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Von vorne LXXII

Von vorne LXXII,

die Straßen-Blockierer kommen zu spät. Längst blockiert die Wohlstandsnation sich selbst. Auf britische Blockier-Importe könnte sie verzichten. Was funktioniert noch im Lande der Korrekten und Pflichtbewussten?

Einen Vorteil aber haben jene. Wenn Deutschland wirtschaftlich „nach unten durchgereicht wird“, kann die Regierung die Schuld elegant von sich weisen.

Diese wachstumsverweigernden, alle neuralgischen Punkte lahm legenden Systemterroristen seien es, die den Verfall bewirkt hätten. Ihre friedlichen, aus bester Gentlemen-Kultur stammenden Sitten seien nur Tarnung für einen antimodernen, wirtschafts- und fortschrittsfeindlichen Hass gegen den Triumphzug der Menschheit. Ihr wurde ein grandioser Sieg über die Natur verheißen:

„Fürchtet euch nicht, ihr seid mehr wert als viele Sperlinge.“

„Gebet das Heilige nicht den Hunden und werfet eure Perlen nicht vor die Säue, damit sie jene nicht zertreten, sich umwenden und euch zerreißen.“

„Es war aber ferne von ihnen ein große Herde Säue auf der Weide. Da baten ihn die Teufel und sprachen: Willst du uns austreiben, so erlaube uns, in die Herde Säue zu fahren. Und er sprach: Fahret hin! Da fuhren sie aus und in die Herde Säue. Und siehe, die ganze Herde Säue stürzte sich von dem Abhang ins Meer und ersoffen im Wasser.“

„Als er am Morgen in die Stadt zurückkehrte, hatte er Hunger. Da sah er am Weg einen Feigenbaum und ging auf ihn zu, fand aber nur Blätter daran. Da sagte er zu ihm: In Ewigkeit soll keine Frucht mehr an dir wachsen. Und der Feigenbaum verdorrte auf der Stelle. Als die Jünger das sahen, fragten sie erstaunt: Wie konnte der Feigenbaum so plötzlich verdorren? Jesus antwortete ihnen: Amen, das sage ich euch: Wenn ihr Glauben habt und nicht zweifelt, dann werdet ihr nicht nur das vollbringen, was ich mit dem Feigenbaum getan habe; selbst wenn ihr zu diesem

Berg sagt: Heb dich empor und stürz dich ins Meer!, wird es geschehen. Und alles, was ihr im Gebet erbittet, werdet ihr erhalten, wenn ihr glaubt.“

„Jedes Tal soll aufgeschüttet, jeder Berg und Hügel erniedrigt werden, das Krumme soll zu geraden Wegen und die rauhen sollen zu ebenen Wegen werden.“

„So ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so mögt ihr sagen zu diesem Berge: Hebe dich von hinnen dorthin! so wird er sich heben; und euch wird nichts unmöglich sein.“

Christliche Abendländer wollten nicht nur glauben, sondern selbst erleben, wie Prophezeiungen Wirklichkeit werden: dass die Erwählten mehr wert seien als Fauna und Flora. Dass sie ihre bösen Triebe auf Säue übertragen könnten, um sich von ihnen zu befreien. Säue müssen ersaufen, damit Menschen gerettet werden. Feigenbäume müssen verdorren, wenn sie nicht just in time liefern. Berge müssen im Meer versenkt werden, wenn sie den Fortschritt blockieren. Nichts wird der sündigen Kreatur unmöglich sein.

Das ist Ermächtigung zur Naturzerstörung im Dienst despotischer Omnipotenz. Natur ist Verfügungsmasse und Folterwerkzeug für den Menschen, um seine Gottähnlichkeit unter Beweis zu stellen.

So stellen sich die Grünen die Bewahrung der Schöpfung vor. Was auch immer der Thronbesteigung des Menschen im Wege steht, muss brachial entfernt oder ausgerottet werden. Jede erforderliche Kompetenz wird ihnen zuteil werden. So entstand zu Beginn der Neuzeit die knochenbrechende Naturwissenschaft.

