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Tanz des Aufruhrs I

Tanz des Aufruhrs I,

ad calendas graecas, bis zum Sankt Nimmerleinstag – oder: sie haben‘s schon wieder verkackt.

Hilft nur der Tanz der Empörung und Anklage, der stampfende, gellende, geschlossene Rebellentanz: (ze.tt)

„Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!“

Erneut liegt Marx daneben: irrwitzigen Verhältnissen muss man einheizen mit dem Tanz des Aufruhrs, dass ihre Versteinerungen einstürzen – und den Blick frei geben für humane Aussichten.

Verhältnisse muss man zurückspiegeln, wie sie sind – und zeigen, wie sie sein könnten, wie sie sein sollten. Wirklichkeit geht immer schwanger mit der Möglichkeit; Indikativ immer mit dem Konjunktiv und Optativ. Was ist, könnte auch ganz anders sein, will auch ganz anders sein.

Die Epoche bloßer Faktenbeschreiber, -konstatierer, -berechner, -beschöniger und -absegner ist vorbei. Wer nicht in der Lage ist, zu sagen, was sein könnte und sollte, ist auch nicht fähig, zu sagen, was ist.

Empirie ist Erfahrungswissen. Es gibt keine Erfahrung menschlicher Fakten ohne Ja und Nein, ohne Erhalten, Verändern, Wünschen, Hoffen, Korrigieren, Verfluchen und mühsam Erarbeiten.

Wider allen Verstand werden Fakten der Natur traktiert, als müssten sie ganz anders sein, als müsste eine neue Natur die alte vernichten und vollständig ersetzen.

Es ist die Natur, die erhalten, bewahrt und beschützt werden muss, der Mensch hingegen, der sie rücksichtslos am Kragen packt, um seine Gottähnlichkeit auf ihre Kosten zu beweisen, muss seine Vermessenheit korrigieren und – Mensch werden. Er hat es noch nicht zum Menschen gebracht, wenn er seine Größe beweist, indem

er alles um ihn herum degradiert und entwertet.

Wir Menschen sind es, die sich ändern müssen, nicht die Natur, die vollkommen ist.

Mensch, werde, der du bist. Es geht nicht um wundersame creatio ex nihilo eines von Oben wiedergeborenen Menschen. Sondern um Selbstentwicklung ex naturam, denn die Natur hat ihr Geschöpf mit allem ausgestattet hat, was es benötigt, um für sich und seine Umwelt ein erfreuliches Wesen zu sein.

Er muss nicht im Wasser der Wiedergeburt ein komplett neues Wesen werden, sondern die Gaben der natürlichen Geburt zu dem entwickeln, was sie sein können. Es ist seine Entscheidung, was er aus sich macht. Niemand kann ihm die Entscheidung abnehmen.

Sein Versagen, wenn er sich entscheidet, die Gaben der Natur verkümmern und verfaulen zu lassen. Sein Ruhm, wenn er sich zu einem Wesen entwickelt, das in Frieden mit Mensch und Natur auskommen kann.

Ein weiser Grieche sprach von mäeutischen, hebammenartigen Fähigkeiten. Hebammen erzeugen kein Leben aus Nichts, sondern sorgen für existierende Lebewesen, die sich zu dem entwickeln können, was die Natur ihnen als Möglichkeit mitgegeben hat. Sokrates dementierte, dass er seinen Schülern etwas Neues beibrachte. Er lehrte sie zu entfalten, was sie von Geburt an mitbrachten.

In Madrid geschah das Voraussehbare als Zukunft des Grauens. Je mehr die einfachen Menschen ein Ende der Naturverwüstung fordern, je sadistischer halten die Mächtigen dagegen. Die Eliten, sie wollen und können nicht Abschied nehmen von ihrer Droge Macht. Ergo müssen sie dazu gezwungen werden. Nicht durch Vorsingen der gleichen Machtmelodie. Man muss ihnen solange auf der Nase herumtanzen, bis sie zermürbt die Flucht ergreifen. Die Kraft der Selbstbesonnenen muss die Macht der Geistesabwesenden überwinden.

