, Senecas und Mark Aurels.

Doch der äußerliche Erfolg der humanen Gesittung führte zu ihrem Untergang. Denn die politische Realität des römischen Weltreichs wurde durch einen gnadenlosen Kapitalismus immer inhumaner. Die Stoa verwandelte sich immer mehr in bloße Innerlichkeit, die keine Kraft mehr besaß, ins politische Geschehen einzugreifen. Philosophie wurde zur Dekoration einer unphilosophischen Gesamtrealität – und verschmolz allmählich mit dem siegreich aufkommenden Christentum, das von Menschen keine selbstkritische Arbeit forderte, sondern jedem Bußwilligen das Blaue vom Himmel versprach.

Philosophie fordert Selbstdenken, kritische Autonomie. Erlösungsreligion fordert Unterwerfung und blindes Fürwahrhalten. Religion spricht im Namen eines allmächtigen Gottes, Philosophie kann nur an die Vernunft jedes Einzelnen appellieren. Religion verführt mit ewiger Seligkeit und droht mit ewiger Strafe, Philosophie verzichtet auf äußerliche Belohnungen und Bestrafungen. Wer nicht stolz sein will auf sein unabhängiges Tun und Denken, der muss den Sirenengesängen des Himmels folgen.

Das Christentum siegte unter den ausgelaugten Massen des Römerreiches. Die Philosophie verschwand aus dem Leben des untergehenden roma aeterna – für viele Jahrhunderte. Aber nicht für immer.

Es waren arabische Staaten, die den griechischen Geist übernommen und im frühen Mittelalter nach Europa gebracht hatten. Das weckte die Neugierde der Mönche, die in ihren Klosterbibliotheken Bücher der Griechen entdeckten und sie zu lesen begannen.

Diese Doppelströmungen vereinten sich zur Frühaufklärung der Renaissance, zum literarischen Humanismus, schließlich zur englischen und französischen Aufklärung. Der Geist Athens erlebte seine Wiederauferstehung. Die Menschen, seit Jahrhunderten unter der Knute des christlichen Glaubens, hungerten nach Freiheit und denkender Selbstbestimmung.

Frieden kann es nur geben, wenn Menschen sich politisch und denkerisch selbst-be-frieden können. In Demokratien gibt es nominelle Freiheiten, doch die Eckdaten der menschlichen Existenz werden von äußeren Mächten bestimmt, die als unveränderliche Geschichtselemente präsentiert werden – wie Fortschritt, technische Grenzenlosigkeit und Herrschaft über die Natur.

Krieg kann nur durch langfristige Friedenspolitik vermieden werden. Gnadenlose Rivalität zwischen Nationen ist mit verlässlicher Friedensentwicklung unvereinbar. Je mehr andere Völker nur als Gegner angesehen werden, je mehr verschärft sich das Klima der Ablehnung zur Feindschaft.

Man kann es heute kaum noch verstehen: der Frühkapitalismus von Adam Smith wollte die verdorbene Christenmoral ersetzen durch eine Moral gleichberechtigten Tausches auf der Grundlage rationaler Selbsterhaltung. Wenn alle besonnen-egoistisch handeln, kann es nur zur vernünftigen Endharmonie führen. Smith erhoffte sich von diesen Prinzipien nicht nur wirtschaftlichen Wohlstand, sondern eine Neugründung der Moral auf der Basis der Vernunft.

Die Entwicklung seines humanen Systems zum menschen- und naturverschlingenden Moloch der Gegenwart hätte ihn entsetzt. Und dennoch tun Ökonomen noch immer, als sei der „Wohlstand der Nationen“ die Grundlage des grenzenlosen Amoralismus von heute. Sie können nur noch rechnen und zählen, Bücher lesen und verstehen können sie nicht mehr.

Krieg steht vor der Tür: was tun? Für eine langfristige Friedenspolitik ist es zu spät. Nein, ist es nicht.

Keinen Augenblick darf man die Mächtigen ihrer Selbstgefälligkeit überlassen, sie könnten ihre Untertanen nach Belieben als Soldateska ihres wirtschaftlichen und militärischen Siegeswillens ausbeuten. Der Begriff Friede muss zurück in die politische Arena.

Kriegslüsterne Medien werden sich hüten, direkt zum Einsatz militärischer Mittel aufzurufen. Sie machen es geschickter, attackieren die Lauheit der Regierungen, schildern die Gefahren der militärischen Überlegenheit potentieller Gegner – und hoffen, dass die Verantwortlichen selbst darauf kommen, nun endlich die Ärmel hochzukrempeln. So Michael Stürmer:

„Krisenmanagement zur Eindämmung des Zorns an der Schwelle zum Krieg ist angesagt. Da reicht das Außenminister-Leichtgewicht mit schönen Grüßen aus Berlin nicht aus. Auch nicht gefällige Platitüden zum alsbaldigen Verbrauch. Schneller als gedacht fällt der Ernstfall mit der Tür ins Haus.“

Was bedeutet das praktisch? Stürmer wird sich hüten, Klartext zu reden. Er murmelt in dunkler Welterregung. Nicht anders Daniel Brössler in der SZ:

„Appelle zur Zurückhaltung sind nicht falsch. Erfolg versprechen sie aber eben nur dann, wenn sie nicht aus einer Position offenkundiger Schwäche erfolgen.“ (Sueddeutsche.de)

Edelschreiber stecken im Dilemma: Krieg meinen sie, doch von Krieg dürfen sie nicht sprechen. Das könnte sensible Deutsche vergraulen. Friedenswille hingegen steht unter dem Verdikt der Schwäche und moralischer Lächerlichkeit. Von ihm darf nicht mal geträumt werden. Da Frieden moralische Taten verlangt, ist er so tabuisiert, wie die Moral selbst.