Die erforderlichen technischen Fähigkeiten entwendeten sie den Griechen – deren kosmische Verbundenheit sie verachteten. Die Methoden waren ähnlich, die Ziele unvereinbar.

Eben deshalb verfluchen die amerikanischen Frommen – die noch heilige Bücher lesen können – all das gottverdammte naturrettende Treiben der Moderne, die nicht kapieren will, dass ihr letztes Stündlein geschlagen hat.

Deshalb tragen sie ihren Präsidenten auf Händen, von dem berichtet wird:

„Dann wandte er das Gesicht unvermittelt gen Himmel und sagte: „I am the chosen one – Ich bin der Auserwählte. Auf dem Weg dorthin predigt ein Pastor auf Elijah Radio über den Wert des Lebens. Gott habe eine Hierarchie des Lebens geschaffen, sagt er. „Eine Maus ist mehr wert als eine Grille. Ein Vogel mehr als eine Maus. Aber ihr seid mehr wert als viele Spatzen.“ (TAGESSPIEGEL.de)

Voller Torheit berichten deutsche Medien, Trump sei ein Heuchler; von einem echten Gläubigen könne bei ihm keine Rede sein. Warum? Weil er ein gigantischer Sünder sei. Deutsche verstehen nicht, dass der Herr die Sünder liebt und ihnen ein säuisches Leben zu führen erlaubt – wenn sie sich ihm unterwerfen, ihre Sünden bereuen und auf seine Gnade hoffen. Menschen, die auf ihre guten Werke vertrauen, schickt er in die Hölle.

„Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme. Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.“

Alle Pharisäer sind selbst-gerecht, weil sie ein tadelloses Leben führen (damals die Juden). Weil sie moralische Besserwisser sind, werden sie in die Hölle wandern. Wahre Christen senken den Kopf, sündigen nach Belieben, erniedrigen sich, um erhöht zu werden.

Die Botschaft vom begnadeten Sündigen ist bei den Deutschen angekommen. Sie alle sind exzellente Sünder und Amoralisten, die alle Selbstgerechten als nationale Heimsuchung betrachten. Streng genommen sind sie noch immer Judenhasser, denn Juden pochten auf penibles Halten der Gesetze. Doch so genau wollen es weder Christen noch Juden wissen. Sie müssten sich ja einmal über ihre Religionen unterhalten. Der christliche Hass gegen die strengen Moralisten war die Urquelle des Antisemitismus. Im Kampf gegen Antisemitismus ist es einfacher, nach schärferen Gesetzen zu rufen.

Die Dialektik von Demut und Hochmut bringt seltsame Früchte:

„Ein Mensch betrachtete einst näher
die Fabel von dem Pharisäer,
der Gott gedankt voll Heuchelei
dafür, dass er kein Zöllner sei.
Gottlob! rief er in eitlem Sinn,
dass ich kein Pharisäer bin!“ (Eugen Roth)

Mit Christsein verbinden religionsvergessene Deutsche noch immer ein tugendhaftes Leben. Wie wär‘s mit einem Seitenblick zu Augustin?

„Gott wusste im voraus um die Sünden des Teufels; er wusste aber auch, dass sie zur Besserung des Universums als Ganzem nützlich sind. Heidnische Tugend ist dem „Einfluss obszöner und schmutziger Teufel ausgesetzt.“ Tugenden der Christen waren Laster bei den Heiden. „Diejenigen Dinge, welche die Seele zu den Tugenden zu zählen scheint und denen sie ihre Neigung zuwendet, sind, wenn sie nicht auf Gott bezogen sind, nichts als Laster.“ Wer nicht der Kirche angehört, wird ewiges Leid erdulden.“ (B. Russell)

Extra ecclesiam nulla salus, kein Heil außerhalb der Kirche.