Madrid brachte es an den Tag: die Hochkulturen als Spielwiesen der Starken, Gewitzten und Bedenkenlosen sind vorbei. Das Leben der Menschheit wird nicht überlebensfähiger durch Spaltung in Überlegene und Unterlegene, Amoralische und Moralische, Reiche und Arme. Organismen, die nicht im Einklang miteinander leben, sind dem Tode geweiht. Eine Gesellschaft ist ein Organismus, keine programmierbare Maschine. Kein völkischer Organismus mit einem Führer, kein totalitäres Gebilde mit einem Heiland als Kopf der Gemeinde.

Darwins Überleben der Fittesten meinte nicht die Brutalen und Gewissenlosen, sondern diejenigen, die sich am „besten anpassten“. An welche Gesetze? An die Gesetze natürlicher Symbiosen, mit denen die Lebewesen sich gegenseitig nützen.

Der Mensch als bedenkenloses Raubtier, das mordet um des Mordens willen: solche Feinde der Natur gibt es kein zweites Mal. An die Natur anpassen, heißt, ihre kooperierenden Möglichkeiten nutzen: was die eine Gattung nicht kann, kann die andere.

Nur der Mensch erfand einen naturüberlegenen und -unabhängigen Gott, dem er ähnlich sein wollte, um die Natur zu häuten und eine nagelneue aus dem Zylinder zu zaubern.

Mit Erfindung der KI glaubt er, auf dem Sprung zu sein in seine technische Gottähnlichkeit. Um sich selbst Dampf zu machen, verstärkt er seinen Abgang von der ersten Natur, um seinen Aufgang in die zweite noch energischer anzutreiben.

Wer durch Auferstehung unsterblich werden will, muss zuvor gestorben und in die Hölle gefahren sein. Die Phase der Selbstkreuzigung und des Niederfahrens zur Hölle: das ist die brandaktuelle Phase der Gegenwart. Danach die Auferstehung durch eine perfekte KI-Welt ins grenzenlose All.

Im hohen Mittelalter endet die europäische Phase passiver Übernahme der christlichen Religion und beginnt die Phase der selbsterfüllenden Prophezeiung durch technischen Fortschritt.

Fast 1000 Jahre mussten die Germanen die Folgen einer zumeist gewalttätigen Missionierung verkraften, bis sich ihre ursprünglichen Kräfte wieder regten und zum Gehorsam durch Widerstand übergehen konnten.

Gehorsam, indem sie das von außen eingebläute Glaubenssystem verinnerlichten, Widerstand, indem sie bloßes Warten auf die Wiederkunft des Herrn in selbsterfüllende Prophezeiung verwandelten.

Der gelähmte Glaube an ein unerreichbares Jenseits wurde zum aktiven Glauben, dessen Voraussagen, die sich partout nicht einstellen wollten, er selbst herzustellen gedachte.

War die abendländische Grundstimmung bis dahin gelähmt, begann sie aus ihrer Paralysierung aufzuwachen und sich früherer Fähigkeiten zu erinnern. Doch der neue Aktivismus brachte es nur zur gehorsamen Herstellung der Glaubensdogmen.

Bis dahin war Glaube eine Verurteilung zur totalen Passivität:

„Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht des, das man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, das man nicht sieht.“

Die leere Hoffnung auf etwas, man nicht sieht, wurde zur begründeten Hoffnung auf etwas, was man selber herstellen kann. Es entstand, was Ernst Bloch docta spes nannte, die wissende, gelehrte Hoffnung.

Roger Bacon nahm vorweg, was sein berühmter Namensvetter Francis Bacon erst Jahrhunderte später mit der Formel benannte: Wissen ist Macht. Docta spes, die wissende Hoffnung wurde zur machtgeleiteten, die selbst produzierte, woran sie glaubte und worauf sie hoffte.

Ernst Bloch, der Ludwigshafener, war noch einer der naivsten Gläubigen des Karl Marx, der spürte, was das Erfolgsgeheimnis des Trierers war. Marx, unter dem Bann Feuerbachs, rühmte sich seiner Religionskritik:

„Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüth einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks. Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammerthales, dessen Heiligenschein die Religion ist.“

Das Opium des Volks, die „phantastische Verwirklichung“ aller Sehnsüchte nach einem erfüllten Leben, sollte aller Illusionen entkleidet und durch wahres Wissen der Gesetze in Natur und Geschichte ersetzt werden.