Die Fraktion deutscher Trumpisten hingegen hat es leicht. BILD-Reichelt steigert sich bereits in Frontberichterstattungs-Wahn, der die Nation bellizistisch anheizen soll.

Von der Leyen, Merkel und AKK stehen verloren im deutschen Nirwana. Trumps Weg können sie nicht gutheißen, gleichzeitig sind sie zu feige, dem Freund die Meinung zu geigen.

Als Demokratinnen sind sie dem Naturrecht der Schwachen, als fromme Frauen aber der geschichtlichen Offenbarung ihrer heiligen Schrift verpflichtet. Beides verträgt sich nicht, denn Gottes Offenbarung ist antinomisch: Gutes und Böses ist erlaubt, wenn Gott es will.

Der Carl-Schmitt-Schüler Leo Strauss hat die Unverträglichkeit des Heidnischen und Heiligen in seinem Buch „Naturrecht und Geschichte“ zusammengefasst:

„Keine Alternative ist grundlegender als diese: menschliche Führung oder göttliche Führung. Bei jedem Versuch zur Harmonisierung wird eines der beiden gegensätzlichen Elemente dem anderen geopfert: die Philosophie, welche Königin sein will, muss zur Magd der Offenbarung gemacht werden – oder umgekehrt.“

Womit wir wieder im Mittelalter angekommen wären, als die scholastische Regel galt: Philosophia ancilia theologiae, „Die Philosophie ist die Magd der Theologie“. 

Leo Strauss war einer der Urväter der Neocons, die im Schulterschluss mit christlichen Fundamentalisten für die Abkehr Amerikas von seiner bislang geltenden Friedenspolitik sorgten. Seit der Wende gelten wieder die religiös-militanten Grundsätze des „Manifest Destiny“ und des amerikanischen Exzeptionalismus.

„Unter Manifest Destiny (deutsch in etwa „offensichtliche Bestimmung“, oder „offenkundiges Schicksal“) versteht man eine amerikanische Doktrin des 19. Jahrhunderts. Sie besagt, dass die USA einen göttlichen Auftrag zur Expansion hätten. In dieser Tradition ist auch die Erforschung und geplante „Eroberung“ des Weltraums zu sehen. Viele amerikanische Pioniere verfochten die Meinung, die Ideale der Freiheit und der Nation seien von weitreichender Bedeutung und müssten in die neuen Länder gebracht werden, indem sie die Reichweite der Nation (und damit ihrer Grenzen) erweiterten.“

„Beim Amerikanischen Exzeptionalismus handelt es sich um den Anspruch, dass die Vereinigten Staaten von Amerika eine Sonderstellung gegenüber allen anderen Nationen einnehmen.“

Trump fasste beide Prinzipien zur Formel zusammen: Amerika first. Das ist kein rationaler Egoismus à la Adam Smith, sondern bedingungslos-eigensüchtige Dominanz der USA als „Stadt auf dem goldenen Berge“, der sich alle Nationen beugen müssen.

Deutschland steht im Nebel. Es will christlichen Werten folgen, die es fälschlicherweise für friedensstiftende hält, gleichzeitig aber nicht überkandidelt erscheinen und sich gehorsam den Gesetzen der civitas diaboli fügen. Mit anderen Worten: Alles ist möglich, ergo verharre ich regungslos auf der Stelle.

Wer als Pazifist einem killerwütigen Scharfschützen gegenüber steht, kommt nicht mit dem Leben davon. Er muss also dafür sorgen, dass Mordsbuben die Chance erhalten, sich zu Menschen zu entwickeln. Die sokratische Devise „Unrecht erleiden ist besser als Unrecht tun“, hat nur eine Überlebenschance, wenn sie zum Instinkt der ganzen Welt wird.

Heute hat sich die Situation noch verschärft. Wer sich bellizistisch verhält, riskiert, einen Gegner zu provozieren, den er vielleicht auf den ersten Blick besiegen kann. Der aber im letzten Moment dennoch imstande sein könnte, ihn in einer verzweifelten Kraftanstrengung so zu zerstören, dass am Ende nur Besiegte und Zerstörte übrig blieben. Dies gewiss bei atomar bewaffneten Gegnern.

Was bleibt? Wir können nur hoffen, dass die jetzige Krise glimpflich vorübergeht und die Feinde zur Vernunft kommen. Danach aber müsste die Menschheit sich konsequent zu einer kategorischen Friedenspolitik entschließen.

Ein solcher Friedensbund im globalen Rahmen „werde nicht auf den Erwerb irgendeiner einem Staat gefährlichen Macht ausgehen, sondern lediglich auf die Sicherung und Erhaltung der Freiheit für sich selbst und zugleich für die anderen verbündeten Staaten.“ (Kant)

Aus der Vereinigung solcher Friedensverbände hoffte Kant schließlich die „Weltrepublik“ hervorgehen zu sehen.

Heute müsste man hinzufügen: wenn die Menschheit es nicht schafft, zu einer friedlichen Weltrepublik zusammenzuwachsen, kann sie alle Hoffnung aufgeben, ihre Klimaprobleme gemeinsam zu lösen.

 

Fortsetzung folgt.