Sollte Gottes Auserwählter von Hilfstruppen des Teufels aus dem Weißen Haus gejagt werden, wird’s einen apokalyptischen Bürgerkrieg um Alles oder Nichts geben – drohen Trumps fromme Kolonnen:

„Er habe die evangelikalen Wähler nie wütender gesehen als jetzt, wetterte Jeffress am vergangenen Sonntag im Fernsehen. Sollte Trump des Amtes enthoben werden („was nicht passieren wird“), würde das einen „bürgerkriegsähnlichen Bruch in unserem Land hervorrufen“. Bürgerkrieg. Ein großes Wort. Aber Jeffress gibt ein Gefühl wieder, das in seiner Gemeinschaft, den Evangelikalen, verbreitet ist. Das Gefühl, eine letzte große Schlacht zu schlagen. Er sei der Erste, der es mit China aufzunehmen wage, sagte der Präsident. Dann wandte er das Gesicht unvermittelt gen Himmel und sagte: „I am the chosen one – Ich bin der Auserwählte. Auf dem Weg dorthin predigt ein Pastor auf Elijah Radio über den Wert des Lebens. Gott habe eine Hierarchie des Lebens geschaffen, sagt er. „Eine Maus ist mehr wert als eine Grille. Ein Vogel mehr als eine Maus. Aber ihr seid mehr wert als viele Spatzen.“ 

Der schnell wachsende Graben zwischen Washington und Berlin ist ein religiöser. Alle anderen Differenzen folgen daraus. Amerikanische Biblizisten fühlen sich auf der Seite Gottes, wenn sie das heidnische Getue einer Naturrettung verfluchen. Warum wehren sie allen Versuchen, Trump in die Wüste zu schicken? Weil er ihr Glaubensheld, ihr Auserwählter ist, dessen Sendung von belanglosen Sünden nicht tangiert wird.

Liberalen Amerikanern ist es peinlich, dass ihr Kontinent von einem mittelalterlichen Glauben bestimmt ist. Weshalb sie ihren Gegner zum heidnischen Narzissten stempeln. Lächerlich!

Narziss wollte niemanden führen und erlösen. Er liebte und tötete nur sich. Alles andere war gleichgültig. Trump ist das genaue Gegenteil. Er fühlt sich als Glaubensheros seines Landes und als Führer der Welt. Sich selbstverliebt auslöschen: da könnte er nur wiehern. Er ist mehr als er selbst, er ist Amerika, die Stimme Gottes in der Heilsgeschichte.

Auch die Deutschen haben Probleme mit Naturrettern. Extinction Rebellion (XR) sei eine aufgeblasene Welterlösergruppe, sagte ein veritabler Professor. XR sei eine esoterische Sekte, sagt eine neidzerfressene Ex-Grüne, der es noch nie gelang, eine globale Bewegung ins Leben zu rufen. Ihre Sprache ist identisch mit der Verdammungssprache der Kirchen, die alle Konkurrenten als Sekten diffamieren, um zu verheimlichen, dass auch sie nur Großsekten sind.

Esoterik ist in der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs eine philosophische Lehre, die nur für einen begrenzten „inneren“ Personenkreis zugänglich ist, im Gegensatz zu Exoterik als allgemein zugänglichem Wissen. Andere traditionelle Wortbedeutungen beziehen sich auf einen inneren, spirituellen Erkenntnisweg, etwa synonym mit Mystik, oder auf ein „höheres“, „absolutes“ Wissen.“ (Wiki)

Streng genommen müssten alle Kirchen als esoterische Clubs verdammt werden. Christliche Botschaft ist ein Erwählungsglauben, allgemeine Menschenvernunft hingegen eine hybride Sünde. Selektive Erleuchtung ist die Methode des Himmels, die Schar ihrer Vorherbestimmten aus der Welt zu führen. Nach außen geben sich die deutschen Kirchen ökologisch. Doch sie wissen, dass sie die Welt betrügen. Je mehr evangelikale Freikirchen nach vorne drängen, umso mehr dominieren Themen des apokalyptischen Endes, die bislang erfolgreich verdrängt werden konnten.