Was geschah? Marx brachte das Kunststück zustande, seine treffliche Kritik an der illusionären religiösen Heilsgeschichte durch eine zweite Heilsgeschichte zu ersetzen, die er nicht mehr als Offenbarung, sondern als „wissenschaftliche“ Heilsgeschichte deklarierte. Das war die Ersetzung des religiösen Opiums durch ökonomisches Rauschgift.

Die Melange aus altem Glauben und szientifischer Sprache war die Ursache des ungeheuren Erfolgs des Marxismus. Uralte Sehnsüchte nach einem Wiederkommen des Herrn, gepaart mit neuem Glauben an exakte Wissenschaften, befriedigten archaische und moderne Bedürfnisse.

Ernst Bloch erfasste intuitiv das Geheimnis des Marx‘schen Welterfolgs mit seiner Formel:

„Nur ein Atheist kann ein guter Christ sein, gewiß aber auch: Nur ein Christ kann ein guter Atheist sein.“

Marxismus ist keine Widerlegung des Christentums, sondern seine Erfüllung. Glauben und Wissenschaft verschmolzen hier zur Einheit. Leere, unwissende Hoffnung wurde zur wissenden, machtgeleiteten.

Das war der Grund, warum Merkels Vater von Hamburg in die Ostzone übersiedelte, um sein Christentum am optimalsten zu leben. Und siehe, der real existierende Sozialismus war nicht mehr unvereinbar mit dem schädlichen Opium des Volks, sondern verwandelte sich in verderbliches Opium sozialistischer Eliten – oder der Nomenklatura.

Alles blieb gleich im marxistischen Plagiat der Heilsgeschichte: Geschichte war omnipotent und führte durch Kreuz zur Krone: die Letzten werden die Ersten sein. Proleten waren die Erwählten, die Ausbeuter die Verdammten. Die Geschichte selbst, hier als Werkzeug Gottes, dort als Instrument materieller Verhältnisse, brachte unabhängig von Menschen den neuen Garten Eden oder das Reich der Freiheit. Der Mensch musste nur vertrauen und hoffen, machen konnte er nichts – außer dem Marschbefehl der Priester hier, der Nomenklatura dort zu gehorchen. Geschichte als Kraft Gottes hier oder Kraft materieller Verhältnisse dort, war fähig, ohne Zutun des Menschen das Teuflische hier, das Entfremdete und Proletenfeindliche dort zu schreddern und triumphal zu besiegen.

In beiden Systemen herrschte Feindschaft gegen die moralisch-politische Autonomie des Menschen – die bekanntlich das demokratische System erarbeitet hatte. Bei den Gottesgläubigen waren irdische Vernunft und moralische Potenz Torheit vor Gott und selbstgerechte Werkerei.

Auch bei Marx gilt die lutherische Absage an die Werkgerechtigkeit:

„So halten wir nun dafür, dass der Mensch durch den Glauben gerechtgesprochen werde ohne Werke des Gesetzes.“

Werke des Gesetzes sind moralische Taten, die in der Polis als Grundlage des menschlichen Zusammenlebens dienen. Die paulinisch-lutherische Absage an die Werkgerechtigkeit ist nicht nur eine Absage an die „jüdische Selbstgerechtigkeit“, die sich erkühnte, durch selbständige Erfüllung mosaischer Gebote mit Gott einen gleichberechtigten Deal zu schließen, sondern auch eine Absage an die hellenistisch-stoische Moralautonomie.

Die wirtschaftlich-politischen Verhältnisse beim Übergang vom hellenistischen zum römischen Weltreich waren in Palästina so unterirdisch, dass der Mensch den Glauben an sich gänzlich verloren hatte. Was blieb? Der am Boden zerstörte Mensch wurde ersetzt durch einen allmächtigen Gott, dessen Erlösung durch totale Selbstaufgabe man nur erhoffen konnte.

Die urchristliche Ausbreitung im römischen Reich hatte das Glück, ständig auf immer hoffnungslosere Verhältnisse zu treffen und die degenerierte Moral der Mächtigen zu ersetzen mit der Inbrunst jener, die außer ihren Ketten nichts mehr zu verlieren hatten.

Die Massen standen mit dem Rücken zur Wand. Wer keine irdischen Hoffnungen mehr hegte, konnte sie in überirdische verwandeln. Wessen irdische Domäne nicht zerstört werden konnte, weil er keine besaß, wessen Reich auf dieser Welt für immer zerstört schien, der durfte auf die Polis im Himmel hoffen.

Zuflucht der Hoffnungslosen dieser Welt war die Hoffnung auf eine jenseitige. Das Zentrum der Welt war eine illusionäre Überwelt: der Tiefpunkt der gesamten menschlichen Geschichte.

Der Tiefpunkt wurde zum Wendepunkt, weil auch die Mächtigen vom Furor des Verschwindens betroffen waren. Durch riesigen Erfolg waren sie übersättigt und entkräftet. Ihre moralische Verwahrlosung war die Guillotine ihres Untergangs. Und siehe: das erhoffte Wunder geschah, weil es keines Wunders mehr bedurfte. Die Schwachen erholten sich durch heilige Leidenschaft, die kraftlos gewordene Welt der Gebildeten und Starken erstaunte über die Frommen: schaut, wie sie sich lieben. Und schlossen sich immer mehr der erfolgreichsten Basisbewegung der verfallenden Antike an.

Es begann die Missionierung Europas. Bonifatius, Missionar der Deutschen, begann sein Werk mit einer typisch christlichen Aktion: er fällte die Donareiche bei Geismar. Die Vollmacht des Geistes wurde bei ihm zur Macht der Faust, bei Francis Bacon zur Macht des Wissens. Die arabische Aufklärung hatte griechische Wissenschaft nach Europa gebracht. Das erste Zusammentreffen mit der Wucht des Selbstdenkens wurde zum Auslöser der beginnenden europäischen Wissenschaft.

Vor Bacon galt jede Anteilnahme an der Natur als „Abkehr von Gott“, denn das Ziel allen menschlichen Tuns sollte die Anteilnahme an der Heilsgeschichte Gottes sein: die Hoffnung auf die baldige Wiederkehr des Herrn.

Was war die Ursache des Umschlags von passiver Heilserwartung in aktive Heilsproduktion?

„Die gewohnte Heidenmission durch Predigt und Heilsargumente, die niemand mehr hören wollte, soll nach Bacons Vorschlag durch Demonstration seiner „Experimentalwissenschaft“ ersetzt werden. Die Mohammedaner freilich hielt Bacon für unbekehrbar, sie sollten vernichtet werden.“ (Friedrich Wagner, Die Wissenschaft und die gefährdete Welt)

So alt ist der Hass der Europäer gegen die Anhänger einer ziemlich ähnlichen Erlösungsreligion. Extra ecclesiam nulla salus, außerhalb der eigenen unfehlbaren Kirche gibt es kein Heil. Dafür sorgten die Religionskriege, die vom Papst initiiert wurden, dessen Aufruf die erlösungssüchtigen Massen nicht widerstehen konnten.

„Der Erfolg – die utilitas und die potestas (Nützlichkeit und Macht) – sind Bacons zentrale Begriffe. Der Nutzen wird zum Kriterium der Wissenschaft überhaupt: die Experimentalwissenschaft steht am höchsten unter den Wissenschaften. Utilitas wird zum Kriterium selbst der Mathematik. In dem Weltaugenblick, als ein neuer Mongoleneinbruch Europa zu überfluten drohte, riet Bacon dem Papst, die Welt durch Wissenschaft zu missionieren. Er verbürgt dem Papst, die Welt zu Füßen zu legen mit Hilfe neuer Waffen, die dem Ausbruch eines vollkommen neuen technischen Allmachtsgefühls diente.“

Zum ersten Mal in der Geschichte gab es die Vision einer Massenvernichtung durch technische Innovation. „Bacons Vernichtungswaffen sind für den Kampf gegen „Ungläubige“ bestimmt, die man seiner Meinung nach ausrotten muss, um die christliche Weltherrschaft zu errichten. Ludwig der Heilige kann sich riesige Kreuzzugheere ersparen, wenn er mit Verbrennungsspiegeln, die jedes Heer, jede Stadt und Festung auf Entfernung vernichten, das heilige Land betritt. Die Verbrennungsspiegel wurden ergänzt durch Strahlenwaffen mit biologischen Gift- und Verseuchungswaffen. Bis hin zu Luft-Waffen, mit denen man fremde Völker ohne Zwang seinem politischen Willen unterwerfen konnte.“

Madrid wurde zum Desaster, weil nicht nur supermächtige Milliardäre ihre Regierungen im Griff haben, sondern viele Faktenanbeter aus Wissenschaft und Medien sich nicht zuständig fühlen für politische „Moral“.