Die XR-Bewegung hingegen ist mit empirischen Klimaerkenntnissen verbunden, die jedem Verstand zugänglich sind. Ein Herr von Marschall wirft Greta vor, sie würde lügen, weil sie die Meinung weniger „Klimaskeptiker“ verleugnen würde. Nach Marschalls Logik dürfte man noch heute die kopernikanische Wende nicht erwähnen, ohne den Creationismus als wissenschaftliche Alternative zu würdigen, für die die Erde noch immer der Mittelpunkt der Welt ist. Hier habe sich das Drama der Erlösung abgespielt.

Marschall ist an der Methode wissenschaftlicher Forschung nicht interessiert. Wenn er eine empirische Erkenntnis, die von der Majorität der Wissenschaftler vertreten wird, für falsch erklärt, ist das noch kein Vergehen an der Wissenschaft. Das aber stellt sich ein, wenn es ohne einleuchtende Argumente und empirische Belege gehen soll. Doch von Marschall hat szientivisch nichts zu bieten. Er will nur ein Lager gegen das andere ausspielen. Tiefer kann das Debattenniveau in renommierten Blättern nicht sinken:

„Die Greta-Bewegung steht für eine Infantilisierung des Verständnisses, was Politik leisten soll – und leisten kann. Sie verbreitet Unwahrheiten. Sie nimmt für sich eine angeblich gesicherte wissenschaftliche Wahrheit in Anspruch, die bei näherem Hinsehen darin besteht, abweichende wissenschaftliche Meinungen zu Häresie zu erklären.“ (TAGESSPIEGEL.de)

Abgesehen von den Klimaexperten sind andere Naturwissenschaften nicht sonderlich interessiert, ihren Beitrag zur Vermeidung der Apokalypse zu leisten. Oder soll man glauben, Natur werde ein Einsehen haben mit Menschen, wenn sie zunehmend älter werden? Dann hieße die Rettungsformel, um die Natur zu erwecken:

„Jeden Morgen: jeweils ein Gramm Metformin, Nikotinamid-Mononukleotid (NMN) und Resveratrol.“ Dann viel Sport und keinen Nachtisch. Und schon werden die Hitzewellen Abstand halten. Die Welt gesunden durch gesundes Älterwerden: eine pfiffige Idee – die jeden mimetischen Wettermacher neidisch machen müsste. (SPIEGEL.de)

Effektiver könnte die Methode der Astrophysiker sein, alle Probleme auf Erden zu ignorieren und wie Hans-guck-in-die-Luft nach Oben zu starren. Merkt die Natur, dass sie mit ihren Kapriolen niemanden beeindrucken kann, wird sie von ihren Einschüchterungsversuchen schon die Finger lassen.

Gibt es Wissenschaften, die, selbst wenn sie wahr wären, für die Menschheit uninteressant sind? Was etwa soll die Erforschung eines weltenweit entfernten Universums bringen, wenn es keine Fragen gibt, die aus dieser Perspektive beantwortet werden könnten? Schon Sokrates wurde gescholten, weil er sich von der – äußeren – Natur abwandte, um sich der Erforschung seiner inneren zu widmen. Hier tauchen unangenehme Fragen auf.

Griechische Wissenschaft und Philosophie wollten die Wahrheit – um der Wahrheit willen. An Nutzen und herrschaftsfähigen Erfolg dachte niemand. Die moderne Wissenschaft begann, als sie diesen verblasenen Tunnelblick (Bacon: „gleichsam aus der Höhle Platons“) für heidnischen Unfug erklärte.

Unter Wissenschaft verstand Francis Bacon nicht die Mehrung der Wahrheit, sondern Vermehrung und Verwertbarkeit ihrer Ergebnisse. Das Altertum habe kein einziges Experiment überliefert, das zur „Erleichterung und Hebung der Lage der Menschen diente“. Für Bacon das vernichtende Urteil des Weltgerichts. Alle Werke der Philosophie seien nutzlos, verglichen mit modernen Erkenntnissen der Wissenschaft, die zum beständigen Fortschritt der Menschheit beitragen würden.

Die Erfindungen von Kompaß, Schießpulver und Buchdruck erschienen ihm wie ein Weltprozess von unabsehbarer Wirkung. Fortschritte waren für ihn „Nachahmungen der göttlichen Werke“, die Schöpfungscharakter hatten. „Die technische Überlegenheit der Europäer über die Wilden Neu-Indiens begründeten ihm schon als solche das spätere Hobbes-Wort vom homo hominis deus: die Gottgleichheit des homo faber. (Friedrich Wagner)

Hier beginnt der Weg der modernen Wissenschaft, die – wie Jakob, der Gott auf der Himmelsleiter besiegen musste, um ihm dennoch zu gehorchen – den Gipfel der Kreativität erklomm. Das Ziel der Wissenschaft war rückwärtige Überwindung des Sündenfalls, um den Garten Eden zurückzuerobern. Dies aber in störrischem Widerstand gegen biblische Aussagen wie die von Paulus: „Erkenntnis bläht auf.“ Oder die des „Predigers“: „Viel Wissen bringt viel Unmut.“ „Wer die Wissenschaft mehrt, mehrt den Schmerz.“

Der Prediger lebte in der Zeit der hellenistischen Besatzung, die das jüdische Volk spaltete. Die Eliten der Stadt waren vom hellenischen Geist fasziniert, das fromme Volk auf dem Lande hasste die Heiden. Bacons zwiespältige Deutungsmethode war die Vorwegnahme der späteren Hermeneutik der Romantiker, die sich erkühnten, im Geiste der Erleuchtung aus jedem X ein U zu machen. Während die Deutschen auf die Linie Bacons einschwenkten, blieben die Amerikaner Fundamentalisten – die dennoch keine Mühe hatten, den Siegeszug ihres militärisch-technischen Komplexes als Geschenk Gottes zu betrachten.

Schauen wir auf die Astrophysik, deren führende Vertreter gerade den Nobelpreis erhielten. Wie werden ihre Ergebnisse gedeutet?

Für BILD-Wagner gibt es keine Probleme: er schaut in den Himmel und sieht – Gott. Griechische Wissenschaft entfernte alle Götter aus der Natur. Moderne Wissenschaft hat mit Gott keine Probleme.

„Ich lag rücklings und guckte hoch. Das Flimmern der Sterne, die Sichel des Mondes. Da oben war für mich immer, wo Gott wohnt. Die Astro-Forscher haben herausgefunden, dass unser Universum dunkel ist, nur fünf Prozent seien sichtbar. 95 Prozent sind unsichtbar.“ (BILD.de)  

Was wissen wir, wenn wir wissen, dass nur 5% des Universums sichtbar, 95% unsichtbar sind? Wollten wir das je in Erfahrung bringen? Welche Aspekte unseres Lebens werden dadurch transparenter? Das sind keine Fragen nach praktischem Erfolg, der stets zur Mehrung der Herrschaft über die Natur führen muss. Das sind Fragen nach der Bedeutung der Natur für das menschliche Selbstverständnis.

„Sind wir allein? Und warum gibt es uns überhaupt?“ fragt der SPIEGEL. „Zwei Exoplanetenforscher und ein Kosmologe haben den Nobelpreis für Physik bekommen. Sie haben unser Verständnis vom All revolutioniert – weil sie Fragen gestellt haben, die auch Vierjährige verstehen.“ (SPIEGEL.de)

Versteht sich, dass diese Fragen nicht beantwortet werden. Es genügt, sie gestellt zu haben. Schon Vierjährige würden sie verstehen. Kinder verstehen alles, wenn sie sehen, wie ihre Väter (kaum die Mütter) in ihrem technischen Höhenflug sich bemühen, von ihnen verstanden zu werden. Bis gestern waren die meisten Kinder dieser Welt überzeugt, dass alles, was ihre Eltern tun, ihrem Besten dient. Ab FfF beginnt die Überzeugung ins Gegenteil zu kippen. Bislang war das Urvertrauen zwischen den Generationen, trotz pubertierender Irritationen, nicht generell gestört. Das wird sich ändern.