WELT: Was kann die Wissenschaft denn tun, um das zu ändern?
Orphal: Nichts. Die Rolle der Wissenschaft ist es, Informationen bereitzustellen. Lösungen für das Klimaproblem müssen Politik und Wirtschaft finden.“ (WELT.de)

Warum gibt es keinen Generalstreik der Wissenschaftler, der Schreiber? Haben Kapitalisten, die sich für ökologisch erklären, je an einer FFF-Demo teilgenommen? Nein, sie fühlen sich nicht zuständig für die Korrektur der Welt. Sie wollen Geld verdienen: mit endlosen Produkten und reißerischen Schlagzeilen.

Das deutsche TV übertrifft sie alle. Ungeheure Dinge passieren in der Welt – doch wo bleiben die lebensnotwendigen Dispute in den Kanälen? Weihnachtsurlaub! Die vornehmen Talkdiktatoren müssen in die weite Welt, um sich von den Strapazen des Schwatzens zu erholen. Heilige Zeit, politlose Zeit. Religion bewährt sich als politisches Anästhetikum. Schändliches Fernsehen!

Das politische Unheil zeigte sich schon bei Francis Bacon in seinem Streit mit dem Generalstaatsanwalt Edward Coke. Bacon erwirkte gegen Coke die Verurteilung eines Geistlichen, der im Verdacht stand, die absolutistische Gewalt des Königs zu kritisieren. Coke wurde aufgefordert, sich vor dem Prozess auf eine Vorverurteilung des Mannes festzulegen. Der weigerte sich. Daraufhin stellte Bacon den Angeklagten vor ein anderes Gericht und ließ ihn zum Tode verurteilen. Coke verlor all seine Ämter.

Bacon, der als eigentlicher Begründer der machtorientierten abendländischen Wissenschaft gilt – oder als „Vater der wissenschaftlichen Aufklärung“ – war gegen aufgeklärte Vernunft (von Menschenrechten gar nicht zu reden) immun. „Bacon forderte eine Wissenschaft der Politik, die auf Physik reduzierbar war.“ Sein Argument:

„Daher kommt es, dass Moralphilosophie und Politik ohne Gründlichkeit und Tiefe sind – sondern auf der Oberfläche wankend umherschweifen.“

Das ist die Grundlegung der modernen Wissenschaft, die sich aller Moral überlegen fühlt durch quantifizierbare Exaktheit und Berechenbarkeit. Was zur Folge hatte, dass sie für die katastrophalen Folgen ihrer Wissenschaft und für generelle Schändung der Natur bis heute keine Verantwortung übernahm.

Die Genies der szientivischen Fakten sind zuständig für wissenschaftliches Erkennen, den besudelten Rest praktischer Verantwortung überlassen sie den Kretins aus Politik und Wirtschaft. Demokratie – gibt es nicht im Weltbild der Erleuchteten. Bacon war meilenweit davon entfernt, ein Demokrat zu sein.

Grundgesetz Artikel 20a lautet:

„Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“

Die deutsche Regierung verstößt gegen grundlegende Artikel ihres Grundgesetzes. Denn sie lässt das Thema seit Jahren schleifen. Mit der fadenscheinigen Begründung (so Altmaier), man müsse alle mitnehmen. Nein, muss man nicht. Das wird automatisch gehen, wenn der kollektive Tod droht. Dann kann man alle in den Tod mitnehmen, weil niemand mehr eine Chance zum Überleben hat.

Verantwortliche Regierungen sind dazu da, dem Volk in Sein-oder-Nichtsein-Fragen einzuheizen. Ihnen den Ernst der Lage in eindringlichen Worten, durch drastische Schilderung der Schäden der Natur in aller Welt vor Augen zu führen.

Wie lautet eine der dämlichsten Bedenken gegen Klarheit und Schärfe der Rede? Man dürfe niemandem Angst machen, müsse eine schnucklige Pädagogik der Apokalypse entwickeln. Das Volk scheint nicht nur unterkomplex, sondern unfähig, die Gazetten zu lesen, in denen sich die täglichen Schreckensmeldungen häufen.

Psychologen und Psychotherapeuten, die nichts Besseres zu tun haben, als die allgeneine Gefahr mit Ratschlägen zum privaten Glück zu unterlaufen, raten etwa:

„Moral im Sinne von: „Du sollst!“ funktioniert nicht, im Sinne von „Wir sollen!“, das funktioniert. Gemeinschaftliche Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen und den Menschen in Entwicklungs­ländern, das geht, wenn es fair ist.“ (TAZ.de)

Das kann man einen Geniestreich nennen. Die „Härte des kategorischen Imperativs“ soll für das kindische Volk durch kollektive Unverbindlichkeit aufgelöst werden. Die überfürsorgliche Helikoptererziehung mancher Eltern wird sonst scharf getadelt – um die Helikopterlässigkeit gegen das verzärtelte Volk als Mittel gegen kollektiven Suizid zu empfehlen. Abgesehen davon, dass kein Moses vom Berge Horeb herab Gottes Gebote verkündet, sondern jeder autonome Mensch für seine Gebote selbst zuständig ist, ergibt sich rein logisch, dass der Plural von Du das Ihr oder Wir der Gesellschaft ist. Noch immer gilt Roger Bacons Begründung: die Menschen sind allergisch gegen die vernichtenden Tugendpredigten der Popen, deren Dogmen sie verwechseln mit der selbstbestimmten Moral der Aufklärung.

Warum geschieht so wenig in der Bekämpfung der Klimagefahren? Weil der christlich sozialisierte Westen seit 2000 Jahren gegen Katastrophen und Verheißungen immun wurde. Theologen reden von Parusieverzug, um nicht zuzugeben, dass ihr Heil niemals kommen wird. Sie setzen auf ein Phantom oder eine Fata Morgana und hoffen wider alle Hoffnung. Um sich nicht lächerlich zu machen, attackieren sie den Spott der Ungläubigen als heidnische Verstockung:

„Sie werden sich über euch lustig machen und sagen:
Er hat doch versprochen wiederzukommen! Wo bleibt er denn?
Inzwischen sind unsere Väter gestorben, aber alles ist noch so, wie es seit Beginn der Welt war …
Meine Freunde, ihr dürft eines nicht übersehen:
Beim Herrn gilt ein anderes Zeitmaß als bei den Menschen.
Ein Tag ist für ihn wie tausend Jahre, und tausend Jahre sind ein Tag.
Der Herr erfüllt seine Zusagen nicht zögernd, wie manche meinen;
im Gegenteil, er hat Geduld mit euch, weil er nicht will, dass einige zugrunde gehen.“

Der Herr verschiebt seine Wiederkehr nicht aus Unvermögen, sondern aus unendlicher Geduld mit denen, die nicht glauben können.

Mit anderen Worten: die christliche Menschheit ist mit Schreckensmeldungen und Heilsverheißungen so zugeschüttet worden, dass sie gegen alles allergisch wurde. Vor allem gegen Apokalypsen am Ende der Geschichte. Gegen das Jüngste Gericht.

Deutsche Philosophen zeichneten sich besonders aus mit Synthesen des Weltgeistes, Reichen der Freiheit, mit Untergängen des Abendlandes. Und: was ist passiert? Die Welt existiert noch immer. Da werden wir das bisschen Klimaaufheizung auch noch überleben.

Sollte das Äußerste kommen, können wir es ohnehin nicht errechnen. Denn der biblische Gott ist unberechenbar:

„Darum seid wachsam! Denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euer Herr kommen wird.“

Nicht die Moderne erfand die ruhelose Beschleunigung, das Übermüdet- und Überwachsein, die Abwesenheit von Ruhe und Stille – sondern die befohlene Wachsamkeit beim Erwarten des Herrn.

Was aber wird über uns kommen, wenn kommen wird, was da kommen soll? Och, das Übliche, mit dem man Kindern Angst und Schrecken einjagen kann. Jede Hollywood-Variante der bizarren Endzeit ist furchterregender.

„Nach dieser Schreckenszeit wird sich die Sonne verfinstern
und der Mond wird nicht mehr scheinen,
die Sterne werden vom Himmel fallen
und die Ordnung des Himmels wird zusammenbrechen.“

Das hörten wir schon so oft, dass es gar nicht mehr wahr sein kann. Wenn schon Gottes Drohungen sich nicht erfüllen, warum sollten Prognosen gottloser Wissenschaftler verlässlicher sein?

 

Fortsetzung folgt.