Kinderfragen sind das nicht: Sind wir allein? Warum gibt es uns? Vergleichbar der Schelling‘schen Frage: Warum ist überhaupt Sein und nicht vielmehr Nichtsein? Das sind Dekadenzfragen christlicher Philosophen, die nicht mehr wissen, ob sie Männlein oder Weiblein, pardon, so gottähnlich geworden sind, dass sie die Perspektive des Schöpfers einnehmen können.

Was bleibt von der Forschungsarbeit der genialen Physiker? Eine psychologische Aussage über die Forscher: „Wenn die Rede auf Peebles kommt, dann preisen Forscherkollegen übrigens nicht nur den Intellekt des Wissenschaftlers, sondern auch seine außergewöhnliche Persönlichkeit. Von einem „unglaublich sympathischen Menschen“ mit „großer Zurückhaltung“ ist da die Rede und von „unfassbarer Bescheidenheit.“ Man hört das Lob eines Stars ohne Allüren.“

In einem anderen Bericht ist von Kinderfragen nichts zu hören.

„“Wir sind die erste Generation, die mit Sicherheit sagen kann, dass es außerhalb unseres Sonnensystems noch andere Planetensysteme gibt“, sagt die Planetenforscherin Ruth Titz-Weider vom Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR). Damit habe sich unsere Stellung im Weltall verändert, vielleicht relativiert: „Unser Planet scheint nicht mehr so etwas Besonderes zu sein“. Es sei doch irgendwie ironisch, sagte James Peebles auf der Pressekonferenz anlässlich der Nobelpreisverkündung am Dienstag: „Wir haben diese klare Vorstellung von Leben auf anderen Planeten. Wir können aber auch sehr sicher sein: Wir werden diese anderen Lebensformen niemals sehen.““ (ZEIT.de)

Wer behauptet, dass unser Planet etwas Besonderes sei – seitdem Kopernikus ihn aus dem Mittelpunkt in eine Umlaufbahn verschob? Das Fazit des Forschers klingt eher nach Ernüchterung, ja nach Enttäuschung. Selbst, wenn wir wissen, dass es andere Planeten gibt, wissen wir noch lange nicht, ob dort menschenähnliche Lebewesen existieren. Und selbst, wenn wir‘s wüssten, würden wir diese Lebensformen niemals sehen. Freude über sensationelle Erkenntnis klingt anders.

Und noch eine Reaktion:

„Was wir von Forschung abseits der ausgetretenen Pfade lernen können? Sie überprüft allgemein akzeptierte Ideen – immer eine gute Sache –, und es gibt die Chance, dass die Natur doch immer wieder eine neue Überraschung für uns bereit hält.“ (TAGESSPIEGEL.de)

Das klingt, als ob die Astrophysiker sich über bloße Faktenvermehrung ohne qualitative Tiefenerkenntnis gelangweilt hätten. Es müsste mal wieder eine unvorhersehbare Überraschung über uns hereinbrechen, so das Bedürfnis, ja, die Sucht des jungen Forschers nach nobelpreis-würdiger Sensation – die er gesteht, indem er sie beiseite schiebt:

„Man solle sich als Forscher niemals von der Aussicht auf Auszeichnungen, sondern vielmehr von der Liebe zur Wissenschaft antreiben lassen. Er selbst sei teils sehr verunsichert gewesen, als er in den 60er Jahren angefangen habe, sich wissenschaftlich mit seiner Materie auseinander zu setzen. Aber: „Ich habe einfach weitergemacht.““

Gäbe es keine Nobelpreise: wie viele „unermüdliche Forschungsarbeit“ bliebe lust- und ergebnislos auf der Strecke? Äußerliche Auszeichnung ist – neben Herrschaftsperspektiven – das Stimulans der Moderne. Würde man das globale Rankingsystem abschaffen, wären unnütze Wissenschaften gefährdet.

Der Gipfel metaphysischen Irrsinns der Astro-Forschung ist die Frage eines Wissenschaftlers:

„Ist es möglich, dass es unser Universum gar nicht gibt?“ (SPIEGEL.de)

Was mit der Suche nach sicheren Erkenntnissen begann, endet im grundsätzlichen Zweifel an der Existenz der Welt. Da die Naturwissenschaften alle Philosophie vertrieben haben und nur noch über Zahlen herrschen, sind sie unfähig, ihren Kollaps philosophisch zu konstatieren. Wovon sie nicht sprechen können, darüber müssen sie schweigen und rechnen.

Am Anfang wollten Mathematik und Naturwissenschaften das Berechenbare, Zuverlässige, um ihr Vertrauen in die Natur zu stärken. Gleichzeitig mussten sie konstatieren, dass Natur von Willkürbewegungen kleinster Teile beeinflusst wurde. Zwischen Sicherheit und Unsicherheit schwankt seitdem die abendländische Geschichte.

Als die kosmische Zuversicht der Stoiker dem Wüten eines unberechenbaren Gottes weichen musste, gab es zwei Möglichkeiten, die sturzartig hereinbrechende Unsicherheit zu reduzieren. Man konnte sich in blinden Glauben stürzen und alle Zweifel zum Teufel jagen – oder man konnte die Unsicherheit durch machtgeleitetes Wissen und technischen Fortschritt zu dämpfen versuchen.

Überwiegt der Sicherheitsdaspekt, wird’s schnell langweilig. Wird’s riskant, beginnt der Puls zu rasen. Also entschied die Moderne, auf dem Boden zuverlässiger Berechenbarkeit jenes Maß von Risiko einzugehen, das einen vibrierenden sicher-unsicheren Grundrhythmus versprach. Jahrhundertelang ging das gut. Man konnte die Natur reizen und quälen, ohne dass sie zu zucken schien.

Doch jetzt stellt sich heraus: der Höhenflug blieb nicht ohne Folgen, die sich untergründig aufsummiert hatten und sich plötzlich in verheerender Weise bemerkbar machen. Plötzlich? Plötzlich war es nicht: wir wollten nur nichts sehen.

Der moderne Mensch wähnt, sich in der Welt durch unermessliche Macht sicher zu fühlen. Eine grausame Fehleinschätzung, die schlagartig ans Licht gekommen ist, obgleich sie sich längst angekündigt hatte.

Dilthey unterschied nomothetische Naturwissenschaften von idiographischen Geisteswissenschaften. Die ersteren gründeten auf zuverlässig-berechenbaren Gesetzen, die zweiten mussten sich mit Erzählungen über das Einmalige, Singuläre begnügen. Insofern die zweiten sich auf eine Heilsgeschichte gründen konnten, waren sie den ersten anfänglich weit überlegen. Als der Glaube an die Heilsgeschichte aber verloren ging, verwandelte sich die Überlegenheit in unberechenbaren Zufall.

Also entschlossen sich die Geisteswissenschaften, die Methoden ihrer überlegenen Rivalen zu kopieren. Sie ersannen selbsterfüllende Experimente mit Zahlen, die zuverlässig wirken sollten. Damit wollten sie das unberechenbar-autonome Denken der Menschen abschaffen und durch pseudoobjektive Zahlenerkenntnisse ersetzen. Das war eine gigantische Fehlentscheidung, die die moralische Selbstbestimmung des Menschen vernichten sollte.

Wohl ist der autonome Mensch „berechenbar“, weil er einer gleichbleibenden Vernunft vertrauen kann. Seine „Berechenbarkeit“ aber ist durch äußere Mächte nicht gängelbar.

Die Epochen außengeleiteter Menschen müssen beendet werden. Transparente Vernunft, die in jedem Menschen ein gleichwertiges Wesen erblickt, muss mit zuverlässigen Maximen das Ruder der Menschheit ergreifen. Wir müssen „berechenbar“, aber nicht unterwürfig oder manipulierbar werden. Der selbstbewusste Mensch lebt in Empathie mit Mensch und Natur.

Der Mensch kann sich auf Erden nur sicher fühlen, wenn er in machtloser Eintracht mit der Natur lebt. Seine Zukunft hängt davon ab, ob er seine Herrschaftsstrukturen schnell genug abbauen und durch kosmische Einfühlsamkeit ersetzen kann.

 

Fortsetzung folgt.